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ID0905000200

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    Plenarprotokoll 9/50 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 50. Sitzung Bonn, Freitag, den 11. September 1981 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 2809 A Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Umweltprobleme der Nordsee Sondergutachten Juni 1980 des Rats von Sachverständigen für Umweltfragen — Drucksache 9/692 — Duve SPD 2809 B Dr. von Geldern CDU/CSU 2812 B Wolfgramm (Göttingen) FDP 2816 D Baum, Bundesminister BMI 2819 A Jansen SPD 2822 C Bredehorn FDP 2824 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Abfallbeseitigungsgesetzes — Drucksache 9/667 — von Schoeler, Parl. Staatssekretär BMI . . 2827 A Volmer CDU/CSU 2828 A Frau Dr. Hartenstein SPD 2830 B Wolfgramm (Göttingen) FDP 2831 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über „Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im Jahre 1978" — Drucksachen 8/4101, 9/726 — in Verbindung mit Beratung des Berichts der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über „Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im Jahre 1979" — Drucksache 9/644 — Dr. Laufs CDU/CSU 2833 A Schäfer (Offenburg) SPD 2835 A Dr. Hirsch FDP 2837 A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes — Drucksache 9/785 — 2838 D Nächste Sitzung 2839 A Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 2840*A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 2840* C Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. September 1981 2809 50. Sitzung Bonn, den 11. September 1981 Beginn: 9.01 Uhr
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    2840* Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. September 1981 Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten bgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 11.9. Dr. van Aerssen 11.9. Becker (Nienberge) 11.9. Dr. Bugl 11.9. Burger 11.9. Cronenberg 11.9. Eigen 11.9. Dr. Enders* 11.9. Dr. Faltlhauser 11.9. Dr. Fellner 11.9. Fischer (Hamburg) 11.9. Gattermann 11.9. Dr. Götz 11.9. Dr. Haack 11.9. Hauck 11.9. Hauser (Krefeld) 11.9. Hölscher 11.9. Frau Hoffmann (Soltau) 11.9. Dr. Hubrig 11.9. Kolb 11.9. Dr. Kreile 11.9. Dr. Lammert 11.9. Dr.-Ing. Laermann 11.9. Dr. Lenz (Bergstraße) 11.9. Mahne 11.9. Dr. Müller * 11.9. Müller (Bayreuth) 11.9. Neumann (Bramsche) 11.9. Rainer 11.9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Reuschenbach 11.9. Dr. Riemer 11.9. Dr. Rose 11.9. Frau Roitzsch 11.9. Dr. Schachtschabel 11.9. Schartz (Trier) 11.9. Frau Schlei 11.9. Schmöle 11.9. Schröder (Hannover) 11.9. Schröder (Wilhelminenhof) 11.9. Schröer (Mülheim) 11.9. Dr. Schwörer 11.9. Frau Simonis 11.9. Dr. Solms 11.9. Dr. Warnke 11.9. Wartenberg (Berlin) 11.9. Baron von Wrangel 11.9. Anlage 2 Amtliche Mitteilung Der Präsident des Deutschen Bundestages hat gemäß § 92 der Geschäftsordnung im Benehmen mit dem Ältestenrat die nachstehende Vorlage überwiesen: Aufhebbare Neunundsiebzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz — — Drucksache 9/789 — Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte, den Bericht dem Plenum rechtzeitig zum 11. Dezember 1981 vorzulegen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Freimut Duve


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Sie erlauben eine Vorbemerkung hier am Freitagmorgen: Wenn wir die Nordsee so leer gelassen hätten wie diesen Raum, dann hätten wir mit ihr keine Probleme.

