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ID0819301900

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    Plenarprotokoll 8/193 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 193. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979 Inhalt: Erweiterung des Tagesordnung . . . . 15311B Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1980 (Haushaltsgesetz 1980) — Drucksachen 8/3100, 8/3354 — Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses Einzelplan 11 Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 8/3381 — in Verbindung mit Einzelplan 15 Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit — Drucksache 8/3385 — in Verbindung mit Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" — Drucksache 8/3293 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/3489 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit — Drucksache 8/3451 — Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein CDU/CSU 15312A Grobecker SPD 15315D Dr. Rose CDU/CSU 15318C Ewen SPD 15321 B Cronenberg FDP 15324 B Müller (Remscheid) CDU/CSU 15325 B Urbaniak SPD 15328 A Hölscher FDP 15329 B II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979 Dr. Ehrenberg, Bundesminister BMA . 15331 A Burger CDU/CSU 15336 A Fiebig SPD 15338 B Eimer (Fürth) FDP 15341 A Frau Huber, Bundesminister BMJFG . 15343 C Frau Verhülsdonk CDU/CSU 15348A Glombig SPD 15351 D Kroll-Schlüter CDU/CSU 15355 B Kuhlwein SPD 15357 D Höpfinger CDU/CSU 15360A Jaunich SPD 15362 C Einzelplan 30 Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie — Drucksache 8/3391 — Dr. Stavenhagen CDU/CSU 15364 B Dr. Dübber SPD 15367 A Dr.-Ing. Laermann FDP 15369 B Dr. Hauff, Bundesminister BMFT . . . 15372D Lenzer CDU/CSU 15376 C Dr. Vohrer FDP 15379 B Stockleben SPD 15380 B Einzelplan 31 Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft — Drucksache 8/3392 — Frau . Benedix-Engler CDU/CSU . . . . 15381 C Dr. Meinecke (Hamburg) SPD 15385 B Frau Schuchardt FDP 15387 C Schmude, Bundesminister BMBW . . 15391 A Pfeifer CDU/CSU 15395 C Lattmann SPD 15397 B Beratung des vom Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung vorgelegten Entwurfs einer Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages — Drucksache 8/3460 — Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU . . . . 15398 D Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit — Drucksache 8/3388 — Picard CDU/CSU 15399A Esters SPD 15401 C Gärtner FDP 15402 C Dr. Hoffacker CDU/CSU 15405A Dr. Holtz SPD 15407 D Dr. Vohrer FDP 15410D Offergeld, Bundesminister BMZ . . . 15412C Höffkes CDU/CSU 15415B Einzelplan 06 Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern — Drucksache 8/3376 — in Verbindung mit Einzelplan 33 Versorgung — Drucksache 8/3394 — in Verbindung mit Einzelplan 36 Zivile Verteidigung — Drucksache 8/3396 — Dr. Riedl (München) CDU/CSU . . . 15417C Walther SPD 15421 D Gärtner FDP 15424 C Gerster (Mainz) CDU/CSU 15426 D Dr. Nöbel SPD 15429A Baum, Bundesminister BMi 15430A Spranger CDU/CSU 15435 B Dr. Wernitz SPD 15436 D Dr Wendig FDP 15438 B Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt Drucksache 8/3371 — 15439 C Einzelplan 02 Deutscher Bundestag — Drucksache 8/3372 — 15439 C Einzelplan 03 Bundesrat — Drucksache 8/3373 — 15439 D Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979 III Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht — Drucksache 8/3386 — 15439 D Haushaltsgesetz 1980 — Drucksachen 8/3398, 8/3457 — . . 15440A Nächste Sitzung 15440 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 15441* Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag den 13. Dezember 1979 15311 193. Sitzung Bonn, den 13. Dezember 1979 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Dr van Aerssen* 14. 12. Dr. Aigner* 14. 12. Alber * 14. 12. Dr. Bangemann* 14. 12. Dr. Becher (Pullach) 14. 12. Blumenfeld* 14. 12. Egert 14. 12. Fellermaier* 14. 12. Frau Dr. Focke* 14. 12. Friedrich. (Würzburg) * 14. 12. Dr. Früh* 14. 12. Dr. Fuchs* 14. 12. Gallus 14. 12. Genscher 13. 12. von Hassel* 14. 12. Katzer 14. 12. Klein (München) 14. 12. Dr. Klepsch* 14. 12. Lange* 14. 12. Lücker* 14. 12. Luster* 14. 12. Milz 14. 12. Dr. Müller-Hermann* 14. 12. Dr. Pfennig* 14. 12. Frau Schleicher* 14. 12. Dr. Schwarz-Schilling 13. 12. Dr. Schwencke (Nienburg) * 14. 12. Seefeld* 14. 12. Sieglerschmidt* 14. 12. Frau Tübler 14. 12. Frau Dr. Walz* 14. 12. Wawrzik*_ 14. 12. Baron von Wrangel 13. 12. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments
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    Rede von Adolf Müller


