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ID0914101800

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 9/141 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 141. Sitzung Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1982 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Lampersbach . . . 8937 A Regelung für Vorlagen nach § 77 Abs. 1 GO nach Auflösung des Bundestages . . . . 8937 C Nachträgliche Abstimmung über zwei Entschließungen zum Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz 8937 D Beratung des Antrags des Bundeskanzlers gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes — Drucksache 9/2304 —Dr. Kohl, Bundeskanzler 8938 A Brandt SPD 8939 D Dr. Dregger CDU/CSU 8948 B Genscher FDP 8951 C Dr. Waigel CDU/CSU 8956 B Duve SPD 8958 D Schmidt (Kempten) FDP 8960 B Frau Schuchardt fraktionslos 8962 C Hofmann (Kronach) fraktionslos . . . 8965A Coppik fraktionslos 8966 B Dr. Ehmke SPD 8968 B Dr. Graf Lambsdorff FDP 8968 C Gansel SPD (Erklärung nach § 32 GO) . 8970 C Frau Dr. Hamm-Brücher FDP (Erklärung nach § 32 GO) 8970 C Präsident Stücklen 8968 A Namentliche Abstimmung 8971 A, C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 8975* A Anlage 2 Erklärung des Abg. Eymer (Lübeck) (CDU/ CSU) gemäß § 31 Abs. 1 GO zur Abstimmung über den Antrag des Bundeskanzlers gemäß Art. 68 des Grundgesetzes (Drucksache 9/2304) 8975* A Anlage 3 Nebentätigkeiten, insbesondere Lehrverpflichtungen, des Chefs des Bundeskanzleramtes und eines Abteilungsleiters MdlAnfr 1, 2 03.12.82 Drs 09/2226 Schäfer (Offenburg) SPD ErgSchrAntw StMin Dr. Jenninger BK auf ZusFr Schäfer (Offenburg) SPD . . . 8975* B Anlage 4 Stellungnahme des Bundeswirtschaftsministers im Ermittlungsverfahren gegen Friedrich MdlAnfr 84 03.12.82 Drs 09/2226 Gansel SPD ErgSchrAntw StMin Dr. Jenninger BK auf ZusFr Jungmann SPD 8975* C Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1982 8937 141. Sitzung Bonn, den 17. Dezember 1982 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Benedix-Engler 17. 12. Junghans 17. 12. Lagershausen 17. 12. Löffler 17. 12. Mischnick 17. 12. Müller (Bayreuth) 17. 12. Neuhaus 17. 12. Rayer 17. 12. Frau Schmedt (Lengerich) 17. 12. Schmöle 17. 12. Wehner 17. 12. Weiskirch (Olpe) 17. 12. Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Eymer (Lübeck) (CDU/CSU) gemäß § 31 Abs. 1 GO zur Abstimmung über den Antrag des Bundeskanzlers gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes (Drucksache 9/2304): Die von Herrn Bundeskanzler Helmut Kohl dargelegten Gründe für die Neuwahl des Deutschen Bundestages teile ich. Ich halte den Weg zur Auflösung des Deutschen Bundestages nach Artikel 68 Grundgesetz nicht für verfassungskonform. Ich werde mich deshalb an der Abstimmung über die Vertrauensfrage nicht beteiligen. Anlage 3 Ergänzende Antwort des Staatsministers Dr. Jenninger auf die Fragen des Abgeordneten Schäfer (Offenburg) (SPD) (Drucksache 9/2226 Fragen 1 und 2, 136. Sitzung, Seite 8409 D f.): In der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 9. Dezember 1982 haben Sie im Zusammenhang Anlagen zum Stenographischen Bericht mit Ihren Fragen Nr. 1 und 2 folgende Zusatzfrage gestellt: Trifft es zu, daß der Abteilungsleiter für innere Angelegenheiten und Planung Beamte und Mitarbeiter seines Amts mit der Erledigung von Aufgaben betraut hat, die aus der Lehrverpflichtung herrühren, also amtsfremd sind? Ich habe Ihnen zugesagt, diese Fragen zu prüfen und Ihnen eine schriftliche Antwort zukommen zu lassen. Die Antwort lautet wie folgt: Es trifft nicht zu, daß der betreffende Abteilungsleiter Beamte und Mitarbeiter des Bundeskanzleramtes mit der Erledigung von Aufgaben betraut hat, die aus der Lehrverpflichtung herrühren. Anlage 4 Antwort des Staatsministers Dr. Jenninger auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Jungmann (SPD) zur Frage des Abgeordneten Gansel (SPD) (Drucksache 9/2226 Frage 84, 136. Sitzung, Seite 8416 D): In der Fragestunde am 9. Dezember 1982 hatten Sie im Zusammenhang mit der Frage 84 des Kollegen Gansel folgende Zusatzfrage gestellt: Herr Minister, können Sie uns mitteilen, ab wann der Rechtsanwalt des Bundesministers Graf Lambsdorff Einsicht bekommen hat und wie lange die Einsichtnahme in die Akten - durch diese Länge oder Kürze der Einsichtnahme kann ja der Gesamtprozeß auch verzögert worden sein - gedauert hat? Ich hatte Ihnen zugesagt, die Antwort zur Dauer der Akteneinsicht schriftlich nachzureichen: Der Anwalt von Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff hat Anfang Juli sechs Hauptbände, ein Sonderheft und 14 Leitz-Ordner zum Zwecke der Akteneinsicht erhalten. Noch Mitte Oktober sind ihm weitere zwei Hauptbände und 7 Leitz-Ordner überlassen worden. Die Bundesregierung wiederholt daher ihre Auffassung: Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff hat mit der anwaltlichen Stellungnahme vom 1. Dezember, die dazu führen soll, den Verdacht auszuräumen, alles in seiner Macht Stehende getan, um zu einer raschen Aufklärung des Sachverhalts beizutragen. Die Staatsanwaltschaft sieht sich, wie sie selbst erklärt hat, durch die gestellten Beweisanträge auch veranlaßt, weitere Ermittlungen anzustellen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Helga Schuchardt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche heute hier auch im Namen meines Kollegen Friedrich Hölscher.
    Sie wissen, Herr Bundeskanzler, wir haben Sie am 1. Oktober nicht gewählt, weil wir für Ihre Wahl vom Bürger 1980 kein Mandat erhalten haben.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Wir haben logischerweise auch Ihrem Haushalt nicht zugestimmt, und wir können Ihnen deshalb mit völlig reinem Gewissen heute auch das Vertrauen nicht aussprechen. Insofern können auch wir Ihnen zwei glaubwürdige Nein-Stimmen zusagen.