    (Heiterkeit)

    Ich möchte gerne mit einem Zitat beginnen:
    Praktisch alle Prognosen der vorliegenden Studie deuten auf eine zunehmende Zerstörung und Verschmutzung der Öko-Systeme der Küstengebiete hin, eine Ressource, von der die kommerzielle Fischerei auf der ganzen Welt stark abhängig ist.
    Dies, meine Damen und Herren, ist kein Zitat aus dem vorgelegten Nordsee-Gutachten, es ist der den Weltmeeren gewidmete Kernsatz des amerikanischen Berichts „Global 2000" an den Präsidenten der Vereinigten Staaten. „Global 2000" wurde etwa zur gleichen Zeit vorgelegt wie das Nordsee-Gutachten, nämlich vor einem Jahr.
    Diese Debatte hier heute morgen zu dem Gutachten, das seit über einem Jahr vorliegt, ist überfällig, wenn wir die Ergebnisse der Untersuchungen betrachten. Die Debatte wäre aber überflüssig, wenn es beim Debattieren bliebe und wir so wenig politische Konsequenzen ziehen würden wie andere Staaten aus ihren globalen Erkenntnissen. Denn, meine Damen und Herren, das ist ja das Ritual: Die Regierung fordert Berichte an, Wissenschaftler erarbeiten diese Berichte, die Regierung legt sie dem Parlament vor, das Parlament lobt die Regierung, die Regierung lobt die Wissenschaftler; die Wissenschaftler sagen: Es ist fünf Minuten vor zwölf, und die Regierung sagt auch: Es ist fünf Minuten vor zwölf, und die Regierung lobt sich, und das Parlament lobt sich, und die Wissenschaftler loben, daß sie nun alle gemeinsam herausgefunden hätten, es sei nunmehr fünf Minuten vor zwölf. Wenn die ganze Selbstloberei vorbei ist, dann kann es uns passieren, daß es eben fünf Minuten nach zwölf ist und wir die Sache, um die es geht, mißachtet oder nicht genug beachtet haben.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam darum ringen und kämpfen, daß das NordseeGutachten bzw. seine parlamentarische Behandlung nicht wieder zum Ritual erstarrt. Es ist für die drohende Vergiftung der Nordsee vollständig ohne Belang, ob wir das hier behandeln oder ob wir das nicht behandeln. Es ist für den Cäsium-137-Anteil und die alarmierende Zunahme von halogenierten Kohlenwasserstoffen vollständig irrelevant, ob es ein Gutachten gibt oder ob es kein Gutachten gibt, solange nichts geschieht.
    Das Gutachten gibt, glaube ich — da sind sich die Fachleute und auch die Laienleser, die es kennen, einig —, einen hervorragenden Überblick und ist eine erstaunliche Leistung; denn so deutlich und so detailliert und so methodenselbstkritisch ist bislang in der Geschichte der Menschen noch kein ökologischer Großraum untersucht worden.



    Duve
    Wir haben bisher die Nordsee genutzt und beachtet: als Müllkippe, als Verkehrsstraße, als Nahrungsreservoir, zuweilen auch als Landschaft für erhabene Gefühle und Gemälde des gehobenen Bürgertums und zunehmend als Freizeitpark.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ha, ha, ha!)

