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ID1000507900

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    Plenarprotokoll 10/5 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 5. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 5. Mai 1983 Inhalt: Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Einberufung einer Sondersitzung des Deutschen Bundestages am 8. Mai 1983 aus Anlaß des 38. Jahrestages des Endes der nationalsozialistischen Herrschaft und des Zweiten Weltkrieges Reents GRÜNE 147 B Dr. Schäuble CDU/CSU 148 D Dr. Hauff SPD 149 C Wolfgramm (Göttingen) FDP 150 B Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Althammer CDU/CSU 150 D Hoffmann (Saarbrücken) SPD 153 B Hoppe FDP 155D Kleinert (Marburg) GRÜNE . . . . 158C, 186D Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . . 161 C Dr. Apel SPD 167 A Börner, Ministerpräsident des Landes Hessen 173A Dr. Graf Lambsdorff FDP 176 C Roth SPD 181 D Dr. Stoltenberg CDU/CSU 187 A Hauser (Krefeld) CDU/CSU 187 B Reuschenbach SPD 190 B Dr. Haussmann FDP 193 B Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 195 B Frau Fuchs (Köln) SPD 201A Dr. George CDU/CSU 205B Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 207 C Lutz SPD 210B Hoss GRÜNE 212B Cronenberg (Arnsberg) FDP 214D Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 218C Dr. Schmude SPD 222 D Fischer (Frankfurt) GRÜNE 226 B Dr. Miltner CDU/CSU 228 C Dr. Hirsch FDP 231C Schäfer (Offenburg) SPD 233 D Dr. Ehmke (Ettlingen) GRÜNE 236 D Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 239A Dr. Emmerlich SPD 241 D Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . 245C Frau Schoppe GRÜNE 248 A Kleinert (Hannover) FDP 250A Frau Dr. Vollmer GRÜNE 252 D Seiters CDU/CSU 255A Vizepräsident Westphal 226 D Vizepräsident Wurbs 245 B Nächste Sitzung 255 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 257*A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 257* C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Mai 1983 147 5. Sitzung Bonn, den 5. Mai 1983 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 6. 5. Berschkeit 6. 5. Böhm (Melsungen) * 6. 5. Büchner (Speyer) 6. 5. Dr. Enders * 6. 5. Dr. Engelsberger 6. 5. Hartmann 6. 5. Dr. Hornhues 6. 5. Kittelmann * 5. 5. Lahnstein 5. 5. Lemmrich * 5. 5. Dr. h. c. Lorenz 5. 5. Offergeld 5. 5. Poß 5. 5. Schmidt (Hamburg) 6. 5. Schmidt (Wattenscheid) 6. 5. Schreiber 6. 5. Schröer (Mülheim) 5. 5. Spilker 6. 5. Frau Steinhauer 6. 5. Vogt (Düren) 5. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident des Bundesrates hat mit Schreiben vom 29. April 1983 mitgeteilt, daß der Bundesrat in seiner Sitzung am 29. April 1983 der vom Deutschen Bundestag am 29. März 1983 beschlossenen Weitergeltung der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Ausschuß nach Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) Geschäftsordnung für den Gemeinsamen Ausschuß nach Artikel 53 a des Grundgesetzes Geschäftsordnung für das Verfahren nach Artikel 115d des Grundgesetzes zugestimmt hat. Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 2. Mai 1983 mitgeteilt, daß er seinen Antrag Veräußerung des bundeseigenen Geländes an der Schleißheimer Straße in München an die Landeshauptstadt München - Drucksache 10/22 - zurückzieht.
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    Rede von Egon Lutz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die überraschende Intervention der Frau Minister zu diesem Augenblick war sicher nicht der Versuch, die soeben begonnene beschäftigungspolitische Debatte abzuwürgen. Das hat wohl mehr mit dem Terminkalender der Frau Minister oder mit der Fernsehzeit zu tun gehabt.

    (Daweke [CDU/CSU]: Das sind Unterstellungen!)

