Rede:
ID0912102300

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 1
    1. \n: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 9/121 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 121. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 13. Oktober 1982 Inhalt: Bestimmung der Abg. Erhard (Bad (Schwalbach), Dr. Wittmann und Becker (Nienberge) als Mitglieder des Gremiums gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses 7229 C Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Dr. Kohl, Bundeskanzler 7213A Präsident Stücklen 7229 B Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Ehmke SPD 7229 C Dr. Dregger CDU/CSU 7244 A Genscher, Bundesminister AA 7254 B Dr. Apel SPD 7264 C Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 7274 B Westphal SPD 7285 D Nächste Sitzung 7289 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 7291*A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 7291*B Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Oktober 1982 7213 121. Sitzung Bonn, den 13. Oktober 1982 Beginn: 11.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen * 15. 10. Dr. Bugl 15. 10. Coppik 15. 10. Frau Däubler-Gmelin 13. 10. Haar 15. 10. Haehser 15. 10. Hauck 15. 10. Heistermann 15. 10. Hoppe 15. 10. Jansen 15. 10. Jung (Lörrach) 15. 10. Kolb 13. 10. Kuhlwein 13. 10. Lowack 15. 10. Lampersbach 13. 10. Lenzer 14. 10. Müller (Bayreuth) 15. 10. Dr. Müller ** 15. 10. Dr. Olderog 13. 10. Offergeld 13. 10. Pfeifer 15. 10. Reuschenbach 13. 10. Rosenthal 14. 10. Schmidt (Wattenscheid) 15. 10. Schulte (Unna) 15. 10. Schröer (Mülheim) 15. 10. Volmer 15. 10. Weirich 15. 10. Dr. Wendig 15. 10. für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 8. Oktober 1982 beschlossen, gegen das Mietrechtsänderungsgesetz 1982 (MietRÄndG) Einspruch einzulegen. Das Schreiben des Präsidenten des Bundesrates wird als Drucksache 9/2024 verteilt. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 8. Oktober 1982 ferner beschlossen, den nachstehenden Gesetzen nicht zuzustimmen: Gesetz über die Erstellung von Übersichten über die üblichen Entgelte für nicht preisgebundenen Wohnraum (Mietspiegelgesetz - MSpG -) Gesetz zur Neubewertung unbebauter baureifer Grundstücke (Teilhauptfeststellungsgesetz 1983 - TeilhauptG 1983). Anlagen zum Stenographischen Bericht Die Schreiben des Präsidenten des Bundesrates werden als Drucksachen 9/2025 und 9/2026 verteilt. In der gleichen Sitzung hat der Bundesrat beschlossen, dem Sozialgesetzbuch (SGB) - Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten - zuzustimmen. Das Schreiben des Präsidenten des Bundesrates wird als Drucksache 9/2029 verteilt. In seiner Sitzung am 8. Oktober 1982 hat der Bundesrat beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Gesetz zur Durchführung der Dritten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Verschmelzungsrichtlinie-Gesetz) Gesetz zu dem Vertrag vom 9. Dezember 1980 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die gemeinsame Information und Beratung der Schiffahrt in der Emsmündung durch Landradar- und Revierfunkanlagen Gesetz zu dem Abkommen vom 6. November 1980 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen Gesetz über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1982 (Nachtragshaushaltsgesetz 1982) Zu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat folgende Entschließung angenommen: Der Bundesrat sieht von der Anrufung des Vermittlungsausschusses ab, weil angesichts des fortgeschrittenen Ablaufs des Haushaltsjahres 1982 eine grundlegende Umgestaltung des Bundeshaushalts 1982 auch durch Einschränkungen bei Leistungsgesetzen noch mit Wirkung für 1982 nicht mehr möglich ist. Das Nachtragshaushaltsgesetz spiegelt trotz einer Erhöhung der Nettokreditaufnahme um rund 7 Mrd. DM auf fast 34 Mrd. DM die wahre Haushaltslage des Bundes nur unvollständig wider. Die im Oktober vorgesehene Bekanntgabe aktualisierter gesamtwirtschaftlicher Daten sowie die nachfolgende Steuerneuschätzung werden für 1982 Mehrbelastungen durch Mindereinnahmen bei den Steuereinnahmen des Bundes in Höhe von ca. 3 Mrd. DM, aber auch Mehrausgaben bei verschiedenen konjunkturabhängigen Haushaltsansätzen nach sich ziehen; der Finanzierungssaldo dürfte sich wesentlich erhöhen. Schon jetzt überschreitet die Nettokreditaufnahme die durch Art. 115 GG gesetzte Grenze. Der Bundesrat sieht sich in seiner Stellungnahme im ersten Durchgang (Drucksache 230/82 - Beschluß -) bestätigt. Der Bundesrat erwartet unverzüglich eine realistische Bestandsaufnahme der Haushaltslage des Bundes. Die Vorsitzende des Finanzausschusses hat mit Schreiben vom 4. Oktober 1982 dem Präsidenten mitgeteilt, daß sie den Vorsitz des Finanzausschusses niedergelegt habe. Der Vorsitzende des Innenausschusses hat mit Schreiben vom 5. Oktober 1982 mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen hat: Vorschlag einer Verordnung (EGKS, EWG, EURATOM) des Rates zur Änderung der Verordnung (EGKS, EWG, EURATOM) Nr. 549/69 zur Bestimmung der Gruppen von Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften, auf welche die Artikel 12, 13 Absatz 2 und Artikel 14 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Gemeinschaften Anwendung finden (Drucksache 9/1416 Nr. 13) Vorschlag einer Verordnung (EGKS, EWG, EURATOM) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG, EURATOM, EGKS) Nr. 260/68 zur Festlegung der Bestimmungen und des Verfahrens für die Erhebung der Steuer zugunsten der Europäischen Gemeinschaften (Drucksache 9/1416 Nr. 14) 7292* Deutscher Bundestag — 9.Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Oktober 1982 Der Vorsitzende des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat mit Schreiben vom 30. September 1982 mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehende EG-Vorlage zur Kenntnis genommen hat: Empfehlung für eine Verordnung des Rates über den Abschluß eines Finanzprotokolls zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der demokratischen Volksrepublik Algerien Empfehlung für eine Verordnung des Rates über den Abschluß eines Finanzprotokolls zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der tunesischen Republik (Drucksache 9/1950 Nr. 51) Die in Drucksache 9/1950 unter Nummer 56 aufgeführte EG-Vorlage Vorschlag eines Beschlusses des Rates zur Änderung des Beschlusses 79/783/EWG des Rates vom 11. September 1979 zur Festlegung eines Mehrjahresprogramms (1979-1983) auf dem Gebiet der Datenverarbeitung wird als Drucksache 9/2015 verteilt.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alfred Dregger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren, man kann darüber diskutieren, ob unser Parteiensystem und unser Wahlsystem das bestmögliche sind. Ich selbst gehöre ja nicht gerade zu denen, die durch dieses Wahlsystem und durch dieses Parteiensystem begünstigt worden sind. Aber wenn wir schon dieses Wahlsystem haben, dann kann es kein Zweiparteiensystem geben, dann wird es immer ein Mehrparteiensystem geben.

