Rede von
Hans-Eberhard
Urbaniak
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Müller, Sie können natürlich nicht den miesen Eindruck verwischen, den der Kollege Blüm hier hinterlassen hat.
Der steht für sich und wird von den Arbeitnehmern in den Betrieben auch begriffen. Der steht und wird bewertet.
Sie haben hier den Ausstieg aus der Sozialpolitik für sich beschlossen, Kollege Blüm,
und damit müssen Sie selbst fertig werden.
Kollege Müller, man muß Ihnen schon bescheinigen, daß ganze Passagen Ihrer Ausführungen von Polemik getragen sind. Sie kennen ja wohl die Beratungen um die Novellierung des Arbeitsförderungsgesetzes, wo wir uns sehr bemüht haben, entsprechend den Notwendigkeiten draußen — Arbeitsmarkt, Wirtschaft, Betriebe — die Entscheidungen zu treffen, um Antworten zu finden, fertig zu werden mit den Schwierigkeiten, die uns aus der weltwirtschaftlichen Lage mit ins Haus gekommen sind. Wir haben eine Novellierung zustande gebracht, die dieses eigentlich hergibt. Ich sage Ihnen sehr offen: Sozialdemokraten und Bundesregierung haben in ihrer Amtszeit, soweit ich das sehe und sehr aufmerksam verfolge, von „Drückebergern" — das sollen Arbeitslose sein; so sollen wir formuliert haben — nie gesprochen. Uns ist schon ein Arbeitsloser zuviel, und wir geben uns mit der Zahl überhaupt nicht ab, sondern bekämpfen mit unseren Maßnahmen die Zahl der Arbeitslosen, die wir haben. Der eine Arbeitslose ist uns zuviel, und ich sage Ihnen voller Überzeugung: Unsere Politik zielt darauf ab, mit dieser Frage fertig zu werden.
Zum zweiten Punkt, der in Ihrer Darstellung eine Rolle spielte: Das soziale Leistungsystem hat gerade arbeitslosen Menschen geholfen, über diese schwierige Situation hinwegzukommen. Wir haben ein Leistungsnetz gezogen, das garantiert, daß keiner durchzufallen braucht. Das ist eine Sozial- und Gesellschaftspolitik, die sich auf diesem Felde sehen lassen kann.
Man kann nur mit Daten, Fakten und Zahlen antworten. Sie kennen vielleicht nicht die Darstellung der Bundesanstalt für Arbeit. Darum sage ich Ihnen, was dort über die Politik der Bundesregierung und der Sozialdemokraten steht. Wir haben 350 000
Beschäftigte mehr in diesem Jahr. Wir haben offene Stellen in vielen Branchen, für die wir Arbeitskräfte leider nicht zur Verfügung stellen können. Wir haben 1979 mehr als 300 000 arbeitslose Arbeitnehmer weniger, und wir haben bei den Leistungsempfängern noch einmal 200 000 weniger. Wir haben bei den arbeitslosen Jugendlichen 25 % weniger, bei den Kurzarbeitern 60 % weniger und bei den Teilzeitarbeitslosen 20 % weniger. Diese Zahlen sprechen für sich und sind nur durch das Instrumentarium zu erklären, das wir wirtschafts- und arbeitsmarktpolitisch geschaffen haben, um mit diesen Herausforderungen fertig zu werden. Die wirtschaftlichen Auftriebskräfte sind nun in der Weise wirksam, daß sie auf diesem Felde weiter mit dazu beitragen, die Arbeitslosigkeit noch stärker abzubauen.
Was unser Ziel ist, sagte ich schon, und ich will es Ihnen noch einmal sagen: Schon ein Arbeitsloser ist den Sozialdemokraten zuviel.