    — Ja, ich muß Ihnen jetzt doch einiges geben, damit Sie dazwischen „ha, ha, ha" sagen können. Wenn das allerdings der Beitrag der Union zum Umweltschutz ist, muß ich umgekehrt „ha, ha, ha" sagen.
    Das Gutachten zeigt nun, daß die Nutzung als Müllkippe und als Nahrungsreservoir, als Verkehrsstraße und als Freizeitpark insgesamt zu einer Gefährdung dessen geführt hat, was die Nordsee eigentlich ist: ein lebender Organismus, der nur begrenzt belastbar ist.
    Lassen Sie mich aus einer Fülle von Folgerungen vier hervorheben.
    Erstens. Die Nordsee ist in Gefahr, vom Menschen tödlich beschädigt zu werden.
    Die zweite Feststellung: Zugleich machen die Wissenschaftler die Chance deutlich, daß der Zerstörer Mensch bei richtiger Diagnose und ernsthafter Bereitschaft zur Therapie — es ist da eben noch nicht 12 Uhr, sondern 5 Minuten vor 12 — in der Lage ist, diesen Beschädigungsprozeß zu stoppen. Allerdings dürfen sich dann die gegenwärtigen Trends der Giftzuführung, des Mißbrauchs und zuweilen auch der kriminellen Fahrlässigkeit nicht fortsetzen.
    Die dritte Schlußfolgerung: Es gibt nicht eine Ursache oder einen Verursacher, sondern eine Vielzahl von erkannten, dargestellten und vielleicht auch noch weiter zu untersuchenden Ursachen bzw. Verursachern der Gefährdung.
    Die vierte Schlußfolgerung: Das Gutachten enthält ein unerbittliches Plädoyer für die strikte Anwendung und die kompromißlose Durchsetzung des Vorsorge- oder, besser gesagt, des Vermeidungsprinzips. Kein Mark-, Kronen- oder Dollar-Berg der Welt kann einmal aufgetretene Vergiftungen und Anreicherungen von Giftstoffen in der Nahrungskette aus der Welt zahlen; Geldstrafen sind kein Ersatz für Umweltpolitik.
    Insofern steht diese Kernaussage des Gutachtens in Übereinstimmung mit dem ersten Satz, den der Bundeskanzler Helmut Schmidt in seiner Regierungserklärung zur Umweltpolitik gesagt hat — ich darf ihn in Erinnerung rufen —:
    Die Einsicht in ökologische Zusammenhänge und der Wille, diese Zusammenhänge möglichst wenig zu stören, führen im Umweltschutz von der Schadensbeseitigung zur Schadensvermeidung. Dabei bleibt das Verursacherprinzip gültig: Wer Schaden anrichtet, muß ihn beseitigen. Weiterhin gewinnt aber das Vorsorgeprinzip an Bedeutung: Der Schaden soll gar nicht erst entstehen.
    Das Gutachten sagt dazu:
    Daher fände das Vorsorgeprinzip seinen deutlichsten Ausdruck in der allen Verursachern
    auferlegten Verpflichtung, bei ihren Nutzungen
    die jeweils verfügbare Vermeidungstechnik auch dann anzuwenden, wenn noch nicht nachweisbar ist, daß sonst mit konkreten Gefahren oder Schäden für die Meeresökologie gerechnet werden müßte.
    Hier ist sicher ein Umdenken bei sehr vielen Verursachern angebracht.
    Meine Damen und Herren, es ist in einem politischen Klima, in dem der angeblich geheime Bericht über die Anzahl von Minuten, die ein Deutscher mit einem anderen Deutschen unter vier Augen gesprochen hat, zum Politikskandal emporgeschwindelt werden kann, wie in den letzten Tagen geschehen, es ist in einem solchen Land und in einem solchen Klima schwer, über den Quecksilbergehalt in Kaulbarsch und Heilbutt zu diskutieren. Beim Kaulbarsch ist er, wie das Gutachten sagt, hoch; beim Heilbutt brauchen wir uns noch nicht so sehr zu sorgen. Umweltschutz ist nun einmal schlechthin zum Guten, Wahren und Schönen bundesdeutscher Sonntagsredner geworden, und es wird dabei oft mißachtet, wieviel konkret schon getan und geleistet worden ist.
    Ich bin dem Bundesminister des Innern sehr dankbar dafür, daß er in der letzten Woche noch einmal deutlich gemacht hat, daß sich die Koalition aus diesen beiden Parteien in diesem Politikbereich, was die letzten zehn Jahre betrifft, zwar sicher nicht sehr stolz an die Brust schlagen sollte — das wäre falsch, weil vieles noch zu tun ist —, aber jedenfalls in diesem Bereich den Vorrat an Gemeinsamkeiten, den manche manchmal für ausgeschöpft halten, noch gar nicht ganz angetastet hat. Ganz im Gegenteil, wenn man sich ansieht, was die im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien in diesen Jahren in ihren Parteiprogrammen zu dieser zentralen Aufgabe erarbeitet haben, was hier umzusetzen versucht worden ist und was weiter umgesetzt wird, kann ich jedenfalls für meinen Teil und sicher auch für unsere Fraktion sagen: Hier haben wir, vom Nordsee-Gutachten aufgezeigt, einen ungeheuren Vorrat an Gemeinsamkeiten für die gemeinsame Arbeit.
    Ich will noch ein paar der Gefährdungen darstellen: Großschiffahrt gefährdet das Wattenmeer. Dieses Problem haben wir noch nicht gelöst, im Gegenteil: Wir hatten erst kürzlich einen Tankerunfall in unmittelbarer Nähe eines Wohngebiets, eines Ballungsraums. Chemikalien und Schwermetalle bedrohen die Fische. Auch dieses Problem haben wir nicht gelöst, im Gegenteil: Schwermetalle und Chemikaliengefährdungen nehmen zu. Wir haben noch keine wirklichen Erkenntnisse, wie wir da herangehen können. Falsche Eindeichungspolitik planiert und betoniert den Lebensraum Küste. Hier hat sich in letzter Zeit ein guter Wandel in der Ansicht über die Eindeichung vollzogen. Es ist zu hoffen, daß dieser Wandel nun auch wirklich zur Umorientierung in der Küstenpolitik der betroffenen Küstenländer führt.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Bei Klärschlamm und Dünnsäure, so sagt uns das
    Gutachten, haben wir als Bundesrepublik — sehr