    (Zuruf von der SPD: Das war nicht die Frage!)

    Wenn in diesem Mehrparteiensystem eine kleine politische Partei einen Sinn haben soll, dann kann es, so meine ich, doch nur der sein, den notwendigen Wechsel nicht zu blockieren, sondern ihn zu erleichtern und ihn herbeizuführen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zustimmung bei der FDP)

    Eine Freie Demokratische Partei, die nicht mehr zum Wechsel frei ist und die zum Anhängsel einer der beiden großen Parteien wird, gleichgültig ob der SPD oder der CDU/CSU, verliert ihre Existenzberechtigung. Deswegen glaube ich, daß die Führung der FDP auch im Interesse der Existenz ihrer Partei gehandelt hat,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    wenn auch sehr spät, aber nun endlich, als es gar nicht mehr anders ging, diesen Wechsel herbeizuführen.
    Ich möchte mich nun auch an Sie, die Damen und Herren der SPD-Fraktion, wenden. Ich möchte gerade nach den Vorgängen, beginnend mit der Rede des Herrn Professor Ehmke, die Frage an Sie richten: Wollen wir in dem jeweils anderen das personifizierte Böse sehen, auf das es einzuschlagen gilt? Ich will das nicht. Ich glaube auch, daß wir uns selbst, unseren Parteien und unserem Land einen sehr schlechten Dienst erweisen würden, wenn wir uns so verhielten. Unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger sind gerade in der jetzigen Wirtschafts- und Finanzkrise — und es ist ja auch eine geistige Krise — unseres Landes parteipolitischen Hickhack endgültig satt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie wollen Sachlichkeit, sie wollen Informationen, und sie wollen Argumentation und keine Beschimpfungen.

    (Dr. Hauff [SPD]: Aufrichtigkeit!)

    Herr Kollege Wehner hat 1969 an unsere Adresse nicht ohne Grund appelliert, wir müßten nun Opposition lernen. Jetzt gilt diese Mahnung für Sie, meine Damen und Herren von der SPD. Opposition kann bitter sein. Wer wüßte das besser als ich? Trotzdem: Opposition geringzuschätzen wäre ungerecht. Was uns von der Diktatur unterscheidet, ist nicht das Vorhandensein einer Regierung — die haben alle —, sondern das Vorhandensein einer Opposition.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Wir werden der Opposition mit dem Respekt begegnen, der ihr auf Grund ihrer verfassungsrechtlichen Rolle gebührt. Aber dieser Respekt erwächst, meine Damen und Herren, nicht nur aus Ihrer Stellung, sondern aus Ihrem Verhalten.
    Meine Erfahrung aus langer Oppositionszeit ist — wenn ich Ihnen dieses Betriebsgeheimnis verraten darf —: Je konstruktiver eine Opposition arbeitet, um so größer ist ihr Erfolg.

    (Lachen bei der SPD — Löffler [SPD]: Aber, Herr Dregger!)

    Ich erinnere daran, daß wir z. B. in Hessen die hessische Landesregierung bei allen schwierigen Projekten unterstützt haben, ganz anders als z. B. die niedersächsische SPD-Opposition die dortige CDU-Regierung.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Ihre eigenen Leute!)

    Wir haben sie bei allen Energieprojekten, beim Ausbau der Startbahn West usw. unterstützt. Das hat uns als Opposition nichts geschadet, genauso-wenig wie es uns geschadet hat, daß wir die verläßlichsten Partner der offiziellen Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung Schmidt/Genscher gewesen sind. Keiner hat das von Ihnen Beschlossene, z. B. den NATO-Doppelbeschluß, zuverlässiger unterstützt als die bisherige Opposition.

    (Wischnewski [SPD]: Deswegen haben Sie auch gegen den Grundvertrag gestimmt!)

    Ich glaube, das hat uns nichts geschadet.



    Dr. Dregger
    Herr Brandt sucht nach einer neuen Mehrheit links von der CDU. Er will vieles integrieren: Friedensbewegung, Frauenbewegung, ökologische Bewegung, Grüne und Rote. Das ist, Herr Kollege Brandt, ein interessanter Versuch, den man nicht prinzipiell ablehnen kann, auch wenn bei diesen Bewegungen Kommunisten einige Fäden ziehen.
    Warnen muß ich jedoch vor dem Versuch, diese Integration durch unmittelbare oder mittelbare Regierungsbeteiligung zu erreichen. In Hamburg ist das gescheitert. Ich bin überzeugt, es wird auch in Hessen scheitern. Eine demokratische Partei, die sich in die Abhängigkeit von Grünen und Alternativen begibt, wird allein dadurch regierungsunfähig. Die Vorstellungen der Grünen und Alternativen sind für eine dem Ganzen verpflichtete demokratische Partei nicht kompromißfähig.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Kommen Sie eigentlich noch zur Regierungserklärung?)

