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    Plenarprotokoll 8/222 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 222. Sitzung Bonn, Dienstag, den 17. Juni 1980 Inhalt: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Schmidt, Bundeskanzler 17943 A Dr. Kohl CDU/CSU 17947 B Genscher, Bundesminister AA 17955 C Bahr SPD 17961 A Dr. von Weizsäcker CDU/CSU 17968 B Hoppe FDP 17974 B Nächste Sitzung 17976 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 17977* A Anlage 2 Defizit an Mietwohnungen in den Jahren 1976 bis 1979 und sich daraus ergebende fehlende Steuereinnahmen SchrAnfr B 170 06.06.80 Drs 08/4147 Kolb CDU/CSU SchrAnfr B44 06.06.80 Drs 08/4147 Kolb CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Sperling BMBau 17977* C Anlage 3 Unterstützung von Forschungsmaßnahmen zur Einsparung von Heizenergie durch Bepflanzung von Flachdächern mit Gras SchrAnfr B163 06.06.80 Drs 08/4147 Zywietz FDP SchrAnfr B164 06.06.80 Drs 08/4147 Zywietz FDP SchrAntw PStSekr Dr. Sperling BMBau . 17978* A Anlage 4 Verbesserung des Mieterschutzes vor Modernisierungsverdrängungen SchrAnfr B165 06.06.80 Drs 08/4147 Dr. Riedl (München) CDU/CSU II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Juni 1980 SchrAnfr B166 06.06.80 Drs 08/4147 Dr. Riedl (München) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Sperling BMBau . 17978`C Anlage 5 Förderung eines unabhängigen Produktinformationssystems im Baugewerbe SchrAnfr B167 06.06.80 Drs 08/4147 Conradi SPD SchrAnfr B168 06.06.80 Drs 08/4147 Conradi SPD SchrAntw PStSekr Dr. Sperling BMBau . 17979* A Anlage 6 Beschleunigung von Baugenehmigungsverfahren durch Novellierung des § 147 Abs. 3 des Bundesbaugesetzes SchrAnfr B169 06.06.80 Drs 08/4147 Dr. Laufs CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Sperling BMBau . 17979* C Anlage 7 Beschleunigung der Bearbeitung unerledigter Bebauungspläne SchrAnfr B171 06.06.80 Drs 08/4147 Dr. Hennig CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Sperling BMBau . 17979* D Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Juni 1980 17943 222. Sitzung Bonn, den 17. Juni 1980 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 17. 6. Dr. van Aerssen * 19. 6. Dr. Ahrens ** 19. 6. Dr. Aigner * 19. 6. Alber * 19. 6. Amrehn 19. 6. Angermeyer 17. 6. Dr. Bangemann * 19. 6. Dr. Barzel 18. 6. Berger (Lahnstein) 17. 6. Dr. Biedenkopf 19. 6. Blumenfeld * 19. 6. Brandt * 19. 6. Büchner (Speyer) ** 19. 6. Dr. Dollinger 19. 6. Erpenbeck 19. 6. Fellermaier * 19. 6. Frau Dr. Focke * 19. 6. Friedrich (Würzburg) * 19. 6. Dr. Früh * 19. 6. Dr. Fuchs * 19. 6. Frau Geier 17. 6. Gerster (Mainz) 17. 6. Glos 17. 6. Dr. Gradl 17. 6. Haar 19. 6. Haberl 17. 6. von Hassel * 19. 6. Dr. Haussmann 17. 6. Frau Huber 17. 6. Graf Huyn 17. 6. Dr. Jenninger 17. 6. Frau Karwatzki 17. 6. Katzer * 19. 6. Dr. h. c. Kiesinger 19. 6. Dr. Klepsch * 19. 6. Dr. Köhler (Duisburg) * 19. 6. Dr. Kreile 19. 6. Kroll-Schlüter 17. 6. Lampersbach 17. 6. Lange * 19. 6. Dr. Lenz (Bergstraße) 17. 6. Lücker * 19. 6. Luster * 19. 6. Dr. Mikat 17. 6. Dr. Müller ** 19. 6. Dr. Müller-Hermann * 19. 6. Neuhaus 19. 6. Dr. Pfennig * 19. 6. Pieroth 18. 6. Regenspurger 17. 6. Russe 17. 6. Dr. Schäuble ** 19. 6. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Schinzel * 19. 6. Frau Schleicher * 19. 6. Schmidt (Kempten) 17. 6. Schmidt (Wattenscheid) 17. 6. Schmidt (Wuppertal) 17. 6. Dr. Schwencke (Nienburg) * 19. 6. Seefeld * 19. 6. Sieglerschmidt * 19. 6. Dr. Sprung 19. 6. Stockleben 19. 6. Voigt (Frankfurt) 19. 6. Walkhoff 19. 6. Frau Dr. Walz * 19. 6. Dr. Warnke 17. 6. Wawrzik * 19. 6. Weber (Heidelberg) 17. 6. Frau Dr. Wex 17. 6. Frau Dr. Wisniewski 17. 6. Wissmann 17. 6. Dr. Wörner 19. 6. Baron von Wrangel 17. 6. Würtz 17. 6. Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Sperling auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Kolb (CDU/CSU) (Drucksache 8/4147 Fragen B 170 und 44): Wie hoch schätzt die Bundesregierung das Defizit an nicht gebauten Mietwohnungen der Jahre 1976, 1977, 1978 und 1979? Wie hoch sind die fehlenden Steuereinnahmen aus diesem Wohnungsdefizit zu veranschlagen, und welche steuerlichen Tatbestände werden dafür in Ansatz gebracht? Zu Frage B 170: Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß bei der Beurteilung des Niveaus der Neubauproduktion Mietwohnungsbau und Eigentumsmaßnahmen nicht isoliert betrachtet werden können. Entscheidend ist der Beitrag dieser beiden sich ergänzenden Bereiche zur Verbesserung der Wohnungsversorgung insgesamt. In den Jahren 1976 bis 1979 wurden rund 1 530 000 Wohnungen fertiggestellt. Die Bundesregierung hält auf mittlere Sicht weiterhin eine Wohnungsbauproduktion von jahresdurchschnittlich rund 400 000 für erstrebenswert. Zu Frage B 44: Aus der Beantwortung der Frage B 170 wird deutlich, daß sich ein Defizit an neu gebauten Mietwohnungen nicht beziffern läßt. Demzufolge können auch keine quantifizierten Angaben über die Auswirkungen auf das Steueraufkommen gemacht werden. Es ist darauf hinzuweisen, daß eine höhere Zahl an neu gebauten Mietwohnungen nicht unbedingt zu höheren Steuereinnahmen geführt hätte. Der Neubau von Mietwohnungen hat nämlich sehr unterschiedliche Aufkommenseffekte: 17978* Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Juni 1980 — Der Abzug von Schuldzinsen, Abschreibungen und sonstigen Werbungskosten führt in den ersten Jahren nach Baubeginn regelmäßig dazu, daß Verluste aus Vermietung und Verpachtung auftreten. Insofern führt der Neubau von Wohnungen zu Mindereinnahmen. — Andererseits stellt der Neubau von Mietwohnungen einen Produktionsvorgang dar, in dessen Vollzug sowohl Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit wie auch aus Unternehmertätigkeit und Vermögen entstehen. Mehreinnahmen bei der Lohnsteuer, der Einkommensteuer und den Produktionssteuern entstehen aber nur, wenn zusätzliche Bauaufträge auf eine verfügbare Produktionskapazität stoßen und zur Einstellung zusätzlicher Beschäftigter in der Bauwirtschaft führen. In Anbetracht der ausgelasteten Kapazitäten in der Bauwirtschaft in den letzten Jahren ist zu vermuten, daß diese Effekte gering zu veranschlagen wären. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Sperling auf die Schriftlichen Fragen des Abgeordneten Zywietz (FDP) (Drucksache 8/4147 Fragen B 163 und 164): Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeiten, durch Bepflanzung von Flachdächern mit Gras Heizenergie im Wohnungsbau einzusparen? Ist die Bundesregierung bereit, bereits auf diesem Sektor bestehende Erkenntnisse durch weitere Forschungsmaßnahmen zu unterstützen? Zu Frage B 163: Nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik werden für die Beurteilung des baulichen Wärmeschutzes (z. B. für die Berechnung des Wärmedurchgangskoeffizienten) eines Bauteiles nur die Schichten herangezogen, die innerhalb bzw. unterhalb der Feuchtigkeits-Sperrschicht liegen, da eine Durchfeuchtung von Bauteilschichten in der Regel zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Wärmeschutzes führt. In gleicher Weise werden Bepflanzungen und zugehöriges Erdreich behandelt. Abweichende Ausführungen, bei denen eine Durchfeuchtung der Wärmedämmschicht möglich ist, bedürfen einer besonderen Zulassung. Bepflanzungen und Erdreich in den in Betracht kommenden üblichen Schichtdicken können demnach den so definierten Wärmeschutz nicht verbessern. Es trifft jedoch zu, daß Bepflanzungen und Erdreich auf Flachdächern die Temperaturschwankungen und -beanspruchungen mildern und damit auch die Schadensanfälligkeit bei geeigneten Dachausbildungen und geeigneter Baustoffwahl verringern können. Zu Frage B 164: Die Bundesregierung bemüht sich, durch Vergabe von Forschungsaufträgen technisch einwandfreie Lösungen für eine Begrünung von Wohnbauten zu klären und anschließend baupraxisnahe Information über die Forschungsergebnisse zu verbreiten. So wurde bereits im Jahre 1979 ein Forschungsauftrag erteilt, der ganz allgemein, die „Begrünung von Wohnbauten" untersucht. Das Ergebnis wird im Jahre 1981 vorliegen. In der Ausschreibung des Bauforschungsprogramms 1981 ist das Thema „Begrünung von Wohnbauten als Wind- und Wärmeschutz" aufgenommen worden. Die Thematik geht über die Bepflanzung von Flachdächern hinaus. Entsprechende Forschungsanträge hierzu werden im Herbst dieses Jahres beraten werden. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Sperling auf die Schriftlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) (Drucksache 8/4147 Fragen B 165 und 166): Welche Erfahrungen liegen der Bundesregierung über die Verdrängung von Mietern im Zuge von Modernisierungsmaßnahmen vor, und hält die Bundesregierung den gegenwärtigen Schutz der Mieter vor Modernisierungsverdrängungen für ausreichend? Welche gesetzlichen Möglichkeiten zur Verbesserung des Schutzes der Mieter vor Modernisierungsverdrängungen hält die Bundesregierung gegebenenfalls auch unter Berücksichtigung der verstärkten Anstrengungen zur Modernisierung und Energieeinsparung sowie Stadterhaltung für vertretbar? In jüngster Zeit häufen sich Informationen über die Verdrängung von Mietern im Zuge von Modernisierungsmaßnahmen. Modernisierungen dieser Art werden überwiegend außerhalb der öffentlichen Förderprogramme häufig in attraktiven, günstig gelegenen Altbaugebieten vorgenommen. Um genauere Informationen über den Ablauf und die Folgen intensiver Modernisierungen zu erhalten, hat der BMBau einen entsprechenden Forschungsauftrag vergeben, dessen Ergebnisse im Herbst vorliegen werden. Schon jetzt ist dabei deutlich geworden, daß viele Mieter die ihnen zustehenden Rechte nicht voll ausschöpfen. Hier können Beratung und Aufklärung, insbesondere auch durch die Gemeinden, kurzfristig helfen. Schon bei der Verabschiedung des Modernisierungsgesetzes im Jahre 1976 hat es Bemühungen gegeben, eine einheitliche Regelung der Duldungspflichten des Mieters herbeizuführen, die den Mietern auch die Möglichkeit eröffnen sollte, der Modernisierung im Hinblick auf die Mietfolgen zu widersprechen. Damals hat sich das Land Bayern gegen eine solche Einengung der Duldungspflichten des Mieters gewandt. Vor dem Hintergrund der inzwischen gewonnenen Erfahrungen wird zu Beginn der nächsten Legislaturperiode über eine Einschränkung und Vereinheitlichung der Duldungspflichten neu zu entscheiden sein. Ich hoffe, daß dann im Bundesrat auch eine Zustimmung des Landes Bayern zu entsprechenden Regelungen zu erzielen sein wird. Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Juni 1980 17979* Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Sperling auf die Schriftlichen Fragen des Abgeordneten Conradi (SPD) (Drucksache 8/4147 Fragen B 167 und 168): Wie beurteilt die Bundesregierung die derzeitige Produktinformation im Bauwesen, und ist sie bereit, im Interesse der Nutzer und zur Bewältigung der Informationsflut im Bauwesen die schon 1973 in der „Enquete zur Bauwirtschaft" geforderte Entwicklung und den Aufbau einer von Bauproduktherstellern finanziell unabhängigen, bundeseinheitlichen und nach qualitativen Gesichtspunkten wertenden Produktinformation zu fördern? Ist die Bundesregierung bereit, die Entwicklung eines solchen Bauproduktinformationssystems durch Forschungsaufträge zu fördern und nach Abschluß der Entwicklung eines solchen Bauproduktinformationssystems ein Gremium unabhängiger Fachleute mit der Umsetzung in die Praxis zu beauftragen und im Aufbaustadium zu unterstützen? Zu Frage B 167: Zweifellos stellen die wachsende Informationsflut einerseits und die immer komplizierter werdenden ' Aufgaben andererseits die Planer und Bauausführenden vor schwierige Probleme. Die derzeit auf dem Markt befindlichen Bauproduktinformationssysteme decken den Informationsbedarf nicht ab. Offenbar kann eine vollständige Erfassung aller Bauprodukte, ggf. sogar noch mit einer Wertung verbunden, nicht kostendeckend durchgeführt werden, so wichtig sie im Interesse der Nutzer auch sein mag. Die Bundesregierung verschafft sich derzeit durch die Vergabe von Forschungsaufträgen ein Bild von der Situation mit dem Ziel, nach vollständigem Abschluß der Untersuchungen geeignete Maßnahmen im Zusammenwirken mit allen Beteiligten einzuleiten. Die Frage nach einer Förderung von Entwicklung und Aufbau einer Bauproduktinformation durch die Bundesregierung kann deshalb noch nicht beantwortet werden. Für ein von Bauproduktherstellern finanziell unabhängiges bundeseinheitliches und nach qualitativen Gesichtspunkten wertendes Informationssystem werden außerordentlich hohe Kosten entstehen. Selbst bei starker Inanspruchnahme dieses Systems kann nach den derzeitigen Erkenntnissen nicht erwartet werden, daß diese hohen Kosten durch entsprechende Einnahmen gedeckt werden können. Zu Frage B 168: Bereits 1973 ist ein erster Forschungsauftrag erteilt worden. Sein Ergebnis wurde 1976 in Heft 04.014 der Schriftenreihe des Ministeriums unter dem Titel „Verbesserung der Bauproduktinformation" veröffentlicht. In dieser Forschungsarbeit wurden Anforderungen an ein Bauproduktinformationssystem ermittelt und mehrere prinzipielle Lösungsmöglichkeiten vorgestellt. Im Rahmen eines 1975 erteilten Forschungsauftrages wurden Informationsnehmer und Informationsgeber eingehend über ihre derzeitige Praxis und ihre Verbesserungswünsche befragt. Die Untersuchungen stehen vor dem Abschluß und werden einen Querschnitt durch die — sehr unterschiedlichen — Meinungen des Bauwesens geben. Selbstverständlich ist die Bundesregierung bereit, bei Bedarf weitere Forschungsarbeiten zur Abklärung dieses wichtigen Gebietes zu vergeben. Nach Abschluß der noch laufenden Forschungsarbeit soll ein Gremium berufen werden, von dem sich die Bundesregierung Vorschläge für weitere Maßnahmen erhofft. Alle Aktivitäten auf diesem Gebiet bedürfen einer engen Abstimmung mit dem Fachinformationssystem Bauwesen. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Sperling auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Dr. Laufs (CDU/CSU) (Drucksache 8/4147 Frage B 169): Ist die Bundesregierung bereit, eine entsprechende Novellierung des § 147 Abs. 3 des Bundesbaugesetzes anzustreben, um die gesetzliche Ermächtigung zu schaffen, daß die Landesregierungen im Verordnungswege den Zustimmungsvorbehalt für Außenbereichsvorhaben auch auf Große Kreisstädte als Baugenehmigungsbehörde übertragen können, um so eine Entlastung der Regierungspräsidien herbeizuführen und für einen wichtigen Teilbereich das Baugenehmigungsverfahren zu beschleunigen und orts- und bürgernäher auszugestalten? Die Frage der Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde bei nicht privilegierten Vorhaben im Außenbereich ist bereits in den Beratungen der „Beschleunigungsnovelle" im 15. Bundestagsausschuß erörtert worden. Die Auffassungen gingen dahin, daß im Hinblick auf die besondere Interessenlage bei Außenbereichsvorhaben eine Beteiligung der höheren Verwaltungsbehörde gerechtfertigt sei. Sie ermöglicht eine ausreichende Rechtskontrolle und verhindert nicht zuletzt einen zu starken Druck auf die Gemeinden bei Außenbereichsvorhaben. Es wird im übrigen noch darauf hingewiesen, daß die höhere Verwaltungsbehörde bereits nach geltendem Recht für bestimmte Fälle allgemein festlegen kann, daß ihre Zustimmung nicht erforderlich ist. Darüber hinaus ist die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde an eine Zweimonatsfrist gebunden; sie gilt als erteilt, .wenn sie nicht fristgerecht verweigert wird. Beide Regelungen können dazu beitragen, das Baugenehmigungsverfahren zu beschleunigen. Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Sperling auf die Schriftlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Hennig (CDU/ CSU) (Drucksache (8/4147 Frage B 171): Kann die Bundesregierung aus ihrer Kenntnis den Erfahrungssatz von Kommunen bestätigen, daß viele Bebauungspläne deshalb nicht zügiger verabschiedet werden können, weil die Planung, für die freie Planer eingeschaltet werden können, nur ein Fünftel der Arbeit ausmacht, während vier Fünftel Verfahrensabwicklung sind, die die Kommunen allein machen müssen, da es sich dabei um eine Hoheitsaufgabe handelt, und welche gesetzgeberischen Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, den Stau unerledigter Bebauungspläne zügig abbauen zu helfen? Die Bauleitplanung ist Selbstverwaltungsaufgabe der Gemeinden. Das Bundesbaugesetz berechtigt und verpflichtet die Gemeinden, Bauleitpläne in eigener Verantwortung aufzustellen, sobald und so- 17980* Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 222. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Juni 1980 weit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Die Aufstellung von Bebauungsplänen ist kein „technischer" Vorgang, sondern ein Verfahren der Rechtsetzung. Durch den Bebauungsplan wird die städtebauliche Ordnung und Entwicklung und damit auch die eigentumsrechtliche Situation im Plangebiet festgelegt. Mit dem Inkrafttreten wirkt der Bebauungsplan gegenüber jedermann; er ist Ortsrecht. Eine Übertragung des förmlichen, hoheitlichen Aufstellungsverfahrens oder von Teilen dieses Verfahrens an freie Planer ist als Übertragung hoheitlicher Aufgaben nicht zulässig. Nicht ausgeschlossen ist die interne vorbereitende und unterstützende Mitwirkung Privater, wie auch die Ausarbeitung von Bauleitplänen Dritten übertragen werden kann. Es ist allerdings nicht ersichtlich, wie durch die Einschaltung Dritter die Planverfahren als solche stärker beschleunigt werden können als wenn die Gemeinde sie selbst betreibt. Der Bundesregierung ist bisher auch nur bekanntgeworden, daß die Dauer der Planverfahren in erster Linie von den u. U. schwierig zu bewältigenden Planungsproblemen und den vorgeschriebenen, unverzichtbaren Beteiligungen, nicht zuletzt der Bürger, abhängt, die aber in der vorgesehenen Weise von allen politischen Kräften gewollt sind. Wie die Beratungen in der beim BMBau gebildeten Studiengruppe „Genehmigungsverfahren im Bauwesen", in der auch die Problematik der Beschleunigung des Bauleitverfahrens eingehend erörtert worden ist, gezeigt haben, sind die Ursachen der oft langen Dauer der Aufstellungsverfahren sehr vielschichtig. Soweit sie durch gesetzgeberische Maßnahmen des Bundes zu beseitigen waren, ist dies bereits durch das Gesetz zur Beschleunigung von Verfahren und zur Erleichterung von Investitionsvorhaben im Städtebaurecht vom 6. Juli 1979 (BGBl. I S. 949) erfolgt. Die Bundesregierung hat damit ihren Beitrag zur Beschleunigung der Verfahren zur Aufstellung von Bauleitplänen geleistet.
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    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich Ihnen über den Europäischen Rat in Venedig berichte und ehe ich auf die bevorstehenden Treffen zu sprechen komme, ein Wort zum Tag der Deutschen Einheit: Es hat in der deutschen Geschichte nicht an Versuchen gefehlt, aus wirtschaftlichen und politischen Zwängen auszubrechen, sich mehr Freiheit, mehr Gerechtigkeit zu verschaffen. Der große Wurf der Revolution von 1848 ist mißglückt, die deutsche Demokratie von 1919 ging nach einem guten Dutzend von Jahren verloren, aber das Aufbegehren von Menschen bleibt nie ohne Wirkung.
    Der 17. Juni 1953 war ein Aufstand gegen wirtschaftliche und politische Zwänge, zunächst ein Arbeitskonflikt, dann eine spontane Manifestation des Willens von Deutschen, über sich selbst entscheidende Bürger zu sein. Wenn wir in der Bundesrepublik Deutschland zur Erinnerung daran alljährlich den Tag der Deutschen Einheit begehen, dann, so hoffe ich, weniger im Sinne eines kalendermäßigen bezahlten Feiertages, sondern vielmehr im Sinne eines Tages zum Nachdenken.
    Das Streben nach Einheit, so hat Walter Scheel in einer wichtigen Rede hier vor zwei Jahren gesagt, „ist keine verstaubte, nach rückwärts gewandte Reichsromantik". Die Einheit ist vielmehr ein in die Zukunft gerichtetes Friedensziel. Wir wollen die Einheit, um „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen". So steht es in unserem Grundgesetz. Aber wir können mit unserem Dienst am Frieden nicht warten, bis die deutsche Einheit vollendet ist, denn Frieden in Europa ist auch Voraussetzung dafür, daß unser Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt
    Wir Deutschen brauchen den Frieden, wir wollen den Frieden, und wir sind zum Frieden fähig. Wie wichtig Friedenswille und Friedensfähigkeit sind — nicht nur für die Deutschen, sondern auch für die Gemeinschaft der Völker insgesamt —, ist jedermann in den Krisen der letzten sechs Monate unabweisbar deutlich geworden. Darum werden wir alles tun, um als Deutsche unserer besonderen Verantwortung für den Frieden gerecht zu werden — mit ganzem Herzen und mit besonnener Umsicht.
    Im Dezember letzten Jahres haben Erich Honekker, der Staatsratsvorsitzende der Deutschen Demokratischen Republik, und ich in Berlin unabhängig voneinander mit den gleichen Worten gesagt: „Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen.

