Rede von
Hans-Günter
Hoppe
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Ehmke hat ganz sicher zum
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982 8593
Hoppe
Kapitel 04 03 gesprochen. Ich weiß nicht, ob er weiß, was das ist.
— Er muß es ja nicht wissen, wahrlich nicht. Das wissen auch viele andere Kollegen nicht. Es ist das Kapitel Bundespresseamt. Die Rede stand ja wohl auch unter dem Motto „Popanz und Propaganda".
Meine Damen und Herren, wenn der Kollege Ehmke als Rechtsprofessor mit seiner Rede so in die Linkskurve geht, um von der „Rechtskoalition" sprechen zu können, wird er damit auch nicht mehr lange durch den TÜV kommen.
Es ist das zweite Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, daß der Bundestag vor seiner vorzeitigen Auflösung steht. Daß wir heute erneut über eine Entscheidung im Zusammenhang mit Art. 68 des Grundgesetzes debattieren, hat ebensowenig wie vor zehn Jahren etwas mit einer Bankrotterklärung einer Regierung oder mit Mißtrauen gegenüber dem amtierenden Bundeskanzler zu tun.
Im Gegenteil: Die Regierung Kohl/Genscher wird nach nur 77tägiger Bewährungsfrist eine außerordentlich erfolgreiche Bilanz vorlegen können.
Die Parteien, die jetzt in Bonn die Regierung bilden, hatten sich vorgenommen, einen konjunkturgerechten Haushalt und die dazu erforderlichen Begleitgesetze zu verabschieden. Ich nehme an, daß ich mit allseitiger Zustimmung feststellen kann: Die zusätzlichen Einsparungen von 5,6 Milliarden DM im konsumtiven Bereich wären mit der SPD nicht möglich gewesen; denn die Summe dieser Maßnahmen nennt die Opposition ja „Umverteilung von unten nach oben".
Aber gerade diese gewiß unpopulären Maßnahmen sind notwendige Schritte zur Gesundung der Staatsfinanzen.
Dabei kommt es nicht einmal so sehr auf die konkrete Zahl bei den Einsparungen oder bei der Nettokreditaufnahme an, sondern, wie Hans Barbier in der „Süddeutschen Zeitung" schon am 21. Mai dieses Jahres feststellte: „Für die Etatplanung '83 wird wirtschaftspolitische Zielsicherheit verlangt."
Diese Zielsicherheit, Konsequenz und Stringenz haben Regierung und Regierungsparteien in den letzten Wochen unter Beweis gestellt. Wir konnten dabei auf einer urliberalen Erkenntnis aufbauen, die jahrtausendelang den Ökonomen als Richtschnur diente. Allerdings dürfte sie schon im Jahre 55 vor Christus alles andere als populär gewesen sein. Damals formulierte Cicero:
Der Staatshaushalt muß ausgeglichen sein. Die öffentlichen Schulden müssen verringert werden.
Die Arroganz der Behörden muß gemäßigt und kontrolliert werden. Die Zahlungen an ausländische Regierungen müssen verringert werden, wenn der Staat nicht bankrott gehen soll. Die Leute sollen wieder lernen zu arbeiten, statt auf öffentliche Rechnung zu leben.
Meine Damen und Herren, wir haben ein Mammutprogramm hinter uns gebracht, das oftmals hart an die Belastungsgrenze der Solidität parlamentarischer Beratungsabläufe ging. Nur die äußerst kollegiale Rücksichtnahme in und zwischen den in der parlamentarischen Arbeit tangierten Entscheidungsgremien ermöglichte überhaupt eine fristgerechte Vorlage des Haushalts. Dennoch, die Bilanz kann sich sehen lassen.
Unterstützung kommt ja jetzt auch von außen. Nach den erfreulichen Beschlüssen der Bundesbank sinken jetzt endlich auch bei den Geschäftsbanken die Zinsen, und die Bauwirtschaft, ein besonders sensibler Indikator, verspürt Aufwind. Und doch wird die wirtschaftliche Entwicklung von sich noch weiter verschärfenden Problemen am Arbeitsmarkt geprägt sein; denn von einer raschen Änderung der konjunkturellen Misere kann im Moment wahrlich niemand sprechen. Wir stehen vor einem Problemberg, der uns noch viel Mühe, Schweiß und Entbehrung abnötigt.