    Mit der Ablehnung von Wirtschaftswachstum — und wenn wir zwei Millionen Arbeitslose in Arbeit bringen wollen, bedeutet das doch Wirtschaftswachstum —, mit der Ablehnung moderner Techniken, z. B. der Kernenergie, mit den Vorstellungen der Grünen zur Kreislaufwirtschaft,

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Wann kommen Sie zur Regierungserklärung?)

    die man nur als niedlich bezeichnen kann, mit all dem kann die Massenarbeitslosigkeit nicht gestoppt und erst recht nicht beseitigt werden. Denn Vollbeschäftigung ist für uns eine Frage der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und nicht der Sandkastenspiele einiger Phantasten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Genauso gilt: Mit den pazifistischen Vorstellungen der Grünen und Alternativen, die leider weit in die SPD hineinreichen, können wir weder den Frieden noch die Freiheit erhalten. Mit Pazifismus würden wir an der Grenze von Ost und West beides sehr bald verlieren. Ohne Bundeswehr und ohne NATO hätten wir die Zustände, die heute in Polen herrschen, und die kann ich nicht als friedlich bezeichnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Angesichts dieser Herausforderung muß sich die SPD entscheiden, was sie sein will, eine Partei der Industriegesellschaft, eine Partei der wehrhaften Demokratie oder einer Partei der grün-roten Verweigerung. Solange Sie, meine Damen und Herren, das nicht entschieden haben, sind Sie nicht regierungsfähig, gleichgültig welchen Kanzlerkandidaten Sie aufstellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Zuruf der Abg. Frau Dr. Timm)

    Auch die sogenannten Bewegungen wie Frauenbewegung, Friedensbewegung, ökologische Bewegung, gehören zu dem politischen Umfeld, in dem Regierung und Parlament Politik zu machen haben. Was mich an diesen Bewegungen stört, ist nicht nur
    der diffuse und historisch belastete Begriff „Bewegung".

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Sie haben das verkehrte Manuskript!)

    So undeutlich, wie dieser Begriff ist, sind ja auch die Vorstellungen, die in diesen Bewegungen vertreten werden. Vielleicht ist dieses Diffuse, dieses allein vom Gefühl Getragene, dieses zutiefst Irrationale etwas typisch Germanisches. Wenn es das sein sollte, dann berührt es allerdings die schlechte Seite unseres Volkscharakters.

    (Zuruf von der SPD: Wieso denn germanisch?)

    Natürlich sind die Anhänger dieser Bewegungen, von Ausnahmen abgesehen, keine bewußten Gegner unserer freiheitlichen Demokratie. Unter ihnen befinden sich gewiß ehrenwerte Menschen, die desinformiert und fehlgeleitet sind. Jeder von uns sollte sich fragen, ob und inwieweit er mitverantwortlich für diese Fehlentwicklungen ist, die übrigens sämtlich unter der Kanzlerschaft unseres Kollegen Schmidt ins Leben getreten sind. Sie, Herr Kollege Schmidt, haben sich in Ihrer Eigenschaft als Bundeskanzler für geistige Führung als nicht zuständig erklärt, obwohl doch politische Führung ein Teil der geistigen Führung ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich meine, daß die geistige Krise, die Orientierungslosigkeit in Teilen unseres Volkes, insbesondere in Teilen der Jugend, auch auf dieses falsche Amtsverständnis des früheren Bundeskanzlers zurückzuführen ist. Aus der Regierungserklärung des neuen Bundeskanzlers heute morgen ist hervorgegangen, daß er in dieser Hinsicht ein ganz anderes Amtsverständnis hat und überzeugt ist, daß es nicht nur finanzielle und ökonomische Defizite gibt, sondern auch geistige und moralische Defizite, die wir aufarbeiten müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Wir, die CDU/CSU, denken nicht daran, die Anhänger dieser Bewegungen politisch aufzugeben. Wir werden um sie werben, aber wir werden es nicht durch Anpassung tun und erst recht nicht durch den Versuch, sie unmittelbar oder mittelbar an der Regierungsverantwortung zu beteiligen. Wir werden es tun durch Klarheit und durch unsere Bereitschaft, mit ihnen unbegrenzt zu sprechen und zu diskutieren.
    Meine Damen und Herren, nach der Beschreibung des politischen Umfeldes, in dem die neue Regierung ihren gewiß nicht leichten Weg zu gehen hat, möchte ich einige wenige Bemerkungen zu ihrem Programm machen,

    (Zuruf des Abg. Wolfram [Recklinghausen] [SPD])

    das j a von dem Herrn Bundeskanzler selbst überzeugend dargelegt wurde und das von den zuständigen Ministern in der weiteren Debatte erläutert werden wird.



    Dr. Dregger
    Es ist ein Regierungsprogramm der Konzentration,

    (Zuruf von der SPD: Auf 27 Seiten!)

    der Konzentration auf das Wesentliche und auf das in den Monaten bis zum 6. März Notwendige,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    ein Programm der Konzentration, das allerdings die geistigen und moralischen Aspekte

    (Zuruf von der SPD: Außer acht läßt!)

    nicht unerwähnt gelassen hat, sondern breit darauf eingegangen ist. Ich sehe also keinen Mangel in der Tatsache, daß sich dieses Programm, das ja nicht für vier Jahre, sondern für wenige Monate gemacht worden ist, auf das Wichtige und Wesentliche konzentriert, auf die Probleme, die jetzt, in den nächsten Wochen und Monaten, zu lösen sind. Zu diesem Programm möchte ich, noch mehr begrenzend, einige Feststellungen treffen.
    Erstens. Bis zum 6. März nächsten Jahres kann die neue Regierung die zerrütteten Staatsfinanzen nicht sanieren und die dramatisch steigende Massenarbeitslosigkeit nicht stoppen. Sie kann nur erste Notmaßnahmen ergreifen und erste Weichen in eine bessere Zukunft stellen, um in Ordnung zu bringen, was in vielen Jahren durch völlige Fehleinschätzung der Wirklichkeit, durch Unfähigkeit, auf Herausforderungen, die von außen an uns herankamen, zu reagieren, und durch ideologische Verblendung in Unordnung gebracht wurde. Das, was in vielen Jahren angerichtet worden ist, kann nicht in wenigen Monaten wieder alles in Ordnung gebracht werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dazu ist mindestens eine ganze Legislaturperiode notwendig, die es ohne Neuwahlen nicht geben wird.
    Zweitens. Wenn der Karren so tief im Dreck steckt wie jetzt, fehlen ganz einfach die Ressourcen, um jetzt überall das zu tun, was theoretisch richtig wäre. Theoretisch richtig wäre es jetzt, die Steuern zu senken, um Anreize für Investitionen zu geben,

    (Zuruf von der SPD: Wie in Amerika!)

    ferner die staatlichen Kreditaufnahmen zu verringern, um der Bundesbank einen größeren Spielraum für Zinssenkungen zu geben,

    (Zuruf von der SPD: Und was tun Sie?)

    und schließlich die staatlichen und kommunalen Investitionsausgaben zu erhöhen, um damit die Ausfälle, die es in der Privatwirtschaft gibt, auszugleichen.

