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ID0914101600

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    6. Schuchardt.: 1
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    Plenarprotokoll 9/141 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 141. Sitzung Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1982 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Lampersbach . . . 8937 A Regelung für Vorlagen nach § 77 Abs. 1 GO nach Auflösung des Bundestages . . . . 8937 C Nachträgliche Abstimmung über zwei Entschließungen zum Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz 8937 D Beratung des Antrags des Bundeskanzlers gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes — Drucksache 9/2304 —Dr. Kohl, Bundeskanzler 8938 A Brandt SPD 8939 D Dr. Dregger CDU/CSU 8948 B Genscher FDP 8951 C Dr. Waigel CDU/CSU 8956 B Duve SPD 8958 D Schmidt (Kempten) FDP 8960 B Frau Schuchardt fraktionslos 8962 C Hofmann (Kronach) fraktionslos . . . 8965A Coppik fraktionslos 8966 B Dr. Ehmke SPD 8968 B Dr. Graf Lambsdorff FDP 8968 C Gansel SPD (Erklärung nach § 32 GO) . 8970 C Frau Dr. Hamm-Brücher FDP (Erklärung nach § 32 GO) 8970 C Präsident Stücklen 8968 A Namentliche Abstimmung 8971 A, C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 8975* A Anlage 2 Erklärung des Abg. Eymer (Lübeck) (CDU/ CSU) gemäß § 31 Abs. 1 GO zur Abstimmung über den Antrag des Bundeskanzlers gemäß Art. 68 des Grundgesetzes (Drucksache 9/2304) 8975* A Anlage 3 Nebentätigkeiten, insbesondere Lehrverpflichtungen, des Chefs des Bundeskanzleramtes und eines Abteilungsleiters MdlAnfr 1, 2 03.12.82 Drs 09/2226 Schäfer (Offenburg) SPD ErgSchrAntw StMin Dr. Jenninger BK auf ZusFr Schäfer (Offenburg) SPD . . . 8975* B Anlage 4 Stellungnahme des Bundeswirtschaftsministers im Ermittlungsverfahren gegen Friedrich MdlAnfr 84 03.12.82 Drs 09/2226 Gansel SPD ErgSchrAntw StMin Dr. Jenninger BK auf ZusFr Jungmann SPD 8975* C Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1982 8937 141. Sitzung Bonn, den 17. Dezember 1982 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Benedix-Engler 17. 12. Junghans 17. 12. Lagershausen 17. 12. Löffler 17. 12. Mischnick 17. 12. Müller (Bayreuth) 17. 12. Neuhaus 17. 12. Rayer 17. 12. Frau Schmedt (Lengerich) 17. 12. Schmöle 17. 12. Wehner 17. 12. Weiskirch (Olpe) 17. 12. Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Eymer (Lübeck) (CDU/CSU) gemäß § 31 Abs. 1 GO zur Abstimmung über den Antrag des Bundeskanzlers gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes (Drucksache 9/2304): Die von Herrn Bundeskanzler Helmut Kohl dargelegten Gründe für die Neuwahl des Deutschen Bundestages teile ich. Ich halte den Weg zur Auflösung des Deutschen Bundestages nach Artikel 68 Grundgesetz nicht für verfassungskonform. Ich werde mich deshalb an der Abstimmung über die Vertrauensfrage nicht beteiligen. Anlage 3 Ergänzende Antwort des Staatsministers Dr. Jenninger auf die Fragen des Abgeordneten Schäfer (Offenburg) (SPD) (Drucksache 9/2226 Fragen 1 und 2, 136. Sitzung, Seite 8409 D f.): In