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein kurzes Wort an Herrn Kollegen Grobecker. Ich habe mir überlegt: Sollst du auf diesen billigen Angriff gegen Norbert Blüm antworten? Ich möchte folgendes hier feststellen: Norbert Blüm braucht sich nicht um eine Eintrittskarte in die Führungsgremien der Union zu bemühen. Als Vorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft hat er diese Eintrittskarte.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ein Zweites: Er wird es sicherlich ertragen können, daß Sie ihn in Zukunft mit „Herr" anreden wollen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Kleiderordnung!)

    Für uns ist es wichtig, daß unsere Kollegen in den
    Betrieben ihn weiterhin als unseren Arbeitnehmerrepräsentanten ansehen und ihn mit „Kollege" anreden.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Grobecker [SPD]: Da kann man nur lachen!)

    Die breite Palette des Arbeitsministeriums zwingt zur Konzentration. Ich möchte von daher in dieser Haushaltsdebatte insbesondere die Arbeitsmarktpolitik ansprechen, die auch bei den Berichterstattern schon eine Rolle gespielt hat. Die Sicherung der Vollbeschäftigung muß eine der wichtigsten politischen Aufgaben einer jeden Bundesregierung sein; denn von der Arbeitsmarktpolitik sind Millionen Menschen existentiell abhängig.
    Es ist zwar richtig, daß sich die Arbeitslosenzahlen in den letzten Monaten durch die leichte Konjunktursonne etwas gebessert haben, aber, meine Herren von der Regierungsbank, arbeitsmarktpolitisch Entwarnung zu blasen wäre bestimmt verfrüht.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: So ist es!)

    Angesichts des neuerlichen Anstiegs der Arbeitslosenquote auf 3,5 % im letzten Monat erscheint es mir wie ein Hohn für die Betroffenen, wenn auf Regierungsseite schon das Wort „Vollbeschäftigung" gebraucht wird. Da wird vom Sockel der Arbeitslosigkeit geredet, von Restarbeitslosigkeit und von Bodensatz. Meine Herren, die Sprache verrät ein bißchen Verachtung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Helmut Schmidt sagte 1972 — ich habe das schon einmal hier in die Debatte eingeführt; aber so etwas kann man nicht oft genug sagen —, er würde 2 % Arbeitslosigkeit als eine schwere Fehlentwicklung der Wirtschaft ansehen. An solchen eigenen Zusagen bzw. Versprechungen muß sich die Bundesregierung und muß sich die SPD messen lassen. Früher, als wir die Regierungsverantwortung trugen, haben Sie bei viel geringeren Arbeitlosenzahlen sehr scharf und energisch protestiert.

    (Zurufe von der CDU/CSU: So ist es!)

