Rede von
Prof. Dr.
Uwe
Holtz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei den Sozialdemokraten hat der neue Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit Aufgeschlossenheit vorgefunden. Wir haben eigentlich erwartet, daß Sie, Herr Minister Warnke, die so vorgefundene Entwicklungspolitik ruhig und besonnen fortsetzen würden, und zwar auf der Grundlage der entwicklungspolitischen Leitlinien der alten Bundesregierung und auf der Grundlage des gemeinsamen entwicklungspolitischen Beschlusses hier im Deutschen Bundestag vom 5. März 1982. Entgegen dem, was der Haushaltsexperte der Union hier ausgeführt hat, stelle ich für meine Fraktion fest: Sie haben ein gutes Erbe übernommen, Herr Minister.
Wir wollen nicht, daß die Entwicklungshilfe einfach über die Welt verstreut wird. Wir wollen, daß die wirklich Bedürftigen erreicht werden. Wir sehen die fachlichen Schwerpunkte: ländliche Entwicklung, Energie, Schutz der Umwelt, Bildung und Ausbildung. Wir wollen, daß insbesondere reformorientierte Regierungen und Kräfte unterstützt werden.
Einer Ihrer erfahrenen Fraktionskollegen äußerte öffentlich die Ansicht: „Da er — der Herr Minister — nichts von der Sache versteht, wird er vorsichtig sein und entsprechend wenig Fehler machen." Aber weit gefehlt: Ohne Not sind sie vorgeprescht, haben Haushaltsdaten unnötigerweise und zu Unrecht, wie Ihnen vom Finanzministerium bescheinigt wird, dramatisiert und durch Ihre zahlreichen Interviews — so neutrale Beobachter — zumindest den Verdacht aufkommen lassen, daß sich die politisch-ideologischen Standorte in der Entwicklungspolitik verschoben haben. Bald war der Punkt erreicht, an dem uns klar wurde: Der neue CSU-Minister will eine andere Entwicklungspolitik. Im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenheit wird die Abkehr von wichtigen entwicklungspolitischen Eckwerten betrieben. Dagegen leisten wir Widerstand.
Wir bedauern sehr, daß die Kontinuität in der Entwicklungspolitik der sozialliberalen Koalition abgewürgt wird. Bei diesem Urteil haben wir es uns nicht leichtgemacht. Wir hätten gern die Linie der entwicklungspolitischen Gemeinsamkeiten in vielen Fragen fortgesetzt; aber eine Fülle von Erklärungen und Positionsbestimmungen des neuen Ministers untermauert leider unsere Einschätzung. Wenn die Entwicklungspolitik auch einem Riesentanker gleicht, der nur langsam Kursänderungen vollziehen kann, so haben Sie jedoch jede Möglichkeit genutzt, neue Kurse festzulegen und Positionen zu markieren. Sogar von scheinbaren Nebensächlichkeiten machen Sie nicht halt. So wird die bewährte Kinderfibel zu den Nord-Süd-Beziehungen, die Ihnen schon als Abgeordneter ein Dorn im Auge war, zurückgenommen.
— Ich muß in noch kürzerer Zeit reden, als mir an
sich zur Verfügung steht; ich bitte um Verständnis.
Sie haben folgenschwere Richtungsbestimmungen vorgegeben: Betonung der Ost-West-Dimension, stärkere marktwirtschaftliche Orientierung, Einführung einer Wohlverhaltenserwartung, Einschwenken auf den Reagan-Kurs, stärkeres Freund-Feind-Denken und Überbetonung deutscher Exportinteressen. Diese Richtungsbestimmungen
8670 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982
Dr. Holtz
halten wir für gefährlich und bekämpfen sie deshalb.
Ich möchte unsere Befürchtungen belegen, und zwar an Hand von Äußerungen des Ministers, der für dieses Ressort politisch die Verantwortung trägt.
Ost-West-Dimension: Sie sagten in der „Frankfurter Rundschau" am 3. Dezember 1982: „Eine stramme Ost-West-Ausrichtung der Entwicklungspolitik ist weder vorgesehen, noch wird sie eintreten." Ich finde: beschwichtigend, aber demaskierend. Wenn Sie sich, Herr Minister, die Ost-West-Brille aufsetzen, dann laufen Sie Gefahr, ganz schnell kurzsichtig zu werden.
Marktwirtschaftliche Orientierung: Ebenfalls in der „Frankfurter Rundschau": „Wir werden künftig Länder, die marktwirtschaftliche Elemente haben, als Partner besonders ins Auge fassen." In einem Fernsehinterview von Ihnen hieß es gar, dies sei eine Voraussetzung für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit. Der Vorsitzende des CDU-Fachausschusses „Entwicklungshilfe" sekundierte: Die neue Regierung soll einen ständigen ordnungspolitischen Dialog mit den Partnern in der Dritten Welt führen. Wenn es nach CSU und CDU ginge, soll jetzt der Globus mit einem Netz munterer marktwirtschaftlicher Missionare überzogen werden. In unseren Augen ein untauglicher Versuch,
da auch in vielen Ländern die Voraussetzungen dafür fehlen.
Wohlverhalten: Minister Warnke in den „Bonner Perspektiven": „Jemand, der uns vor das Schienbein tritt, den werden wir natürlich nicht gerade als bevorzugten Partner behandeln." — Meine Damen und Herren, wir wollen doch nicht Entwicklungspolitik nach dem Motto betreiben: Wes' Brot du ißt, des' Lied du singst.