    Duve
    spät, muß man sagen — Vorbereitungen dafür getroffen, daß von uns aus immer weniger eingeleitet wird. Aber wir sehen an den Mengen, die andere Länder einleiten, daß wir da erst am Anfang stehen.
    Aber zurück zum Kerngedanken des Gutachtens. Die Nordsee ist gefährdet, aber sie ist noch zu retten, und zwar zu retten, wenn wir vorsorgen, bevor sie vergiftet ist. Wenn in diesem Zusammenhang mit Nachdruck eine größere Zurückhaltung bei der industriellen Nutzung des Nordsee-Raums gefordert wird, dann müssen die verantwortlichen Bundesländer — man sieht das aus ihren Antworten auf die Anfragen, die in den Bundesländern gestellt worden sind —, dann müssen wir auch die kritischen Anmerkungen zur bisherigen Regional- und Industrieansiedlungspolitik zur Kenntnis nehmen. Denn das „industrielle Nutzungspotential ist geringer als angenommen". Dies ist eine sehr wichtige Feststellung, daß überhaupt erst einmal gefragt wird — das hat die Industriegesellschaft ja nie getan —: Wie groß ist das von der Natur vorgegebene industrielle Nutzungspotential in einem Raum, das nicht überschritten werden darf? Das aber heißt, daß wir alarmiert sein müssen, wenn z. B. im wasserreichsten Gebiet der Bundesrepublik plötzlich industriebedingte Grundwasserprobleme auftreten wie in der Nähe von Brunsbüttel. Dies war, wie die Verursacher dort sagen, nicht vorauszusehen, aber dies muß uns alle alarmieren. Wir müssen kritisch Bilanz ziehen, ob die Regionalpolitik der Küste mit ihrem Hang zu Großprojekten richtig war, ob nicht andere, der Küste angemessenere Strukturen gefördert werden sollen. Dazu gibt das Gutachten, wie ich finde, hervorragende Analysen.
    Wir nehmen auch die Kritik ernst, die die Verschmutzung und zunehmende Vergiftung der Elbe zu den Hauptgefährdern der Nordsee rechnet. Die Verschmutzung der Nordsee vom Lande und von den Mündungsgebieten aus macht ja die Größe des Problems und die Schwierigkeit, die breitgefächerte Verantwortlichkeit festzustellen, deutlich.
    Wir haben hier im Deutschen Bundestag vor wenigen Wochen das Pariser Abkommen ratifiziert. Wir wissen, daß seine Durchführung in den Anrainerstaaten sehr schleppend verläuft.
    Die EG-Richtlinien gegen die Verschmutzung der Gemeinschaftsgewässer sind ebenfalls Teil eines umfassenden Systems der Vorsorge. Nur ist auch hier die Kluft zwischen erklärtem und durchgesetztem Willen so groß, wie das Meer tief ist. Zwei Beispiele: Die EG-Gewässerschutzrichtlinie stammt vom 4. Mai 1976. Bis heute, September 1981, ist noch kein einziger Grenzwert zur Reduzierung gefährlicher Stoffe festgelegt worden, auch nicht für die allergefährlichsten. Wie lange es dauern mag, bis für die wichtigsten 150 Stoffe Maßnahmen getroffen sein werden, kann sich jeder ausmalen. Wir werden unserer Verantwortung nicht gerecht, wenn wir hier keinen Druck auf Brüssel ausüben.
    Ein weiteres Beispiel: Wir können den Nordsee- und Menschengefährder Nummer eins — wir müssen das hier einmal feststellen —, die Elbe, nicht sauberkriegen, wenn wir noch glatt behaupten, alle