    Diesen selbst gesetzten Anspruch muß die SPD
    heute gegen sich gelten lassen. Gemessen an diesem
    Anspruch haben Sie schlicht und einfach versagt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie haben in der Arbeitsmarktpolitik traurige Rekorde errungen. Seit 20 Jahren gab es in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr so viele Arbeitslose wie in der Regierungszeit von SPD und FDP.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Noch nie mußte so viel Geld für die Bezahlung der Arbeitslosigkeit ausgegeben werden. Eine Million Arbeitslose kosten den Staat jährlich rund 20 Milliarden DM an Steuer- und Beitragsausfällen. Allein im Zeitraum von 1975 bis 1979 mußten für Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Kurzarbeitergeld über 45 Milliarden DM ausgegeben werden. Das ist mehr als in 20 Jahren unter CDU-Verantwortung.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)

    Von diesem Ihrem Versagen sind die Problemgruppen, die schwächsten Glieder des Arbeits-
    15326 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979
    Müller (Remscheid)

    markts am härtesten betroffen; denn sie zahlen die Zeche, und ihre Zahl wächst trotz leichter genereller Besserung auf dem Arbeitsmarkt weiter.
    Noch nie waren so viele Schwerbehinderte arbeitslos. Ober 60 000 sind es zur Zeit. 1970 waren es nur 5100.
    Noch nie waren so viele ältere Arbeitnehmer arbeitslos. Ober 123 000 der 55jährigen und älteren Arbeitnehmer waren im September arbeitslos. Noch nie waren so viele Arbeitnehmer mit gesundheitlichen Einschränkungen arbeitslos wie in diesem Jahr. Nach der letzten Strukturanalyse der Bundesanstalt für Arbeit sind es fast 250 000.
    Diese Zahlen zeigen, daß bei den Problemgruppen der negative Trend keineswegs gebrochen ist. Der harte Kern der Arbeitslosigkeit ist noch härter geworden. Die Konjunkturlokomotive hat die Problemgruppen abgekoppelt. Diese Entwicklung ist beängstigend.
    Diese Menschen fühlen sich auch zunehmend von der Gesellschaft ausgestoßen. Sie haben diese Menschen in den letzten Jahren weitgehend alleingelassen. Sie haben viel zu wenig dagegen getan, daß die Arbeitslosen in der Gesellschaft als Drückeberger und Faulenzer abgestempelt wurden.

    (Zuruf von der SPD: Von wem denn?)

    Sie haben das offensichtlich billigend in Kauf genommen, weil damit Ihr eigenes Versagen in der Arbeitsmarktpolitik auf die Betroffenen abgeschoben wurde.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Verhöhnt und verspottet haben sie die Erwerbslosen!)

    Ihre politische Verantwortung für die Vollbeschäftigung in diesem Land werden Sie damit allerdings nicht los. Ich werde den Verdacht nicht los, daß Sie die Opfer Ihrer Politik auch noch zu den Schuldigen machen wollen.

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Natürlich, so ist es!)

    Mit der 5. Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz z. B. wollten Sie die Anpassungslast einer anhaltend hohen Arbeitslosigkeit einseitig den Arbeitslosen zuschieben und damit praktisch glauben machen, man brauche den Arbeitslosen nur Beine zu machen, und das Problem werde sich dann von selbst lösen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Genau! — Zuruf von der SPD: Unerhört!)