    Gleichwohl: Wir greifen das auf, was Herr George gesagt hat. Ich versuche jetzt auch mit sanfter Stimme, um Herrn George zu entsprechen, an Sie zu appellieren, mit uns gemeinsam einmal zu überlegen, welche Barrieren Sie einem gemeinsamen Überdenken einer aktiven Beschäftigungspolitik entgegenstellen. Herr George — ich sehe Sie zwar gerade nicht, aber Sie sind bestimmt im Saal —, ich
    finde es z. B. schlecht, wenn man einerseits das hohe Lied der Tarifautonomie singt, andererseits in der Praxis aber, gerade im öffentlichen Dienst, jeglichen Respekt vor der Tarifautonomie vermissen läßt und somit in Wirklichkeit ein häßliches Bild abgibt.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich würde sagen: Wenn man das, wenn man die Theorie sorgfältiger beachtete in der aktiven Politik, wäre schon eine Verständigungsbarriere weggefallen.
    Ein anderes Beispiel: Ich kann mit großer und erhabener Gelassenheit, wenn ich beispielsweise Repräsentant des Wirtschaftsrats bin, an andere appellieren, das Besitzstandsdenken aufzugeben. Denn mir soll ja nichts weggenommen werden. Der Kanzler hat ja gesagt: Leistung muß belohnt werden. Ich soll ja etwas kriegen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Da kann ich sehr ruhig anderen, denen etwas genommen werden soll, den Rentnern, den Arbeitslosen, den Sozialhilfeempfängern, anempfehlen, aus der „Wagenburg ihres Besitzstandsdenkens" herauszukommen. Auf dieser Basis ist eine Verständigung wirklich nicht möglich.

    (Beifall bei der SPD)

    Ein drittes, und das wird uns wohl in der Beschäftigungspolitik immer trennen, zum Schaden der Gesellschaft, hoffentlich nicht allzu lange: Sie beginnen einzusehen, daß es sich nicht um eine konjunkturelle Krise handelt, sondern um eine strukturelle Krise. Aber was Sie dagegen tun, ist, auf die Selbstheilungskräfte des Marktes zu setzen, also ein konjunkturell belebendes Programm anzuleiern, nicht aber, die strukturellen Defizite aktiv zu bekämpfen, und darum geht es.
    Wenn man nun die 42 Seiten Regierungserklärung einmal daraufhin abklopft, welche Hoffnungen denn ein Arbeitsloser daraus schöpfen könnte, dann lautet die Antwort wie folgt:
    Erstens liest und hört er die vollmundige Behauptung, der Aufschwung habe begonnen. Zweitens kann der Arbeitslose vernehmen, daß der Kanzler sich zur sinnerfüllten Arbeit und zur Sozialen Marktwirtschaft bekennt. — Wie löblich! — Er vernimmt das Versprechen, eine Politik zum Abbau der Arbeitslosigkeit zu betreiben. — Wie hinreißend! — Und noch ein Bekenntnis hört er, nämlich diesmal zur „verantwortungsbewußten Leistungselite" — man muß das alles lesen, schöne Worte! — und zu dem Grundsatz, wer mehr wage — das hat meine Kollegin Fuchs schon ausgeführt — und wer sich mehr plage, der habe auch mehr Anspruch auf Erfolg und Gewinn.
    Er vernimmt ferner eine Kundmachung über den Nutzen von Teilzeitarbeit. Die ist dann vom Arbeitsminister noch ein bißchen unterfüttert worden. Der hat gesagt, Teilzeitarbeit müsse sein. Er hat nur nicht gesagt, welchen Arbeitsplatz ich denn teilen kann. Wo ist denn die materielle Basis bei Millionen



    Lutz
    von Arbeitsplätzen noch gegeben, wenn sie geteilt worden sind?

    (Beifall bei der SPD)

    Ferner vernimmt der Arbeitslose in der Regierungserklärung, daß die Lebensarbeitszeit vernünftigerweise gekürzt werden solle, daß das aber weder die Wirtschaft noch den Staat etwas kosten dürfe. Und schon erhebt sich die Frage: Wenn es nichts kosten darf, wer soll es denn dann bezahlen? Dann kostet es den, der das vorgezogene Altersruhegeld bekommt, den versicherungsmathematischen Abschlag. Spätestens seine Witwe wird unter die Sozialhilfeschwelle sinken. So geht es also nicht.

    (Kolb [CDU/CSU]: Wer soll es denn bezahlen?)

    Ferner liest und hört man die Versicherung, daß man sich der Probleme des Ruhrgebiets, des Bergbaus, der Stahlindustrie, der Werften und der Bundesbahn bewußt sei. — Wie eindrucksvoll!

    (Bohl [CDU/CSU]: Wie hätten Sie es denn gern?)