    (Conradi [SPD]: Deswegen muß die Gewerbesteuer erhöht werden!)

    Zur Zeit geschieht auf allen drei Feldern das genaue Gegenteil. Es ist auch nicht möglich, das ruckartig auf allen Feldern zu ändern, weil die Kassen leer sind,

    (Zuruf von der SPD: Auf einmal!)

    weil die Neuverschuldung dramatisch steigt, weil 1 allein die Zinslast der alten Schulden zur Aufnahme von neuen Schulden zwingt und weil der große Block der staatlichen Personalausgaben und der Transferleistungen uns jeden Handlungsspielraum genommen hat.
    An die Adresse der Wirtschaftstheoretiker geht daher mein Hinweis: Ratschläge, die von der nicht vorhandenen Situation eines ordentlich geführten Gemeinwesens ausgehen, das in guten Jahren für schlechte Jahre Reserven ansammelt, um mit ihnen Krisen bewältigen zu können,

    (Stockleben [SPD]: Wie bei AEG!)

    Ratschläge, die von dieser Ausgangslage ausgehen, sind wertlos, weil unser Gemeinwesen in den letzten Jahren nicht ordentlich geführt worden ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Drittens. Die Regierung muß jetzt zwei Dinge gleichzeitig tun, die sich beinahe gegenseitig ausschließen. Sie muß die immer schneller werdende Fahrt in den finanziellen Abgrund bremsen, um sie schließlich stoppen zu können, und sie muß, was noch wichtiger ist, gleichzeitig der steigenden Massenarbeitslosigkeit entgegentreten, um sie ebenfalls zunächst zu bremsen, um sie dann zu stoppen und um schließlich zur Vollbeschäftigung zurückzuführen. Ohne Vollbeschäftigung gibt es keine durchgreifende Sanierung der Staatsfinanzen, und ohne erste Erfolge in der Sanierung der Staatsfinanzen gibt es keine Vollbeschäftigung. Das zeigt den schmalen Grat, auf dem wir uns bewegen müssen, und die schwere Erblast, die uns zwei SPD-Kanzler hinterlassen haben.
    Viertens. Arbeitsplätze fallen weg, wenn sie unrentabel werden. Das gilt unmittelbar für die Arbeitnehmer der Privatwirtschaft; es gilt schließlich auch für den öffentlichen Dienst, wenn dieser von der Volkswirtschaft nicht mehr finanziert werden kann. Die Schuldenaufnahmen, die seit Jahren notwendig sind, um laufende Ausgaben zu finanzieren, machen deutlich, daß diese Grenze inzwischen erreicht ist.
    Nach den Berichten der unabhängigen Deutschen Bundesbank aus den letzten Jahren haben die Rentabilität und die Eigenkapitalquote der deutschen Wirtschaft einen Tiefstand erreicht. Wer die Konkurswelle und mit ihr die Massenarbeitslosigkeit stoppen will, darf daher unsere Unternehmen nicht weiter belasten. Die Belastungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ist von Ihnen wirklich getestet, ja über das erträgliche Maß hinaus ausgereizt worden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wer die Konkurswelle stoppen will, muß unsere Unternehmen zumindest mittelfristig entlasten von den überhöhten Zinskosten — was auch mit der Staatsverschuldung zusammenhängt —, von den überhöhten Steuern und Abgabenkosten und von den zu hoch werdenden Energiekosten, was auch mit der Energiepolitik zu tun hat.
    Er muß auch bereit sein, in der Lohnpolitik auf unsere gegenüber früher verminderte internatio-



    Dr. Dregger
    nale Wettbewerbsfähigkeit Rücksicht zu nehmen. Wir sind leider nicht mehr die Besten; wir sind es gerade nicht in den Zukunftstechnologien, in der Mikroelektronik, in der Informations- und Kommunikationstechnik, und in anderen wichtigen Bereichen ebenfalls nicht. Die neue Regierung wird auf diesen Feldern viele ideologische Barrieren wegräumen können und wegräumen müssen. Die Ankündigungen sprechen dafür.
    Fünftens. Wenn sich die deutschen Arbeitnehmer zum ersten Male nach dem Kriege steigender Massenarbeitslosigkeit und sinkenden Reallöhnen ausgesetzt sehen, sollten sie sich bei denen bedanken, die den technischen Fortschritt in unserem Lande blockiert und die anderen Kosten in die Höhe getrieben haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es gibt nur einen Weg zur Vollbeschäftigung: Rückkehr Deutschlands an die Spitze des technischen Fortschritts, was auch unsere Bildungs- und Forschungspolitik berührt. Wir müssen unsere zum Teil kaputtreformierten Universitäten wieder in den Stand versetzen, wissenschaftliche Höchstleistungen zu erbringen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Ein wichtiges Thema der Bundespolitik!)