    Gifte kämen vom Osten. Nur wenn wir in den eigenen Abflußsielen für Entgiftung sorgen, erst dann, wenn wir das gemacht haben und das aktiv tun, stärken wir unsere Möglichkeiten zu Verhandlungen mit der DDR und CSSR.
    Gleiches gilt natürlich auch für die Bundesländer untereinander. Was bringt es, wenn Hannover sagt, Hamburg ist schuld, und Hamburg sagt, Kiel ist schuld, und alle zusammen sagen, die DDR ist schuld? Bei der Verschmutzung und Vergiftung der Elbe haben wir eine gesamtdeutsche und gesamteuropäische Schuld, über Mauer und Systemgrenzen hinweg. Östliches Kadmium ist sicher nicht giftiger als westliches.
    Wir Bundesdeutschen — das weist das Gutachten aus — sind nicht die größten Sünder. Gegenüber anderen EG-Staaten brauchen wir kein schlechtes Gewissen zu haben, doch das schlechte Gewissen müssen wir uns selbst gegenüber haben, zumal wir das zwar kleinste, aber auch komplizierteste Stück Nordsee beeinflussen und beschädigen. An der Deutschen Bucht dauert der Wasseraustausch zirka 36 Monate, im Süden Norwegens z. B. nur sechs. Es liegt in unserer Hand, ob die Anrainergemeinschaft EG mit Norwegen auf der Grundlage dieses Gutachtens schneller etwas zustande bringt, als es beim Rhein und beim Mittelmeer der Fall gewesen ist.
    In den europäischen Bereich gehört vor allem, daß der Verschleppungs- und Verdrängungsskandal, den wir bei der Inkraftsetzung internationaler Abkommen in den letzten Jahren erlebt haben, beim Namen genannt wird und daß er auch aufhört. Ich erinnere hier nur an MARPOL: 1973 und bis heute nicht ratifiziert. Es fehlen Regelungen für Chemikalientransporte, für die Bergung von havarierten Tankern, für die Sicherheit beim Abbau der Bodenschätze und der Einleitung gefährlicher Stoffe. Für all das gibt es internationale Absichtserklärungen, aber es gibt keine Ausführung. Wo die internationalen Instrumente zur gegenseitigen Behinderung und Lähmung führen anstatt zur gemeinsamen Bewältigung der Probleme, wächst die Gefahr der Resignation, da bei einem übernationalen Öko-System nationale Alleingänge kaum etwas bringen — obwohl man auch sie wohl eines Tages irgendwann einmal anfangen müßte.
    Wenn wir vom Vorsorgeprinzip sprechen, dann dürfen wir uns eben bei dessen Ausgestaltung nicht im ordnungspolitischen Weihrauch verlieren, wie es manchmal bei umweltpolitischen Sprechern der Union geschieht. Die Instrumente, die zusätzlich notwendig sind, müssen um der Natur willen geschaffen werden, und die Instrumente, die vorhanden sind, müssen angewandt werden.
    Heute ist die erste Beratung. Wir erwarten von der Bundesregierung ein Handlungskonzept auf der Grundlage der Empfehlungen des Gutachtens.
    Ich komme zum Schluß, Herr Präsident. — Ich bin mit Schlußbemerkungen von Redebeiträgen in diesem Hause ja erfahren. — Zum Schluß ein selbstkritisches Wort. Wir Politiker nehmen das Thema nicht ernst genug. Denn ohne die Tausenden von Bürgern, die in aller Welt außerhalb der traditionellen Par-



