Würden Sie — das ist nicht eine Gegenfrage, sondern dadurch wird Ihre Frage besser erläutert, als es jetzt der Fall ist — zugestehen, daß es so war: Sie hatten einen Text, und wir haben gesagt, wenn es einen Text gibt, über den man reden kann — einverstanden, dann ein gemeinsamer Text. Am Schluß Ihrer Rede heute machen Sie dann dem Bundeskanzler und uns eine Situation ganz schwer. Vielleicht ist das Ihre Taktik. Nur: Überlegen Sie sich einmal, was sie wert ist. Überlegen Sie sich einmal, was sie für unsere Situation — ich meine die Situation der Bundesrepublik Deutschland und des gewählten Parlaments — eigentlich bedeutet.
Meine Damen und Herren, warum eigentlich wird das bei Ihnen so angelegt, und das in der letzten Sitzung vor Weihnachten? Es ist eine seltsame Form, muß ich sagen.
Ich habe bei dieser Gelegenheit einmal in der Rede nachgelesen, die der Bundeskanzler Helmut Schmidt hier am 3. Dezember 1981 vor seiner Reise in die DDR gehalten hat. Wenn ich den Inhalt der Rede von damals mit dem vergleiche, was vom Bundeskanzler nach der Reise sachlich und klar berichtet wurde — es waren keine Versprechungen, sondern es wurde über den Ausgang und die Fortsetzung der Gespräche berichtet —, dann muß ich sagen: Helmut Schmidt hat mit Recht und ohne Überheblichkeit in dieser Rede vom 3. Dezember daran erinnert, indem er sagte:
Einige hängen noch an der Praxis der 60er Jahre: Konfrontation statt Kooperation, Druck und Gegendruck statt Entspannung und Interessenausgleich. Das gibt es auf beiden Seiten, in der DDR wie hier bei uns.
Das ist ja nicht zu leugnen. Sie haben sich da in einer Weise eingereiht, die mir leid tut; das muß ich sagen. Ich hatte gedacht, Sie hätten heute vielleicht eine glücklichere Stunde.
Sie haben hier eine ganze Menge Einzelpunkte und Themen, um die es ging, aufgezählt. Da muß es zwischen uns und Ihnen nicht Streit und Gegensätze geben. Wissen Sie, ich habe hier eine Erklärung der Bundesregierung, die am 12. April 1967 abgegeben wurde. Da wurde auf eine Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 hingewiesen. Das war damals die Bundesregierung der, wie man es genannt hat, Großen Koalition. Sie hatte damals Leitsätze ihrer Deutschlandpolitik verkündet. Ich zitiere das:
Wir wollen, soviel an uns liegt, verhindern, daß die beiden Teile unseres Volkes sich während der Trennung auseinanderleben. Wir wollen entkrampfen und nicht verhärten, Gräben überwinden und nicht vertiefen, und deshalb wollen wir die menschlichen, wirtschaftlichen und geistigen Beziehungen mit unseren Landsleuten im anderen Teil Deutschlands mit allen Kräften fördern.
Das wollten wir, und das wollen wir fortfahrend immer weiter. Und Sie stellen sich hier hin, als täten wir das nicht, als seien Sie ein Sachwalter von Dingen, die damals mit uns zusammen in der Regierung der Koalition zwischen CDU/CSU und SPD zustande gebracht wurden.
Damals hieß es weiter:
Diese Behauptung ist falsch.
— Nämlich die Behauptung, die die Führung der SED damals aufgestellt hatte, die Bundesregierung hindere Entspannung und Verständigung in Europa.
Die Bundesregierung will Entspannung. Das Ziel ihrer Entspannungspolitik ist eine europäische Friedensordnung, die von allen Beteiligten als gerecht und dauerhaft empfunden werden kann. In ihrem Rahmen werden alle europäischen Staaten zum Wohle ihrer Völker zusammenarbeiten können. In dieser Friedensordnung soll auf jede Anwendung von Gewalt verzichtet, Gefahr und Last der Rüstungen abge-
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baut und Recht und Würde aller Menschen geachtet werden.
Die Bundesregierung will Entspannung auch zwischen beiden Teilen Deutschlands.
Wo nehmen Sie jetzt die Substanz und die Verantwortlichkeit dafür her, daß Sie uns, die wir das damals mitgefunden und mitgetragen haben, heute in eine solche Lage bringen, am letzten Sitzungstag des Bundestages vor Weihnachten? Eine solche Form, die unglücklich ist — das ist Ihnen heute schiefgegangen —, erschwert unsere gemeinsame Arbeit.