    Wir müssen auch die Gesamtkosten in Grenzen halten, von denen die Lohnkosten ja nur ein Teil sind, damit wir auch den Preiswettbewerb gegenüber den fortgeschrittenen Entwicklungsländern und den sozialistischen Ländern mit ihrem niedrigen Lebensstandard bestehen können.
    Sechstens. Ich halte nichts von Einseitigkeiten bei der Frage, ob unsere Politik angebots- oder nachfrageorientiert sein sollte. Beides ist natürlich notwendig. Aber das Problem liegt heute nicht bei der Massenkaufkraft. Die Nachfrage, der Konsum ist wesentlich schneller gesunken als die Realeinkommen, die leider auch gesunken sind. Angstsparen hat Konsumfreude abgelöst. Das wird sich nur ändern, wenn das Vertrauen in die Stabilität und in die Zukunft der deutschen Wirtschaft zurückkehrt.
    Was Verbraucher verunsichert, verunsichert auch Investoren. In den 50er und 60er Jahren war Deutschland der beliebteste Industriestandort der Erde. Aus aller Welt kam Kapital nach Deutschland, wurde hier investiert. Hier wurden Arbeitsplätze geschaffen, hier entstand Vollbeschäftigung und schließlich Überbeschäftigung. Heute ist es so, daß ein Teil des ausländischen Kapitals hier gar nicht mehr ankommt, sondern in andere Länder geht, und daß deutsches Kapital verstärkt ins Ausland gegeben wird.
    Um das zu ändern, ist mehr notwendig als eine bessere Wirtschafts- und Finanzpolitik. Notwendig sind auch eine Rückkehr des Vertrauens in die innere und äußere Sicherheit unseres Landes sowie ein Meinungsklima, das nicht industriefeindlich, sondern bereit ist, die Notwendigkeiten der technischen Zivilisation, aus der wir nicht aussteigen können, zu respektieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Am schwierigsten ist es sicherlich, ökonomische und soziale Erfordernisse zur Deckung zu bringen. Wer volle Ausgewogenheit verlangt, muß neben den notwendigen Kürzungen erhebliche Steuer- und Abgabenerhöhungen verlangen; denn das erste trifft j a die weniger gut Gestellten und das zweite vor allem die sogenannten Besserverdienenden, zu denen wir j a auch die Mittelschichten einschließlich der Facharbeiter rechnen müssen.

    (Zuruf von der SPD: Wieso „sogenannte" Besserverdienende?)

    Aber ökonomisch ist zu beachten, daß in einer Zeit sinkender Rentabilität und schrumpfenden Eigenkapitals, das die Zinsbelastung der deutschen Wirtschaft verschärft, eine Erhöhung auch noch der Abgabenbelastung für den Aufstieg aus der Krise Gift wäre. Deshalb werden laut Regierungserklärung die Mehreinnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung vom 1. Juli 1983, anders als von der alten Bundesregierung vorgesehen — ich zitiere wörtlich —, „in demselben Gesetz Bürgern und Betrieben zurückgegeben".
    Denn eines ist doch klar: Wer wäre bereit, durch Investitionen neue Arbeitsplätze zu schaffen, wenn die zu erwartende Rendite selbst im Falle des Gelingens weit geringer bliebe als der Zinssatz bei normalen Bankeinlagen?
    Siebtens. Die soziale Komponente müssen wir auch und vor allem dadurch wirksam werden lassen, daß wir die Sozialausgaben auf diejenigen konzentrieren, die ihrer bedürfen. Es ist doch schlimm, daß auf der einen Seite diese Ausgaben in den 70er Jahren vervierfacht wurden, auf der anderen Seite trotzdem nicht wenige an oder unter der Armutsgrenze in unserem Lande leben müssen. Das zu ändern ist eine herkulische Aufgabe für den neuen Arbeitsminister. Wir sollten ihn dabei alle unterstützen. Mit dem Totschlagsargument der „sozialen Demontage" ist den Betroffenen und der Gesamtheit jedenfalls nicht gedient.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Achtens. Ich will nicht verschweigen, daß uns manche jetzt vorgesehenen Maßnahmen wehtun, zum Teil sehr wehtun, und daß wir manchen Entscheidungen nur mit großem Widerwillen zustimmen. Das gilt für alles, was den Bereich der Familienpolitik berührt. Dieser Bereich, unser Herzensanliegen, war Hauptthema der Diskussion in der CDU/CSU-Fraktion am gestrigen Tage.
    Aber wir sind zu dem Ergebnis gekommen: Noch schlimmer als Eingriffe ins Familiengeld trifft Arbeitslosigkeit Hunderttausende von Familien. Nur Vollbeschäftigung gibt uns die finanzielle Kraft, unsere familienpolitischen Ziele zu verwirklichen.
    Bis dahin sind Eingriffe leider unvermeidlich. Wir wollen, daß diese Eingriffe, anders als es die alte Bundesregierung vorgesehen hatte, nicht alle, sondern nur die Besserverdienenden treffen. Die vor-
    Deutscher Bundestag — 9.Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Oktober 1982 7253
    Dr. Dregger
    gesehenen Kürzungen des Kindergelds wirken sich nur bei Familien mit einem Bruttoeinkommen von knapp 60 000 DM, bei drei und vier Kindern von ca. 70 000 DM bzw. 80 000 DM aus. Familien mit niedrigerem Einkommen — und das ist mehr als die Hälfte — werden ungekürzt ihre Familienleistungen wie in der Vergangenheit bekommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir wollen statt des bisherigen Kinderbetreuungsfreibetrags einen echten, wenn auch niedrigeren Kinderfreibetrag, den alle Familien bekommen, nicht nur diejenigen, die z. B. ein Kindermädchen unterhalten können, was ja die Voraussetzung dafür war, solche oder ähnliche Leistungen in Anspruch nehmen zu können.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Wir wollen schließlich das Ehegattensplitting nicht abschaffen oder einschränken, wie es die alte Regierung wollte, sondern zum 1. Januar 1984 ausbauen zum Familiensplitting,

    (Zuruf des Abg. Wolfram [Recklinghausen] [SPD])

    damit in Zukunft die Zahl der Kinder, auf die es doch vor allem ankommt, berücksichtigt werden kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Der Kinder der Reichen!)

    Ich möchte allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion versichern, daß wir an unseren familienpolitischen Zielen festhalten werden.

    (Zander [SPD]: Vor allem den Mitbürgern mit über 100 000 DM Jahreseinkommen!)