    (Beifall bei der SPD, bei der FDP und bei einzelnen Abgeordneten der CDU/CSU)

    Dieses Bekenntnis stand schon heute vor zehn Jahren in einem der 20 Punkte von Kassel und im deutschlandpolitischen Programm der sozialliberalen Koalition, über dessen Verwirklichung ich Anfang dieses Jahres im diesjährigen Bericht zur Lage der Nation dem Bundestage Rechenschaft gegeben habe.
    Der 17. Juni vor 27 Jahren hat nicht nur den Willen zur Freiheit, Gerechtigkeit und Einheit sichtbar gemacht, sondern hat auch jedermann sehr deutlich die Grenzen unseres Handelns im geteilten Deutschland schmerzlich vor Augen geführt, die Grenzen für die Menschen und für die Regierungen, dort in der Deutschen Demokratischen Republik, hier in der Bundesrepublik Deutschland.
    Die Einsicht in die Grenzen der Handlungsfähigkeit hat uns nicht zur Resignation geführt. Wohl aber haben wir verstanden: deutsche Einheit kann nicht durch einen Aufstand gegen bestehende Machtverhältnisse erzwungen werden. Auf dieser Realität baut unsere Deutschlandpolitik auf, mit der heute der Zusammenhalt der Deutschen gewahrt, mit der heute die Härten der Teilung gemildert und die Zusammenarbeit zwischen den Deutschen auf beiden Seiten gefestigt und ausgebaut werden.
    An der Aufgabe, die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden, wie das Grundgesetz es will, werden auch diejenigen noch zu arbeiten haben, die nach uns kommen. Auch deshalb ist es



    Bundeskanzler Schmidt
    wichtig, der Jugend geschichtliches Wissen zu vermitteln, das nicht an Elbe und Werra endet.
    Wir Deutschen haben besonderen Anlaß, Geschichte kritisch aufzuarbeiten und mit ihr ins Reine zu kommen, nicht mit gesenktem Blick, sondern mit wachen Augen für Gegenwart und Zukunft. Wir Deutschen sind hineingeboren in ein „schwieriges Vaterland", wie Gustav Heinemann gesagt hat. Den Frieden zu bewahren trotz der deutschen Schwierigkeiten, das ist unser Ernstfall.
    Wir erleben gegenwärtig eine ernste Phase der internationalen Beziehungen. Der 17. Europäische Rat in Venedig gab den Regierungschefs und den Außenministern der EG-Staaten Gelegenheit zu einem überaus lohnenden Gedankenaustausch über die Lage der Gemeinschaft, über die Lage ihrer Mitgliedstaaten in einer Welt schwerwiegender weltpolitischer und weltwirtschaftlicher Erschütterungen. Es gelang, dem ursprünglichen Zweck des Europäischen Rates wieder näherzukommen, nämlich ohne lange Papiere und ohne den Druck von Detailentscheidungen in vertraulicher Aussprache gemeinsam zu klären, was für Europa und für die Mitgliedstaaten auf dem Spiele steht und was zu tun ist.
    Auch an dieser Stelle möchte ich dem italienischen Ministerpräsidenten Cossiga und dem italienischen Außenminister Colombo danken; die mit außerordentlicher Anstrengung und großer Umsicht als sogenannte Präsidentschaft die Europäische Gemeinschaft erfolgreich durch ein besonders schwieriges Halbjahr gesteuert haben.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Wir waren uns in Venedig im Ergebnis einig, daß die — ich zitiere aus der deutsch-französischen Erklärung vom Februar dieses Frühjahrs — ,,europäischen Mächte unter den derzeitigen Umständen besondere Verantwortlichkeiten zu übernehmen haben": In der Gemeinschaft geht es darum, durch unerläßliche Anpassungen der Agrarpolitik und durch eine ausgewogenere Verteilung der finanziellen Lasten die innere und äußere Handlungsfähigkeit sicherzustellen. In der Weltwirtschaft geht es darum, nach den tiefgreifenden Störungen durch die Ölpreisexplosionen und deren Folgen in gemeinsamer Anstrengung der Industrieländer — auch derjenigen des Ostens —, der Ölproduzentenländer und der nicht ölproduzierenden Entwicklungsländer ein neues weltwirtschaftliches Gleichgewicht zu finden. In der Weltpolitik geht es um den angemessenen europäischen Beitrag der Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten zu einer gemeinsamen westlichen Politik der Eindämmung und der Bewältigung von Krisen, die vor allem seit dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan das weltpolitische Gleichgewicht und den Frieden in akuter Weise gefährden.
    Der Streit um die Höhe des britischen Beitrags zum europäischen Haushalt hat die Gemeinschaft in den letzten Monaten zunehmend gelähmt und ihre innere und äußere Handlungsfähigkeit bedroht. Die Beilegung dieses Streites war daher auch eine vordringliche außenpolitische, eine vordringliche sicherheitspolitische Aufgabe geworden. Die Erhaltung des europäischen Gleichgewichts und die Stärkung der Rolle Europas bei der Bewahrung des Friedens in der Welt haben einen Kompromiß zugunsten Großbritanniens notwendig gemacht. Dieser Kompromiß war auch deshalb geboten, weil von der Lösung der Haushaltsfrage die Festsetzung der Agrarpreise für das Wirtschaftsjahr 1980/81, die Sicherung des freien Handels mit Schaffleisch, die Festlegung von Leitlinien für die gemeinsame Fischereipolitik abhingen.
    Aus allen diesen Gründen, vor allem aber aus dem zuerst genannten Grunde: der Notwendigkeit, die äußere Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft zu wahren, der Notwendigkeit der Erhaltung des europäischen Gleichgewichts, hat die Bundesregierung dem ausgehandelten Kompromißpaket zugestimmt. Ich begrüße, daß auch die Führung der Opposition, die wir ja über diese Verhandlungen im Laufe des letzten halben Jahres laufend unterrichtet haben, für diese notwendige Entscheidung Verständnis gezeigt hat, mit der wir es uns allerdings nicht leichtmachen konnten.
    In den Jahren 1980 und 1981 werden Großbritanniens Zahlungen an die Gemeinschaft insgesamt um 61/2 Milliarden DM verringert. Die unvermeidliche Folge ist eine stärkere Belastung der übrigen Mitgliedstaaten, wobei der deutsche Anteil sich automatisch aus dem seit neun Jahren geltenden Finanzierungssystem der Gemeinschaft ergibt. Nach gegenwärtiger Brüsseler Schätzung bedeutet dies, daß wir an dieser zusätzlichen Finanzleistung zugunsten der Entlastung des englischen Haushalts in den Jahren 1980 und 1981 mit 21/2 Milliarden DM beteiligt sind, die Franzosen mit beinahe 2 Milliarden DM, die Italiener mit beinahe 1 Milliarde DM, um nur die größten Beiträge zu nennen.
    Diese aus den Beschlüssen der Gemeinschaft resultierenden zusätzlichen Belastungen sind nicht vorhersehbar gewesen. Sie sind daher durch den Bundeshaushalt 1980 nicht voll und durch die mittelfristige Finanzplanung ab 1981 noch weniger gedeckt. Die Bundesregierung hat deshalb Anfang dieses Monats die notwendigen Deckungsbeschlüsse gefaßt. Für 1981 beträgt die hieraus resultierende Mehrbelastung des Bundeshaushalts aus heutiger Sicht rund 1,8 Milliarden DM, davon ½ Milliarde aus der Verschiebung von Zahlungen, die wir an Großbritannien leisten werden, aus dem Jahr 1980 in das erste Vierteljahr 1981.
    Diese zusätzlichen Ausgaben sind im gesamtstaatlichen Interesse der Bundesrepublik Deutschland ebenso notwendig und ebenso unvermeidbar wie die 1980 beschlossenen Erhöhungen der eigenen Verteidigungsausgaben um real 3 %, wie die Verteidigungshilfe für die Türkei und für Griechenland, wie die enorme Steigerung der Entwicklungshilfe. Damit setzt sich der weit überproportionale Anstieg der internationalen Aufgaben und Verpflichtungen, auch der supranationalen Ausgaben der Bundesrepublik Deutschland fort. Übrigens gehören in diesen Bereich auch die Ausgaben im Rahmen der Deutschlandpolitik und insbesondere die Ausgaben der Berlin-Hilfe. Alle diese schnell stei-



    Bundeskanzler Schmidt
    genden Ausgaben treffen ausschließlich den Bundeshaushalt, nicht jedoch Länder und Gemeinden. Darüber hinaus hat der Bundeshaushalt die Hauptlast der Konjunktur- und Strukturpolitik zu tragen.
    Diese Entwicklung ist im Jahr 1969 bei Verabschiedung der seit 1970 geltenden Finanzverfassung so nicht vorhergesehen worden. Jetzt müssen auch die Länder ihren Anteil zur soliden Finanzierung des deutschen Beitrags für die Erhaltung und die Stärkung der Handlungsfähigkeit Europas übernehmen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Bundesregierung fordert deshalb die Länder auf, einer angemessenen Verteilung des Umsatzsteueraufkommens zugunsten des Bundes — ab 1. Januar 1981 — zuzustimmen

    (Unruhe bei der CDU/CSU)

    und damit endlich dem Verfassungsgebot des Art. 106 des Grundgesetzes Rechnung zu tragen.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Unglaublich! — Dr. Bötsch [CDU/ CSU]: Mit der Verfassung habt ihr ja eigene Erfahrungen!)

    Eine stabile Finanzwirtschaft ist ein Eckpfeiler für unsere Friedensverantwortung in Europa.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Zu einer stabilen Finanzwirtschaft gehört die Wiederherstellung des finanziellen Gleichgewichts zwischen Bund und Ländern.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Erneute Zurufe von der CDU/CSU)

    Das muß von allen befürwortet werden — im Gegensatz zu den Zwischenrufern sehe ich inzwischen die einlenkenden Stellungnahmen auch einer Reihe von CDU-Ministerpräsidenten, meine Damen und Herren —, die politische Verantwortung dafür tragen,

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: 17. Juni!)

    daß die Handlungsfähigkeit des Zentralstaates gesichert bleibt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Tag der Deutschen Einheit!)

    Selbstverständlich ist dabei auch über bisherige Mischfinanzierungen und über Aufgabenteilung zu reden.
    Falls sich die Länder dem verweigern sollten, so wird die Bundesregierung unmittelbar nach dem Zusammentreten des neugewählten Bundestages einen Gesetzentwurf vorlegen, der durch die Erhöhung der Mineralölsteuer und der Branntweinsteuer sowie durch Umstellung der Gasölbetriebsbeihilfe für Landwirte auf nachträgliche Erstattung

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das tun Sie trotzdem!)

    die Finanzierung der aus den Brüsseler Beschlüssen resultierenden Mehrbelastungen sicherstellen wird.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, der Streit um den britischen Haushaltsbeitrag hat deutlich gemacht, daß die Ungleichgewichte im Haushalt der Gemeinschaft — —

    (Anhaltende Unruhe)

    — Ich verstehe die Unruhe nicht. Wenn dies ein Arbeitstag des Parlaments ist, muß ja wohl von der eigentlichen Arbeit des Parlaments geredet werden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich spreche von den Aufgaben des zukünftigen Parlaments.

    (Franke [CDU/CSU]: So wie damals von der Rentenversicherung!)

    Ich denke, Sie sollten sich das sorgfältig anhören, damit Sie hinterher eine Antwort wissen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Zimmermann [CDU/CSU]: Diese Arroganz ist schlechthin unerträglich!)

    Der Streit um den britischen Haushaltsbeitrag hat deutlich gemacht, daß die Ungleichgewichte im Haushalt der Gemeinschaft nur durch strukturelle Anpassungen korrigiert werden können. Darüber bestand Einigkeit im Europäischen Rat. Die Gemeinschaft hat mit den Brüsseler Beschlüssen Zeit gewonnen, die Ungleichgewichte dauerhaft zu beseitigen. Die Kommission in Brüssel wird bis Mitte 1981, also heute in zwölf Monaten, entsprechende Vorschläge vorlegen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Eine Zumutung ist das!)