    (Beifall bei der SPD)

    Gespräche mit Kollegen dieses Hauses haben bei uns Zweifel daran aufkommen lassen, daß die Mehrheit dieses Hauses die Wahlen wirklich noch will. Wir wollen die Wahl!

    (Unruhe bei der CDU/CSU)

    Friedrich Hölscher und ich sind also mit uns selbst im reinen. Nur, kann eigentlich die Mehrheit, können Ihre Regierung, Herr Bundeskanzler, und Sie selbst mit sich im reinen sein? Wer das Grundgesetz, in diesem Falle den Art. 68, so manipulativ gebraucht, kann — oder besser: darf — mit sich nicht im reinen sein.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Es ist das zweite Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, daß der Bundestag vorzeitig aufgelöst werden soll. 1972, beim erstenmal, war ein konstruktives Mißtrauensvotum gescheitert, der Kanzler selbst hatte aber auch keine Mehrheit mehr. Logisch, daß man gemeinsam nach einem Weg suchte, um den Bundestag aufzulösen.
    Heute hat der Bundeskanzler — ganz im Gegensatz zu der Situation im Jahre 1972 — eine Mehrheit. Es hätte auch nach dem 17. September dieses Jahres eine verfassungsrechtlich einwandfreie Möglichkeit gegeben, den Bundestag aufzulösen.

    (Beifall bei der SPD)

    Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1982 8963
    Frau Schuchardt
    Nachdem der damalige Bundeskanzler Schmidt seine Mehrheit verloren hatte,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Hätte er zurücktreten sollen!)

    hätte zumindest meine damalige Fraktion, die FDP-Fraktion, den Schlüssel dazu in der Hand gehabt.

