Rede von
Helga
Schuchardt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche heute hier auch im Namen meines Kollegen Friedrich Hölscher.
Sie wissen, Herr Bundeskanzler, wir haben Sie am 1. Oktober nicht gewählt, weil wir für Ihre Wahl vom Bürger 1980 kein Mandat erhalten haben.
Wir haben logischerweise auch Ihrem Haushalt nicht zugestimmt, und wir können Ihnen deshalb mit völlig reinem Gewissen heute auch das Vertrauen nicht aussprechen. Insofern können auch wir Ihnen zwei glaubwürdige Nein-Stimmen zusagen.
Gespräche mit Kollegen dieses Hauses haben bei uns Zweifel daran aufkommen lassen, daß die Mehrheit dieses Hauses die Wahlen wirklich noch will. Wir wollen die Wahl!
Friedrich Hölscher und ich sind also mit uns selbst im reinen. Nur, kann eigentlich die Mehrheit, können Ihre Regierung, Herr Bundeskanzler, und Sie selbst mit sich im reinen sein? Wer das Grundgesetz, in diesem Falle den Art. 68, so manipulativ gebraucht, kann — oder besser: darf — mit sich nicht im reinen sein.
Es ist das zweite Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, daß der Bundestag vorzeitig aufgelöst werden soll. 1972, beim erstenmal, war ein konstruktives Mißtrauensvotum gescheitert, der Kanzler selbst hatte aber auch keine Mehrheit mehr. Logisch, daß man gemeinsam nach einem Weg suchte, um den Bundestag aufzulösen.
Heute hat der Bundeskanzler — ganz im Gegensatz zu der Situation im Jahre 1972 — eine Mehrheit. Es hätte auch nach dem 17. September dieses Jahres eine verfassungsrechtlich einwandfreie Möglichkeit gegeben, den Bundestag aufzulösen.
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1982 8963
Frau Schuchardt
Nachdem der damalige Bundeskanzler Schmidt seine Mehrheit verloren hatte,
hätte zumindest meine damalige Fraktion, die FDP-Fraktion, den Schlüssel dazu in der Hand gehabt.
Die FDP war 1980 durch klare und unmißverstänliche Aussagen für eine sozialliberale Koalition und gegen eine Politik von Strauß mit einem — für die Verhältnisse der FDP — überragenden Wahlergebnis in den Bundestag eingezogen.
Mein Kollege Gerhart Baum hat am 1. Oktober 1982 vor dem konstruktiven Mißtrauensvotum auch für mich erklärt:
Wenn wir ... den Wählern etwas versprechen, wenn wir ihnen sagen, was wir mit ihren Stirnmen machen wollten, müssen wir es auch halten.
Er hat damit begründet, weshalb FDP-Mitglieder einen Kanzler Kohl nicht wählen könnten und sich deshalb beim Wähler ein neues Votum dafür einholen müßten.
Es wäre glaubwürdig gewesen, wenn die FDP insgesamt damals so verfahren wäre.
Man hätte das Angebot des damaligen Bundeskanzlers annehmen und — ähnlich wie bei dem heute angestrebten Verfahren — gemeinsam handeln können, allerdings — hier liegt der entscheidende Unterschied — nach dem 17. September mit dem glaubwürdigen Argument verlorengegangener Mehrheiten.
Weshalb kam es damals nicht dazu? Man sah in Neuwahlen vermutlich ein zu hohes Risiko für diese neue Mehrheit; Hessen hat dies ja auch gezeigt. Außerdem sollte Helmut Schmidt nicht als noch amtierender Bundeskanzler Wahlkampf machen dürfen. Der Bundesvorsitzende der FDP drückte dies in seiner Rede zur Regierungserklärung am 13. Oktober dieses Jahres sogar direkt aus.
Da heißt es:
Diese Verfassung will aber auch nicht Vereinbarungen, durch die Fraktionen auf das verfassungsmäßige Recht zur Mehrheitsbildung verzichten, auch wenn sie eine Mehrheit bilden können, nur um dem amtierenden Regierungschef die Führung des Wahlkampfes als Bundeskanzler zu ermöglichen.
Diese Worte sprechen für sich selbst.
Wenn man Wahlkampf machte, wollte man schon selbst den Bundeskanzler stellen, und die FDP wollte mit neu bestellten Ministern antreten.
Andererseits wollte man aber auch nicht den Eindruck entstehen lassen, man drücke sich vor einem Wählervotum. Also verständigte sich die neue Mehrheit auf die ungemein verantwortungsvoll klingende Formel — so die Formulierung von Herrn Genscher —:
Bevor wir am 6. März des nächsten Jahres diese Neuwahlen abhalten, wollen wir das Haus in Ordnung bringen ...
Daß er seine eigene 13jährige Arbeit als Minister und Vizekanzler in der sozialliberalen Koalition so einstuft, spricht für sich.
Man mußte das ganze also staatspolitisch überhöhen. Die Verschuldung und die Arbeitslosigkeit mußten herhalten, um das alles so zu inszenieren.