    Dann war die Rede des Herrn Bundeskanzlers, soweit es den beschäftigungspolitischen Teil betraf, vorüber, und der Arbeitslose konnte sich frei nach Tucholsky einen Vers darauf machen, etwa den:
    Wenn ich die so höre und denke, die bilden sich nur ein, große politische Welt zu sein, dann sag' ich mir: Ach die, du lieber Gott! Lauter saure Gurken und kein Kompott.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Auch die Debatte seither hat dem Arbeitslosen keine Erleuchtung gebracht — Hoffnungen und Versprechungen gewiß, aber keine Gewißheiten. Wenn man bedenkt, daß Sie seit März Zeit und Geld und Ressourcen genug haben einsetzen können, um eine vernünftige Konzeption in der Regierungserklärung zu entwickeln, muß ich konstatieren: Die Berge, die da kreißten, haben noch nicht einmal eine Maus geboren, sondern allenfalls, auf beschäftigungspolitischem Feld, den Schattenriß von einem Mäuslein hervorgebracht. Ich frage mich, was Sie machen werden, wenn Ihr Gerede vom Aufschwung nicht mehr zieht, wenn die Hoffnung auf die Selbstheilungskräfte des Marktes eitler Wahn bleibt. Was machen Sie bei 2,8 und mehr Millionen Arbeitslosen im Winter? Tritt dann der Wirtschaftsminister zurück, oder tritt der Arbeitsminister zurück?

    (Zurufe von der SPD: Beide!)

    Oder treten sie beide zurück? Oder werden sie dann endlich aufgeschlossener für unsere Vorschläge einer aktiven Beschäftigungspolitik sein?

    (Bohl [CDU/CSU]: Sprechblase!)

    Werden Sie dann für ein Arbeitszeitgesetz eintreten, das für die Tarifvertragsparteien letzter Anstoß sein könnte, den Schritt zur 35-Stunden-Woche zu wagen, und das für uns alle die Möglichkeit böte, Überstundenschieberei zu Zeiten der Massenarbeitslosigkeit auf das unbedingt Notwendige zurückzudrängen?

    (Kolb [CDU/CSU]: Warum nicht gleich 30?)

    — Im Arbeitszeitgesetz gehen wir übrigens von der 40-Stunden-Woche aus. Das wissen Sie sehr wohl.
    Werden Sie unseren Vorschlag eines Vorruhestandsgesetzes mittragen, der darauf hinausläuft, daß die Kosten dieser Form von Lebensarbeitszeitverkürzung von den Tarifpartnern und vom Staat gemeinsam getragen werden, falls für jeden ausscheidenden älteren Arbeitnehmer ein jüngerer Arbeitsloser eingestellt wird? Werden Sie wenigstens dann begreifen, daß nicht das Gerede über Ausbildungsplätze, sondern daß nur die Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze den jungen Menschen weiterhilft? Werden Sie begreifen, daß wir ein sehr viel ausgefeilteres arbeitsmarktpolitisches Instrumentarium benötigen, um Arbeitslosigkeit nicht zum Dauerzustand werden zu lassen? Wir brauchen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, um der Hoffnungslosigkeit der älteren und jüngeren Arbeitslosen aktiv in einem sehr viel größeren Umfang als bisher begegnen zu können.

    (Kolb [CDU/CSU]: Wer ist der Kunde, wer zahlt es?)

    Wir brauchen Bildungs-, Fortbildungs- und Umschulungsbeihilfen, mit denen der gering oder gar nicht qualifizierte Arbeitslose seine Position verbessern kann.

    (Müller [Remscheid] [CDU/CSU]: Wer hat denn die gekürzt?)

    — Da brauchen Sie mir nichts vorzuwerfen, das haben wir hier schon wiederholt diskutiert. Sie haben da auch gesagt, der Weg sei falsch, und sind ihn dann um so entschlossener weitergegangen.
    Wir müssen umsteuern, wir müssen aus dem Arbeitsförderungsgesetz wieder ein operatives Instrument machen.