    In Übereinstimmung mit dem Deutschen Bundestag hält die Bundesregierung daran fest, daß die Mehrwertsteuerabführung an die Gemeinschaft auch in Zukunft 1 % der Bemessungsgrundlage nicht übersteigen darf.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, den Anstieg der EG-Agrarausgaben einzudämmen, weil die Agrarausgaben anderenfalls binnen kurzem die Gesamtheit der eigenen Einnahmen der Gemeinschaft beanspruchen und danach sogar noch übersteigen würden.
    Unser Staat wird auch 1980 und 1981

    (Zuruf von der CDU/CSU: Schulden machen!)

    der bei weitem größte Nettozahler der Gemeinschaft sein. Die deutsche Volks- und Finanzwirtschaft wird 1980 4,3 Milliarden DM mehr beisteuern, als wir herausbekommen; 1981 wird dieser Nettosaldo sogar 5 Milliarden DM betragen. Außer uns werden nur noch Großbritannien und Frankreich einen negativen Nettosaldo haben. Ich habe in Vene-



    Bundeskanzler Schmidt
    dig sehr deutlich gemacht, daß es Grenzen für die finanzielle Belastbarkeit der Bundesrepublik Deutschland gibt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Andere Staaten der Gemeinschaft, die pro Kopf ein gleich hohes oder fast gleich hohes Einkommen haben wie unsere Gesellschaft, sind gegenwärtig in hohem Maße Nettoempfänger. Falls die erstrebten strukturellen Anpassungen nicht ausreichen, um das Auftreten neuer unzumutbarer Nettozahlerpositionen einzelner Mitgliedstaaten zu verhindern, wird sich die Frage stellen, ob die Errichtung einer Obergrenze für die Nettobelastung eines Mitgliedstaats verallgemeinert und ob ein ähnlicher Grundsatz auch für solche Mitgliedstaaten aufgestellt werden sollte, die Nettoempfänger sind. Für diese Haltung, die übrigens nicht nur von der Bundesregierung eingenommen wird, habe ich in Venedig durchaus Verständnis gefunden.
    Es ist unerläßlich, bis 1982 die Ursachen für die bestehenden Ungleichgewichte in der Gemeinschaft zu beseitigen. Dies schulden wir auch den künftigen Partnern Griechenland, Portugal und Spanien. Wir können die große politische Aufgabe der Erweiterung, die wir zur Stärkung der Demokratie in Europa übernommen haben, nur dann zum Erfolg führen — und dazu sind wir entschlossen —, wenn die Gemeinschaft selber stark und sicher ist, wenn die ohnehin schwierigen und langwierigen Anpassungsprozeße nicht mit ungelösten internen Strukturproblemen der Gemeinschaft belastet werden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Bundesregierung hat jedenfalls nicht die Absicht, nach zwei Jahren nochmals einen Beschluß nach dem Muster der Brüsseler Beschlüsse mitzutragen.
    Der Europäische Rat bot auch Gelegenheit, über die Fragen zu sprechen, die am kommenden Wochenende auf der Tagesordnung der zufällig ebenfalls in Venedig stattfindenden Konferenz der sieben größten Industriestaaten der westlichen Welt stehen werden. Schwerpunkte unserer vorbereitenden Diskussionen waren die Inflation, das Energieproblem, die Weltwirtschaftslage insgesamt, besonders die Nord-Süd-Beziehungen.
    Die neun Regierungschefs halten die jüngsten Ölpreiserhöhungen für ungerechtfertigt. Jedenfalls werden sie die inflationären Tendenzen in der Welt noch verstärken.
    Bei den Gesprächen traten aber die weltpolitischen Themen stärker in den Vordergrund als bei früheren Tagungen des Europäischen Rates. Das wird übrigens auch am kommenden Wochenende in Venedig wiederum der Fall sein.
    Wir waren uns einig, daß eine besondere Gefahr darin besteht, daß die Krisen in Afghanistan, im amerikanisch-iranischen Verhältnis und zwischen Arabern und Israelis zu einem einzigen Konflikt verschmelzen könnten. Damit wächst die direkte Bedrohung auch für Europa. Unsere Bürger, unsere Freunde, unsere Verbündeten, insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika, aber auch die
    Staaten jener Region, von der die Rede ist, auch die Sowjetunion und deren Verbündete müssen wissen, was in dieser Lage die europäischen Regierungen denken und wie sie zur Eindämmung und Bewältigung dieses gefährlichen Krisenkomplexes beitragen wollen. Deshalb hat ein Teil unserer Beratungen in Erklärungen seinen Niederschlag gefunden, in denen die gemeinsamen Positionen der europäischen Staaten auf den heutigen Stand gebracht worden sind.
    Zu Afghanistan hatten die EG-Staaten bereits am 19. Februar eine Initiative für ein unabhängiges, blockfreies Afghanistan und eine politische Lösung skizziert, die den Wünschen des afghanischen Volkes und den Interessen der Nachbarn Afghanistans gerecht werden soll. Auf der Grundlage dieser gemeinsamen Haltung sind wir jetzt auf die Beschlüsse der 11. Außenministerkonferenz der islamischen Staaten in Islamabad eingegangen und haben uns bereit erklärt, entsprechende Lösungsinitiativen zu unterstützen.
    Zu Nahost wird die europäische Position auf der Grundlage früherer Erklärungen fortgeschrieben, die sich sowohl auf die Sicherheitsratsentschließungen 242 und 338, welche die EG-Staaten entgegen einigen öffentlich geäußerten Vermutungen nicht abzuändern vorschlagen, wie auf die laufenden ägyptisch-israelischen Verhandlungen beziehen. Mit dem Bekenntnis zum Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes unterstreichen die EG-Staaten ihre Überzeugung, daß die Lösung der Palästinenserfrage ein zentraler Faktor des Friedensprozesses im Nahen Osten ist. Die neun EG-Staaten werden ihre Position und ihren Vorschlag für einen Gewaltverzicht allen betroffenen Parteien erläutern und im Lichte dieser Kontakte und Konsultationen ihr weiteres Vorgehen bestimmen. Eine wichtige Rolle wird dabei auch der europäisch-arabische Dialog spielen.
    Eine persönliche Bemerkung möchte ich hier einfügen: Nach meinem Eindruck wird sich diese sehr ausgewogene Stellungnahme der Europäer hilfreich auf die komplexen Bemühungen um Frieden im Nahen Osten auswirken. Ich freue mich, daß auch die amerikanische und die ägyptische Regierung diese Bewertung geteilt haben. Den israelischen Freunden soll versichert sein: Wir verstehen ihre Sorgen und Nöte, so wie sie mir der Präsident der Knesseth und seine Delegation kurz vor Venedig geschildert haben. Wir haben sie in unsere Beratungen einbezogen.
    Ein wesentlicher Teil des vertraulichen Gedankenaustausches der Regierungschefs galt natürlich den Ost-West-Beziehungen. Präsident Giscard d'Estaing hat ausführlich über seine Gespräche mit dem sowjetischen Generalsekretär Breschnew berichtet. Mir ging es darum, die europäischen Freunde vor den Gesprächen zu konsultieren, die Bundesminister Genscher und ich demnächst in Moskau führen werden, demnächst — das heißt nach dem Treffen mit Präsident Jimmy Carter und Außenminister Muskie am kommenden Wochenende.



    Bundeskanzler Schmidt
    Natürlich werden wir mit der sowjetischen Führung nur für die Bundesrepublik Deutschland sprechen können. Wir tun dies aber auf einer Linie, die wir mit unseren Freunden und Verbündeten gründlich konsultiert und gemeinsam vertieft haben. Wir wissen, daß wir ihre Unterstützung haben. Wir werden bei unserem Arbeitsbesuch in Moskau zugleich die bilateralen Konsultationen auf hoher Ebene fortsetzen. Wir wollen nach den Begegnungen in Belgrad, in Wien und in Warschau unseren Teil dazu beitragen, daß West und Ost gerade in Krisenzeiten im Gespräch bleiben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Graf Huyn [CDU/CSU]: Das ist doch kein Wert an sich!)

    Wir werden klar und deutlich sprechen: über die Gefahren für den Weltfrieden, über deren Ursachen, natürlich besonders über Afghanistan, besonders über die eurostrategische Raketenrüstung der Sowjetunion.
    In einem guten und offenen Gespräch mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Tichonow, der kürzlich die sowjetische Delegation bei der Sitzung der deutsch-sowjetischen Wirtschaftskommission hier in Bonn leitete, waren sich beide Seiten darüber im klaren, daß auch die Chancen einer weiteren Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit davon abhängen, ob eine Entschärfung der internationalen Krisen gelingt.
    Es geht jetzt vor allem darum, herauszufinden, wie Wege zur Lösung dieser Krisen eröffnet werden können. Ich weiß nicht, ob dies schon bei den bevorstehenden Gesprächen möglich sein wird. Ich weiß aber, daß alle Deutschen — wie kaum ein anderes Volk in Europa — unter einer Verschärfung der internationalen Spannungen zu leiden hätten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Mertens [Gerolstein]: [CDU/CSU]: Das will ja auch niemand!)

    Deshalb bin ich sicher: Die Bundesregierung ist verpflichtet, jede Chance zu nutzen, um ihren Beitrag zur Sicherung des Friedens einzubringen.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD und der FDP)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohl.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sinn dieser heutigen Diskussion am Tag der Einheit ist eine Standortbestimmung der deutschen Politik in Deutschland. Herr Bundeskanzler, wer Ihre Regierungserklärung soeben aufmerksam gehört hat, wird festgestellt haben — ich beziffere es nach den Seiten Ihres Manuskripts —, daß von den 30 Seiten, die Sie hier vorgetragen haben, knapp sechs Seiten von der deutschen Frage handelten.

    (Hörtl Hört! bei der CDU/CSU)

    Die Art und Weise, wie Sie zu diesem Thema im Wege einer Pflichtübung gesprochen haben, macht deutlich, wie Ihre Position in dieser Frage ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD]: Um so interessanter wird sein, wie der Oppositionsführer seine Position darstellt!)