    Duve
    teien Umweltwissen und Umweltbewußtsein mitgeschaffen und verbreitet haben, wäre dieses Gutachten vielleicht gar nicht zustande gekommen. Gleichwohl muß ich noch einmal darauf hinweisen, daß der Erlaß, der zu diesem Sachverständigenrat geführt hat, bereits 1971 von dem derzeitigen Vizekanzler und Außenminister Genscher unterschrieben worden ist, der ja gezeigt hat, daß man in kurzer Zeit mit einer großen Anstrengung auf umweltpolitischem Gebiet sehr viel hat auf die Beine bringen oder auf die Schiene setzen können — wie immer man die Bilder mißbrauchen will. Es ist oft in Vergessenheit geraten, was schon am Anfang dieser Koalition in wenigen Jahren an umweltpolitischen Handlungen begonnen worden ist.
    Aber ich will auch folgendes erwähnen, daß wir ohne die internationale Aktionsorganisation „Greenpeace" etwa, deren Teilnehmer mit ihren kippeligen Schlauchbooten gegen die Verklappungsschiffe anpaddeln, die Alarmzeichen des Gutachtens in der Öffentlichkeit auch kaum zur Kenntnis nehmen würden. Es steht uns Abgeordneten gut an, solche „Vorsorgepatrioten" — so will ich sie mal nennen — ernst zu nehmen, sie nicht zu belächeln, sondern ihnen zu danken, auch wenn ihre Mittel andere sind als die, mit denen wir hier im Bundestag Politik machen. Sie wollen radikal Schluß machen mit dem Krieg gegen die Natur, den die Industriegesellschaft seit mehr als einem Jahrhundert führt.
    Meine Damen und Herren, erfüllen wir die Mindestforderungen des Gutachtens! Retten wir die Nordsee jetzt! Wir wissen mit dieser Arbeit, was wir getan haben. Das ist sehr genau nachzulesen. Da kann sich keiner mehr verstecken. Aber wir wissen auch, was wir tun müssen.
    Ich danke für die Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)