    Wenn wir sie nicht sämtlich heute verwirklichen können, dann ist es nicht unsere Schuld, dann liegt es ja gewiß nicht an uns, die wir dieses Erbe übernehmen mußten.
    Meine Damen und Herren, die vor uns liegenden Aufgaben sind schwer. Aber wir haben jetzt eine Regierung, die sie lösen kann. Denn diese Regierung ist handlungsfähig, weil sich der Deutsche Bundestag als handlungsfähig erwiesen hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Diese Bundesregierung ist fähig, die Aufgabe in Angriff zu nehmen, der sich die SPD nicht stellen wollte.

    (Zuruf von der SPD: Falsch!)

    Der SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz hat im „Vorwärts" noch am 12. August 1982 selbst eingeräumt: Die SPD und damit auch die Bundesregierung haben die Krise, in der wir heute stehen, mit verursacht.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Sie haben sich „zu spät auf die notwendigen sozial-und wirtschaftspolitischen Folgen dieser Wirtschaftskrise eingestellt".
    Es ist gewiß richtig, was Herr Glotz gesagt hat. Daß diese Wirtschaftskrise durch die falsche Politik
    der SPD ganz wesentlich mit verursacht worden ist, hat Herr Glotz verschwiegen. Professor Karl Schiller, der damals Ihrer Partei angehörte und ihr jetzt wieder angehört, hat es vor genau zehn Jahren in seinem Abschiedsbrief an den Bundeskanzler Brandt zum Ausdruck gebracht. Ich zitiere Karl Schiller aus seinem Brief, den er vor zehn Jahren an Bundeskanzler Brandt geschrieben hat:
    Ich bin nicht bereit, eine Politik zu unterstützen, die nach außen den Eindruck erweckt: „nach uns die die Sintflut". Ich bin auch nicht bereit, dann womöglich noch von meinem Amtsnachfolger in einer neuen Regierung als Hauptschuldiger für eine große „Erblast" verantwortlich gemacht zu werden.
    So Karl Schiller in seinem Brief an den Bundeskanzler Brandt vor zehn Jahren.
    Jetzt, meine Damen und Herren,

    (Matthöfer [SPD]: Ist er wieder Mitglied!)

    ist die „Sintflut" der Massenarbeitslosigkeit da. Die „Erblast" einer astronomischen Staatsverschuldung droht uns zu erdrücken. Wozu Karl Schiller und sein Vorgänger Alex Möller als Bundesfinanzminister nicht bereit waren — der dritte Bundesfinanzminister der SPD, Herr Kollege Schmidt, war dazu bereit. Aus dem Amt des Bundesfinanzministers wechselte er in das Amt des Bundeskanzlers. In seiner Amtszeit als Bundesfinanzminister und Bundeskanzler wurde die Bundesrepublik, die 1969 noch nahezu schuldenfrei war — die Netto-Neuverschuldung aus 20 Aufbaujahren betrug ganze 14 Milliarden DM —, zu einem Land mit galoppierender Staatsverschuldung. Es gibt keinen Politiker in Deutschland, der so sehr persönliche Verantwortung für das Finanzdesaster mit allen seinen Folgen trägt wie der soeben aus dem Amt geschiedene Bundeskanzler Helmut Schmidt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Matthöfer [SPD]: Deswegen müssen wir noch 5 Milliarden DM mehr Schulden machen!)

    Im Grunde, Herr Kollege Schmidt, können Sie dem Schicksal dankbar sein, daß Sie rechtzeitig aus dem Amt scheiden konnten und daß wir es auf uns genommen haben, mit Ihrer „Erblast", vor der Karl Schiller vor zehn Jahren gewarnt hat, fertig zu werden.
    Zweitens. Diese Bundesregierung ist aber nicht nur handlungsfähig, weil sich der Bundestag durch Bildung einer neuen Mehrheit als handlungsfähig erwiesen hat, sie ist vor allem handlungsfähig, weil sie der Unterstützung durch die gesamte Unionsfraktion und die Mehrheit der FDP-Fraktion sicher sein kann.
    Drittens. Diese Bundesregierung ist auch handlungsfähig, weil die stärkste Fraktion wieder den Bundeskanzler stellt und wir damit zur demokratischen Normalität zurückgekehrt sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Viertens. Diese Bundesregierung ist handlungsfähig, weil ihr Programm nicht auf geschönten Zah-



    Dr. Dregger
    len beruht, sondern wahrhaftig ist, weil es nicht utopische, sondern realistische Ziele ansteuert,

    (Matthöfer [SPD]: Wer ist denn federführend für die neue Schätzung?)

    weil es sachgerecht ist. Der Sachverständigenrat hat soeben in dem noch von der alten Regierung in Auftrag gegebenen Sondergutachten erklärt, daß die Gesamtrichtung unserer neuen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik richtig ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Diese Bundesregierung ist schließlich handlungsfähig, weil sie sich auf einen tatkräftigen Bundeskanzler

    (Zander [SPD]: Das wird sich erst noch herausstellen!)

    und eine erstklassige Ministermannschaft stützen kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Diese Regierung verdient den Vertrauensvorschuß, den sie für ihre schwere Aufgabe benötigt. Ich rufe allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern zu: Geben Sie dieser Regierung eine Chance!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Den Investoren rufe ich zu: Warten Sie nicht auf den 6. März nächsten Jahres! Wenn diese Regierung am 6. März scheitern würde, wäre eine grünrote Verweigerungskoalition die Folge, und dann wäre es ohnehin mit dem wirtschaftlichen Aufschwung auf Dauer zu Ende.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Unverschämt, Herr Dregger!)

    Das darf nicht sein. Hamburg und Hessen beweisen das doch.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Unser Land braucht einen neuen Anfang, unsere Jugend braucht eine sichere, freie und selbstgestaltete Zukunft.

    (Zuruf von der SPD: Zimmermann!) Deshalb bitte ich alle! Packen Sie mit uns an! Lassen Sie uns gemeinsam neu beginnen!


    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

(Zander [SPD]: Jetzt kommt der Mende der 80er Jahre!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Koalition der Mitte aus FDP, CDU und CSU

    (Zurufe von der SPD: ... der Rechten!)

    — man muß nur weit genug links stehen, dann erscheint der Rest der Welt rechts —,

    (Beifall bei der FDP und bei der CDU/ CSU)

    stellt sich ihrer Verantwortung in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage und in einer Zeit unverminderter internationaler Spannungen. Wir wollen die Kontinuität, die Berechenbarkeit und die Klarheit deutscher Außen- und Sicherheitspolitik gewährleisten.

