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    Plenarprotokoll 10/35 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 35. Sitzung Bonn, Montag, den 21. November 1983 Inhalt: Verzicht der Abg. Dr. Linde und Grobecker auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 2321A Eintritt der Abg. Neumann (Bramsche) und Hettling in den Deutschen Bundestag 2321 A Erweiterung der Tagesordnung 2321 B Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen in Verbindung mit Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen — Drucksache 10/617 — in Verbindung mit Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses vom 12. Dezember 1979 in seinen beiden Teilen — Drucksache 10/620 — in Verbindung mit Antrag der Fraktion der SPD NATO-Doppelbeschluß und Stand der INF-Verhandlungen — Drucksache 10/621 — Dr. Kohl, Bundeskanzler 2321 D Burgmann GRÜNE (zur GO) 2332 B Präsident Dr. Barzel 2332 D, 2384 D Porzner SPD (zur GO) 2333 B Dr. Vogel SPD 2333 C Dr. Dregger CDU/CSU 2345 B Vizepräsident Frau Renger 2346 D Genscher, Bundesminister AA 2356 A Schily GRÜNE 2364 C Dr. Waigel CDU/CSU 2368 B Schmidt (Hamburg) SPD 2376 A Mischnick FDP 2384 D Bastian GRÜNE 2390 A Dr. Marx CDU/CSU 2394 A Bahr SPD 2399 A Dr. Todenhöfer CDU/CSU 2406 B Frau Huber SPD 2411A Ronneburger FDP 2414 B Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 2418 D Vizepräsident Westphal 2419C, 2419 D Frau Geiger CDU/CSU 2422 A Gansel SPD 2424 D Müller (Remscheid) CDU/CSU 2428 B Klose SPD 2430 D Dr. Göhner CDU/CSU 2435 C Frau Fuchs (Verl) SPD 2438 A Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 2440 B Schwenninger GRÜNE 2443 D Voigt (Frankfurt) SPD 2446A Höffkes CDU/CSU 2450 D Peter (Kassel) SPD 2454 C Nächste Sitzung 2456 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 2457*A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Montag, den 21. November 1983 2321 35. Sitzung Bonn, den 21. November 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode —35. Sitzung. Bonn, Montag, den 21. November 1983 2457* Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 25. 11. Haehser 25. 11. Immer (Altenkirchen) 25. 11. Kastning 25. 11. Dr. h. c. Lorenz 25. 11. Offergeld 25. 11. Petersen 25. 11. Vogt (Düren) 21. 11. Frau Dr. Wex 25. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments
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    Rede von Katrin Fuchs


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Herr Kollege Göhner, ich habe mir vorgenommen, Ihnen in der nächsten Sitzung des Petitionsausschusses ein Godesberger Programm zu überreichen;

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Das können Sie auch außerhalb machen! — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Antiquarisch! — Zuruf von der CDU/CSU: Makulatur!)

    denn es erscheint mir dringend nötig, daß Sie darin lesen, um die SPD besser interpretieren zu lernen. Das ist Ihnen nämlich heute in Ihrer Rede trotz intensivster Bemühungen überhaupt nicht gelungen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich zitiere: „Nicht zu beschreibende Sorge, ja Angst um unser und unserer Nachkommen Überleben treiben uns um ...". So beginnt einer von Hunderten von Briefen, die auch ich in den letzten Wochen von Frauen aus Kirchen, aus Friedensinitiativen, von jungen und alten Frauen aus der ganzen Bundesrepublik bekommen habe. Alle enthielten drängende und bohrende Fragen. Von dieser Stelle möchte ich all diesen Frauen sagen, daß ich von ihren Appellen zutiefst betroffen bin. Ich möchte hier für sie sprechen, und ich möchte einige ihrer Fragen aufnehmen und einige ihrer Argumente vortragen.
    Ich greife eine Frage auf, die die „Frauen für den Frieden" in der Evangelischen Frauenhilfe Bremen gestellt haben. Diese Frage konnte mir niemand, weder im Verteidigungsausschuß noch sonstwo, zufriedenstellend beantworten. Die Frage lautet:
    Fühlen Sie sich kompetent, eine persönliche Garantie dafür zu übernehmen, daß es bei einer derart immensen Vermehrung atomaren Sprengstoffs niemals zu einem „Atomkrieg aus Versehen" kommen wird, daß also niemals durch menschliches oder technisches Versagen eine atomare Apokalypse entfacht werden könnte?