    (Beifall bei der SPD)

    Die FDP war 1980 durch klare und unmißverstänliche Aussagen für eine sozialliberale Koalition und gegen eine Politik von Strauß mit einem — für die Verhältnisse der FDP — überragenden Wahlergebnis in den Bundestag eingezogen.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Mein Kollege Gerhart Baum hat am 1. Oktober 1982 vor dem konstruktiven Mißtrauensvotum auch für mich erklärt:
    Wenn wir ... den Wählern etwas versprechen, wenn wir ihnen sagen, was wir mit ihren Stirnmen machen wollten, müssen wir es auch halten.
    Er hat damit begründet, weshalb FDP-Mitglieder einen Kanzler Kohl nicht wählen könnten und sich deshalb beim Wähler ein neues Votum dafür einholen müßten.
    Es wäre glaubwürdig gewesen, wenn die FDP insgesamt damals so verfahren wäre.

    (Beifall bei der SPD)

    Man hätte das Angebot des damaligen Bundeskanzlers annehmen und — ähnlich wie bei dem heute angestrebten Verfahren — gemeinsam handeln können, allerdings — hier liegt der entscheidende Unterschied — nach dem 17. September mit dem glaubwürdigen Argument verlorengegangener Mehrheiten.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Weshalb kam es damals nicht dazu? Man sah in Neuwahlen vermutlich ein zu hohes Risiko für diese neue Mehrheit; Hessen hat dies ja auch gezeigt. Außerdem sollte Helmut Schmidt nicht als noch amtierender Bundeskanzler Wahlkampf machen dürfen. Der Bundesvorsitzende der FDP drückte dies in seiner Rede zur Regierungserklärung am 13. Oktober dieses Jahres sogar direkt aus.

    (Seiters [CDU/CSU]: Wo ist Schmidt überhaupt?)

    Da heißt es:
    Diese Verfassung will aber auch nicht Vereinbarungen, durch die Fraktionen auf das verfassungsmäßige Recht zur Mehrheitsbildung verzichten, auch wenn sie eine Mehrheit bilden können, nur um dem amtierenden Regierungschef die Führung des Wahlkampfes als Bundeskanzler zu ermöglichen.

    (Hört! Hört! bei der SPD) Diese Worte sprechen für sich selbst.


    (Huonker [SPD]: Der Obertaktierer, wie er leibt und lebt!)

    Wenn man Wahlkampf machte, wollte man schon selbst den Bundeskanzler stellen, und die FDP wollte mit neu bestellten Ministern antreten.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

    Andererseits wollte man aber auch nicht den Eindruck entstehen lassen, man drücke sich vor einem Wählervotum. Also verständigte sich die neue Mehrheit auf die ungemein verantwortungsvoll klingende Formel — so die Formulierung von Herrn Genscher —:
    Bevor wir am 6. März des nächsten Jahres diese Neuwahlen abhalten, wollen wir das Haus in Ordnung bringen ...
    Daß er seine eigene 13jährige Arbeit als Minister und Vizekanzler in der sozialliberalen Koalition so einstuft, spricht für sich.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sie sprechen auch für sich!)

    Man mußte das ganze also staatspolitisch überhöhen. Die Verschuldung und die Arbeitslosigkeit mußten herhalten, um das alles so zu inszenieren.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nicht wahr!)

    „Notstand" hat der Bundeskanzler heute gesagt.
    Nur, ist das Haus in Ordnung gebracht worden? Die Neuverschuldung ist von deutlich unter 30 Milliarden DM, wie es die FDP von der SPD gefordert hatte, auf deutlich über 40 Milliarden DM gestiegen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Und natürlich konnte die Arbeitslosigkeit auch nicht abgebaut werden. Aber das hat wohl auch niemand ernsthaft annehmen können.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist ganz billige Demagogie! Ganz billige!)

    Und was hat man diesem Parlament zugemutet?

    (Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Sie muten uns was zu!)

    Haushalts- und Begleitgesetze mußten durchgepeitscht werden.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Jetzt verstehe ich, daß Sie niemand mehr will! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ich weiß nicht, warum es Ihnen so unmöglich ist, dies ruhig anzuhören.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP — Lintner [CDU/CSU]: Quatsch! — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Schauen Sie Ihre spitze Nase an! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ich kann Ihnen nur eines sagen: Die hysterischen Gesichter von Männern sind auch kein attraktiver Anblick.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    8964 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1982
    Frau Schuchardt
    Meine Damen und Herren, kein Gesetz — und schon gar nicht der Haushalt — konnte auf seine Zukunftsverträglichkeit abgeklopft werden, z. B. darauf, welche mittelfristigen Auswirkungen es auf den Arbeitsmarkt haben könnte. Die Fraktionen waren reine Befehlsempfänger.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sie balzen bei den Genossen um ein Mandat!)