Schnelle und vernünftige Beschlüsse der neuen Koalition hat es jedoch auch auf anderen Gebieten als auf dem Gebiet der Haushaltspolitik gegeben. Wir haben mit der Technischen Anleitung Luft niedrigere Grenzwerte für die Luftbelastung eingeführt, wie das von meinen Parteifreunden auf dem Berliner Parteitag gefordert worden ist.
Ich glaube, hier ist im Umweltschutz in der Tat ein Meilenstein gesetzt worden.
— Verehrter Herr Kollege Matthöfer, ich leugne ja nicht, daß diese Forderung im alten Kabinett aufgestellt wurde. Wie mühsam war es in der Vergangenheit, vom Aufstellen der Forderung zur Durchsetzung in der Praxis zu kommen.
Auch die zweite Forderung unseres Berliner Parteitags, neue Regelungen für die Kriegsdienstverweigerung zu verabschieden, wird erfüllt.
8594 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982
Hoppe
übermorgen werden wir die Gewissensprüfung für Zivildienstaspiranten abschaffen.
Auch für unsere dritte Forderung, Revidierung des Kontaktsperregesetzes, liegt nun ein gemeinsamer Lösungsvorschlag auf dem Tisch.
In der Außenpolitik wurden Kontinuität und Stabilität gewahrt. Die Welt, auch die Welt in der Bundesrepublik, die Welt hier und um uns herum, verehrter Herr Kollege Hauff, ist leider gar nicht in Ordnung. Da ist mit großer Anstrengung und viel Mühe noch vieles in Ordnung zu bringen.
Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien arbeiten weiter an der Verbesserung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik. Ich freue mich, daß uns das der SPD-Kanzlerkandidat Jochen Vogel ausdrücklich bestätigt hat. Wir knüpfen in der Tat nahtlos an die erfolgreiche Deutschland-und Außenpolitik der Regierungen Brandt/Scheel und Schmidt/Genscher an.
Es gibt keine Kurskorrektur.
In wenigen Tagen übernimmt Außenminister Genscher die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Gemeinschaft. Er wird sie nutzen, um weiter für den politischen Ausbau der Europäischen Gemeinschaft zu kämpfen. Dabei wird auch in Zukunft die enge Zusammenarbeit mit Frankreich auf der Grundlage des deutsch-französischen Vertrages im Vordergrund stehen. Der Besuch des Bundeskanzlers noch am Tag seiner Vereidigung in Paris war hierfür ein sichtbares Symbol.
In der Sicherheits- und Abrüstungspolitik zeigt die Bundesregierung ein wesentlich geschlosseneres Konzept als die jetzige Opposition, die offensichtlich dabei ist, sich mit Lockerungsübungen — hier nehme ich dann ein Stichwort auf, das Horst Ehmke in seiner Rede an anderer Stelle für andere politische Formationen gebraucht hat — langsam von den früheren gemeinsamen Beschlüssen zu entfernen.
Jedermann weiß: trotz der positiven Zwischenbilanz stehen die Liberalen in einer existentiellen Bewährungsprobe.
Durch den von ihnen bewirkten Regierungswechsel wiederholt sich das, was wir bereits 1969 leidvoll erfahren mußten: Die geballte Wut des früheren Koalitionspartners und der ihm nahestehenden Medien trifft uns. Darüber hinaus haben 13 Jahre sozialliberaler Koalition in Bonn auch das politische
Bewußtsein und die Sympathien vieler Mitglieder meiner Partei tief geprägt.
Wenn ich es richtig sehe, haben nicht einmal 10 % der Kollegen während ihrer Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag etwas anderers erlebt als die sozialliberale Regierung.
Wir haben mit den Sozialdemokraten lange Zeit vertrauensvoll und erfolgreich zusammengearbeitet. Es war eine bewegende und bewegte Zeit, eine Zeit der Kreativität, des Aufbruchs, der Neubesinnung und der mitreißenden Reformen.
Ich erinnere nur an die Entspannungspolitik, an die Verträge mit dem Osten, an Verbesserungen der Betriebsverfassung und der Mitbestimmung, an die Strafrechtsreform, an Wahlalter, Reform des § 218, Ehe- und Familienrecht. Aber, meine Freunde, eine Partei wie die SPD stößt immer schnell an die Grenzen ihres Selbstverständnisses, wenn ihr für diese Politik der Reformen die wirtschaftliche Prosperität fehlt. Wieviel Warnungen wurden von uns ausgesprochen! Sie fielen nicht auf fruchtbaren Boden. Die Epoche des begrenzten Wirtschaftswachstums hatte begonnen. Doch die Forderung nach Konsumverzicht und Dämpfung der Dynamik staatlicher Leistungen paßte nicht zum Charme der sozialdemokratischen Kreativität.