    — Herr Kollege Wehner, ich will das für den heutigen Tag mit einem Satz abmachen: Wenn es nach Ihnen ginge, würden wir hier über diese Frage überhaupt nicht mehr sprechen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, ich bin damit einverstanden, daß Sie nach den wichtigen politischen Ereignissen — im Blick auf den Gipfel und andere wichtige Fragen — hier darüber Rechenschaft geben. Aber ich frage Sie ganz direkt: Haben Sie nicht auch persönlich das Gefühl, daß Millionen unserer Landsleute in der Bundesrepublik, die heute früh Ihre Rede gehört haben, und Millionen unserer Landsleute in der DDR, die möglicherweise ebenfalls heute Ihre Rede gehört haben, doch die Frage stellen müssen: Was ist eigentlich der Stellenwert dieser deutschen Frage für die Regierung Helmut Schmidt? Darauf hätten ich und meine Freunde gerne von Ihnen eine Antwort gewußt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Erlauben sie zunächst ein Wort zu Ihren Darlegungen zum Gipfel in Venedig: Herr Bundeskanzler, das Gipfeltreffen der europäischen Regierungschefs hat — und dies ist unübersehbar — die europäisch-amerikanischen Verstimmungen eher vergrößert und die Verständigungsbereitschaft zwischen den Partnern in der Gemeinschaft nicht eben erleichtert. Man muß leider feststellen, daß schon seit Jahren die Gipfeltreffen der europäischen Regierungschefs zu bloßen Routineangelegenheiten erstarrt sind. Fortschritte hin zu einer engeren Zusammenarbeit in Europa sind Lippenbekenntnisse gewesen. Gravierende Themen, über die man sich in den Sitzungen des Ministerrats nicht einigen kann, werden dann zum nächsten Gipfel-Termin verschoben, dort beraten und zumeist ohne inhaltliche Einigung und ohne förmlichen Beschluß an die beratenden Gremien wieder zurückgegeben. Die regelmäßig den Gipfelkonferenzen vorgelegten Dokumenten sind ein überzeugender Beweis für diese These.
    Meine Damen und Herren, die Krise der Europäischen Gemeinschaft ist daher nicht in erster Linie eine Krise des Agrarmarktes oder des europäischen Finanzhaushalts — das ist sie natürlich auch —, der wahre Grund für die Lähmung der Gemeinschaft liegt primär darin, daß sich die politischen Institutionen als unfähig erwiesen haben, Europa mit einem handlungsfähigen Entscheidungsmechanismus auszustatten. Das ist das Problem Europas.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ralf Dahrendorf, einstens Staatsminister der Regierung Brandt und ganz gewiß der Koalition nahestehend, hat früher einmal unter dem Pseudonym Wieland Europa diesen Zustand beklagt. Der gleiche Ralf Dahrendorf hat jüngst geschrieben, seit



    Dr. Kohl
    dem Haager Gipfel vom Dezember 1969 — das ist Ihre Regierungszeit, meine Damen und Herren von der SPD /FDP — seien die Institutionen und Politiken der EG eher zum Hindernis als zum Motor europäischer Kooperation geworden. Die europäischen Dinge, so sagt Dahrendorf, seien heute zunehmend verrottet; Balkanisierung drohe Europa, weil auch der Rat nicht zur institutionellen Klammer und zum Motor des Fortschritts der europäischen Sache geworden sei.
    Genau dies, Herr Bundeskanzler, ist das Bild, das die europäischen Regierungschefs in Venedig wiederum gegeben haben. Immer dann, wenn sie dem Europäischen Parlament stärkeres Mitspracherecht zubilligen müssen, kneifen die Regierungschefs in Europa.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Eigentlich müßte es doch eine Sache aller Fraktionen des Deutschen Bundestags sein, daß wir ein Jahr nach der Wahl des ersten frei gewählten Europäischen Parlaments gemeinsam aufstehen und die Forderung unserer Kollegen im Europäischen Parlament nach stärkerem Mitspracherecht in diesem frei gewählten Europäischen Parlament wie ein Mann unterstützen. Das müßte doch Tradition im deutschen Parlament sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die seit Jahren überfällige Zusammenarbeit in den gemeinschaftlichen Zielen und Mitteln der Wirtschafts-, Finanz-, Haushalts- und Geldpolitik gipfelt wie schon so oft auch jetzt wieder in dem beschwörenden Appell, die weit auseinanderdriftende Inflation in den Ländern der Gemeinschaft zum Hauptziel des gemeinsamen Kampfes zu machen. Ich hätte es gern gesehen, Herr Bundeskanzler, wenn Sie dazu jene markigen Worte gesagt hätten, die Sie einmal mehr in Ihrem Mißverständnis föderaler Staatsstruktur im Verhältnis zu den Ländern hier gefunden haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Eine gemeinsame Energiepolitik als Herausforderung auf die weltweite Krise schlägt sich in der großen Besorgnis nieder, die die Regierungschefs über die jüngsten Ölpreisentscheidungen der Erdöl fördernden Länder zum Ausdruck bringen, und in der Erwartung, daß darüber auf dem Weltwirtschaftsgipfel gesprochen werden müsse. Damit aber, wenn ich es recht verstehe, Herr Bundeskanzler, blieb doch auch die Chance ungenutzt, zusammen mit den besonders hart betroffenen Entwicklungsländern eine gemeinsame europäische Strategie und Politik gegenüber den OPEC-Staaten zu entwickeln.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Was würden Sie denn machen?)

    Der gemeinsame Agrarmarkt als Klammer für die handelspolitische Zusammenarbeit und die Grundlagen der Finanzierung des Gemeinschaftshaushalts soll durch eine Reform der EG-Agrarpolitik und der Finanzierung zur Debatte gestellt werden. Aber Wahrheit ist — auch das ist ja keine neue Weisheit —, daß aus wahltaktischen Gründen die Initiativen in dieser Richtung zunächst einmal unterbleiben, damit man ja nicht die Wähler mit kommenden Ereignissen erschreckt.
    Herr Bundeskanzler, ich stimme Ihnen zu und ich begrüße es, daß Sie nach Jahren der Untätigkeit jetzt zu der- Erkenntnis gelangt sind, daß die aufgestauten Probleme im Agrarhaushalt zu einer entsprechend entschiedenen Politik zwingen. Auch wir, die CDU/ CSU, sind davon überzeugt, daß bestehende Ungleichgewichte im Haushalt der Gemeinschaft korrigiert und strukturelle Verbesserungen am System des Agrarmarkts vorgenommen werden sollten, um das bewährte Prinzip des gemeinsamen Agrarmarkts als europäischer Integrationsklammer nicht zu untergraben und um eine einigermaßen — so schwierig dies sein wird — ausgeglichene Entwicklung zwischen den beteiligten Staaten zu gewährleisten. Wir haben in Besprechungen vor und nach dem Kompromiß Ihnen, Herr Bundeskanzler, und der Bundesregierung als Opposition signalisiert, daß wir in diesem Punkt grundsätzlich übereinstimmen und daß wir bereit sind, Mitverantwortung zu übernehmen, um die EG endlich in die Lage zu versetzen, ihren lähmenden Streit über Bündnispflichten, Solidaritätskundgebungen, EG-Agrarpreise und Haushaltsfinanzierungsprobleme überwinden zu können. Ich will auch von unserer Seite besonders den engagierten Einsatz und das Verhandlungsgeschick unseres Freundes, des amtierenden Ratspräsidenten Emilio Colombo, dankbar erwähnen.
    Ein kurzes Wort, Herr Bundeskanzler, zu einem zweiten Teil Ihrer Regierungserklärung, nämlich zum Thema Nahosterklärung des Europäischen Rats. Spätestens die internationale Reaktion auf die Nahosterklärung des Europäischen Rats stellt doch die Weisheit über den Zeitpunkt und den Inhalt dieser diplomatischen Initiative in Frage.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Die EG-Initiative wird von Israel entschieden und hart abgelehnt, von den arabischen Staaten als „halbherzig" bezeichnet und von den amerikanischen Verbündeten offenkundig mit Mißtrauen, ja Ablehnung verfolgt. Ich frage mich also, Herr Bundeskanzler: Worin liegt eigentlich die Weisheit dieser Erklärung?

    (Graf Huyn [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

    Die neun EG-Mitgliedstaaten haben sich bereit erklärt, „sich im Rahmen einer umfassenden Lösung an einem System konkreter und bindender internationaler Garantien" — jetzt kommt der wichtige Teil — „einschließlich solcher zu Lande zu beteiligen".
    Herr Bundeskanzler, Sie schulden uns eine Auskunft: Was sind „Garantien zu Lande"? Sind damit deutsche Soldaten gemeint, Herr Bundeskanzler? Ihre politischen Freunde haben doch in den letzten Wochen ein billiges politisches Geschäft mit Zitatverfälschungen gemacht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich stelle das Ganze als Frage. Sie sollten die Frage
    beantworten, Herr Bundeskanzler, ob „einschließlich solcher zu Lande" heißen könnte, daß dem-



    Dr. Kohl
    nächst deutsche Truppen an der arabisch-israelischen Grenze stationiert werden.
    Welche Voraussetzungen bieten die EG-Staaten überhaupt, um konkrete Garantien für den Frieden im Nahen Osten geben zu können? Glaubt denn wirklich jemand bei dem jämmerlichen Zustand der Europäer in den letzten sechs Monaten, daß wir, die Europäer, so wie wir uns jetzt befinden, konkrete und glaubhafte Garantien geben können?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, beruht die Sicherheit Israels und heute Ägyptens nicht wirklich vor allem — vielleicht sogar ausschließlich — auf den Garantien der Vereinigten Staaten von Amerika?

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: So ist es!)

    In der Vergangenheit war das übrigens so. Ich glaube, das gilt auch für die Zukunft.
    Herr Bundeskanzler, wenn dies so ist, müßte uns Europäern doch alles daran liegen, die amerikanische Friedenspolitik im Nahen Osten zu stärken

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Dr. Marx [CDU/CSU])

    und nicht durch eigene Initiativen zum falschen Zeitpunkt mit problematischen Versprechungen und entgegen den Warnungen; den Wünschen und dem Vortrag der amerikanischen Regierung zu schwächen.

    (Zuruf des Abg. Graf Huyn [CDU/CSU])

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Hauptteil dessen kommen, was uns heute hier beschäftigen muß, nämlich zum Tag der deutschen Einheit, 27 Jahre nach dem 17. Juni 1953. Ich weiß, daß für viele dieser 17. Juni inzwischen ein erwünschter Feiertag auf dem Weg ins Grüne ist. Dennoch finde ich, wie immer andere darüber denken mögen: Es ist unser Auftrag, es ist unsere Pflicht, auch 27 Jahre danach diesen Tag als den Tag der deutschen Einheit zu würdigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Am 17. Juni 1953 rief ein Berliner Bauarbeiter seinen Arbeitskollegen in Ost-Berlin zu: „Kollegen, es geht hier nicht mehr um Normen und Preise; es geht um mehr. Hier stehen nicht allein die Bauarbeiter der Stalinallee, hier steht Berlin und die ganze Zone. Wir fordern geheime freie Wahlen!" — Das ist das erste Zeugnis des 17. Juni 1953.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Wer immer nach dem Sinn des 17. Juni fragt, hier ist die Antwort: Es ging und es geht noch immer, auch 27 Jahre danach, um den Anspruch von 17 Millionen Deutschen auf Selbstbestimmung, auf Menschenrechte, auf Freiheit.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es ging und es geht auch immer noch darum, daß
    wir, die Deutschen im freien Teil unseres Vaterlandes, die das Glück haben, auf der Sonnenseite der
    deutschen Geschichte leben zu dürfen, uns der Verpflichtung bewußt bleiben, für die Freiheit und die Einheit aller Deutschen einzutreten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das ist und bleibt Kern jeder Deutschlandpolitik. Manchem ist das blanke Selbstverständlichkeit, manche haben es längst aus ihrem Gedächtnis verbannt.
    Ich erinnere aber vor allem deshalb daran, weil die Beziehungen, die sich zwischen beiden deutschen Staaten entwickelt haben, nicht von dem eigentlichen Anliegen unserer Deutschlandpolitik ablenken dürfen. Es werden Verhandlungen geführt, und ihre Ergebnisse beinhalten, so wie im letzten Fall, Verbesserungen im Bereich des Verkehrs, des Gewässerschutzes und auf anderen Feldern. Ich sage ausdrücklich: Das ist in Ordnung. Wer ist denn nicht dafür, selbst wenn die finanziellen Leistungen der Bundesrepublik immer neue Höhen erreichen? Minister beider Regierungen besuchen sich, sprechen von der „ungewöhnlich guten Phase der Beziehungen" und von dem „Interesse der DDR, die Entspannungspolitik voranzutreiben'. Geradezu euphorisch verkündete in diesen Tagen .ein. Mitglied der Bundesregierung, das Verhältnis zwischen beiden deutschen Staaten sei „zu einem wichtigen Stützpfeiler für die Erhaltung des Friedens zwischen Ost und West geworden".
    Das alles vermittelt doch — das ist ja auch das Ziel solcher Äußerungen — ein Bild von Beziehungen, die eine beinahe heile Welt vorspiegeln und die doch die Wirklichkeit Deutschlands nur sehr bedingt wiedergeben; denn die Wirklichkeit mitten in Deutschland heißt doch immer noch Verweigerung der Menschenrechte in der DDR,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    heißt doch immer noch Fortdauer der Perfektionierung der Grenzanlagen, der Schießanlagen, die nur noch den Tod der Flüchtenden zum Ziel haben. Meine Damen und Herren, wer das ausspricht, ist kein kalter Krieger, sondern der kommt nur der Pflicht nach, im deutschen Parlament die Wahrheit auszusprechen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir haben keine Freude daran, daß wir diesen schlimmen Befund aussprechen müssen. Aber wir weigern uns, uns jenem opportunistischen Zeitgeist zu beugen, der in der Geschichte der Völker nie Gutes gebracht hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Wolfram [Recklinghausen] [SPD])