— Ich bitte Sie, ich bin — das gebe ich zu — innerlich tief bekümmert und erregt darüber, daß Herr Kohl, der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, es heute für richtig gehalten hat, Schelte gegen den Bundeskanzler zu treiben, der nun wirklich bei vielen — ob es West oder Ost ist, sowohl bei Staatsmännern als auch bei anderen — Hochachtung deswegen verdient, weil er sich um Entspannung und um Realisierung des Miteinanderlebens bemüht.
Wenn ich Ihnen, Herr Kollege Kohl, jetzt noch etwas zu dem vorlesen würde — ich lasse ein paar Pünktchen aus —, was Sie in den Beziehungen zwischen den beiden Staaten im getrennten Deutschland für wichtig halten, so würden Sie feststellen, daß das damals, 1967 — unter Bezugnahme auf die Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 — eine ganze Seite ausmachte. Die jetzige ist nicht geringer. Wir kümmern uns darum, d. h. die Koalition der Sozialdemokraten und der Freien Demokraten kümmert sich darum, daß das Menschenmögliche aus diesen Notwendigkeiten realisiert und auch wirklich weiterentwickelt wird.
Ich fände es gut, wenn wir, statt miteinander zu zetern, bitte prüften: Wie ist das mit den Erklärungen, z. B. mit der Stellungnahme der Partei- und Staatsführung zum Besuch des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland in der DDR? Das ist in deren Blatt am 17. Dezember 1981 veröffentlicht worden. Da wird festgestellt:
Mit dem Treffen wurde unter komplizierten internationalen Bedingungen der Ost-West-Dialog weitergeführt und vertieft, um das in Europa bei der Entspannung Erreichte zu bewahren, zu festigen und auszubauen. Die Begegnung unterstreicht, daß gerade in der heutigen Weltlage Kontakte auf hoher Ebene zwischen Ost und West für die Sache des Friedens notwendig sind.
Ich habe diese Sätze nicht erfunden und auch nicht konstruiert. Nur, halten Sie es denn für sinnlos, Herr Kohl oder andere, von denen Sie meinen, man sollte sie jetzt nicht sozusagen zum Gegenstand einer Diskussion oder eines Tadels machen, daß man bei passender Gelegenheit und dort, wo es notwendig erscheint, Bezug nimmt auf die Ergebnisse
der Gespräche des Bundeskanzlers mit dem Staatsratsvorsitzenden und einiger Mitglieder unserer Bundesregierung — des Grafen Lambsdorff, der Herrn Kollegen Franke — mit denen, die auf der anderen Seite entsprechende Ressorts vertreten, auch Bezug nimmt auf das, was die am Abschluß der Gespräche selber geschrieben und verkündet haben? Da wird ja gesagt:
Die von beiden Seiten im gemeinsamen Kommunique getroffene Feststellung, „daß es zur friedlichen und gleichberechtigten Zusammenarbeit der Staaten keine vernünftige Alternative gibt und daß diese Zusammenarbeit von den Zielen und Prinzipien geleitet sein muß, die in der Charta der Vereinten Nationen und in der Schlußakte von Helsinki niedergelegt sind", gilt in gleicher Weise für die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten.
Und dann wird betont:
Ausgehend davon kommt es darauf an, das in den beiderseitigen Beziehungen Erreichte zu bewahren und entsprechend dem Grundlagenvertrag und in Übereinstimmung mit den Prinzipien der friedlichen Koexistenz weiterzuentwickeln.
Ist es nicht richtiger, sich auch darauf zu berufen und zu sagen: Hier geht es um Weiterentwicklung? Gut, daß sich die Bundesregierung in dieser schwierigen Zeit diesen Notwendigkeiten auch gewidmet hat.
Dann heißt es noch — ich zitiere auch den Satz aus der Erklärung der drüben lenkenden Körperschaft —:
Die Gestaltung der Beziehungen zwischen beiden Staaten auf dieser Grundlage ist ein wesentliches Element der Stabilität in Europa.
Sie sollten sich — wenn nicht jetzt, so doch in Zukunft — einmal überlegen, wie es eigentlich zwischen denen, die nicht zu einer Partei gehören — nein, wir wollen Sie ja nicht erobern, wir wollen uns auch nicht an Ihre Stelle stellen —, in gewissen Fragen, in denen es Übereinstimmung geben kann, möglich ist, zu versuchen, diese Übereinstimmung auch deutlich zu machen. Das würde dann beiden Seiten zugute kommen, Ihrer und unserer,
daß wir uns hier nicht in Polemiken erschöpfen.