Rede von Georg Leber
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Als nächster Redner hat der Abgeordnete von Geldern das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang von Geldern


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU hat im Innenausschuß des Deutschen Bundestages beantragt, daß dieses Sondergutachten „Nordsee" des Rats der Sachverständigen für Umweltfragen beim Bundesinnenminister

    (Zurufe von der SPD: Wer war das? — Wie bitte?)

    als Bundestagsdrucksache erstellt wurde. Dieses vor mehr als einem Jahr erstattete Gutachten liegt uns nun vor. Es ist damit für das Haus und weitere Interessenten in dem vollen Umfang seiner 1 494 Einzelpunkte und diversen sonstigen Materialien sowie weiterführenden Hinweisen zur Lektüre und politischen Nutzanwendung vorhanden. Zudem hat die CDU/CSU die heutige Debatte beantragt und setzt damit eine Reihe von parlamentarischen Vorstößen zugunsten des Meeresumweltschutzes fort. Ich finde es gut, daß wir in der letzten Woche vor der parlamentarischen Sommerpause am 26. Juni hier eine Debatte über Meeresumweltprobleme gehabt haben und daß wir jetzt in der ersten Woche nach der Sommerpause wieder bei diesem Thema sind. Das Gutachten kommt zu der Feststellung, daß offenbar mehr politischer Druck erforderlich ist, um geeignete umweltpoltische Maßnahmen rechtzeitig in die Wege zu leiten, bevor katastrophale Ereignisse, alar-mie rende ökologische Funktionsstörungen aufgetreten sind.
    Im Falle der Nordsee ist diese Feststellung besonders berechtigt; denn das Öko-System Nordsee ist von irreversiblen Schädigungen bedroht. Das Gutachten sagt: „Eine Kläranlage für die Nordsee gibt es nicht." Dies wiegt um so schwerer, als die Nordsee eines der produktivsten Meeresgebiete ist, wobei das einzigartige Wattenmeer — von dieser Urlandschaft gibt es auf der ganzen Erde nicht mehr als 80 000 qkm — Lebensraum und Kinderstube zahlreicher Vogel- und Fischarten ist. Die Mündungsgebiete von Elbe, Weser und Rhein sind heute schon den stark verschmutzten Flüssen des Binnenlandes vergleichbar. Dort ist die Pflanzen- und Tierwelt bereits artenmäßig verarmt, die Fischbestände sind stark beeinträchtigt, Trinkwassereinzugsbereiche im Verlauf der Flüsse sind streckenweise bereits verdorben.
    Der Empfehlung des Gutachtens für ein verbessertes Umweltüberwachungssystem Nordsee tritt die CDU/CSU deswegen uneingeschränkt bei, weil sie die Feststellung des Sachverständigenrats teilt, daß es auf der einen Seite zwar zahlreiche, gut gemeinte nationale und internationale Regelungen für den Meeresumweltschutz, aber auf der anderen Seite „ein erschreckendes Ratifizierungsdefizit, ein Ausfüllungsdefizit, ein Überwachungsdefizit sowie ein Durchsetzungs- und Sanktionsdefizit" gibt.
    Meine Damen und Herren, eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Gutachten kann hier nicht stattfinden, aber doch eine kritisch-politische Erörterung der Schwerpunkte des Gutachtens, die schon etwas konkreter als das sein muß, wie ich meine, was Herr Duve hier soeben gesagt hat. Herr Duve, Sie haben das kritisiert, was Sie dann selbst getan haben. Sie haben hier nämlich nicht mehr als eine Umweltsonntagsrede gehalten. Sie haben in keinem einzigen Punkt etwas Konkretes zu diesem Gutachten gesagt, sondern Sie haben nur allgemein dahergeredet, und das reicht nun tatsächlich auch nach Ihrer eigenen Aussage nicht aus, um sich mit diesem Gutachten auseinanderzusetzen.

    (Dr. Laufs [CDU/CSU]: So ist das leider!)

    Was sagt das Gutachten im einzelnen über die Belastung der Nordsee aus? Da sind drei große Belastungsquellen zu unterscheiden: einmal der Schadstoffeintrag, der durch Flüsse, Schiffahrt, Abfallbeseitigung, Niederschläge und atmosphärischen Eintrag geschieht, dann Veränderungen der Uferzone, Deichbau, Abdämmung, Landgewinnung, und schließlich die unmittelbare wirtschaftliche Nutzung durch Fischfang, Abbau von Bodenschätzen und die Erholungsnutzung im Wattengebiet. Das Gutachten sagt zu all diesen Belastungen der Nordsee, daß eine Gefährdung da ist, daß eine Schädigung des Ökosystems noch nicht nachweisbar ist, und das muß der Grund dafür sein, den einzelnen Belastungen jetzt, bevor es zu spät ist, nachzugehen



    Dr. von Geldern
    und zu prüfen, wie wir sie möglichst gering halten können.