der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 9. Dezember 1982 haben Sie im Zusammenhang Anlagen zum Stenographischen Bericht mit Ihren Fragen Nr. 1 und 2 folgende Zusatzfrage gestellt: Trifft es zu, daß der Abteilungsleiter für innere Angelegenheiten und Planung Beamte und Mitarbeiter seines Amts mit der Erledigung von Aufgaben betraut hat, die aus der Lehrverpflichtung herrühren, also amtsfremd sind? Ich habe Ihnen zugesagt, diese Fragen zu prüfen und Ihnen eine schriftliche Antwort zukommen zu lassen. Die Antwort lautet wie folgt: Es trifft nicht zu, daß der betreffende Abteilungsleiter Beamte und Mitarbeiter des Bundeskanzleramtes mit der Erledigung von Aufgaben betraut hat, die aus der Lehrverpflichtung herrühren. Anlage 4 Antwort des Staatsministers Dr. Jenninger auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Jungmann (SPD) zur Frage des Abgeordneten Gansel (SPD) (Drucksache 9/2226 Frage 84, 136. Sitzung, Seite 8416 D): In der Fragestunde am 9. Dezember 1982 hatten Sie im Zusammenhang mit der Frage 84 des Kollegen Gansel folgende Zusatzfrage gestellt: Herr Minister, können Sie uns mitteilen, ab wann der Rechtsanwalt des Bundesministers Graf Lambsdorff Einsicht bekommen hat und wie lange die Einsichtnahme in die Akten - durch diese Länge oder Kürze der Einsichtnahme kann ja der Gesamtprozeß auch verzögert worden sein - gedauert hat? Ich hatte Ihnen zugesagt, die Antwort zur Dauer der Akteneinsicht schriftlich nachzureichen: Der Anwalt von Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff hat Anfang Juli sechs Hauptbände, ein Sonderheft und 14 Leitz-Ordner zum Zwecke der Akteneinsicht erhalten. Noch Mitte Oktober sind ihm weitere zwei Hauptbände und 7 Leitz-Ordner überlassen worden. Die Bundesregierung wiederholt daher ihre Auffassung: Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff hat mit der anwaltlichen Stellungnahme vom 1. Dezember, die dazu führen soll, den Verdacht auszuräumen, alles in seiner Macht Stehende getan, um zu einer raschen Aufklärung des Sachverhalts beizutragen. Die Staatsanwaltschaft sieht sich, wie sie selbst erklärt hat, durch die gestellten Beweisanträge auch veranlaßt, weitere Ermittlungen anzustellen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hansheinrich Schmidt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Trotz des soeben von Ihnen, Herr Präsident, gegebenen Hinweises, daß es sich heute nicht nur um den vorliegenden Antrag des Bundeskanzlers handelt, sondern daß es im Grunde eine gesamtpolitische Debatte ist, habe ich erhebliche Zweifel, ob vieles, was in den letzten zwei Stunden hier gesagt wurde, mit dem Ernst der Stunde, mit dem Ernst der Entscheidung, die der Deutsche Bundestag als, wie Sie mit Recht, Herr Dregger, gesagt haben, zweites prüfendes Verfassungsorgan, mit der freien Stimmabgabe seiner Mitglieder zu treffen hat, überhaupt in Zusammenhang stehen kann.
    Ich habe leider sehr wenig das Wort Verfassung und Grundgesetz, aber sehr viel das Wort Wahlkampf gehört.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP)