    (Beifall bei der SPD — Dr. Marx [CDU/ CSU]: Ein Erzengel kann darauf antworten!)

    Meine Herren und Damen von der CDU/CSU, wie würden Sie diese Frage denn beantworten?
    Auf eine ähnliche Frage anläßlich der Sondersitzung der Nordatlantischen Versammlung am 13. Juni dieses Jahres antwortete Verteidigungsminister Wörner, der Einsatz von Nuklearwaffen sei eine politische Entscheidung, die in keinem Falle einem Computer überlassen bleibe. Hat der Verteidigungsminister bei dieser Antwort bedacht, wie abhängig der Mensch bei politischen Entscheidungen von einem Frühwarnsystem ist, das die vielfältigsten Aufgaben hat — von der Feindbeobachtung, der Frühwarnung vor einem Angriff über die Weiterleitung der Informationen an denjenigen, der die Entscheidung trifft, nämlich den amerikanischen Präsidenten, bis zur Übermittlung des Gegenschlagbefehls an die Raketenbasen oder U-Boote, von wo aus letztlich der Gegenschlag ausgeführt wird?
    Wie sicher kann irgend jemand sein, daß bei der Erfassung von Primärdaten über fliegende Objekte keine Störung vorliegt, daß sich bei der Auswertung dieser Daten in den beteiligten Computern oder bei den Mannschaften, die sie bedienen, keine Irrtümer einschleichen? Wer will dafür garantieren, daß bei der Informationsübermittlung an den Präsidenten der Vereinigten Staaten oder gar bei dessen Bewertung dieser Informationen kein Fehler unterläuft? Und ist es völlig ausgeschlossen, daß bei dér Übermittlung des Gegenschlagbefehls oder bei der Ausführung des Präsidentenbefehls eine Panne passiert, weder eine menschliche noch eine technische?
    Wir wissen doch alle, daß Computerfehler vorgekommen sind, so z. B. im US-Frühwarnsystem NORAD. Senator Gary Hart führte zusammen mit seinem Kollegen Barry Goldwater 1980 eine Untersuchung im Auftrag des Senats durch, wie er wörtlich sagt — ich zitiere —, „wegen der fortgesetzten schwerwiegenden Computerprobleme im US-Frühwarnsystem. Wie entdecken, daß in einem Zeitraum von 18 Monaten 151 Fehlalarme aufgetaucht sind; einer dauerte volle sechs Minuten lang, also die Hälfte der Zeit, die eine U-Boot-Rakete braucht, um ihr Ziel zu erreichen." Senator Hart sagt weiter:
    Es gibt keine Garantie dafür, daß in Zukunft Fehlalarme nicht vorkommen werden. Sie werden auftreten, und wir müssen uns auf das kollektive Urteil der Mannschaft an den Systemen verlassen, Fehlalarme als solche zu erkennen und damit richtig umzugehen.
    Glaubt Herr Minister Wörner wirklich, ein „Atomkrieg aus Versehen" sei angesichts der Tatsache ausgeschlossen, daß allein im WWMCCS, dem World Wide Military Communication and Command System, diesem riesigen weltweiten Frühwarnsystem, 35 Rechner mit einem Programmvolumen von 17 Millionen Codezeilen existieren? Wie verhalten sich Menschen in einer so belastenden Situation, in der innerhalb weniger Minuten unter Umständen über das Schicksal unseres Planeten entschieden werden muß?
    Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses in den Vereinigten Staaten hat das so erlebt. Er sagt:
    Als wir den Fehlalarm hatten, das müssen sechs Minuten gewesen sein, obwohl es uns wie Stunden vorkam, brach einfach Panik aus!