    (Liedtke [SPD]: Die Wahrheit gegenüber dem Wähler!)

    Wir wollen die wirtschaftliche und gesellschaftliche Erneuerung unseres Landes bewirken und damit auch die Kräfte für eine wirksame Bekämpfung der Arbeitslosigkeit freisetzen. Wir wollen unseren freiheitlichen Rechtsstaat sichern und ausbauen.
    Seit dem 17. September sind schlimme Worte gefallen:

    (Liedtke [SPD]: Dafür mußte Herr Baum gehen!)

    Von „finsteren Machenschaften" und vom „Ausharken" demokratischer Parteien war die Rede. Hier ist die Sprache verräterisch, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der FDP und bei der CDU/ CSU)

    Es wird der Versuch gemacht, den Wechsel innerhalb einer Legislaturperiode als etwas Undemokratisches, ja Illegitimes erscheinen zu lassen.

    (Zurufe von der SPD)

    Aber war es nicht die Sozialdemokratische Partei, die 1966 im Bund als erste einen solchen Wechsel innerhalb einer Legislaturperiode möglich machte, ohne vorher den Wähler zu befragen, dem sie doch vorher für diese Legislaturperiode einen sozialdemokratischen Bundeskanzler versprochen hat?

    (Beifall bei der FDP und bei der CDU/CSU — Conradi [SPD]: Neuwahlen! — Roth [SPD]: Wer hat denn den Erhard gekippt? Das ward doch ihr! — Weitere Zurufe von der SPD)

    War es nicht die SPD, die 1966 zusammen mit der CDU/CSU den Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger wählte und die Große Koalition bildete?
    Wir haben damals als Opposition diese Regierung hart bekämpft. Aber die Legitimität der Regierungsbildung haben wir niemals bestritten. Sie aber haben damals so wenig von Neuwahlen gesprochen wie 1956, als ähnliches in Nordrhein-Westfalen geschehen war. Wahlen wurden weder 1956 noch 1966 vorgezogen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Doppelte Moral!)

    Wir aber werden am 6. März des nächsten Jahres Neuwahlen durchführen und uns dem Urteil der Wähler stellen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Deutscher Bundestag — 9.Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Oktober 1982 7255
    Bundesminister Genscher
    An der Herbeiführung dieser Neuwahlen mitzuwirken, wie wir sie für den 6. März 1983 wollen, sollte jedes Mitglied des Deutschen Bundestages als seine Pflicht betrachten.
    Der frühere Bundeskanzler hat nach Beendigung der Regierungskoalition aus SPD und FDP am 17. September 1982 bis zum 1. Oktober, also dem Tag, an dem ein neuer Bundeskanzler gewählt wurde, die Möglichkeiten, die das Grundgesetz gibt, Neuwahlen in Gang zu setzen, nicht genutzt.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Er hat nicht die Vertrauensfrage gestellt, und er ist nicht zurückgetreten, obwohl er doch Bundeskanzler einer Minderheitsregierung war. Die Verfassung will aber keine Minderheitsregierung; denn sie zieht die Lehren aus der Weimarer Zeit.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Diese Verfassung will aber auch nicht Vereinbarungen, durch die Fraktionen auf das verfassungsmäßige Recht zur Mehrheitsbildung verzichten, auch wenn sie eine Mehrheit bilden können, nur um dem amtierenden Regierungschef die Führung des Wahlkampfes als Bundeskanzler zu ermöglichen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Bevor wir am 6. März des nächsten Jahres diese Neuwahlen abhalten, wollen wir das Haus in Ordnung bringen,

    (Lachen bei der SPD)

    d. h. den Bundeshaushalt und die Spargesetze verabschieden. Wir laufen unserer Verantwortung in der Sache nicht davon. Auch das ist unser Wählerauftrag.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die liberale Partei ist eben mehr als ein Kanzlerwahlverein.

    (Zurufe von der SPD)

    Die Zusammenarbeit endet dort, wo einer der beiden Koalitionspartner nicht mehr in der Lage ist, das gemeinsame Programm durchzuführen.
    Zu einem Thema, meine Damen und Herren von der SPD, haben Sie in den letzten Wochen doch beharrlich geschwiegen, nämlich zu der Frage, warum Sie sich seit Oktober 1980 Schritt für Schritt — die einen mehr, die anderen weniger — von der Politik der Bundesregierung aus SPD und FDP entfernt haben.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    In Wahrheit kam doch die Auflösung der Koalition am 17. September nur der offenen Aufkündigung der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung durch die SPD zuvor.

    (Zurufe von der SPD — Dr. Waigel [CDU/ CSU]: Da hat jemand „Lügner" gerufen!)

    In der Aussprache des Deutschen Bundestages am 9. September 1982 habe ich erklärt: Der Haushalt 1983 wird zu einer Bewährungsprobe unserer
    Regierungskoalition. Sie wußten, daß Sie diese Bewährungsprobe nicht bestehen würden.

    (Zuruf von der SPD: Das glauben Sie doch selber nicht, Herr Genscher!)

    Oder stimmt es etwa nicht, daß in der Fraktionssitzung der SPD am 30. Juni 1982 der damalige Bundeskanzler erklärt hat — ich zitiere wörtlich —:
    Einige haben bemerkt, daß in diesem Paket nicht genug getan werde zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Ich sage denen: Dies ist leider wahr. Wer mehr tun will, muß in die Geld- und Sozialleistungen tiefer hineinschneiden, als es in dem Kompromißpaket von mir vorgeschlagen wurde. Von den beiden Möglichkeiten scheitert die eine,
    — so sagte der damalige Bundeskanzler —
    es nämlich durch höhere Kreditaufnahmen zu finanzieren, an mir. Ich kann das nicht verantworten. Die zweite Möglichkeit
    — sagte er an Ihre Adresse, an die der SPD-Fraktion —
    scheitert an euch. Wer mehr für die beschäftigungswirksamen Ausgaben des Staates tun will, muß tiefer, noch viel tiefer als hier in die Sozialleistungen reinschneiden.
    Meine Damen und Herren, „scheitert an euch", das ist die Wahrheit über das Scheitern der alten Regierung.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Und Scheitern bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, da. kann, das darf sich keine Bundesregierung leisten.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Es war die Blockade des wirtschaftlich Notwendigen, die Blockade des in einer Marktwirtschaft dringend Erforderlichen durch die gesellschaftspolitischen Vorstellungen des Münchener Parteitages der SPD.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Der Münchener Parteitag hat die Sozialdemokratische Partei endgültig eingeholt.