    Ich habe ein bißchen den Eindruck, dies ist schon
    sozusagen eine vorbereitende Wahlkampfveranstaltung gewesen, obwohl jeder gleichzeitig gesagt hat,
    es müsse überhaupt erst einmal entschieden werden, ob dies der richtige Weg zu den gewünschten Neuwahlen sei, und der Bundespräsident sei völlig frei in seiner Entscheidung.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP)

    Trotzdem hat man hier Vergangenheitsbewältigung, Schuldzuweisungen, Programmpunkte nach dem 6. März, und was weiß ich alles, ausgetauscht, als ob alles schon eine beschlossene Sache wäre und als ob dieses Parlament eigentlich nur — ich sage das sehr ernst — die Aufgabe hätte, bestimmten Vorstellungen der Parteispitzen zu folgen,

    (Vereinzelter Beifall bei der FDP)

    als ob dieses Parlament, wir alle, meine Damen und Herren, nicht auch eine eigenständige Kontrolle über die Wege hätte, als ob wir nicht auch die Aufgabe hätten, festzustellen, ob das, was vorgeschlagen ist, wirklich so verfassungsunbedenklich ist, wie es hier von vielen dargestellt wird.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)

    Ich bin Ihnen, Herr Bundeskanzler, sehr dankbar, daß Sie in Ihrer Begründung wirklich nur kurz und knapp Ihre Vorstellungen zu dieser Antragstellung vorgetragen haben. Damit sollten wir uns auseinandersetzen, und dies ist auch der Grund, weshalb ich mich hier nicht namens meiner Fraktion, sondern persönlich zu Wort gemeldet habe. Persönlich habe ich das aus einer tiefen Sorge als ein Mitglied dieses Hauses getan, das heute und hier nach über 21 Jahren wahrscheinlich seine letzte Debattenrede hält, persönlich aus der Erfahrung eines der nicht mehr allzu vielen Mitglieder dieses Hauses, die noch das Ende der Weimarer Republik, die damalige politische Instabilität, die mit zu vielem geführt hat, auch im familiären Bereich hautnah miterlebt haben, als ein Mitglied dieses Hauses, das die zwölf Jahre Hitler-Diktatur hautnah miterlebt hat und das dieses Grundgesetz, wie es damals geschaffen wurde, als eine Basis ansah, gebaut auf der Erfahrung derer, die damals das alles auch so miterlebt hatten, um für die Zukunft Stabilität für diesen Staat in bestimmten Legislaturperioden zu erreichen, um zu verhindern, daß sich möglicherweise wieder einmal durch instabile politische Verhältnisse, durch häufigeres Wählen und dergleichen mehr in Krisenzeiten schlimme Folgen ergeben.
    Aus dieser Sicht möchte ich einige Bemerkungen machen, ehe ich mich zu meinem Abstimmungsverhalten äußere, wobei ich gleich — ich glaube, ich darf das sagen — feststellen möchte, daß diese Sorge, die ich habe, viel mehr Mitglieder dieses Hauses beschäftigt, als es in der Öffentlichkeit zum Ausdruck kommt,

    (Beifall bei der FDP)

    daß viel mehr Mitglieder dieses Hauses sich Sorgen über die Folgen einer solchen Entscheidung machen.
    Herr Bundeskanzler, Sie haben als erstes gesagt: Ich will den Weg zu Neuwahlen öffnen. Das wurde hier auch von allen Seiten gesagt, und ich schließe mich dem an.
    Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1982 8961
    Schmidt (Kempten)

    Nach den Versprechungen, die seinerzeit abgegeben und mehrmals wiederholt worden sind, ist die Einlösung oder Nichteinlösung dieses Versprechens zweifellos eine Frage, die den Wähler draußen sehr, sehr stark beschäftigt.
    Aber man muß natürlich darüber diskutieren können und auch verfassungsrechtlich ein wenig prüfen dürfen, ob der Weg dorthin nicht zumindest verfassungsschädlich ist,