    (Dr. Klejdzinski [SPD]: Sie sollten aber ein bißchen mehr als das Inhaltsverzeichnis bringen, Herr von Geldern!)

    — Vielen Dank. Das werden Sie gleich alles hören, Herr Klejdzinski.
    Ich komme zunächst zum Problem der Abwasserbeseitigung. Dies geschieht durch direkte Einleitungen, aber auch über die Flüsse und Küstengewässer. Hier ist festzustellen, daß sich nicht die Bundesrepublik Deutschland, sondern andere Nordseeanrainer, insbesondere Großbritannien, Belgien, die Niederlande und Dänemark, in quantitativ erheblichem Maße an der Belastung der Nordsee auf diesem Gebiet beteiligen. Allerdings sind zwei Bereiche aus unserem Land hier besonders negativ herauszustellen. Das sind die beiden Hansestädte Hamburg und Bremen. Mich wundert es, um noch einmal auf das zurückzukommen, was Herr Duve hier gesagt hat, daß er hier als Hamburger Abgeordneter zu den in diesem Punkt ganz gravierenden Umweltsünden der Freien und Hansestadt Hamburg kein Wort gesagt hat.

    (Zuruf des Abg. Duve [SPD])

    Das müssen wir nun einmal genau unter die Lupe nehmen. Herr Duve, das kann ich jetzt hier nicht Ihnen zuliebe in der gleichen Weise, wie Sie das getan haben, unterschlagen.
    Wie sieht es mit Hamburg aus? Ich zitiere aus der Berichterstattung über die Pressekonferenz unseres Bundesinnenministers Baum aus dem „Hamburger Abendblatt": „Vorwurf aus Bonn" lautet die Überschrift. Und dann heißt es:
    Senat hat geschlafen — Noch immer kein Hamburger Konzept zur Elbreinigung .. .
    Scharfe Kritik an der Umweltpolitik des Hamburger Senats aus Bonn: Wie aus dem Bundesinnenministerium verlautet, liegt trotz eindringlicher Mahnungen noch immer kein Konzept des Senats vor, wie Hamburg auf seinem Gebiet der Elbverschmutzung begegnen will. Jahrelang habe Hamburg geschlafen. Erst durch die energischen Proteste der Elbschiffer und der Schutzgemeinschaft Nordsee hätten die Hamburger Behörden die Brisanz der Abwässereinleitung in die Elbe erkannt.
    So das „Hamburger Abendblatt" vom 9. September 1981. Ich glaube wirklich, daß man in Hamburg Veranlassung hat, sich intensiv, nicht nur dann, wenn gerade so etwas wie die Havarie vor dem Hamburger Hafen geschehen ist, sondern ständig damit zu befassen, was man eigentlich da tut. Hamburg und Bremen gehören leider, was die Schadstoffbelastung der Nordsee betrifft, zu den Negativ-Beispielen.
    Das andere hat Herr Duve hier kurz erwähnt, aber dann auch in einen schwammigen Zusammenhang gestellt, so, als könne man das nicht genau auseinanderhalten und analysieren. Ich meine das, was die DDR hier betreibt. Auch dazu, wie es sich mit dem
    Umweltverhalten der DDR gegenüber unseren Flüssen, insbesondere Werra und Weser sowie Elbe,

    (Duve [SPD]: Unseren gemeinsamen Flüssen!)

    — unseren gemeinsamen Flüssen — tatsächlich verhält, muß ich ganz konkret ein paar mehr Worte sagen.
    Es ist für mich sehr aufschlußreich gewesen, nachzulesen, was in den letzten vier Jahren auf eine Reihe von Anfragen von seiten der Bundesregierung zu diesem Problemkreis hier im Deutschen Bundestag geantwortet worden ist. Ich zitiere kurz die wichtigsten Aussagen.