Historiker werden den Liberalen des Jahres 1982 vielleicht einmal den Vorwurf machen, sich nicht schon eher einen Koalitionspartner für die Politik der wirtschaftlichen Vernunft gesucht zu haben.
Aber diese Frage kann jetzt unerörtert bleiben.
Den Zerfall der sozialliberalen Koalition in dem Abschnitt vom 16. September 1981 bis zum 17. September 1982
habe ich in meiner Haushaltsrede am 11. November hier dokumentiert. Ich nehme darauf Bezug und will das heute nicht wiederholen. Aber dabei wäre auch durchaus ein anderer Zeitabschnitt für die Darstellung des Zerrüttungsprozesses denkbar gewesen. Man muß dazu in die Phase der Koalitionsverhandlungen über das Regierungsprogramm nach der Bundestagswahl 1980 zurückkehren. Damals fühlte sich die SPD schlecht vertreten und von den gut vorbereiteten Liberalen übervorteilt. Von diesem Augenblick an nahm in der SPD die Lust an der Zusammenarbeit rapide ab. So kam es denn gar
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982 8595
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nicht mehr zu der Nagelprobe für die Koalition beim Haushalt 1983.
Mit einem brillanten Schachzug entzog sich der Kanzler der Beweisführung und warf uns die Haushaltsbrocken vor die Füße.
Bei den dann erforderlichen Entscheidungen standen wir Freien Demokraten im Spannungsverhältnis zwischen unserer Verantwortung,
den Nutzen des Deutschen Volkes zu mehren und Schaden von ihm zu wenden,
und unserer Verpflichtung gegenüber dem Parteitagsvotum, mit dem wir uns 1980 auf eine Koalition mit der SPD festgelegt hatten.
Wir haben uns angesichts des Zustandes der Staatsfinanzen und der Arbeitslosenzahlen für den Versuch entschieden, mit einem Notprogramm für Haushalt und Beschäftigung einen Dammbruch zu verhindern.
Die Lösung der wirtschaftlichen und finanziellen Probleme duldete keinen Aufschub. Mehr als 10 Milliarden DM an zusätzlichen Haushaltsdefiziten hätten nicht rechtzeitig abgewendet werden können. Unsere Wirtschaft brauchte neue Zuversicht, Vertrauen und finanzpolitische Sicherheit.
Die Regierung Kohl/Genscher erhielt von uns einen begrenzten Auftrag, den sie in begrenzter Zeit zu erfüllen hatte. Dieser Auftrag ist übermorgen mit der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes und der Begleitgesetze erfüllt.
Es ist für viele nicht leicht zu verstehen, warum einer Regierung, die erfolgreich zehn Wochen lang zusammengearbeitet hat, danach nicht mehr das Vertrauen des Hauses ausgesprochen wird. Wenn sich die FDP-Fraktion am Freitag bei der Vertrauensabstimmung der Stimme enthält, spiegelt das aber unsere Vereinbarung zum Regierungswechsel wider. Sie war zeitlich und inhaltlich begrenzt. Der für das verabredete Regierungsprogramm ausgestellte Vertrauensbonus ist aufgebraucht. Es ist also konsequent, jetzt vor den Wähler zu treten.
Dabei wissen wir Freien Demokraten sehr wohl — das sage ich nun auch an die Kollegen der SPD gerichtet; es mag dort Lustgewinn schaffen oder auch Mitleid mobilisieren —: Es geht für die Liberalen um nicht mehr und nicht weniger als ihre parlamentarische Existenz.
In Anlehnung an Karl-Hermann Flach sage ich: Kein Mensch kann uns den Erfolg garantieren. Doch für eins garantieren wir: Die Historiker werden niemals schreiben können, die Liberalen waren feige, sie haben nicht gekämpft.
Meine Damen und Herren, unser Ziel steht fest: Sicherung und Ausbau liberaler Positionen auf allen Ebenen. Darüber wird mit der CDU/CSU noch zu ringen sein. Viele Fragen harren noch der Erörterung und der Kompromißfindung. „Die Bereiche der inneren Sicherheit, der Rechtspolitik, der Familienpolitik, der Gesellschaftspolitik und auch der Entspannungspolitik liefern hier wichtige Stichworte." An dieser Stelle habe ich mir nun erlaubt, den „Bayern-Kurier" zu zitieren.