    Anhörungen vor den Ausschüssen des Bundestages wurden zur reinen Farce.

    (Beifall bei der SPD)

    Den Entwürfen zum BAföG und zur Kriegsdienstverweigerung wurde von den Anzuhörenden eine eindeutige Abfuhr erteilt. Im Mietrecht haben die Kommunalvertreter auf die Rückwirkungen auf die kommunalen Haushalte hingewiesen. Fünf hochkarätige Professoren wurden eingeladen, um die Zwangsanleihe verfassungsrechtlich zu bewerten.

    (Clemens [CDU/CSU]: Auch falsch!)

    Die von allen vorgetragenen starken Bedenken wurden schlicht ignoriert.

    (Gobrecht [SPD]: So ist es!)

    Herr Kohl, was haben Sie aus diesem Parlament gemacht?

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Sie haben aus diesem Parlament ein Instrument der heißen Nadel gemacht.

    (Seiters [CDU/CSU]: Das ist aber nicht doll!)

    Und ich frage mich: Wo bleibt eigentlich die Selbstachtung der Mehrheit dieses Parlaments?

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Der Bundespräsident hat wahrlich nicht viele Kompetenzen. Daß man ihn allerdings derart zum Statisten verkümmern läßt, ist schon mehr als schlimm.

    (Beifall bei der SPD)

    Da teilt man ihm noch vor dem Konstruktiven Mißtrauensvotum mit, wann denn diese neue Mehrheit ihre Mehrheit zu verlieren gedenke. Dies hat nicht einmal das Parlament selbst bestimmen können, sondern die Regierung bestimmt, wann sie eine Mehrheit haben will und wann man sie ihr bitte schön zu verweigern habe.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Verfassungsgeber den Art. 68 so verstanden wissen wollte. Und damit es der Bundespräsident auch nicht allzu schwer habe, teilt man auch gleich noch den genauen Terminablauf mit. Grobe Unhöflichkeit ist wohl das mindeste, was man dazu sagen könnte.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP — Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Ein haßerfüllter Zynismus!)

    Es kann kein Zweifel sein: Heute wird ein Präjudiz geschaffen, dessen Auswirkungen wir noch gar nicht ermessen können:

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP)

    Da treten Parteien mit bestimmten Aussagen vor den Wähler und erhalten dafür ein Mandat. Unterwegs kommt es zum Machtwechsel ohne neuerliche Legitimation. Diejenigen, die so die Macht verlieren, treten natürlich für Neuwahlen ein. Die Mehrheit verweigert sie, um einen ihr gemäßen Termin ins Auge zu fassen. Termine von Neuwahlen könnten künftig also davon bestimmt werden, ob sich die parlamentarische Mehrheit von einem Termin gute Wahlergebnisse verspricht.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Herr Kohl, wer antritt, ein Haus in Ordnung zu bringen, von dem muß man wohl erwarten, daß er das Haus mindestens in Ordnung hält. Dazu gehört wohl zuallererst die Achtung vor dem Parlament und dem Bundespräsidenten. Aber die haben Sie leider vermissen lassen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP — Zurufe von der CDU/CSU: Unerhört! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, Sie haben Wahlen am 6. März versprochen. Sie tun gut daran, dieses Versprechen zu halten. Aber, bitte, lassen Sie an der Verfassungsmäßigkeit des Verfahrens keinen Zweifel!
    Es gibt saubere Lösungen. Ich habe auf dem Bundesparteitag der FDP einen Vorschlag unterstützt, der ein guter Weg gewesen wäre: Die FDP-Minister treten zurück,

    (Beifall bei der SPD)

    um damit zu dokumentieren, daß Sie, Herr Bundeskanzler, keine Mehrheit mehr haben. Leider wurde dieser Antrag von der Mehrheit — unter Einschluß der Stimmen der Betroffenen —

    (Zuruf von der SPD: Natürlich!) verweigert.