    Sie wollten die Arbeitnehmer von Stufe zu Stufe herabqualifizieren. In Ihren eigenen Reihen hat es darüber Auseinandersetzungen gegeben. Wir haben uns mit den Gewerkschaften dagegen gewandt, weil diese Abstiegsautomatik billig und menschenfeindlich ist.
    Sie wollten in der Arbeitslosenversicherung den Zwang zur unbegrenzten Mobilität einführen, die Arbeitnehmer praktisch wie Hasen durch die Wirtschaftslandschaft jagen. Wir haben uns mit den Gewerkschaften dagegen gewandt, weil dies familienfeindlich und inhuman gewesen wäre.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ihre Arbeitsmarktpolitik der Vertröstungen und Verharmlosungen hat bei vielen Betroffenen zu ungeahnten physischen und psychischen Schäden geführt, die wir kürzlich in einer Studie zur Lebenssituation der Arbeitslosen und zu den sozialen Folgekosten der Arbeitslosigkeit dargestellt haben. Man muß einfach wissen, daß bei vielen Arbeitslosen die seelischen Belastungen durch die Arbeitslosigkeit viel größer sind als die finanziellen Probleme. Man muß wissen, daß diese seelischen Belastungen durch die Arbeitslosigkeit bei den meisten Betroffenen auch zu körperlichen Krankheiten führen. Wir haben deswegen u. a. in dieser Studie vorgeschlagen, Forschungsaufträge mit dem Ziel zu vergeben, die gesundheitlichen Auswirkungen und gesamtwirtschaftlichen Folgekosten von Arbeitslosigkeit zu untersuchen und transparent zu machen. Die ganze Tragweite dieses Problems ist einfach noch nicht erfaßt. Ich schicke Ihnen, Herr Ehrenberg, diese Studie zu, damit Sie die vorgeschlagenen positiven Anregungen mit aufgreifen und unterstützen können.
    Eine verantwortliche Arbeitsmarktpolitik darf sich nicht mit 800 000 Arbeitslosen abfinden. Das wäre Menschenverachtung. Die Arbeitsmarktpolitik muß mit allen Mitteln darauf hinarbeiten, daß jeder, der arbeiten will, dies auch kann. Deshalb müssen die finanziellen Mittel konzentriert für die Wiederbeschäftigung von Arbeitslosen ausgegeben werden; eine sachfremde Vergeudung darf es nicht geben.
    Hier, Herr Kollege Grobecker und vor allen Dingen Herr Minister, ist natürlich ein Wort zum laufenden arbeitsmarktpolitischen Sonderprogramm fällig. Ich rede ja hier nicht wie ein Blinder von der Farbe; Sie werden mir zugeben müssen, daß ich ein bißchen von den Dingen verstehe. Der Bundesminister für Arbeit preist dieses Programm überall als sinnvolle arbeitsmarktpolitische Offensive und als Beispiel einer vorbildlichen Arbeitsmarktpolitik. Der angebliche Erfolg -wird wesentlich damit begründet, daß für 964 Millionen DM Anträge vorliegen. Aber Schein und Wirklichkeit fallen bei diesem Programm weit auseinander. Wer sich vom Schein der Millionenbeträge nicht blenden läßt, muß das Programm in erster Linie daran messen, wie vielen Arbeitslosen es Arbeit und Brot gegeben hat.
    Deshalb war es ja auch richtig, für den wichtigsten Schwerpunkt des Programms, die Wiedereingliederung Arbeitsloser, den Löwenanteil der Mittel vorzusehen. Es ist ein schwerer Fehler, wenn für diesen wichtigsten Programmpunkt jetzt nur noch magere 12 % übriggeblieben sind, für 6 456 Teilnehmer 121 Millionen DM; das sind 18 700 DM für den Einzelfall. Dagegen ist bei den Arbeitsmarktmaßnahmen im Bereich der sozialen Dienste der ursprüngliche Ansatz um das Dreifache überschritten. Hier werden für 7 950 Teilnehmer sage und schreibe 438 Mil-
    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979 15327
    Müller (Remscheid)

    lionen DM ausgegeben. Das ist die Riesensumme von 55 100 DM pro Teilnehmer.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört! — Zuruf von der SPD: Für zwei Jahre!)