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Ob der Weg dorthin nicht zumindest am Rand der Verfassung entlang und möglicherweise in Zukunft zu anderen Entwicklungen führt.
    Der Wähler hat Anspruch darauf, daß ein ihm so deutlich gegebenes Versprechen eingelöst wird. Er hat aber auch Anspruch darauf, daß diejenigen, die es einlösen, nicht möglicherweise dabei die Verfassung beschädigen und sich hinterher Konsequenzen daraus ergeben.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Hier wurde ja vorhin praktisch die Haushaltsdebatte dieser Woche in ihren wichtigsten politischen Aussagen wiederholt. Hier wurde ja noch einmal dargestellt, was in dieser Woche hier gesagt wurde. Was muß sich eigentlich der Wähler draußen, was muß sich eigentlich derjenige, der nicht hier im Hause, aber am Fernsehschirm die letzten drei Tage erlebt hat, sagen, wenn er heute wieder am Fernsehschirm sitzt und erfährt, daß, nachdem hier die Handlungsfähigkeit einer stabilen Regierung eine Woche bescheinigt wurde, nachdem gestern durch ein hohes Abstimmungsergebnis eine komfortable Mehrheit für den Haushalt 1983 hier vorgelegt und somit die Handlungsfähigkeit für 1983 eigentlich in den Grundzügen festgelegt wurde, plötzlich diese Mehrheit nicht mehr vorhanden ist, daß der Bundeskanzler, der gestern noch das große Vertrauen für den Haushalt, den er und seine Regierung vorgelegt haben, bekommen hat, heute plötzlich das Vertrauen der ihn tragenden Mehrheit nicht mehr bekommt. Er muß sich doch die Frage stellen — das ist doch einer der Punkte —: Ist es denn überhaupt noch richtig, daß hier die Vertrauensfrage in dieser Form gestellt werden kann? Ist es denn überhaupt richtig, ist es nicht verfassungsrechtlich zumindest sehr bedenklich, wenn hier der Bundeskanzler — Herr Bundeskanzler, dies ist kein Angriff gegen Sie; denn es ist ja ein vereinbartes Verfahren — sozusagen einen Antrag vorlegt, nachdem vorher die Fraktionen und Parteien mit Mehrheit beschlossen haben, diesem Antrag nicht zuzustimmen? Ich spreche in diesem Fall einmal für die Mehrheit; denn die fingierte Vertrauensfrage ist ja im Zusammenhang mit einer Vereinbarung zwischen dem Bundeskanzler und den ihn tragenden Fraktionen und Parteien zu sehen. Was muß sich eigentlich der Wähler draußen fragen, der nun plötzlich ab morgen — oder ab 6. Januar oder vielleicht auch gar nicht — weiß, daß am 6. März gewählt wird, wenn er feststellt, daß eine Mehrheit, die gestern noch 266 Stimmen für den Haushalt abgab, heute dem Bundeskanzler das Vertrauen nicht mehr ausspricht? Ist das vielleicht Glaubwürdigkeit für dieses Parlament, meine Damen und Herren?

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Hier stehen doch zwei Dinge im Raum: auf der einen Seite das Erfüllen eines Versprechens, um glaubwürdig zu bleiben, und auf der anderen Seite die Glaubwürdigkeit der Verfassung, wenn die Gefahr droht, daß die Fakten auf den Kopf gestellt werden. Es steht doch fest, daß die jetzige Bundesregierung legal zustande gekommen ist. Es steht fest, daß diese Bundesregierung — in der letzten Woche ist das noch einmal deutlich geworden — eine volle Handlungsfähigkeit hat, daß es nicht so ist — Herr Bundeskanzler, ich sage das, weil Sie 1972 angesprochen haben — wie 1972, wo es eben keine Mehrheit mehr für den amtierenden Bundeskanzler gab und sich eben das Problem der Neuwahl stellte.

    (Huonker [SPD]: So ist das!)

    Ich habe bisher noch nirgends in der Verfassung feststellen können, daß es befristete Regierungen geben kann,

    (Beifall bei der SPD)

    daß es befristete Legislaturperioden auf Grund von Parteibeschlüssen geben kann. Oder soll das, meine Damen und Herren — dies ist eine Frage, die das Parlament mit entscheiden soll —, vielleicht Zukunftspraxis werden? Wenn ich heute schon lese und höre, man könne ja einmal eine befristete Große Koalition schließen — so Herr Fehrenbach vor kurzer Zeit —, dann ist doch dieser Begriff draußen schon ein Begriff für die Zukunft. In Zukunft brauchen wir dann gar keine nach dem Grundgesetz befristeten Legislaturperioden mehr, sondern können uns selbst Fristen setzen.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Auch die Abgeordneten können eine Meinung haben, z. B. für eine befristete Zeit!)