    Frau Fuchs (Verl)

    Wie reagiert denn ein Präsident, der in fünf Minuten oder weniger über das Schicksal von Millionen von Menschen zu entscheiden hat, wenn er mitten in der Nacht aufgeweckt werden muß oder sonst irgendwie indisponiert ist? Daß diese Fehlalarme — obwohl sie zum Teil bis zur Alarmstufe 2 führten — letztlich keine militärischen Konsequenzen hatten, liegt vor allem daran, daß genügend Zeit verblieb, innerhalb Raketenflugzeiten zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten von ca. 30 Minuten die Fehler zu finden und zu eliminieren.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wie ist das mit den SS 20?)

    Wie aber wird sich die Situation darstellen, wenn Pershing II bei uns stationiert sind? Das Gefährliche an dieser Rakete ist doch, daß sie bei kürzester Warnzeit gehärtete Ziele treffen und zerstören kann, Ziele, die speziell gegen die Wirkungen einer Atomexplosion verstärkt sind, wie z. B. Kommandozentralen, Führungsbunker und Raketensilos.

    (Beifall bei der SPD)

    Und ich befürchte, meine Herren und Damen, mit vielen besorgten Briefschreibern, aber nicht nur mit ihnen, sondern auch mit vielen sehr informierten und bekannten Wissenschaftlern, daß es technisch auf diese Waffe nur eine Antwort gibt, nämlich „launch on warning"; das heißt: Abschuß, sobald die Frühwarnsysteme den Anflug der Waffen melden.

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Es gibt noch eine andere! Die SS 20 müssen weg!)

    Ich fürchte, daß im sowjetischen Entscheidungsprozeß Menschen durch Computer ersetzt werden. Da sicher niemand bezweifeln wird, daß westliche Computertechnologie der sowjetischen bei weitem überlegen ist, zwingt das zu dem Schluß, daß sowjetische Systeme zumindest so unzuverlässig sind wie die westlichen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die sind doch schon da!)

    Das heißt: Computerfehler können nicht ausgeschlossen werden. Aber jeder Fehler eines sowjetischen Computers würde zumindest für Mitteleuropa die Katastrophe bedeuten.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Können Sie, Herr Bundeskanzler, angesichts dieser Aussichten noch Ihren Satz von heute morgen aufrechterhalten: Waffen sind Gegenstände, sie bedrohen niemanden.
    Meine Herren und Damen, die Tatsache, daß menschliches und technisches Versagen prinzipiell nicht ausgeschlossen werden können, ist ein Grund für viele Sozialdemokraten, die atomare Abschrekkung für eine dauerhafte Sicherung des Friedens als untauglich abzulehnen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Die Abschreckung mit Atomwaffen und ein vordergründiger Gleichgewichtsbegriff werden durch die rasante Entwicklung der Waffentechnologie immer mehr zum Motor eines Rüstungswettlaufs, der die
    Grundlagen eben dieser Abschreckungspolitik zerrüttet und die Schwelle zum Einsatz von Atomwaffen herabsetzt.

    (Beifall bei der SPD)

    Deswegen wollen wir mit der Mehrheit der deutschen Bevölkerung, daß nicht noch mehr Atomwaffen bereitgestellt werden,

    (Beifall bei der SPD)

    sondern daß letztendlich alle Atomwaffen aus Europa abgezogen werden.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Die Mehrheit ist am 6. März festgestellt worden! Das ist die untrüglichste Volksbefragung!)

    Deswegen stehen wir Sozialdemokraten mitten in der internationalen Diskussion darüber, wie Verteidigungspolitik neu organisiert werden kann. Mit vielen Menschen sind wir der Meinung, daß Verteidigungspolitik an den existentiellen Bedürfnissen der Bürger orientiert sein und das Sicherheitsbedürfnis und die Ängste des möglichen Gegners in Rechnung stellen muß,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Aber auch das eigene Sicherheitsbedürfnis!)

    daß Verteidigungspolitik nicht auf Androhung gegenseitiger Vernichtung beruhen darf und daß sie nichtaggressiven Charakter haben muß; das heißt: Jeder potentielle Gegner muß erkennen können, daß Bewaffnung und Organisation der Verteidigung einen Angriffskrieg ausschließen.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Marx [CDU/ CSU]: Schickt das mal an den Kreml!)