Ein weiterer Punkt, den Sie angesprochen haben und der auch für sich spricht: Durch die regionale Arbeitsmarktpolitik — vor allen Dingen für Nordrhein-Westfalen — verzeichnen wir Gott sei Dank einen überdurchschnittlichen Abbau der Arbeitslosigkeit und die Aufnahme eines Strukturprogramms, das das Ziel hat, vor Arbeitslosigkeit zu bewahren und eine Höherqualifizierung der Arbeitnehmer herbeizuführen. Ich kann die Bundesregierung nur bitten, dieses regionalpolitische Instrument weiterzuführen, damit wir in schwierigen Regionalbereichen die Probleme mit unseren Erfahrungen angehen und die Sicherung der Arbeitsplätze und der Qualifizierung unserer Arbeitnehmer betreiben können. Wir haben also in den Jahren Instrumente geschaffen und damit politische Zielvorstellungen verbunden, die dazu beigetragen haben, die Arbeitslosigkeit im wesentlichen herabzudrücken.
Wenn Sie hier beklagen, daß hinsichtlich der Situation bei den Schwerbehinderten ungünstige Zahlen vorliegen, so kann ich das natürlich auch nur feststellen. Aber man muß auch sagen, wie man mit diesen Problemen fertig werden will. Für mich ist es unverständlich, daß die Arbeitgeber in unserem Lande den Sachverstand dieser Arbeitnehmergruppen — sowohl dieser Gruppe wie aber auch der älteren Arbeitnehmer — für sich so wenig in Anspruch nehmen und sie lieber in die Arbeitslosigkeit abdrängen.
Daher sage ich, die Arbeitgeber sind aufgefordert, vor allen Dingen die älteren Arbeitnehmer und die Schwerbehinderten in den Arbeitsprozeß einzugliedern, weil es sich dabei in den meisten Fällen um hochqualifizierte und erfahrene Arbeitnehmer handelt, und die darf man nicht in die Arbeitslosigkeit abdrücken.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979 15329
Urbaniak
Wir kennen auch die Strukturuntersuchungen der Bundesanstalt für Arbeit, die uns das geradezu verdeutlichen, und wir werden uns bemühen, Überlegungen weiter fortzuentwickeln, die Ausgleichsabgabe und die Pflichtquote zu erhöhen, wenn in Betrieben eine Eigenverpflichtung nicht vorherrscht.
Die Bundesregierung hat auf unsere Initiative eine weitere sehr wichtige Maßnahme ergriffen — dankenswerterweise hat Kollege Grobecker das schon gesagt —: eine vorbeugende Maßnahme für unsere Arbeitnehmer in der Stahlindustrie, damit diese bei den Strukturveränderungen, die auf uns zukommen, nicht ins Bergfreie fallen, sondern durch eine soziale Flankierung in gesicherten sozialen Verhältnissen belassen werden. Dafür haben wir uns besonders zu bedanken.
Kollege Müller, es ist sehr einfach, die Dinge polemisch darzustellen; das bringt uns nicht weiter. Als erfahrener Politiker wissen Sie genausogut, welchen Turbulenzen wir auf den Märkten ausgesetzt sind, die von draußen auf uns einwirken. Daher stelle ich fest:
Erstens. Trotz der angespannten finanziellen Situation hat die soziale Sicherung unserer Bevölkerung nach wie vor für uns erste Priorität.
Zweitens. Der Haushalt des BMA ist mit 48,3 Milliarden DM seit Jahren der größte Einzelhaushalt, weil wir es mit der sozialen Sicherheit der breiten Schichten in unserer Bevölkerung ernst meinen.
Drittens. Unsere dynamisierte Sozialpolitik steht für uns auch als Sozialstaat, um das Vertrauen der Menschen in den demokratischen Rechtsstaat zu festigen.
Kollege Müller, das wollte ich Ihnen gern noch mitgeben, damit Sie sehen, wie wir an die Bewältigung der Probleme herangehen, nämlich ohne Polemik, sachlich und klar in der Zielsetzung, die Vollbeschäftigung zurückzugewinnen.