    — Natürlich. Ich hoffe, dazu etwas beitragen zu können. Denn ich habe den Eindruck — auch die Debatte hat das gezeigt —, daß die verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch problematischen Fragen in diesem Bereich in allen Fraktionen zu wenig diskutiert worden sind. Ich kann nicht ganz so, Herr Kollege Ehmke, über die Interna der SPD-Fraktion berichten.
    Ich war z. B. sehr beeindruckt, daß die Vereinigung für Parlamentsfragen hierzu zum richtigen Zeitpunkt eine Diskussion durchgeführt hat. Ich habe es allerdings bedauert, daß man die Mitglieder des Bundestages in dieser Abendveranstaltung an einer oder höchstens zwei Händen abzählen konnte. Man hätte dort manches über die verfassungsrechtliche Problematik — von „verfassungswidrig" auf der einen Seite bis hin zu „verfassungsunbedenklich" auf der anderen Seite — hören können und vieles über Verfassungsschädlichkeit vielleicht noch dazulernen können.
    Meine Damen und Herren, man kann über die heutige Entscheidung, die wahrscheinlich vorpro-
    8962 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1982
    Schmidt (Kempten)

    grammiert ist, sagen: Dies ist eine Einmaligkeit, das wird nie wieder vorkommen. Aber ich warne aus der Sorge heraus, die ich vorhin eindeutig klargelegt habe, davor, daß mit der derartigen Bewegung des Art. 68 für zukünftige Regierungen — es muß gar nicht die nächste sein, es kann auch die übernächste oder auch die überübernächste sein — eine Prämie für die legale Mehrheit in der Auslegung des Art. 68 verankert wird. Eindeutig hat dann eine Mehrheit, mag sie aussehen, wie sie will, die Möglichkeit, über diesen Weg, der heute hier beschlossen werden soll, auch in Zukunft Neuwahlen zu einem anderen Zeitpunkt herbeizuführen, als er eigentlich vom Grundgesetz vorgesehen ist. Warum haben denn die Väter des Grundgesetzes hier gewisse Schranken gesetzt? Nicht nur, weil sie die Erfahrungen der Weimarer Republik hatten, doch auch, weil sie die Erfahrungen in den westlichen Demokratien in Europa hatten und haben: 42 Regierungen in Frankreich, Instabilität in Italien durch laufende parteipolitische Schwierigkeiten mit den Regierungen. Es war doch überhaupt ein Stück Fundament für den Aufbau nach 1949, daß es eben nie kurze Legislaturperioden gab, daß eben immer vier Jahre lang durchregiert werden konnte. Dadurch war Stabilität beim Wiederaufbau möglich.
    Wenn wir die Vertrauensfrage gemäß Art. 68 sozusagen auch zu einer halben Mißtrauensfrage machen — es ist eine Vertrauensfrage, die heute gestellt wird, und das Mißtrauen wird ausgesprochen —, dann wird eines Tages Art. 68 in seiner Verfassungswirkung vor Art. 67 rangieren. Ich frage mich, ob dies gut ist für die Zukunft dieses Parlaments, für die Zukunft der parlamentarischen Demokratie. Ich frage mich — ich glaube, meine Damen und Herren, jeder von Ihnen muß sich das fragen —, ob der einmal beschrittene Weg von der repräsentativen Demokratie, vom repräsentativen System zum plebiszitären System nicht eines Tages nach dem Motto „Die ich rief, die Geister, werd' ich nun nicht los" zu einem Dauerweg wird. Ich fürchte, daß solche Gefahren auftauchen; sie können sehr schnell auftauchen.
    In den Debattenbeiträgen vorhin ist sehr viel darüber gesagt worden, daß sich die Parteienlandschaft hier nach dem 6. März möglicherweise ändert. Dann kann es schon sehr leicht möglich sein, daß es schwierig werden wird, eine stabile Regierung zu bilden. Nicht umsonst reden die einen von Großer Koalition, die anderen von Unterstützung der stärkeren Minderheit, einfach um dann regieren zu können, wenn es so kommt. Das kann man doch aber dann nicht vier Jahre lang machen. Dann hat man über das jetzt im Rahmen von Art. 68 gewählte Verfahren natürlich wiederum die Möglichkeit, die Dinge befristet zu gestalten.
    Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich Sie alle noch einmal sehr herzlich bitten, genau darüber nachzudenken, welche Entscheidung Sie nachher treffen. Es gibt nicht viele Möglichkeiten. Es gibt die Möglichkeit — ich sage das sehr offen —, daß, Herr Bundeskanzler, was ich begrüßen würde, obwohl ich es seinerzeit nicht getan habe, Ihnen das Vertrauen ausgesprochen wird und so der Weg über eine verfassungsbedenkliche Regelung nicht gegangen wird. Dann gibt es für Sie die Möglichkeit, einen anderen Weg zur Erfüllung des Versprechens zu wählen. Für mich, meine sehr verehrten Damen und Herren — das ist meine persönliche Entscheidung —, gibt es nur einen Weg, und in diesem stimme ich aus unterschiedlichen Motiven mit Ihnen überein, Herr Bundeskanzler: Ich werde mich wegen des von mir nicht gebilligten Verfahrens an dieser Abstimmung nicht beteiligen. Ich möchte nicht schuld sein, wenn die Folgen, die ich hier vorgetragen habe, eines Tages über diese Republik kommen. — Vielen Dank.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und bei der SPD)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schuchardt.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Helga Schuchardt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche heute hier auch im Namen meines Kollegen Friedrich Hölscher.
    Sie wissen, Herr Bundeskanzler, wir haben Sie am 1. Oktober nicht gewählt, weil wir für Ihre Wahl vom Bürger 1980 kein Mandat erhalten haben.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Wir haben logischerweise auch Ihrem Haushalt nicht zugestimmt, und wir können Ihnen deshalb mit völlig reinem Gewissen heute auch das Vertrauen nicht aussprechen. Insofern können auch wir Ihnen zwei glaubwürdige Nein-Stimmen zusagen.