    All dies setzt voraus, daß an der Aufrüstungsschraube jetzt nicht weiter gedreht wird,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Auch im Osten nicht!)

    daß Pershing II und Cruise Missiles nicht bei uns aufgestellt werden. An Ihrem Abstimmungsverhalten, meine Herren und Damen von der CDU/CSU und FDP, liegt es, ob sie aufgestellt werden oder nicht.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich hoffe inständig, daß die Mitarbeiter in den Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel nicht recht behalten, wenn sie in ihrem Brief schreiben:
    Wir sind gelähmt von der Ahnung, daß kein Argument, kein Aufschrei, keine Handlung mehr ein wirklich hinhorchendes Ohr, geschweige denn ein offenes Herz und einen unvoreingenommenen Verstand erreichen wird.
    Wenn ich allerdings die Reaktionen hier heute betrachte und mir einige Bemerkungen des Kollegen Marx und auch des Kollegen Müller (Remscheid) in Erinnerung rufe, dann habe ich den Eindruck, daß Sie, meine Herren und Damen von der Regierungskoalition, überhaupt nicht gewillt sind, sich mit den Sorgen und Argumenten all derer auseinanderzusetzen, die sich in häufig langen und bewegten Briefen an uns alle gewandt und uns ihre



    Frau Fuchs (Verl)

    Sorgen mitgeteilt haben — und die uns im übrigen auch gewählt haben.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Marx [CDU/ CSU]: Ich habe mich ausdrücklich mit einer ganzen Reihe dieser Sorgen identifiziert!)

    Ich will dennoch einmal aus einem Brief der evangelischen Frauen für den Frieden zitieren. Sie sagen:
    Unsere Hoffnung auf eine Zukunft ohne Bedrohung und Angst hängt jetzt auch von der Klugheit, dem Verantwortungsbewußtsein und der Gewissenhaftigkeit Ihrer Entscheidung ab. Nach der voraussichtlich namentlichen Abstimmung in dieser Überlebensfrage werden die Wähler ihren Abgeordneten genau kennenlernen und für die Zukunft einzuschätzen wissen. Verzweifelt appellieren wir an Sie: Stimmen Sie gegen die Stationierung der vorgesehenen Atomraketen, damit wir, unsere Kinder und unsere Enkel leben können.
    Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren, das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hellwig.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Renate Hellwig


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir eine ganz persönliche Bemerkung zu Beginn. Mein Vater, ein selbständiger Handwerksmeister und überzeugter, leidenschaftlicher Demokrat, sah es als seine wichtigste Aufgabe an, uns Kindern die dringende Mahnung mit auf den Weg zu geben, diese freiheitliche Demokratie mit ganzer Kraft und ganzem Einsatz zu tragen und zu bewahren. Er war kein Held, wie er von sich selbst immer betonte. Er hat die Nazi-Diktatur überlebt, aber er hat die ganzen Jahre furchtbar unter dem Gespinst aus Verstellung, Mißtrauen, Ungerechtigkeit, Lüge und Angst gelitten. Das Leben unter einer Diktatur verkrüppelt jeden normal, gerecht empfindenden Menschen, auch den, der sich nur in sein Privatleben zurückziehen will und gar nichts mit Politik zu tun haben will.
    Er beschwor uns: Bewahrt unser Volk vor einer neuen Diktatur. Wir haben damals die Weimarer Republik verloren, noch ehe wir zur Besinnung kamen. Demokratien sind immer gefährdet, von innen und von außen. — Und er erzählte uns immer wieder: Es war wie ein Rausch, der unser Volk erfaßt hatte, eine einzige einigende Gefühlsaufwellung für das Wahre, das Echte, das Gute, das Schöne, die große vaterländische Idee, die uns aus der Knechtschaft der Siegermächte befreien sollte und uns hinauftrug in das Licht des wahrhaft nationalen und sozialen „Dritten Reiches". Der Einzelne wuchs über sich hinaus, war ein Teil der Bewegung. Diese Bewegung erhob sich moralisch weit über das niedrige Parteiengezänk und die mühselige parlamentarische Demokratie, und die Bewegung fegte beides hinweg.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Nachtigall, ick hör dir trapsen!)