    (Beifall bei der SPD)

    Das kostet Geld. In das Arbeitsförderungsgesetz müssen auch Bestimmungen hinein, mit denen man die Selbsthilfegruppen von Arbeitslosen unterstützen kann, mit denen man die Gründung und die Existenz von Arbeitslosenkooperativen und was sich da entwickelt, endlich fördern kann. Wird Ihnen denn klarzumachen sein — Sie werden sagen, das kostet alles Geld —, daß es ein barer ökonomischer Unsinn ist — Sie selbst sagen das auch —, Jahr für Jahr 55 Milliarden und bald noch mehr für das Finanzieren von Arbeitslosigkeit auszugeben und nicht für das Bekämpfen von Arbeitslosigkeit?

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich will Ihnen etwas sagen: Solange Sie einen Kostenanstieg dadurch verhindern wollen, daß Sie die Leistungen für Arbeitslose zurückschneiden, und im übrigen auch noch, wie ich fürchte, mit ortholiberaler Kaltschnäuzigkeit auf Gott und den Markt und sonstwen hoffen, so lange wird sich nichts ändern, und Sie werden jedes Jahr teurere Runden



    Lutz
    drehen müssen, um der Arbeitslosigkeit Herr zu werden.

    (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Sagen Sie mal was zur Schattenwirtschaft, Herr Kollege!)

    Verlassen Sie sich nicht auf den Wirtschaftsminister, der in diesem Jahr wieder den Aufschwung geortet hat. Darauf haben wir uns auch in der sozialliberalen Koalition allzulange verlassen. Ich darf daran erinnern: Im Februar 1978 hielt Graf Lambsdorff Fortschritte auf dem Weg zu mehr Wirtschaftswachstum für „absehbar". Im Januar 1979 äußerte er Zuversicht, daß 1979 ein „Jahr des wirtschaftlichen Fortschritts für uns alle" werde. Im April 1980 dünkten ihn die wirtschaftlichen Perspektiven für das gleiche Jahr „nicht schlecht". 1981 sah er gar „erste deutliche Anzeichen für eine Besserung der wirtschaftlichen Entwicklung". Das war im April. Im April 1982 hat dann der Graf prognostiziert, die Wirtschaft befinde sich in einer Situation, in der der Anstieg aus der Talsohle sichtbar werde. Jetzt hat der Graf wieder den „Aufschwung" am Wickel, wie jedes Jahr im Frühjahr. Passen Sie auf, daß Sie nicht alle ein Opfer gräflichen Optimismusses und damit zu einer falschen Politik verleitet werden.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Hoss von der Fraktion DIE GRÜNEN.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst einige Worte zu Herrn Lambsdorff und zu seinen Ausführungen von heute morgen sagen. Er hat die Grünen in die Ecke von Aussteigern aus gesellschaftlicher Verantwortung gestellt, die aber den Sozialstaat für sich in Anspruch nehmen, d. h. ihn melken.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Genauso ist es!) Dazu möchte ich drei Dinge sagen.

    Erstens. Ich und meine Freunde haben für jeden Pfennig, den wir an Einkommen erhalten haben, Steuern und Sozialabgaben gezahlt, und zwar — wie bei vielen Millionen Arbeitnehmern — bevor wir dieses Geld überhaupt in die Hand bekommen haben.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Zweitens. Ich finde es unerträglich, gerade von Ihnen, Herr Lambsdorff, der Sie im Zusammenhang mit finanziellen Manipulationen, mit dem Flick-Skandal und mit der Parteienfinanzierung genannt werden, in solcher Weise angegriffen zu werden.

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

    Drittens. Meine und meiner Freunde moralische Integrität sieht so aus, daß jeder von uns, jeder einzelne, wenn er sich in der Situation von Herrn Lambsdorff befände, seinen Rücktritt schon längst erklärt hätte. Das sollte er bedenken, wenn es ihm
    um demokratische Traditionen und Liberalität und all diese Dinge, von denen er redet, ginge.

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — Zurufe von der CDU/CSU und Gegenrufe von den GRÜNEN)