    Ich nenne eine andere Realität: Die DDR konnte sich bis heute nicht bereitfinden, die Altersgrenze für Westreisende auch nur um drei oder fünf Jahre zu senken. Jeder von uns weiß, daß die Wunschliste noch beliebig verlängert werden könnte.
    Beziehungen können für uns so lange nicht als normal akzeptiert werden, so lange es keine Fortschritte für die betroffenen Menschen selbst gibt. Deshalb, Herr Bundeskanzler, sehen wir mit stei-



    Dr. Kohl
    gender Sorge, wie Sie Gespräche, die Sie ankündigen, immer häufiger als „Wert an sich" bezeichnen

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    und damit der anderen Seite, sei es Moskau oder Ost-Berlin, von vornherein signalisieren, daß Zugeständnisse gar nicht erbracht werden müssen, weil Sie ja selbst keine Zugeständnisse mehr erwarten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie können doch nicht erklären oder erklären lassen — wie etwa am 24. Februar 1980 —, daß Gespräche mit der DDR auf höchster Regierungsebene substantielle Fortschritte bringen müssen, und dann, wenn der Gesprächstermin konkret wird, wissen Sie nichts mehr von dieser Voraussetzung.
    Der Maßstab für normale Beziehungen bleibt das Ausmaß an Erleichterungen, die für die Menschen in der DDR erreicht werden, und gar nichts anderes. Aber der heutige Tag, der Inhalt des heutigen Gedenktages reicht über diese sehr aktuelle und sehr dringliche Verpflichtung hinaus. Der 17. Juni steht für einen wichtigen Teil deutscher Geschichte.
    Der 17. Juni stellt uns alle vor drei zentrale Fragen: Wie steht es um den geschichtlichen Auftrag für die Zukunft unseres Landes? Haben wir die Warnungen vor dem Verlust unserer Geschichte als besondere deutsche Gefährdung wirklich begriffen? Was tun wir, um die Lebensinteressen der deutschen Nation zu verwirklichen? Die Antworten auf diese Fragen, die wir uns immer wieder geben müssen, werden um so dringlicher, je mehr Mitbürger heranwachsen, für die der 17. Juni 1953 ebenso Geschichte ist wie die Erfahrung der Hitlerdiktatur und der Zweite Weltkrieg.
    27 Jahre nach dem 17. Juni, 31 Jahre nach der Gründung der DDR und der Spaltung Deutschlands reicht es nicht länger aus, nur der deutschen Einheit zu gedenken und sie zu beschwören. Die uns nachfolgende Generation, aber auch viele Mitbürger aus unserer Generation erwarten eine Antwort auf die Frage: Warum halten wir, die Deutschen, an der Einheit der deutschen Nation fest? Welches Erbe bestimmen wir aus der Epoche der deutschen Einheit für unsere und für die europäische Zukunft?
    Das Geschichtsbewußtsein in unserer Bundesrepublik Deutschland steht bis heute im Zeichen Hitlers, dessen dunkler Schatten für viele die deutsche Geschichte vor dem dritten Reich zuzudecken scheint, es steht im Zeichen verlorener Einheit und zerbrochener Kontinuität. 35 Jahre nach Kriegsende, so meine ich, ist es höchste Zeit, die Geschichte der Deutschen weder allein aus dem Blickwinkel der Greuel des Nationalsozialismus noch der zerbrochenen Einheit zu sehen
    Wenn wir von Vorbelastungen und vom Verlust der deutschen Einheit sprechen, so steht alles unter dem Vorbehalt, daß nur wenig so kommen mußte, wie es kam, und nichts führt an unserer Einsicht vorbei, es seien nicht zuletzt die Deutschen selbst gewesen, die die Einheit verspielt haben. Aber wenn darin Schuld liegt, so war es lange Zeit eine Schuld, die nicht wir allein tragen, sondern die dem Europa des späten 19. Jahrhunderts insgesamt innewohnte.
    Es ist vielleicht ein Stück Tragik der Deutschen, daß darin die verspätete Einheit der Nation enthalten ist.
    Ich darf hier mit dem Amerikaner Gordon Alexander Craig einen höchst unverdächtigen Zeugen für die deutsche Geschichte zitieren. Er schrieb in seiner unlängst erschienenen „Oxford History of Germany":
    Die kurze Geschichte des geeinten Deutschlands, die nur 75 Jahre dauerte und in den Trümmern von Berlin 1945 unterging, verdient unsere Betrachtung nicht allein um deswillen, was sie lehrt über die Rolle der Furcht und der Gier und der Dummheit in den menschlichen Dingen, über die Verführung der Macht und die Folgen politischer Verantwortungslosigkeit wie auch über die offenbar unbegrenzte Unmenschlichkeit, die der Mensch seinen Mitmenschen bereiten kann, sondern auch um deswillen, was sie zu berichten hat von Mut und Standfestigkeit, von Hingabe an die Sache der Freiheit und Widerstand gegen die Macht der Tyrannei.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wenn wir, die Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland, deshalb unbeirrt am Gedenktag des 17. Juni 1953 festhalten, dann vor allem deshalb, weil an diesem Tag wie auch am 20. Juli 1944 an Menschen unseres Volkes erinnert wird, die sich der Freiheit und dem Widerstand gegen die Macht und die Tyrannei mit dem Einsatz ihres eigenen Lebens hingegeben haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Nach dem Endes des Krieges 1945 erging an uns alle die Warnung vor dem Verlust der Geschichte als eine besondere deutsche Gefährdung. Damit bin ich bei meiner zweiten Frage: Haben wir Deutsche diese Gefährdung wirklich begriffen? Meine Damen und Herren, Geschichte und Geschichtsbewußtsein sind Wesensbestandteile unserer politischen Kultur. Wer sie gefährdet, nimmt dem Bürger die Orientierung über sich wie über das Vaterland, dem er zugehört.
    Vor Jahren schrieb der Frankfurter Soziologe Adorno, es sei die fortschreitende bürgerliche Gesellschaft, welche Erinnerung, Zeit und Geschichte als irrationalen Rest liquidiere. Adorno hat sich auch auf diesem Feld geirrt. Er wäre heute erstaunt, könnte er feststellen, wer Geschichte systematisch erst aus den Lehrplänen gestrichen und dann durch ideologische Indoktrination ersetzt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung den Willen zur Geschichte wieder einmal bekräftigt. Meine Bitte ist ganz einfach: Lassen Sie es nicht bei diesen verbalen Bekundungen,

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    sondern treten Sie in Ihrer eigenen Partei offen und entschieden für diese Ansicht ein, denn es waren doch Sozialdemokraten, Herr Bundeskanzler, die die Geschichte bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt



    Dr. Kohl
    und in den Lehrplänen zusammengestrichen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Es waren doch Sozialdemokraten, die in diesen Lehrplänen der jungen Generation die Orientierung an der Geschichte des eigenen Landes versagt haben. Ich erinnere einmal mehr an die Diskussion um die berüchtigten hessischen Rahmenrichtlinien zum Thema Gesellschaftslehre.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen und Zurufe von der SPD)

    Am Tag der Deutschen Einheit ist es an der Zeit zu fragen: Was enthält die deutsche Geschichte für Gegenwart und Zukunft an Orientierung? Meine Damen und Herren, gewiß keine bloßen Ratschläge, was heute und morgen zu tun sei. Seit Jacob Burckhardt gilt es, daß Geschichte nicht klug mache für ein andermal, sondern allenfalls weise für immer. Die deutsche Geschichte, unsere Geschichte, gilt es zu sehen in ihrer Größe und in ihrer Tragik, in ihren Bedingungen wie in ihren unerfüllten Möglichkeiten. Aber, meine Damen und Herren, es gilt auch der Satz — diesen Satz wollen wir unseren jungen Mitbürgern zurufen —: Wer die deutsche Geschichte studiert, braucht am Menschen nicht zu verzweifeln. Auch das ist eine Erfahrung unserer Geschichte.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Er mag Zweifel lernen an der Fähigkeit des Men- schen, das Gute zu wollen und zu tun. Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, möchte ich zurufen: Geschichte schafft Identität, nicht die von unreifen Kindern, die sich ein Narrenparadies erträumen, sondern die von mündigen Bürgern, die von ihrer Geschichte betroffen sind, im Guten wie im Bösen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir wollen uns der deutschen Geschichte stellen; wir wollen uns der Geschichte unserer europäischen Zivilisation stellen. Es gibt zu ihr keine vernünftige Alternative, wenn unsere politische Kultur nicht ihre Bindungs- und Integrationskraft verlieren soll.
    Meine Damen und Herren, eine Gesellschaftslehre, die Geschichte verbannt, die allein auf den utopischen Fortschritt setzt und auf die technische Machbarkeit baut, bietet Unsicherheit statt Wertorientierung, Steine statt Brot.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Diese Ideologen, die doch vor allem bei Ihnen in der SPD angesiedelt sind, messen die Gegenwart nicht an der Vergangenheit, sondern an einer utopischen, jeder Lebenserfahrung entzogenen Zukunft, in der allein das Ziel zählt, aber nicht der Weg, allein die Reinheit der Idee, aber nicht die unmenschlichen Mittel ihrer Verwirklichung.
    Alle Zeiten haben ihre Utopien gehabt. Das 20. Jahrhundert zeichnet sich dadurch aus, daß seine Utopien die blutigsten waren. Gerade die Erfahrungen der NS-Zeit, der blutigen zwölf Jahre nationalsozialistischer Diktatur, haben doch moralische Lasten auf unsere Schultern gelegt, auf unser aller Schultern, gleich, ob wir Sozialdemokraten, Freie Demokraten oder Christliche Demokraten sein mögen. Meine Damen und Herren, wir müssen und wir können diese Last gemeinsam tragen, aber über den Greueln in den Vernichtungslagern Hitlers dürfen wir niemals vergessen, daß es in unserem Volk auch das andere Deutschland gab, das leidenschaftlich Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime geleistet hat, das leidenschaftlich Widerstand gegen die totalitäre Diktatur Ulbrichts geleistet hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Auch das sage ich im Blick auf jenen schlimmen Verleumdungs- und Verteufelungsfeldzug, der im Vorfeld des 5. Oktober in Gang gekommen ist: Wir erinnern gerade in diesem Augenblick daran, daß die Männer und Frauen des Widerstands gegen die braune Diktatur aus allen Schichten und Kreisen unseres Volkes kamen. Es waren Studenten und Offiziere, es waren Arbeiter und Hochschullehrer, es waren Konservative und Sozialdemokraten, es waren Geistliche beider Konfessionen. Sie alle haben damals nicht nach unterschiedlichen politischen, religiösen und weltanschaulichen Standorten gefragt, weil es ihnen vor allem um eines ging: um die Gemeinsamkeit im Kampf gegen Menschenverachtung und Unrecht, gegen Haß und Gewalt.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Auch Filbinger?)