    (Zuruf von der SPD: Eine Lüge!)

    — Wenn ich sage, daß Sie die Beschlüsse des Münchener Parteitages vertreten, können Sie doch nicht sagen, daß das eine Lüge sei. Wissen Sie eigentlich, was Sie da über sich selbst sagen?

    (Roth [SPD]: Sie sollen Ihren Parteitag in Berlin überstehen! Gehen Sie erst mal zu Ihrem Parteitag! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Meine Damen und Herren von der SPD, das war, so lange Sie Regierungspartei waren, nicht nur Ihr eigenes Problem, es war auch nicht nur ein Problem Ihres damaligen Koalitionspartners, der FDP. Die immer stärker werdende Kluft zwischen Regierungspolitik und den Bestrebungen der SPD hat



    Bundesminister Genscher
    das Vertrauen in die Wirtschaftspolitik der damaligen Regierung untergraben. Und ohne Vertrauen gibt es keine Investitionen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Der Münchener Parteitag war ein politisches, ein ökonomisches und ein psychologisches Signal, aber ein Signal gegen die Wiederbelebung unserer Wirtschaft.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Selbst die Beschlüsse der Bundesregierung vom 1. Juli wurden doch den ganzen Sommer über von der SPD in Frage gestellt.

    (Frau Dr. Timm [SPD]: Irrtum!)

    Zusätzliche Sparmaßnahmen erschienen nicht mehr durchsetzbar oder, um es zu sagen,

    (Wehner [SPD]: Um es zu lügen!)

    wie es in der eben zitierten Rede gesagt wurde: „scheitern an euch".
    Und diejenigen, die 24 Stunden lang gemeint hatten, das, was jetzt zwischen FDP und CDU/CSU wirtschafts-, finanz- und sozialpolitisch vereinbart wurde, hätte man auch mit der SPD erreichen können,

    (Dr. Linde [SPD]: Nein, hätten Sie nicht! — Matthöfer [SPD]: Sie werden einige hunderttausend Arbeitslose mehr erzeugen! — Gegenrufe von der CDU/CSU)

    wurden durch die brüske Ablehnung der Vorschläge schnell eines Besseren belehrt.

    (Unruhe bei der SPD — Abg. Liedtke [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Nein, ich möchte meine Rede ungestört zu Ende führen können.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Es geht nicht, wie Mitglieder der damals noch amtierenden Bundesregierung meinten, um ein Zurück zur „Ellenbogen-Gesellschaft". Aber es geht darum, daß Verantwortung an die Stelle von Anspruchsdenken tritt. Es geht darum, die Verantwortungsgesellschaft an Stelle der Anspruchsgesellschaft zu schaffen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die Legende um den Wechsel in Bonn, kunstvoll gewoben, wird mit jeder Entscheidung zur Sanierung des Bundeshaushalts, bei der Sie sich der Mitwirkung versagen, obwohl Sie doch Mitverantwortung tragen, kürzere Beine bekommen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die Eröffnungsbilanz der neuen Bundesregierung, die der Bundeskanzler heute vorgetragen hat, und das Gutachten der Sachverständigen

    (Zuruf von der SPD: Die Sachverständigen sagen das Gegenteil! — Weitere Zurufe von der SPD)

    beschreiben die Lage, in der wir uns befinden. Das erlaubt niemandem eine Ausflucht. Ein Sprecher der SPD hat gemeint, das Sachverständigengutachten sei eine schallende Ohrfeige für die neue Mehrheit. Nein, meine Damen und Herren, dieses Sachverständigengutachten ist eine schallende Ohrfeige für diejenigen, die nicht erkennen wollen, daß wir das Steuer herumreißen müssen.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    In Ihren Versammlungen draußen sagen Sie, unsere Politik sei eine Politik des Totsparens. Nein, meine Kollegen von der SPD,

    (Wehner [SPD]: Wir sind nicht Ihre Kollegen!)

    es ist nicht eine Politik des Totsparens. Es geht um das Gesundsparen in unserer Gesellschaft.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Der frühere Bundeskanzler hat diese Entwicklung seiner Partei wohl vorausgeahnt und vorausgesehen. So kam es, daß er Bedenken dagegen hatte, in die Regierungserklärung von 1980 ein Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft aufzunehmen.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

    Dafür wehrte er sich auf dem Münchener Parteitag aber nicht gegen die wirtschafts- und sozialpolitischen Beschlüsse, die doch seiner Meinung nicht entsprochen haben können.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: So war es!)

    Er wußte, schon der Versuch, sich zu wehren, wäre aussichtslos gewesen.

    (Widerspruch bei der SPD — Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Was halten Sie denn von Freiburg?)

    Er wäre so aussichtlos gewesen wie der Versuch, in der Sozialdemokratischen Partei tragende Elemente unserer Sicherheitspolitik noch durchzusetzen, so wie das in der Bundesregierung beschlossen und im Bündnis vereinbart war.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Wehner [SPD]: Das ist eine Unverschämtheit! Genscher gleich Verleumder! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Das ist die Wahrheit über das Scheitern der Regierungskoalition aus FDP und SPD.

    (Widerspruch bei der SPD — Zuruf von der SPD: Unwahrheit!)

    Das ist die Wahrheit — nicht geheime Koalitionsverhandlungen, die es nicht gegeben hat.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Widerspruch und Zurufe von der SPD)

    Am Ende der Regierung aus SPD und FDP stand die Verabschiedung der SPD aus wichtigen Teilen der gemeinsamen Politik.

    (Kühbacher [SPD]: Können Sie das auf Ihren Eid nehmen, Herr Genscher? — Weitere Zurufe von der SPD)