    (Beifall bei der SPD)

    Gespräche mit Kollegen dieses Hauses haben bei uns Zweifel daran aufkommen lassen, daß die Mehrheit dieses Hauses die Wahlen wirklich noch will. Wir wollen die Wahl!

    (Unruhe bei der CDU/CSU)

    Friedrich Hölscher und ich sind also mit uns selbst im reinen. Nur, kann eigentlich die Mehrheit, können Ihre Regierung, Herr Bundeskanzler, und Sie selbst mit sich im reinen sein? Wer das Grundgesetz, in diesem Falle den Art. 68, so manipulativ gebraucht, kann — oder besser: darf — mit sich nicht im reinen sein.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Es ist das zweite Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, daß der Bundestag vorzeitig aufgelöst werden soll. 1972, beim erstenmal, war ein konstruktives Mißtrauensvotum gescheitert, der Kanzler selbst hatte aber auch keine Mehrheit mehr. Logisch, daß man gemeinsam nach einem Weg suchte, um den Bundestag aufzulösen.
    Heute hat der Bundeskanzler — ganz im Gegensatz zu der Situation im Jahre 1972 — eine Mehrheit. Es hätte auch nach dem 17. September dieses Jahres eine verfassungsrechtlich einwandfreie Möglichkeit gegeben, den Bundestag aufzulösen.

    (Beifall bei der SPD)

    Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1982 8963
    Frau Schuchardt
    Nachdem der damalige Bundeskanzler Schmidt seine Mehrheit verloren hatte,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Hätte er zurücktreten sollen!)

    hätte zumindest meine damalige Fraktion, die FDP-Fraktion, den Schlüssel dazu in der Hand gehabt.

    (Beifall bei der SPD)

    Die FDP war 1980 durch klare und unmißverstänliche Aussagen für eine sozialliberale Koalition und gegen eine Politik von Strauß mit einem — für die Verhältnisse der FDP — überragenden Wahlergebnis in den Bundestag eingezogen.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Mein Kollege Gerhart Baum hat am 1. Oktober 1982 vor dem konstruktiven Mißtrauensvotum auch für mich erklärt:
    Wenn wir ... den Wählern etwas versprechen, wenn wir ihnen sagen, was wir mit ihren Stirnmen machen wollten, müssen wir es auch halten.
    Er hat damit begründet, weshalb FDP-Mitglieder einen Kanzler Kohl nicht wählen könnten und sich deshalb beim Wähler ein neues Votum dafür einholen müßten.
    Es wäre glaubwürdig gewesen, wenn die FDP insgesamt damals so verfahren wäre.