    Auch das gehört zum 17. Juni: daß gerade der Widerstand gegen die rote Diktatur der kommunistischen SED in der sowjetischen Besatzungszone und in der späteren DDR aus allen Schichten unseres Volkes kam. Es waren Männer und Frauen aus der Sozialdemokratischen Partei, aus der Liberaldemokratischen Partei und nicht zuletzt aus der Christlich Demokratischen Union. Allein in den Jahren 1948 bis 1950 wurden über 600 Mitglieder der Christlich Demokratischen Union im Gebiet der heutigen DDR wegen ihres Widerstandes gegen die kommunistische Staatsgewalt verhaftet und verschleppt. Diese Zahl, meine Damen und Herren, enthält nur die präzise bekanntgewordenen Fälle. Viele Schicksale blieben im dunkeln. Nicht wenige sind in den Gefängnissen und Konzentrationslagern in der DDR oder im Archipel GULag in der Sowjetunion verstorben.
    Die Männer und Frauen des Widerstands gegen die Diktatur in Deutschland vor 1945 und in einem Teil nach 1945 hinterließen uns eine große Aufgabe. Sie wollten die tiefen Gräben, die sich in unserem Volke aufgetan hatten, zuschütten und wollten Deutschland, wollten uns wieder moralische Kraft für die Zukunft geben. Sie wollten, Herr Bundeskanzler, dem inneren Frieden dienen, weil ihnen allen bewußt war, daß ein Volk nur dann dem äußeren Frieden und damit der Verantwortung vor der Geschichte entsprechen kann, wenn es auch versucht, dem inneren Frieden, dem Frieden im eigenen Lande zu dienen.
    Der Widerstand gegen die Nationalsozialisten, aber auch der Widerstand gegen das kommunistische Regime in der DDR, das sind bewegende Kapi-



    Dr. Kohl
    tel deutscher Geschichte das ist ein politisches, das ist ein moralisches Vermächtnis und Erbe, das wir pfleglich behandeln müssen. Das heißt, daß wir darüber sprechen, daß wir es an die nächste Generation weitergeben und nicht aus Opportunismus totschweigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber dieses Kapitel, Herr Bundeskanzler, hat jetzt im Jahre 1980 einen sehr aktuellen Bezug. Denn es wird von Ihnen und Ihren politischen Freunden in der SPD so behandelt, als könne dieses Vermächtnis zu einer parteiischen Sache gemacht werden. Warum sonst reißen Sie mit dieser Wahlkampfalternative „Krieg oder Frieden" wieder mutwillig Gräben in unserem Volke auf? Warum sonst machen Sie die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges zu einem Wahlkampfthema?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Pfui!)

    Sie haben sich hier von dieser Art Politik in unserer letzten Aussprache distanziert, aber was nützt mir die Distanzierung des stellvertretenden Parteivorsitzenden der SPD Helmut Schmidt, wenn Sie draußen fortfahren, in dieser Form Polemik zu treiben?

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Millionen deutscher Soldaten haben im letzten Krieg ihr Leben lassen müssen. Diese Millionen sind nicht für oder gegen die eine oder andere Partei in der Bundesrepublik gefallen, sie sind für uns alle gefallen. Dies ist doch die geschichtliche Wahrheit, die niemand bestreiten kann. Es ist bedrückend, Herr Bundeskanzler, daß Sie und Ihre Partei in diesem Wahlkampf an diese Wahrheit überhaupt erinnert werden müssen. Wenn das so fortgeht mit diesem SPD-Wahlkampfschema „Wir sind die Friedensfreunde, die anderen die Friedensfeinde" — —

    (Dr. Ehmke [SPD]: Das müssen Sie nach Berlin sagen, Herr Kohl! Sie machen sich doch lächerlich damit!)

    — Herr Kollege Ehmke, daß Sie nicht den inneren Zugang zu dieser Problematik haben, liegt in der Natur Ihrer Persönlichkeit!

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [SPD])

    Wenn nach dem sozialdemokratischen Wahlkampfschema „Wir sind die Friedensfreunde, die anderen die Friedensfeinde" mit dem Schicksal der Soldaten des Zweiten Weltkrieges parteipolitische Geschäfte verknüpft werden, dann ist dies nichts anderes als ein Anschlag auf den inneren Frieden unseres Landes.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD und der CDU/CSU)

    Innerer Friede setzt voraus, daß wir uns alle zur Last und auch zur Größe unserer Geschichte bekennen.

    (Zurufe von der SPD)

    — Es mag sein, daß für Sie dieser Begriff der guten
    Kapitel deutscher Geschichte nicht mehr nachvollziehbar ist. Aber dann sind Sie arm dran! Das ist der Tatbestand, von dem wir ausgehen müssen!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir können und wir wollen weder die düsteren noch die großen Kapitel unserer Geschichte von uns weisen, wenn wir nicht den Boden unter unseren Füßen verlieren und als Nation unsere politische Handlungsfähigkeit einbüßen wollen. Deutschland ist ganz gewiß den Deutschen stets ein schwieriges Vaterland gewesen. Das wird so bleiben. Es kann auch angesichts des vieldeutigen geschichtlichen Erbes, in dem wir stehen, gar nicht anders sein.
    Meine Damen und Herren, in der DDR versucht die SED, geschichtliche Identität der Deutschen aus jener parteiischen Konstruktion zu gewinnen, die Geschichte nur in Klassenbegriffen sehen und deuten kann. Die SED hatte lange Zeit ihren Historikern den Auftrag gegeben, die, wie sie es versteht, aufsteigende Linie zu jenem Höhepunkt der Weltgeschichte darzustellen, der mit der eigenen Herrschaft, wie sie glaubt, erreicht scheint. Das war verfälschend und willkürlich. Aber wir sollten zur Kenntnis nehmen, was drüben geschieht: jenen Versuch — ich sage es einmal salopp formuliert —, von Friedrich dem Großen bis zu Honecker die Identität der deutschen Nation unter sozialistisch-kommunistischem Vorzeichen zu okkupieren.
    Es gibt — und es wäre nicht redlich, das hier nicht anzufügen — auch in der DDR Anzeichen für eine Rückbesinnung, die leider nicht freiwillig ist, sondern aus der Frage nach der nationalen Identität entsteht. Ihr muß sich auch die DDR-Führung stellen, weil die Menschen drüben danach verlangen, in Leipzig, in Eisenach, in Halle und in Dresden. Die SED kann sich nicht der Realität entziehen, daß der Wille der überwältigenden Mehrheit der Deutschen in der DDR zur Einheit ungebrochen ist. Wir sollten dies zur Kenntnis nehmen. Sie kann sich nicht der Realität entziehen, daß 75 % der DDR-Jugendlichen zwischen 16 und 25 Jahren in einer Umfrage der Staatspartei sich als Deutsche und eben nicht als Staatsbürger der DDR bezeichnet haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Zu meinen Erfahrungen — und viele von Ihnen in allen Fraktionen haben bei Besuchen in der DDR ähnliche Beobachtungen gemacht — gehört jenes Wort, das mir vor wenigen Monaten in Ost-Berlin ein junger Mann aus Leipzig auf dem AlexanderPlatz, der mich dort ansprach, zum Schluß mitgab, als er mir zurief: „Herr Kohl, vergessen Sie nicht, wir sind auch gute Deutsche." Auch dieses Wort gehört in den 17. Juni 1980.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Am Tag der Deutschen Einheit gilt es, über unsere Geschichte Bilanz zu ziehen und uns zu fragen, wie wir mit ihr umgehen. Das Bild ist nicht gut, meine Damen und Herren. Geschichtliche Erinnerung zählt nicht viel unter denen, die vor allem in unserem Lande Meinung machen. Manchem erscheint Geschichte nur als Hemmnis beim Aufbruch in die schöne neue Welt. Das kann aber doch auf die Dauer nicht ohne schwere Folgen für die junge Generation



    Dr. Kohl
    bleiben, der die Orientierung versagt wird und allenfalls ersetzt wird durch parteiisch ausgesuchte Vergangenheitsfragmente und Zukunftsutopien, in der die Gegenwart nicht erklärt, sondern von links her denunziert wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren von der SPD, Sie sollten darüber nachdenken — ich verdanke dieses Zitat einem Aufsatz von Peter Glotz —, wenn kürzlich ein junger Deutscher, Thomas Schmid, ein Frankfurter Sponti, folgende Sätze formuliert hat:
    Eine Tugend, die uns Deutschen . heute fehlt, möchte ich lernen:
    — so sagt er —
    die Fähigkeit, zusammenzuleben, sich nicht vernichten zu wollen, eine Lebensweise, die wirklich konträres Nebeneinander dulden kann. Was ich aber nicht will:
    — so sagt er —
    die Tradition der Selbstbezichtigung: Ich werde die deutschen Schrecken gewiß nicht vergessen. Aber ich will auch mein Deutschsein nicht länger vergessen, überspielen.
    Dieser junge Mitbürger hat den Ort unserer deutschen Gemeinsamkeiten definiert, einer Gemeinsamkeit, die uns Gegensätze ertragen läßt, die im politischen Konflikt aber den Willen zur Verteufelung des parteipolitischen Gegners ausschließt. Auch das geht an die Adresse von uns allen.
    Damit komme ich zu meiner dritten Eingangsfrage: Was tun wir, um die Lebensinteressen der deutschen Nation zu erkennen und zu verwirklichen? Auftrag des Politikers ist es, die Lebensinteressen der Nation zu erkennen und für ihre Verwirklichung zu arbeiten. Dazu gehören Augenmaß, Kenntnis der Weltlage, Fähigkeit zu realistischem Handeln, ein Sinn für moralische Qualitäten und den Zusammenhang zwischen der atlantisch-freiheitlichen Grundorientierung unserer Politik und den freiheitlichen Grundlagen unseres Gemeinwesens und endlich, Herr Bundeskanzler, die Fähigkeit zur Führung. In jedem einzelnen Punkte sehen wir heute mit wachsender Besorgnis Unsicherheit, Taktieren, Anpassung, Betriebsamkeit und ein Handeln, das die Schwierigkeiten in der westlichen Allianz nicht bewältigt, sondern durch Zuwarten und Zweideutigkeiten, durch Schlauseinwollen und Entscheidungsschwäche vergrößert.
    Wie die deutschen Interessen definiert werden sollen, ist offensichtlich nicht nur im Bundeskanzleramt eine offene Frage. Vielmehr wird auch von der SPD landauf, landab in einer Weise debattiert, als stünde nicht das Godesberger Programm, sondern erneut die Atlantische Gemeinschaft, die Westintegration, die Bindung an Amerika und die Frage der Wiederbewaffnung zur Diskussion. Das ist Ihr Beitrag zu dieser Diskussion in diesen Monaten gewesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, das ist die innenpolitisch so brüchige Basis, auf der Sie stehen. In dieser Situation reisen Sie nach Moskau. Es ist richtig — wir sagen das genauso wie Sie —, daß das Gespräch mit der Sowjetunion weitergehen muß.

    (Wehner [SPD]: Hört! Hört!)

    Aber, meine Damen und Herren — und das ist das Wichtige, Herr Wehner —: Es kommt auf den Zeitpunkt und auf den Inhalt der Gespräche an. Denn es ist noch wichtiger als die Reise an sich, daß diese Reise unter klaren bündnispolitischen und innenpolitischen Voraussetzungen vonstatten geht.

    (Graf Huyn [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

    Eine Reise als Selbstzweck oder als Einkaufsreise für staatsmännisches Profil, meine Damen und Herren, läßt sich nicht beliebig wiederholen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD]: Er heißt doch nicht Kohl! — Weitere Zurufe von der SPD)

    An diese Reise knüpfen sich zu viele Hoffnungen. Selbst dann, wenn sie ohne jedes Ergebnis endet, hat diese Reise doch Folgen.

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD]: Sehr richtig!)