    Nun zum ruhigeren Teil. Herr Blüm, welche Begründungen Sie auch heute mittag gebracht haben: Der Sozialetat wird jetzt von der Regierungskoalition als Manövriermasse zur Sanierung des Haushalts und für einen neuen Aufschwung betrachtet und behandelt. Die Kürzungen von 6 bis 7 Milliarden DM betreffen fast ausschließlich den Sozialetat. Das trifft die Bedürftigen, während die Großen geschont werden. Im Vordergrund stehen — so heißt es in dem Koalitionspapier und auch in der Regierungserklärung — Entlastungen bei der Vermögensteuer und bei der gewerblichen Wirtschaft. Und dann wird davon geredet, daß sich das Versorgungsdenken breitgemacht hat, oder es wird gesagt: Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt.
    Sie zeigen dann mit Ihren Fingern auf die 2,5 Millionen Arbeitslosen, denen Sie das Arbeitslosengeld teilweise kürzen wollen. Sie zeigen mit Ihren Fingern auf die 2 Millionen Sozialhilfeempfänger, denen Sie nur 1 % Zuschlag gewähren, während die Lebenshaltungskosten um 3 % gestiegen sind. Sie zeigen mit Ihren Fingern auf die Rentner, die sich schämen, zum Sozialamt zu gehen und Sozialhilfe zu beantragen. Sie zeigen auch auf die 240 000 jugendlichen Arbeitslosen, auf BAföG-Studenten, auf Kindergeldempfänger und auch auf die 1 Million Kleinstrentner, die unter das Sozialhilfeniveau gefallen sind.

    (Bohl [CDU/CSU]: Alle dummes Zeug!)

    Ich habe den Eindruck, daß die Herren sowohl von der CDU und der Regierungskoaltion als auch von der SPD

    (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Und Damen!)

    mit dem Finger nicht auf die richtigen Leute zeigen, nicht den richtigen Adressaten nennen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Sie gehen nämlich an bestimmte Privilegien, die sich in diesem Staat im Laufe von Jahrzehnten herausgebildet haben, nicht heran. Ich könnte eine ganze Latte von Beispielen bringen, nenne aber nur zwei.
    Das erste Beispiel: Berufsoffiziere können mit 53 Jahren in die Rente gehen. Für mich als Arbeiter stellt sich die Frage: Was ist mit meinen Kollegen, die in der Schmiede arbeiten, die in der Gießerei arbeiten, die am Hochofen arbeiten, die Akkordarbeiter sind, die bis zum 63. Lebensjahr arbeiten müssen?

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Warum gibt es solche Privilegien für eine bestimmten Teil dieser Gesellschaft? Ich glaube, daß wir an diese Dinge heranmüssen.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ich weiß, daß Sie so etwas nicht gerne hören.



    Hoss
    Es gibt ein zweites Beispiel, zu finden in der Regierungskoalition. Herr Klaus Hoffie, der hier Abgeordneter ist, war 15 Monate in Hessen Minister und hat sich dadurch die Berechtigung zu einer Pension von 4 000 DM erworben. Das sind die Dinge, an die wir heranmüssen.
    Wenn hier in der Regierungserklärung von Herrn Kohl und auch sonst von einer neuen Moral gesprochen wird, die wir brauchen, von einem Ärmelaufkrempeln und von einer geistigen Erneuerung, dann möchte ich sagen, daß die geistige Erneuerung und die Moral für das Herangehen an die Privilegien gebraucht wird. Herr Blüm, mit solchen Leuten wie Klaus Hoffie und anderen werden Sie nicht das erreichen, was Sie wollen, nämlich soziale Wohlfahrt und Sicherheit für alle.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Ich möchte Ihnen ein Zitat aus den vielen Briefen vorlesen, die ich bekommen habe, seit ich in Bonn bin. Ein Rentner aus Essen, 71 Jahre alt, schreibt:
    Die Herren haben, weil sie im Geld schwimmen, keine Ahnung, wie es dem Normalverbraucher geht.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die Kluft zwischen den Vertretern des Volkes und dem Volk ist viel zu groß geworden.
    Ich sage Ihnen: Wenn Sie die Finanzmittel, die Sie brauchen oder nötig haben wollen, über Streichungen im Sozialetat hereinholen, dann ist das nicht nur unsozial, sondern unchristlich.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Ihnen, Frau Fuchs, muß ich sagen: Es hört sich sehr schön an, wenn Sie so reden, aber ich komme nicht darüber hinweg zu sehen, daß die Streichungen in Ihrer Regierungszeit angefangen haben. Es wäre ganz schön, wenn Sie auch dazu ehrlicherweise ein Wort sagen würden.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Diese Streichungen sind nicht nur unsozial, sondern sie sind auch illusionär. Es geht im Grunde darum, daß Sie mit der Wirtschaftspolitik, die Sie angehen, nicht in die Lage kommen, über Streichungen im Sozialetat die Mittel zu kriegen, die Sie nach Ihren Vorstellungen hereinholen wollen.