    (Beifall bei der SPD)

    Man hätte das Angebot des damaligen Bundeskanzlers annehmen und — ähnlich wie bei dem heute angestrebten Verfahren — gemeinsam handeln können, allerdings — hier liegt der entscheidende Unterschied — nach dem 17. September mit dem glaubwürdigen Argument verlorengegangener Mehrheiten.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Weshalb kam es damals nicht dazu? Man sah in Neuwahlen vermutlich ein zu hohes Risiko für diese neue Mehrheit; Hessen hat dies ja auch gezeigt. Außerdem sollte Helmut Schmidt nicht als noch amtierender Bundeskanzler Wahlkampf machen dürfen. Der Bundesvorsitzende der FDP drückte dies in seiner Rede zur Regierungserklärung am 13. Oktober dieses Jahres sogar direkt aus.

    (Seiters [CDU/CSU]: Wo ist Schmidt überhaupt?)

    Da heißt es:
    Diese Verfassung will aber auch nicht Vereinbarungen, durch die Fraktionen auf das verfassungsmäßige Recht zur Mehrheitsbildung verzichten, auch wenn sie eine Mehrheit bilden können, nur um dem amtierenden Regierungschef die Führung des Wahlkampfes als Bundeskanzler zu ermöglichen.

    (Hört! Hört! bei der SPD) Diese Worte sprechen für sich selbst.


    (Huonker [SPD]: Der Obertaktierer, wie er leibt und lebt!)

    Wenn man Wahlkampf machte, wollte man schon selbst den Bundeskanzler stellen, und die FDP wollte mit neu bestellten Ministern antreten.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

    Andererseits wollte man aber auch nicht den Eindruck entstehen lassen, man drücke sich vor einem Wählervotum. Also verständigte sich die neue Mehrheit auf die ungemein verantwortungsvoll klingende Formel — so die Formulierung von Herrn Genscher —:
    Bevor wir am 6. März des nächsten Jahres diese Neuwahlen abhalten, wollen wir das Haus in Ordnung bringen ...
    Daß er seine eigene 13jährige Arbeit als Minister und Vizekanzler in der sozialliberalen Koalition so einstuft, spricht für sich.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sie sprechen auch für sich!)

    Man mußte das ganze also staatspolitisch überhöhen. Die Verschuldung und die Arbeitslosigkeit mußten herhalten, um das alles so zu inszenieren.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nicht wahr!)

    „Notstand" hat der Bundeskanzler heute gesagt.
    Nur, ist das Haus in Ordnung gebracht worden? Die Neuverschuldung ist von deutlich unter 30 Milliarden DM, wie es die FDP von der SPD gefordert hatte, auf deutlich über 40 Milliarden DM gestiegen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Und natürlich konnte die Arbeitslosigkeit auch nicht abgebaut werden. Aber das hat wohl auch niemand ernsthaft annehmen können.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist ganz billige Demagogie! Ganz billige!)

    Und was hat man diesem Parlament zugemutet?

    (Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Sie muten uns was zu!)

    Haushalts- und Begleitgesetze mußten durchgepeitscht werden.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Jetzt verstehe ich, daß Sie niemand mehr will! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ich weiß nicht, warum es Ihnen so unmöglich ist, dies ruhig anzuhören.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP — Lintner [CDU/CSU]: Quatsch! — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Schauen Sie Ihre spitze Nase an! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ich kann Ihnen nur eines sagen: Die hysterischen Gesichter von Männern sind auch kein attraktiver Anblick.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    8964 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1982
    Frau Schuchardt
    Meine Damen und Herren, kein Gesetz — und schon gar nicht der Haushalt — konnte auf seine Zukunftsverträglichkeit abgeklopft werden, z. B. darauf, welche mittelfristigen Auswirkungen es auf den Arbeitsmarkt haben könnte. Die Fraktionen waren reine Befehlsempfänger.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sie balzen bei den Genossen um ein Mandat!)

    Anhörungen vor den Ausschüssen des Bundestages wurden zur reinen Farce.

    (Beifall bei der SPD)

    Den Entwürfen zum BAföG und zur Kriegsdienstverweigerung wurde von den Anzuhörenden eine eindeutige Abfuhr erteilt. Im Mietrecht haben die Kommunalvertreter auf die Rückwirkungen auf die kommunalen Haushalte hingewiesen. Fünf hochkarätige Professoren wurden eingeladen, um die Zwangsanleihe verfassungsrechtlich zu bewerten.

