Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es fällt mit schwer, nach dieser Rede das Wort zu nehmen. Ich gestehe das offen. Denn, sehr geehrter Herr Kohl, daß Sie am Schluß Ihrer Rede, die eine absolute Polemik war
— ich bitte Sie, können Sie das nicht mal vertragen? —, Ihre Hoffnung in bezug auf die Übereinstimmung für eine Resolution ausdrücken, auf die auch wir gedrängt haben, gibt mir Zweifel an der Ernsthaftigkeit dessen, was Sie in diesem Zusammenhang gesagt haben. Ich bitte Sie dafür um Verständnis.
Denn, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, statt in der Zeit sehr schwerer Ereignisse Übereinstimmungen zu bekräftigen, sogar solche zu suchen, um dann zu sagen: „Hier sind wir doch einander nahe, wenn wir auch sonst wesentliche Unterschiede haben", haben Sie es genau umgekehrt gemacht.
Vielleicht entspricht das der Lage in Ihren beiden Unionsparteien.
— Bitte, ich behaupte das j a nicht, ich sage nur: vielleicht.
Denn wie ist die Situation des Parlaments in einer Zeit, in der die Bundesrepublik Deutschland, die ja glücklicherweise nicht Großmacht ist, verpflichtet ist, ihren erkennbaren Beitrag zu leisten, um, soweit unser Einfluß reicht, den Frieden dort, wo er noch nicht zerstört ist, zu erhalten und ihn dort, wo er
schon gestört ist, wiederherstellen zu lassen? Herr Kohl, hätten Sie darüber einmal nachgedacht, hätten wir eine solche Auseinandersetzung jetzt vielleicht nicht nötig.
Wir Sozialdemokraten danken dem Bundeskanzler Helmut Schmidt für das, was er heute hier in einer besonders schwierigen Situation in großer Sachlichkeit
erklärt und dargelegt hat.
Herr Kollege Kohl, Sie haben sich mit Ihrer Erinnerung — ich weiß nicht, wieso — auf die seltsame Einschätzung berufen, daß es mit der Partei Schumachers möglich gewesen wäre, das und das zu machen, aber nicht mit dieser Partei. Herr Kohl, schauen Sie einmal in den Spiegel — es muß nicht der Rasierspiegel und auch nicht diese Zeitschrift sein — und prüfen Sie, ob Sie sich da nicht sehr geirrt und getäuscht haben oder ob auch das so eine Finte war; und Ihre Rede war ja heute eine Fülle von Finten.
Das tut mir leid, weil die Situation, in der wir leben, es eigentlich notwendig macht, daß wir bei allen Unterschieden und auch Gegensätzen, statt einander ausspielen zu wollen, das, war wir gemeinsam verantworten können, auch gemeinsam zu erreichen versuchen.
Frieden schaffen, das ist so etwas!
Sie werden von mir nicht erleben, daß ich Sie frage: „Wollen Sie vielleicht hier auch noch den Krieg?". Eine solche Unterstellung würde ich Ihnen oder Ihrer Union nie machen. Aber Sie haben hier eine Form gesucht und gewählt, die zu meinem großen Bedauern dem Ernst der Situation — weder dem der Situation in Polen noch dem im Zusammenhang mit dem, was es sonst in dieser Welt um uns herum an Knistern gibt — nicht entspricht. Daß Sie das in dieser Situation so gemacht haben, muß ja wohl Ursachen innerhalb der Union gehabt haben.
Wir jedenfalls — das haben wir in einem Beschluß des Präsidiums der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands klar gesagt — bestärken den Bundeskanzler darin, gerade in schwierigen Zeiten den Dialog mit der DDR fortzusetzen, und zwar in der sicheren Überzeugung, daß es dazu keine Alternative gibt,
wenn man es mit der Sicherung des Friedens in Europa ernst meint und wenn man Fortschritte in den Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten zum Wohle der Menschen wirklich will.
Deshalb, so heißt es in unserer Erklärung, ist es zu begrüßen, daß die Verhandlungen und die Gespräche nunmehr in den verschiedenen Sachbereichen fortgesetzt werden und zu Ergebnissen führen sol-
4302 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Dezember 1981
Wehner
len, die sich insbesondere zugunsten der Menschen in den beiden deutschen Staaten auswirken. — Das sollten Sie sich doch auch einmal genauer überlegen.
Wissen Sie, Herr Kohl, sozialdemokratische Deutschlandpolitik, was immer man kritisch an ihr aussetzen mag, will und auch kann, hat sich immer an der Notwendigkeit orientiert, die Deutschen in beiden Staaten in ihren Zusammengehörigkeitsgefühlen zu stärken, die trotz aller Erfolge der Vertrags- und der Entspannungspolitik nach wie vor bestehenden Härten zu mildern und dafür zu arbeiten, daß von deutschem Boden niemals wieder Krieg ausgehen kann.
Ich hätte es für einen großen Gewinn nicht meiner, unserer Partei, sondern auch für das, was das Parlament darstellt, gehalten, wenn wir wenigstens heute in den wesentlichen Punkten unsere gemeinsame Pflicht — gemeinsame Pflicht! — und Übereinstimmung bekunden würden.
Sie machen das ganz schwer im Zusammenhang mit einem Text, auf den Sie so am Schluß hingewiesen haben wegen einer Entschließung, die Verhältnisse in Polen betreffend. Oder war das vielleicht sogar Taktik, daß es Ihnen darauf ankam? Herr Kohl, ich muß sagen: Das war ein schwerer Fauxpas, den Sie da begangen haben.