    Herr Kohl, Friedrich Hölscher und ich bitten Sie deshalb: Treten Sie zurück, damit das Verfahren über jeden verfassungsmäßigen Zweifel erhaben ist.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Da spricht die sozialdemokratische Wählerinitiative! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Wenn Sie dies nicht selber tun, so hoffen, wir, daß Ihnen der Bundespräsident dazu noch Gelegenheit gibt.
    Wir wollen Neuwahlen. Aber die Verfassung darf dabei keinen Schaden nehmen. — Vielen Dank.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hofmann (Kronach).
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1982 8965

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Karl Hofmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat in seinem Antrag zur Vertrauensfrage das vorher festgelegte Verhalten der beiden Koalitionsfraktionen damit begründet, daß die Bundesregierung ein nach der Regierungsübernahme abgegebenes Versprechen einhalten wolle und die Bundesregierung nur für einen inhaltlich und zeitlich befristeten Auftrag das Vertrauen der Abgeordneten der CDU, der CSU und der FDP erhalten habe. Dieser Auftrag hieß nach Koalitionsversion: Verabschiedung des Bundeshaushalts 1983 und der entsprechenden Begleitgesetze. Wenn das so ist, dann müßten Herr Dr. Kohl und seine Regierung zurücktreten; denn ihre Aufgabe ist erfüllt.
    Doch statt dessen will der Bundeskanzler, der im Gegensatz zu der Regierung Brandt/Scheel 1972 oder zu der Minderheitsregierung Helmut Schmidt vom September 1982 eine ausreichende Mehrheit hinter sich hat, über eine künstlich gestellte und ebenso künstlich beantwortete Vertrauensfrage eine vorzeitige Auflösung des Deutschen Bundestages erreichen. Ich halte dieses Verfahren verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch für unzulässig, aber nicht aus dem vielleicht naheliegenden Grund, daß ich durch diese Maßnahme in meinen mir durch das Grundgesetz übertragenen Rechten unmittelbar gefährdet wäre; Sie wissen, der Bundestag wird auf vier Jahre gewählt. Nein, meine Einwände sind anderer Natur. Ich will sie in sechs Punkten darlegen.
    Erstens. Die Verfassungsväter des Parlamentarischen Rates haben auf Grund der Weimarer Erfahrungen die Möglichkeit zur Auflösung des Bundestages so weit wie möglich eingeschränkt. Die Auflösung sollte immer nur Ultima ratio, letzter Weg, sein. Gerade diese Absicht, dieses Wollen der Verfassungsväter wird durch die heutige getürkte Vertrauensfrage eindeutig durchkreuzt.
    Zweitens. Durch das heutige, vom Bundeskanzler eingeleitete Verfahren und die — möglicherweise — Billigung des Bundespräsidenten wird die Machtbefugnis des Bundeskanzlers in unzulässiger Weise ausgeweitet. Hier wird ein Präzidenzfall geschaffen, der es dem jeweiligen Kanzler ermöglicht, künftig zu einem ihm gelegenen Zeitpunkt die Parlamentsauflösung zu betreiben. Die Meinungsforscher, ihre Umfrageergebnisse und deren Auswertung haben dann Vorrang vor dem Grundgesetz.
    Drittens. Eine weitverstandene Auflösungsmöglichkeit nach Art. 68 GG — mit der dadurch eröffneten Möglichkeit für den Mehrheitskanzler, jederzeit an das Volk zu appellieren — würde zu einer erheblichen Verstärkung des plebiszitären Elements führen. Mit diesem Beugen — um nicht zu sagen: Verbiegen — des Grundgesetzes kommen wir nahe an Weimar und seine Folgen; genau das wollten die Verfassungsväter nicht.
    Viertens. Das nun eingeschlagene Verfahren führt meines Erachtens zu einer Herabwürdigung des Verfassungsinstruments der Vertrauensfrage zum technischen Notbehelf für die Herbeiführung von Neuwahlen. Hier wird der Charakter der Vertrauensfrage grundsätzlich geändert. Die Ablehnung des Vertrauens für den Bundeskanzler hat künftig nicht mehr die Bedeutung eines Makels oder Scheiterns der Regierung.
    Fünftens. Die Regierung Kohl/Genscher hat eine regierungsfähige wie handlungsfähige Mehrheit; für die Auflösung des Bundestages besteht keine Not. Die Wahlergebnisse in Hamburg und Hessen lassen darauf schließen und befürchten, daß wir heute eine Parlamentsstabilität gegen eine instabile Bundestagszusammensetzung tauschen werden.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Das wollen wir einmal abwarten!)