    (Clemens [CDU/CSU]: Auch falsch!)

    Die von allen vorgetragenen starken Bedenken wurden schlicht ignoriert.

    (Gobrecht [SPD]: So ist es!)

    Herr Kohl, was haben Sie aus diesem Parlament gemacht?

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Sie haben aus diesem Parlament ein Instrument der heißen Nadel gemacht.

    (Seiters [CDU/CSU]: Das ist aber nicht doll!)

    Und ich frage mich: Wo bleibt eigentlich die Selbstachtung der Mehrheit dieses Parlaments?

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Der Bundespräsident hat wahrlich nicht viele Kompetenzen. Daß man ihn allerdings derart zum Statisten verkümmern läßt, ist schon mehr als schlimm.

    (Beifall bei der SPD)

    Da teilt man ihm noch vor dem Konstruktiven Mißtrauensvotum mit, wann denn diese neue Mehrheit ihre Mehrheit zu verlieren gedenke. Dies hat nicht einmal das Parlament selbst bestimmen können, sondern die Regierung bestimmt, wann sie eine Mehrheit haben will und wann man sie ihr bitte schön zu verweigern habe.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Verfassungsgeber den Art. 68 so verstanden wissen wollte. Und damit es der Bundespräsident auch nicht allzu schwer habe, teilt man auch gleich noch den genauen Terminablauf mit. Grobe Unhöflichkeit ist wohl das mindeste, was man dazu sagen könnte.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP — Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Ein haßerfüllter Zynismus!)

    Es kann kein Zweifel sein: Heute wird ein Präjudiz geschaffen, dessen Auswirkungen wir noch gar nicht ermessen können:

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP)

    Da treten Parteien mit bestimmten Aussagen vor den Wähler und erhalten dafür ein Mandat. Unterwegs kommt es zum Machtwechsel ohne neuerliche Legitimation. Diejenigen, die so die Macht verlieren, treten natürlich für Neuwahlen ein. Die Mehrheit verweigert sie, um einen ihr gemäßen Termin ins Auge zu fassen. Termine von Neuwahlen könnten künftig also davon bestimmt werden, ob sich die parlamentarische Mehrheit von einem Termin gute Wahlergebnisse verspricht.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Herr Kohl, wer antritt, ein Haus in Ordnung zu bringen, von dem muß man wohl erwarten, daß er das Haus mindestens in Ordnung hält. Dazu gehört wohl zuallererst die Achtung vor dem Parlament und dem Bundespräsidenten. Aber die haben Sie leider vermissen lassen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP — Zurufe von der CDU/CSU: Unerhört! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, Sie haben Wahlen am 6. März versprochen. Sie tun gut daran, dieses Versprechen zu halten. Aber, bitte, lassen Sie an der Verfassungsmäßigkeit des Verfahrens keinen Zweifel!
    Es gibt saubere Lösungen. Ich habe auf dem Bundesparteitag der FDP einen Vorschlag unterstützt, der ein guter Weg gewesen wäre: Die FDP-Minister treten zurück,

    (Beifall bei der SPD)

    um damit zu dokumentieren, daß Sie, Herr Bundeskanzler, keine Mehrheit mehr haben. Leider wurde dieser Antrag von der Mehrheit — unter Einschluß der Stimmen der Betroffenen —

    (Zuruf von der SPD: Natürlich!) verweigert.

    Herr Kohl, Friedrich Hölscher und ich bitten Sie deshalb: Treten Sie zurück, damit das Verfahren über jeden verfassungsmäßigen Zweifel erhaben ist.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Da spricht die sozialdemokratische Wählerinitiative! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Wenn Sie dies nicht selber tun, so hoffen, wir, daß Ihnen der Bundespräsident dazu noch Gelegenheit gibt.
    Wir wollen Neuwahlen. Aber die Verfassung darf dabei keinen Schaden nehmen. — Vielen Dank.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)