Reagan-Kurs: Im Konkreten sieht das dann so aus, daß man Probleme im südlichen Afrika unter den Teppich kehren will, Ausrüstungshilfe für Honduras laufen lassen will, daß für Nicaragua die Entwicklungshilfe gekürzt wird, während der Minister vor dem Ausschuß für El Salvador die Ankündigung macht, man sehe keinen Grund, die früher eingegangenen Verpflichtungen weiter hängen zu lassen. Zwischenzeitlich wurde diese Ankündigung — auf Grund vieler Proteste, so nehme ich an — in einen Prüfauftrag umgewandelt.
Selbstverständlich pflegen die Sozialdemokraten die Freundschaft und Zusammenarbeit mit den USA; wir können aber nicht zu allem Ja und Amen sagen. Die im Ansatz falsche Politik der Reagan-Regierung wird besonders deutlich in der mittelamerikanischen Region, was die Dritte Welt angeht. Da versucht der große, gestrenge Vater mit Zuckerbrot und Peitsche die ungehorsamen und undankbarken Kinder zur Räson zu bringen. Im Gegensatz zu ihm sehen wir Sozialdemokraten — und ich weiß, auch viele andere hier im Hause — die eigentlichen Ursachen für die Krisen in der wirtschaftlichen Unterentwicklung, der sozialen Ungerechtigkeit und der Mißachtung der Menschenrechte in vielen Staaten der Region. Hier müssen wir ansetzen, und hier muß auch dementsprechend versucht werden, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen. Wir sind nicht etwa blind auf einem Auge wie Sie, wenn Sie sagen, in Simbabwe hätten keine Wahlen stattgefunden. Informieren Sie sich mal vor Ort, Herr Kollege!
Mittelamerika darf nicht wie der Iran zu einem Friedhof einer falschen westlichen Politik werden.
Vielleicht sind wir uns wenigstens darin einig.
Freund-Feind-Denken: Der neue Trend bei der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit geht in diese Richtung. Bei Reduzierungen von Haushaltsansätzen bei einzugehenden Verpflichtungen fällt der vergleichsweise hohe Anteil von Ländern auf, die nach dem groben Rechts-Links-Raster als reformorientierte, linke Länder gelten. Die neue Bundesregierung läßt doch nicht Österreich und Frankreich deshalb links liegen, bloß weil sie sozialistische Regierungschefs haben, meine Damen und Herren.
Aber vielleicht sehen wir zu schwarz. In der „Frankfurter Rundschau" versuchten Sie uns zu beruhigen: „Die Bundesregierung wird ihre Entwicklungshilfe keineswegs vorrangig nach ideologischen Kriterien vergeben."
Exportinteressen: „Die neue Regierung wird all den Entwicklungsprojekten Vorrang geben, die der deutschen Wirtschaft zusätzliche Aufträge bringen." So der Minister in „Bild" am 2. Dezember 1982. Wir stellen die Frage: Wollen Sie dies, auch wenn die Projekte den Entwicklungsländern weniger nützen? In der gemeinsamen Entschließung vom 5. März heißt es dazu ganz eindeutig: „Beim Zusammentreffen entwicklungspolitischer Ziele mit Zielen anderer Politikbereiche, z. B. Handelspolitik, darf das entwicklungspolitische Interesse nicht zurückgedrängt werden." Sehen Sie bitte dies als Leitschnur auch für Ihr Handeln an! Würden Sie konsequent Ihre Ankündigung durchsetzen, würde das BMZ zu einem reinen Exportförderungsministerium verkommen. Das klingt nach Unterabteilung des BMWI; oder soll ich besser sagen, dem BMIW — Bundesministerium für Ideologie- und Warenexport?
Die Richtungsbestimmungen durch den neuen Minister bedeuten eine Wende nach rückwärts. Außer Schaden für das Ansehen der Bundesrepublik werden sie nicht viel bewirken. Hier wird in der Außenpolitik eine Wende vollzogen, und zwar zu Lasten der schwächsten, auf Hilfe angewiesenen Staaten. Wer Ihre Richtungsbestimmungen zu Kriterien bei der Vergabe von Entwicklungshilfe machen wollte, marschierte in die entwicklungspolitische Steinzeit zurück. Nach den trüben Erfahrun-
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Dr. Holtz
gen, die man mit derartigen ideologischen Gängelversuchen gemacht hat, kann dies keiner wollen.
Wir üben auch Kritik an einem Minister, von dem wir vor dem Hintergrund ganz anderer, drängender Probleme, wie z. B. des Verfalls der Rohstoffpreise und enormer Zahlungsbilanzprobleme, Antworten auf die Lösung dieser akuten Fragen erwarten, unabhängig davon, ob dies in die Ost-West-Sicht oder in Bündnisinteressen oder in ordnungspolitische Vorstellungen paßt.
Dies alles bestätigt, daß die CSU über dieses Ministerium an Herrn Genscher vorbei Außenpolitik betreiben möchte. Der bereits zitierte Fraktionskollege der CDU hatte noch gehofft: „Warnkes Berufung gibt uns die Chance, die CSU stärker in die entwicklungspolitischen Vorstellungen der CDU einzubinden. Das mindert den Einfluß des brüllenden bayerischen Löwen."
Die Bändigung scheint gründlich mißlungen, Herr Kollege.
Prüfaufträge, teilweise vorgenommene Zurücknahmen und Richtigstellungen, Relativierungen, wie Sie sie z. B. vor der FDP-Fraktion vorgenommen haben, auch die — wie mir gesagt wurde — lammfromme Rede, die jetzt folgen soll, verdeutlichen nur, daß Sie eine Reihe von endgültigen Entscheidungen bewußt bis zum 6. März zurückstellen wollen. Wir hoffen, daß Sie dann nicht mehr zum Zuge kommen.