    Ich sage es deutlich: Als Selbstzweck ist eine solche Reise für uns undenkbar.
    Deshalb, Herr Bundeskanzler, muß es doch erlaubt sein, daß ich Sie hier mit Ihren eigenen Worten anspreche. Ich erinnere Sie an die gemeinsame Deklaration, die Sie am 6. Mai 1978 — gemeinsam mit dem Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, dem sowjetischen Staatsoberhaupt Leonid Breschnew — in Bonn unterschrieben haben. Dort heißt es — ich zitiere —:
    1. In Respektierung der Unteilbarkeit des Friedens und der Sicherheit in allen Teilen der Welt werden sie
    — die Unterschreibenden —
    ihre politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten für dieses Ziel
    — gemeint ist die Entspannung — unilateral, bilateral und multilateral einsetzen.
    Meine Damen und Herren, der sowjetische Überfall auf Afghanistan steht in klarem Widerspruch zu dieser Erklärung. Die Sowjetunion spricht in Europa von Entspannung und Abrüstung und führt in Afghanistan einen heißen Krieg.
    Was den eigentlichen Skandal dieser Tage ausmacht, ist, daß man das schon wieder als eine beinahe gewollte Ordnung hinnimmt, daß wir über alles reden, nur nicht über die Beachtung der Menschenrechte und über die Solidarität mit einem armen Land, das gegenwärtig mit der Furie des Krieges mit äußerster Entschiedenheit durch die Sowjetunion überzogen wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wer sich damit abfindet, meine Damen und Herren, macht Frieden, Entspannung und Sicherheit teilbar. Es war doch durch viele Jahre die Prämisse deutscher Politik in diesem Hause — von allen zumin-



    Dr. Kohl
    dest verbal anerkannt —, daß Friede, Entspannung und Sicherheit unteilbar sind.
    In der Deklaration heißt es zum zweiten weiter — ich zitiere —:
    Beide Seiten betrachten es als wichtig, daß niemand militärische Überlegenheit anstrebt. Sie gehen davon aus, daß annähernde Gleichheit und Parität zur Gewährleistung der Verteidigung ausreichen.
    Die Sowjetunion hat seit dieser Erklärung, Herr Bundeskanzler, Monat für Monat neue Mittelstrekkenraketen produziert und disloziert. Sie hat damit das Gleichgewicht und die Parität in Europa ganz unstreitig zu ihren Gunsten verändert. Sie verlangt darüber hinaus in dieser Stunde — ich zitiere die „Prawda" vom 13. Juni 1980 —, daß die NATO ihre Maßnahmen zur Wiederherstellung des Gleichgewichts, ihren „Beschluß über Produktion und Stationierung neuer USA-Kernraketensysteme aussetzt oder wenigstens die Verwirklichung aufschiebt". Die Verwirklichung des NATO-Beschlusses kann auf Grund der Produktionsdauer erst in drei Jahren erfolgen. Es ist also Zeit genug zu Verhandlungen über die Reduzierung bzw. über das Thema Verzicht auf Mittelstreckenraketen. Doch die Sowjetunion, meine Damen und Herren, rüstet nicht nur unverändert auf, sondern sie hat bis zur Stunde auch alle Verhandlungen abgelehnt. Sie, Herr Bundeskanzler — und jetzt auch der Kollege Wehner —, haben in diesem Augenblick und in dieser Situation ein Moratorium angeregt. In Ihren Reden in Essen und Hamburg haben Sie bewußt — Herr Wehner hat das jetzt in einem Interview vom 13. Juni 1980 wiederholt — keine zeitliche Begrenzung für ein solches Moratorium genannt. Sie, Herr Bundeskanzler, haben diesen Vorschlag seinerzeit doch offensichtlich ohne Abstimmung mit Ihrem Außenminister und mit den NATO-Verbündeten in der Öffentlichkeit bekanntgegeben. Sie haben in einer ungewöhnlich rüden Form jeden Kritiker dieser Politik gerüffelt, wie wir es in der Geschichte der Bundesrepublik bisher überhaupt noch nicht erlebt haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich fürchte, es war nicht Ihre Einsicht, sondern die Reaktion unserer westlichen Verbündeten, die Sie, zumindest verbal, zur Rückkehr zur gemeinsamen Politik der NATO zwang. Sie haben damit der Sowjetunion den Eindruck vermittelt, daß die Bundesrepublik bereit sein könnte, den NATO-Beschluß zu überprüfen. Sie haben damit — das steht für mich außer Frage — der Sicherheitspolitik des Westens Schaden zugefügt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn die Sowjetunion wirklich an Abrüstung, Gleichgewicht und Parität interessiert ist, dann muß sie zunächst und endlich ihr Nein zum Verhandlungsangebot der NATO aufgeben. Herr Wehner, der diesen Dingen besonders sensibel gegenübersteht, hat bereits „eine kleine Veränderung" — ich zitiere ihn wörtlich — in der Haltung der Sowjetunion feststellen können. Ich stelle fest: Wenn die Sowjetunion nicht bereit ist, innerhalb der nächsten drei Jahre konkrete Vereinbarungen zu treffen, erfordern es unsere Sicherheit und der Frieden in Europa, daß die amerikanischen Mittelstreckenraketen in Europa und auch in der Bundesrepublik Deutschland stationiert werden.

    (Beifall)

    In der Deklaration heißt es zum dritten, Herr Bundeskanzler — ich zitiere —:
    Beide Seiten bekräftigen das Ziel der Wiener Verhandlungen, auf der Grundlage unverminderter Sicherheit der Beteiligten zu einer stabileren Lage auf niedrigerem militärischen Niveau als heute zu gelangen.
    Erst vor wenigen Tagen hat die Sowjetunion alle westlichen Vorschläge zum Abbau der Truppen in Mitteleuropa hart und entschieden zurückgewiesen.
    Herr Bundeskanzler, ich habe aus dieser Deklaration von vor zwei Jahren nur drei Beispiele vorgetragen. Wir erwarten von Ihnen, daß Sie in Moskau Herrn Breschnew auf seine Unterschrift unter dieser gemeinsamen Deklaration hinweisen und daß Sie ihre Einlösung fordern. Das wäre ein Sinn Ihrer Reise nach Moskau.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich sage das deshalb so klar, weil Herr Wehner bereits vorgebeugt hat. Er ist ja damit einverstanden, wenn es wiederum nur zu einer Bekräftigung dieser Deklaration kommt. Meine Damen und Herren, was ist das Papier eigentlich wert, auf dem der Text steht, wenn sich die Sowjets nicht daran halten? Das muß man am Vorabend dieser Reise doch aussprechen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich will ein viertes Thema für Ihre Gespräche in Moskau ansprechen, das Thema der Menschenrechte. Ich bin hier guter Dinge, daß Sie das verstehen. Als vor wenigen Tagen der argentinische Wirtschaftsminister bei uns in Bonn war, habe ich mit großem Interesse zur Kenntnis genommen, daß sich alle Regierungsstellen beeilt haben, der Öffentlichkeit bekanntzugeben, daß sie den argentinischen Wirtschaftsminister auf die Frage der Menschenrechte in seinem Land angesprochen haben. Ich bin damit einverstanden, daß Sie so etwas tun, nur sollten Sie nicht nur auf dem rechten, sondern endlich auch auf dem linken Auge sehend werden.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn Sie Repräsentanten südamerikanischer Regierungen auf die Menschenrechte ansprechen — Sie haben dabei unsere volle Unterstützung —, dann haben wir um der Glaubwürdigkeit Ihrer Reden willen nur den Wunsch, daß wir eine ähnlich klare Ansprache bei Gesprächen mit sowjetischen Politikern, mit Politikern aus der DDR, aus Polen, der CSSR und anderen Ländern hören. Meine Damen und Herren, im Hymnus des Herrn Hauff anläßlich seines DDR- Besuchs habe ich von so etwas nichts gehört.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es gibt noch ein weiteres Thema, das am Tag der Deutschen Einheit in diesem Haus angesprochen



    Dr. Kohl
    werden muß. Herr Bundeskanzler, ich spreche von den bedrückenden Zahlen, die den Rückgang im Bereich der Familienzusammenführung von Menschen aus der Sowjetunion signalisieren. Ich finde wohl, daß Sie, wenn Sie in Moskau mit sowjetischen Führern sprechen, diese Frage nicht nur aus Gründen der Menschenrechte, sondern vor allem aus Gründen der Menschlichkeit zu einem zentralen Punkt Ihrer Gespräche machen sollten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich will es zusammenfassend formulieren: Reisen — ja, aber nur dann, wenn die Bedingungen geklärt sind, wenn sozusagen das Kleingedruckte stimmt. Am sogenannten Kleingedruckten ist aber in den letzten Wochen und Monaten bis zur Unleserlichkeit herumgedeutelt worden. Herr Bundeskanzler, dabei sind die Prioritäten der deutschen Politik vielen Ihrer Parteigänger in der SPD völlig aus den Augen geraten. Es ist vor allem innenpolitisch einiges ins Rutschen gekommen. Vor lauter Entspannungshoffnung sind die Entspannungsrealität, die Realität der Überrüstung der Sowjetunion und ihre Bereitschaft, dieses Übergewicht als Druckmittel, ja, selbst als Angriffsmittel zu nutzen, weitgehend aus dem Gedächtnis geschwunden.
    Für die Sowjetunion besteht heute mehr als seit 30 Jahren die Chance, in den Westen einen Keil zu treiben, weil sie mit dem Zuckerbrot der Entspannung und der Peitsche ihrer Panzerdivisionen ungewöhnlich erfolgreich operiert, weil sie Handelsverträge bietet und zugleich die Hoffnung nährt, daß jemand, der gute Geschäfte macht, auch maßvoll und vernünftig handeln kann.
    Wer die Bündnisgrundlagen in Frage stellt, wer die Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten in Frage stellt, wie es weite Kreise der deutschen Sozialdemokratie zunehmend tun,

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Leider wahr!)

    und wer damit die Lebensinteressen unseres Landes in Frage stellt, der, Herr Bundeskanzler, bietet keine solide Basis für Ihre Reisediplomatie. Wer es für klüger hält, dem Bürger die Unannehmlichkeiten der internationalen Politik zu ersparen, um ihn beim Gang zur Wahlurne ja nicht zu erschrecken, der handelt vielleicht auf den Tag schlau, aber er handelt nicht weise im Bereich der Staatskunst, und er läßt die politische Kultur einer Demokratie zu einer Steuereinziehungs- und Wohltatenverteilungsanstalt verkommen.
    Der demokratische Staat ist mehr. Er fordert jeden Tag — und er muß es tun — von uns, seinen Bürgern, den Mut zur Wahrheit, auch dann, wenn sie unbequem ist. Die gegenwärtige Weltkrise — so gefährlich sie ist — enthält doch nicht nur Bedrohung der Schwäche, der Mutlosigkeit oder der schleichenden Kapitulation. Sie enthält — und das ist eine Lehre deutscher Geschichte auch für uns Heutige — auch die Chance des Mutes, des Augenmaßes und der Erkenntnis, wo unsere Lebensinteressen liegen und wie sich die Stärkung des Bündnisses in der freien Welt zur Sicherheit unserer freiheitlichen Ordnung verhält.
    Die Krise, in der wir leben müssen, kann in ihrem Ergebnis das herbeiführen, was John F. Kennedy einmal so beschrieben hat:
    eine schmerzhafte Überprüfung unserer politischen Werte, unserer Prioritäten und eine innere Stabilität unserer politischen Kultur als Teil des Westens, als Teil der freien Welt.
    Aber das ist nur möglich, wenn wir realistisch und illusionsfrei die Gegenwart betrachten und damit die Zukunft gewinnen.

    (Langanhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD]: Sammelbegriff Kohl!)