Die FDP wird peinlich darauf achten, daß der liberale Rechtsstaat nicht abgebaut, sondern ausgebaut wird.
Wir werden keiner Einschränkung der Freiheitsrechte des einzelnen oder politischer Gruppierungen zustimmen. Wir wollen sie erweitern, wo immer das möglich und notwendig ist. Wir wollen die stärkere Betonung der Selbstverantwortung des einzelnen. Wir wollen dem Prinzip der Subsidiarität entsprechend der Hilfe zur Selbsthilfe wieder mehr Geltung verschaffen. Das, so glaube ich, ist in der Zusammenarbeit mit der CDU/CSU ebenso erreichbar wie die Verbesserung wirtschaftlicher Rahmendaten und die weitere Konsolidierung der Staatsfinanzen.
Nur wenn es uns gelingt, die Beschäftigungskrise zu überwinden, die öffentlichen Finanzen in Ordnung zu bringen und das soziale System in seiner Substanz zu erhalten, werden wir unsere wirtschaftliche Leistungskraft sichern und fortentwikkeln.
Für Liberale ist die freie und Soziale Marktwirtschaft am besten geeignet, die ökonomischen Bedürfnisse der Gesellschaft auf zugleich freiheitliche und humane Weise zu befriedigen. In ihr kommt der mittelständischen Wirtschaft ein besonders hoher Rang zu.
Die Soziale Marktwirtschaft steht jetzt in einer Bewährungsprobe. Sie muß ihre Überlegenheit auch beim Kampf um die Rückgewinnung der Vollbeschäftigung beweisen.
Der Staat aber muß dazu beitragen, indem er eine verläßliche und stetige Wirtschaftspolitik betreibt, die Rahmenbedingungen für Investitionen verbessert und gerade für mittelständische Unternehmen gezielte Anreize für Investitionen und Innovationen setzt.
Wir Freien Demokraten wollen durch eine nüchterne, praktische und mutige Politik wieder Zukunftsperspektiven deutlich machen. Für uns steht
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deshalb auch fest: Wenn es gelingen soll, den Anteil der Investitionen zu Lasten des Konsums zu vergrößern, so bedarf dies, auch und gerade des sozialen Konsenses wegen, der Ergänzung durch eine gezielte Vermögensbildungspolitik.
Die Arbeitnehmer müssen verstärkt am Produktivvermögen beteiligt werden. Durch Beteiligung einer wachsenden Zahl von Menschen am Zuwachs des Produktivkapitals wird einer Vermögenskonzentration vorgebeugt.
Wir fordern deshalb eine aktive Vermögenspolitik mit dem Ziel, die Beteiligungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer am Risikokapital ihres Unternehmens zu verbessern.
Meine Damen und Herren, ich meine, nur durch liberale Perspektiven kann und wird es gelingen, die pessimistischen Zukunftseinschätzungen zu überwinden und die Dynamik einer offenen Gesellschaft freizusetzen, die für die Lösung unserer Zukunftsaufgaben notwendig, ja, unerläßlich, ist.
Die Freien Demokraten bitten am 6. März um das Vertrauen der Wähler.
Sie werden alle Kraft darauf konzentrieren, ein Votum des Wählers für die Fortsetzung ihrer politischparlamentarischen Arbeit zu erlangen. Und dieses Votum bestimmt dann die Stärke der Fraktion und ihren parlamentarischen Einfluß.
Meine Damen und Herren, die FDP ist entschlossen, auch in Zukunft mit ihrer Politik der liberalen Vernunft gegen die drohende Konfrontation und Erstarrung des politischen Lebens zwischen einem sozialistischen und einem konservativen Machtblock anzukämpfen. Für diese faszinierende, im Augenblick schier unlösbar erscheinende Aufgabe möchte ich meiner Fraktion und meiner Partei ein Wort zur seelischen Aufrüstung mit auf den Weg geben,
mit dem ein liberaler Weggefährte mir zu meinem Geburtstag Mut gemacht hat:
Herr, laß mich hungern, dann und wann! — Satt sein macht stumpf und träge.
Herr, schick mir Feinde, Mann für Mann! — Kampf hält die Kräfte rege.