    Als auf den Rausch die Ernüchterung folgte, war es für die Deutschen zu spät, sich aus der selbstgewählten Fessel einer braunen Diktatur wieder zu befreien. Mein Vater warnte uns aber auch, wachsam zu sein vor der Gefahr, die der Demokratie von außen droht. Menschen in Demokratien neigen dazu, Diktaturen in ihrer Gefährlichkeit zu unterschätzen.

    (Zurufe von der CDU/CSU: So ist es! Sehr wahr!)

    Demokratische Regierungen wollen gute Nachbarschaft und unterstellen Diktaturen dasselbe. Nach meines Vaters Meinung hatten die Westmächte Hitler unterschätzt. Ihr, sagte er damals zu uns, werdet in ein paar Jahren, bequem geworden und gewöhnt an die Demokratie, den kommunistischen Machtblock unterschätzen. Keiner im Westen hat in den 30er Jahren Hitlers „Mein Kampf" gelesen. Ihr werdet vergessen, das Kommunistische Manifest zu lesen.
    In der heutigen Zeit wird soviel von Angst gesprochen. Ich habe auch ein beklemmendes Gefühl, wenn ich heute spüre, wie recht mein Vater damals hatte. Wie unrecht tat ich ihm damals! Ich habe ihn ausgelacht, weil ich seine Sorge, wir könnten unser freiheitlich-demokratisches System jemals wieder verlieren oder gar freiwillig aufgeben, für völlig übertrieben, für die Sorge eines pessimistisch gewordenen alten Mannes hielt.
    In Erinnerung an seine Meinung zitiere ich heute aus dem Programm der Kommunistischen Partei der Sowjetunion von 1961:
    Der Erfolg des Kampfes der Arbeiterklasse für den Sieg der Revolution wird davon abhängen, inwiefern sie und ihre Partei es erlernen, sich aller Formen des Kampfes zu bedienen, der friedlichen wie der nicht friedlichen, der parlamentarischen wie der außerparlamentarischen, und ob sie zur schnellsten und überraschendsten Ersetzung einer Kampfform durch die andere bereit sind.
    Niemand sage, er habe es nicht wissen können!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich beobachte mit großer Sorge, wie in der Friedensbewegung die Illusion immer mehr um sich greift, die UdSSR sei inzwischen eine friedliche, nur auf die Verteidigung ihres eigenen Territoriums konzentrierte Macht geworden,

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Wo denn, wer denn, wie denn? Wer sagt das denn? — Weiterer Zuruf von den GRÜNEN: Von welcher Friedensbewegung reden Sie? — Dr. Marx [CDU/CSU]: Von der real existierenden!)

    die nur so lange aggressiv sei, solange sie sich bedroht fühle; wenn Westeuropa neutral wäre, könne
    es friedlich im Windschatten der sich_ gegenseitig



    Frau Dr. Hellwig
    mißtrauenden Weltmächte ein von Atomwaffen befreites Leben führen.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Wolkenkuckucksheim!)

    Mein zehnjähriger Neffe hat mir dieses Bild aus seiner Schule mitgebracht. Das Mädchen in der Klasse wurde belobigt, das nach Meinung des grünen Lehrers das schönste Bild über die Ziele der Friedensbewegung gezeichnet hatte: Rechts im Bild ein dunkler waffenstarrender Fleck mit dem Namen UdSSR, und links im Bild ein ebenso dunkler waffenstarrender Fleck mit dem Namen USA; und in der Mitte ein helles Licht, eine Friedenstaube mit dem Namen Deutschland, klein darunter: Europa.
    So einfach ist das, meine Damen und Herren! Europa segelt auf der Friedenstaube aus dem ideologisch-militärischen Schlachtfeld zwischen Ost und West davon,

    (Zuruf des Abg. Fischer [Frankfurt] [GRÜNE])

    verabschiedet sich ganz einfach von seiner eigenen Geschichte, ohne den anderen Mitspielern noch umständlich Adieu zu sagen.