Rede von
Dr.
Alfred
Dregger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Kollege, ich glaube, daß es völlig gleichgültig ist, ob es das eine oder andere ist. Als ich von meinem Amt als Landesvorsitzender zurückgetreten bin, regierte in Bonn noch
7248 Deutscher Bundestag — 9.Wahiperiode — 121. Sitzung. Bunn, Mittwoch, den 13. Oktŭber 1982
Dr. Dregger
der Bundeskanzler Helmut Schmidt. Die Neuwahl des Kanzlers hatte noch gar nicht stattgefunden. Was aus der Wahl in Hessen werden könnte, war für mich wirklich nicht vorhersehbar, obwohl ich wie alle Leute in Deutschland davon ausging, daß diese Wahl nach normalem Ablauf zu einer absoluten Mehrheit der CDU in Hessen geführt hätte. Befriedigt Sie das jetzt? Wir können vielleicht noch ein Privatissimum veranstalten, weil ich glaube, es ist nicht der Gegenstand einer Debatte zur Lage der Nation oder zur Regierungserklärung.
Meine Damen und Herren, ein weiteres muß zur Bereinigung der durch den Verratsvorwurf vergifteten Atmosphäre gesagt werden. Unsere Verfassung sieht keine plebiszitäre und keine präsidentielle sondern eine parlamentarische Demokratie vor.
Das haben die Väter des Grundgesetzes aus allen demokratischen Parteien so gewollt, und im Hinblick auf Weimar, Herr Kollege Brandt, aus guten Gründen.
Meine Damen und Herren, wer das nicht mehr will, wer ein System will, in dem der Staats- und Regierungschef vom Volk gewählt wird wie z. B. in den Vereinigten Staaten von Amerika oder in Frankreich, der muß versuchen, die Verfassung zu ändern. Aber solange die Verfassung nicht geändert ist, haben wir, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, das Recht und die Pflicht, den Bundeskanzler zu wählen und ihn abzuwählen, wenn wir der Ansicht sind, daß das notwendig ist.
Der einzige Maßstab für diese Entscheidung ist laut Verfassung unser Gewissen.
Niemand kann uns diese Gewissenspflicht abnehmen, kein Parteitagsvotum, keine Landtagswahl und keine Meinungsumfrage.
Vergessen wir bitte nicht, wer unser Auftraggeber ist.
Meine Damen und Herren, ich weiß das, und ich glaube, durch mein Leben bewiesen zu haben, daß ich es weiß. Ich habe jedenfalls immer versucht, mich danach zu richten.
Unsere Auftraggeber sind nicht Personen und nicht Parteien. Unser Auftraggeber ist unser Volk, sonst niemand.
Parteien sind nicht Selbstzweck, sondern Instrumente politischer Willensbildung im Dienste des Ganzen.
Politiker sind keine Herrgötter.
Politiker haben Aufträge auf Zeit wahrzunehmen,
und wenn sie diese Aufträge erfüllt haben oder nicht mehr in der Lage sind, sie zu erfüllen, dann müssen sie abtreten, meine Damen und Herren.
Man muß nicht nur kommen, man muß auch gehen können, meine Damen und Herren, ohne gleich „Verrat" zu schreien oder andere „wegharken" zu wollen.
Nach diesem Rückblick auf die jüngste Vergangenheit möchte ich etwas zu unserem zukünftigen Verhältnis sowohl zu den Freien Demokraten als auch zu den Sozialdemokraten in diesem Hause sagen.
Mich hat, um mit den Freien Demokraten zu beginnen, die Rede des Kollegen Mischnick in der Debatte vor dem konstruktiven Mißtrauensvotum tief beeindruckt. Sie hatte moralische Kraft. Sie hat einen Mann sichtbar werden lassen, dessen Prioritäten in der Bindung zunächst an das Ganze, erst dann an Parteien und zuletzt an Personen unserem Koordinatensystem entspricht. Herr Mischnick wird in der neuen Koalition ein ebenso verläßlicher Partner sein, wie er es in der alten gewesen ist. Das ist überhaupt kein Widerspruch. Nur wer ein parlamentarisches Parteienbündnis auf Zeit zu einer Gesinnungsgemeinschaft auf Dauer, zu einem historischen Bündnis verfremdet, kann darin einen Widerspruch sehen.
Ich meine: Wenn die FDP heute in einer Krise steckt und mit ihr unser Land,
dann nicht, weil sie den Koalitionspartner zu früh und zu oft, sondern weil sie ihn in Bund und Ländern zu spät und zu wenig gewechselt hat.
So sehr ich überzeugt bin, meine Damen und Herren, daß die Freien Demokraten uns ein verläßlicher Koalitionspartner sein werden, so klar möchte ich den Freien Demokraten, insbesondere deren Bundesvorsitzenden, dem Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher,
Deutscher Bundestag — 9.Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Oktober 1982 7249
Dr. Dregger
versichern, daß wir auch ihm ein sicherer und zuverlässiger Koalitionspartner sein werden.
Wir, Herr Kollege Genscher, können Ihnen das — im Gegensatz zu den Sozialdemokraten — deshalb versichern, weil unsere Partei nicht in Flügel gespalten ist, weil wir eine einige, solidarische Kraft sind, auf die man sich verlassen kann.
Wir werden nichts tun, was die Konsolidierung der FDP in einer schwierigen Phase ihrer Existenz erschweren könnte.