„Notstand" hat der Bundeskanzler heute gesagt.
Nur, ist das Haus in Ordnung gebracht worden? Die Neuverschuldung ist von deutlich unter 30 Milliarden DM, wie es die FDP von der SPD gefordert hatte, auf deutlich über 40 Milliarden DM gestiegen.
Und natürlich konnte die Arbeitslosigkeit auch nicht abgebaut werden. Aber das hat wohl auch niemand ernsthaft annehmen können.
Und was hat man diesem Parlament zugemutet?
Haushalts- und Begleitgesetze mußten durchgepeitscht werden.
— Ich weiß nicht, warum es Ihnen so unmöglich ist, dies ruhig anzuhören.
— Ich kann Ihnen nur eines sagen: Die hysterischen Gesichter von Männern sind auch kein attraktiver Anblick.
8964 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1982
Frau Schuchardt
Meine Damen und Herren, kein Gesetz — und schon gar nicht der Haushalt — konnte auf seine Zukunftsverträglichkeit abgeklopft werden, z. B. darauf, welche mittelfristigen Auswirkungen es auf den Arbeitsmarkt haben könnte. Die Fraktionen waren reine Befehlsempfänger.
Anhörungen vor den Ausschüssen des Bundestages wurden zur reinen Farce.
Den Entwürfen zum BAföG und zur Kriegsdienstverweigerung wurde von den Anzuhörenden eine eindeutige Abfuhr erteilt. Im Mietrecht haben die Kommunalvertreter auf die Rückwirkungen auf die kommunalen Haushalte hingewiesen. Fünf hochkarätige Professoren wurden eingeladen, um die Zwangsanleihe verfassungsrechtlich zu bewerten.
Die von allen vorgetragenen starken Bedenken wurden schlicht ignoriert.
Herr Kohl, was haben Sie aus diesem Parlament gemacht?
Sie haben aus diesem Parlament ein Instrument der heißen Nadel gemacht.
Und ich frage mich: Wo bleibt eigentlich die Selbstachtung der Mehrheit dieses Parlaments?
Der Bundespräsident hat wahrlich nicht viele Kompetenzen. Daß man ihn allerdings derart zum Statisten verkümmern läßt, ist schon mehr als schlimm.
Da teilt man ihm noch vor dem Konstruktiven Mißtrauensvotum mit, wann denn diese neue Mehrheit ihre Mehrheit zu verlieren gedenke. Dies hat nicht einmal das Parlament selbst bestimmen können, sondern die Regierung bestimmt, wann sie eine Mehrheit haben will und wann man sie ihr bitte schön zu verweigern habe.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Verfassungsgeber den Art. 68 so verstanden wissen wollte. Und damit es der Bundespräsident auch nicht allzu schwer habe, teilt man auch gleich noch den genauen Terminablauf mit. Grobe Unhöflichkeit ist wohl das mindeste, was man dazu sagen könnte.
Es kann kein Zweifel sein: Heute wird ein Präjudiz geschaffen, dessen Auswirkungen wir noch gar nicht ermessen können:
Da treten Parteien mit bestimmten Aussagen vor den Wähler und erhalten dafür ein Mandat. Unterwegs kommt es zum Machtwechsel ohne neuerliche Legitimation. Diejenigen, die so die Macht verlieren, treten natürlich für Neuwahlen ein. Die Mehrheit verweigert sie, um einen ihr gemäßen Termin ins Auge zu fassen. Termine von Neuwahlen könnten künftig also davon bestimmt werden, ob sich die parlamentarische Mehrheit von einem Termin gute Wahlergebnisse verspricht.
Herr Kohl, wer antritt, ein Haus in Ordnung zu bringen, von dem muß man wohl erwarten, daß er das Haus mindestens in Ordnung hält. Dazu gehört wohl zuallererst die Achtung vor dem Parlament und dem Bundespräsidenten. Aber die haben Sie leider vermissen lassen.
Herr Bundeskanzler, Sie haben Wahlen am 6. März versprochen. Sie tun gut daran, dieses Versprechen zu halten. Aber, bitte, lassen Sie an der Verfassungsmäßigkeit des Verfahrens keinen Zweifel!
Es gibt saubere Lösungen. Ich habe auf dem Bundesparteitag der FDP einen Vorschlag unterstützt, der ein guter Weg gewesen wäre: Die FDP-Minister treten zurück,
um damit zu dokumentieren, daß Sie, Herr Bundeskanzler, keine Mehrheit mehr haben. Leider wurde dieser Antrag von der Mehrheit — unter Einschluß der Stimmen der Betroffenen —
verweigert.
Herr Kohl, Friedrich Hölscher und ich bitten Sie deshalb: Treten Sie zurück, damit das Verfahren über jeden verfassungsmäßigen Zweifel erhaben ist.
Wenn Sie dies nicht selber tun, so hoffen, wir, daß Ihnen der Bundespräsident dazu noch Gelegenheit gibt.
Wir wollen Neuwahlen. Aber die Verfassung darf dabei keinen Schaden nehmen. — Vielen Dank.