    Die Warnung vor der Unregierbarkeit unseres Landes unterstreiche ich voll und ganz. Mir ist aber unverständlich, daß gerade die davor warnen, die mit den Neuwahlen das Tor für die öffnen, die unser Land unregierbar machen — auf Kosten der FDP. Die damit erneute, aber dann tatsächlich notwendig werdende Auflösung des Bundestages wird heute heraufbeschworen und eingeleitet. Ich erinnere auch hier an die Auflösung der Reichstage in der Weimarer Zeit. Dies sage ich im Wissen um die drastisch steigende Zahl der Arbeitslosen wie der Firmenzusammenbrüche. Sollten wir dem als Drittes einen instabilen Bundestag hinzufügen, wie der Reichstag es damals war?
    Sechstens. Mit der heutigen Vertrauensfrage, die sicher so beantwortet wird, wie die Parteien das wünschen, wird die Entscheidung über das Wohl unseres Volkes der Verantwortung eines einzelnen übertragen. Der Bundespräsident kommt in den Zwang, abzuwägen, wodurch den Gesamtinteressen des Staates am besten gedient wäre: durch die Ablehnung des Vorschlags des Bundeskanzlers oder durch die Auflösung des Bundestages. Wird die Entscheidung vom Geiste des Grundgesetzes getragen sein, oder wird die Entscheidung den Wünschen der Parteien entsprechen? Wird dem Willen der Verfassungsväter nachgekommen, damit sich Weimar nicht wiederhole? Diese Entscheidung wird nicht nur von der Bevölkerung mit Spannung erwartet, sondern sie wird sicher auch die Verfassungsrichter interessieren, ja interessieren müssen.
    Aus den aufgezeigten Gründen halte ich das heutige Verfahren zur Auflösung des Deutschen Bundestages für unzulässig.
    Zu dieser Auffassung gelange ich auch auf Grund der Art des Verfahrens. Bei der Abstimmung über die Vertrauensfrage werden die Freunde dem Freund indirekt das Vertrauen entziehen, das sie ihm gestern gegeben haben und ihm morgen wieder geben wollen. Dieser Umgang vor allem auch mit dem Grundgesetz ist der parlamentarischen Demokratie nicht würdig. Eine rasch hingeworfene Zusage, Neuwahlen durchzuführen, kann nicht höherwertig sein als die Achtung vor dem Grundgesetz.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

    Meine Entscheidung gilt daher nicht einer Person
    und nicht einer Partei, sondern gilt allein dem Verfahren und ist allein geprägt von der Sorge um den
    8966 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1982
    Hofmann (Kronach)

    Erhalt der freiesten Staatsform unseres Volkes und der Regierbarkeit unseres Landes.
    Ich fordere Sie, Herr Bundeskanzler, daher auf, die übernommene Verantwortung weiter zu tragen oder, wenn Sie diese Verantwortung nicht mehr tragen wollen, zurückzutreten. Das Verfahren aber, heute von der Mehrheit der Vertretung des Volkes indirekt das Aussprechen des Mißtrauens zu verlangen und morgen das Volk direkt um Vertrauen zu bitten, schlägt nicht nur als Unglaubwürdigkeit auf alle Parteien zurück, sondern birgt auch die Gefahr in sich, daß sich die Wähler auf den Arm genommen fühlen müssen und sich eben jenen zuwenden, denen wir alle Deutschland nicht anvertrauen können. Diesem Verfahren kann ich nicht zustimmen.
    Es geht heute nur um das Verfahren; denn der Kanzler hat eine Mehrheit, die sofort sichtbar würde — wie gestern —, wenn jeder einzelne seinem Gewissen entsprechend die Stimme abgäbe.

    (Windelen [CDU/CSU]: Unglaublich! — Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Unerhört! — Dr. Schäuble [CDU/CSU]: Wo leben Sie denn überhaupt?)

    Meine Damen und Herren, wir haben gestern viel von Gewissen gehört; nicht vom eigenen, sondern vom Gewissen anderer, von der Gewissensentscheidung junger Leute zur Wehrdienstverweigerung. Wir sind heute zum Thema Gewissen selbst gefordert.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Unerhört! — Unverschämtheit!)

    — Wir haben zu zeigen — und jungen Menschen vorzuleben —, wie wir mit unserem Gewissen dem Staat gegenüber umgehen. — Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und bei Abgeordneten der FDP)