Ich habe mir ja das einmal angeguckt, was der Bundeskanzler in seinem Redemanuskript — er hat es hier auch so gesagt — an einer Stelle dargelegt hat. Er hat positiv darauf hingewiesen, daß der Berliner Regierende Bürgermeister von Weizsäcker deutlich gemacht habe: „Niemand hätte verstanden, wenn unsere Reise in die DDR wegen der Ereignisse in Polen abrupt abgebrochen worden wäre; dies hätte vielmehr die neuerlichen deutsch-deutschen Ansätze, dies hätte Vertrauen zerstört." — Ich teile seine Meinung. Sie entspricht auch den spezifischen Interessen Berlins. Nun, Herr Strauß, aber nicht nur Herr Strauß — wenn ich ein bißchen weiter gucke,
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da kaut gerade Herr Zimmermann etwas, guten Appetit! —,
der hat das j a noch viel schlimmer gemacht. Aber ich zitiere ihn nicht, er braucht das nicht zu hoffen.
Der Kanzler hat etwas gesagt, was zu dem gehört, was Herr Kohl im Hinblick auf seine Rolle ganz anders verstanden hat. Herr Kohl — so hat der Kanzler gesagt —, der eine gemeinsame Fraktion von CDU und CSU leitet, muß sich heute morgen zwischen beiden entscheiden. Er wird es nicht gerne tun. In der trügerischen Hoffnung auf einen raschen Kanzlerwechsel wird allzu leicht vergessen, daß jeder Führungsanspruch nur durch Leistungs- und Entscheidungskraft begründet werden kann. Wer kein Risiko eingehen will, der kann auch nichts gewinnen.
Da hat der Kanzler es richtig eingeschätzt, nur: Der erste Mann der Opposition hat sich in einer Weise verhalten, von der ich sage: Schade, denn es wäre sowohl für das, was angesichts der schwierigen Entwicklungen in Polen, als auch für das, was in unserer geographischen und politischen Lage, in der wir uns befinden, steckt, statthaft gewesen, sich heute hier in wesentlichen sachlichen Fragen nicht auseinander und gegeneinander in Rhetorik zu stürzen.
Was Polen betrifft, meine Damen und Herren: Das, was dort geschieht, wird nicht durch Kraftworte hier und nicht durch gegenseitige Vorwürfe hier, Herr Kohl — die einen täten nicht genug — im Hinblick darauf beeinflußt, es — wenn es möglich ist und wenn wir etwas dazu beitragen können — auf eine friedliche Weise zu lösen, statt es dort zu einem Zusammenstoß, der j a zum Teil schon da ist, und zu einem Zusammenbruch dessen kommen zu lassen, was es noch an Freiheiten in diesem Lande Polen für die Mitbürgerinnen und Mitbürger dort ergibt. Die Entwicklung in Polen müsse etwas sein, bei dem wir uns nicht gegenseitig Vorwürfe machen. Sie haben genau das Gegenteil für richtig gehalten, nämlich in dieser Beziehung Vorwürfe gegen die Sozialdemokraten zu erheben. Schade, Herr Kohl. Ich will das nicht bewerten, ich bedaure es nur, denn das hätten Sie nicht nötig gehabt,
das hätte die Union nicht nötig gehabt und würde in manchen anderen Ländern — ob es die des Westens oder die des Ostens sind — gewirkt haben; nicht, damit wir uns sozusagen hinstellen und sagen können, was wir für Kerle seien, nein, um zu zeigen, daß wir in diesen Punkten fähig sind, Differenzen in den Hintergrund oder in die zweite Linie zu drängen und uns diesen Hauptsachen zu widmen.
Das fehlt bei Ihnen; tut mir leid.
Das sage ich noch einmal, weil mir das wichtiger erscheint, als nun umgekehrt das fortzusetzen, was Sie hier einzuführen versucht haben und was denen
nicht hilft, die nun durch die Medien erfahren, wie wir uns hier gegenseitig auseinanderdriften; das ist sehr schade. Vielleicht wird das auch in Ihren Reihen einmal besser begriffen, als es zur Zeit aus einem — ich will nicht sagen: Solidarität — gewissen Korpsgeist heraus hier gezeigt wird. — Schönen Dank für Ihre große Aufmerksamkeit.