    Auch die Mittel für innerbetriebliche Qualifizierungsmaßnahmen wurden um 260 % aufgestockt. Hier werden für 23 566 Teilnehmer 405 Millionen DM oder 17 200 DM pro Teilnehmer ausgegeben.
    Wir halten diese massive Verlagerung der Schwerpunkte für völlig falsch.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die zu allererst und vor sonstigen Aufgaben notwendige Wiederbeschäftigung von Arbeitslosen wird von dem Programm einfach nicht mehr geleistet. Sinn und Zweck des Programms werden fragwürdig.
    Zudem behaupten die Gewerkschaften, daß es bei einer Reihe von Betrieben erhebliche Mitnahmeeffekte gibt. Herr Grobecker hat von den Kommunen gesprochen. Was sagen Sie, Herr Ehrenberg, zu den Berichten in der Gewerkschaftspresse, daß Firmen ihre Mitarbeiter plötzlich kolonnenweise qualifizieren wollen nach dem Motto: Sparen wir die Lohnkosten, der Staat bezahlt sie ja? Ist das in Ihren Augen sinnvolle Arbeitsmarktpolitik, wenn auf der anderen Seite noch 800 000 auf einen Arbeitsplatz warten?
    Aber, Herr Grobecker, noch schlimmer ist das, was sich bei den einzelnen Gemeinden, Städten und Kreisen abspielt. Da werden einfach freie Planstellen in von der Bundesanstalt für Arbeit geförderte Arbeitsplätze umgewandelt und so kommunale Haushalte aus Beitragsmitteln der Arbeitslosenversicherung entlastet. Zum Beispiel hat die Stadt Duisburg — das liegt bekanntlich nicht in einem CDU-regierten Land — einerseits immer mehr eigene Stellen abgebaut, andererseits immer mehr Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Anspruch genommen. Kann das Sinn und Zweck einer rationalen Arbeitsmarktpolitik sein?

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Ganz sicher nicht!)

    Der ÖTV-Vorsitzende hat Sie, Herr Ehrenberg, mit Schreiben vom 12. September auf diesen Mißstand hingewiesen. Herr Bundesarbeitsminister, warum nehmen Sie in der Öffentlichkeit nicht gegen diesen Mißbrauch Stellung? Warum verkaufen Sie in der Offentlichkeit weiter Ihre Erfolgsmeldungen über das Arbeitsmarktprogramm, obwohl Sie es besser wissen?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn diese Informationen zutreffen, ist es eine Vergeudung und ein Mißbrauch von Arbeitsmarktmitteln.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Der liest doch die Briefe von Kluncker gar nicht!)

    Im Zusammenhang mit der Aufstockung des Arbeitsmarktprogramms von 500 auf 940 Millionen DM ist noch interessant, daß die Änderungsanträge unserer Fraktion bei der 5. Novelle zum AFG, die auf eine Ausweitung und Verbesserung der Instrumente einer präventiven Arbeitsmarktpolitik abzielten, von Ihnen, meine Herren von der SPD und der FDP, wegen angeblich fehlender Finanzmittel abgelehnt worden sind, während Sie den Nachtragshaushalt des Bundes mit den nicht benötigten Zuschüssen der Bundesanstalt für Arbeit finanziert haben, gewissermaßen als Manipulationsmasse.
    In dem Zusammenhang, Herr Grobecker, hätte ich von Ihnen gerne eine Auskunft darüber, was an Beschlüssen nun stimmt, ob die Bundesanstalt im nächsten Jahr 1,9 oder 1,6 Milliarden DM an Zuschüssen erhält. Das ist sicherlich auch für Nürnberg maßgebend. Wenn ich eine Presseinformation aus Nürnberg richtig gelesen habe, sind dort andere Zahlen eingesetzt worden, als Sie sie heute morgen hier genannt haben.
    Wenn wir uns mit der Arbeitslosigkeit nicht abfinden und uns auf die noch kommenden wirtschaftlichen Herausforderungen — ich erinnere nur an den Energie- und Währungssektor — einstellen wollen, dürfen wir in der Arbeitsmarktpolitik keine Mark vergeuden. Wir müssen uns überlegen, ob wir nicht das von uns geschaffene und von Ihnen verschlechterte Arbeitsförderungsgesetz noch mehr zu einem Instrument umfassender und vorbeugender Arbeitsmarktpolitik ausbauen können.
    Die halboffene und computerunterstützte Arbeitsvermittlung muß beschleunigt ausgebaut werden.
    Das Unterhaltsgeld sollte bei Familien, die ihren Lebensunterhalt ausschließlich von diesem Geld bestreiten müssen, aufgestockt werden, ebenfalls bei langfristig Arbeitslosen.
    Zur Steigerung der Mobilitätsbereitschaft sollten die Höchstbeträge für die Erstattung von Bewerbungskosten, Familienheimfahrten und Einrichtungsbeihilfen verdoppelt werden.
    Wir müssen uns überlegen, ob es bei den Problemgruppen nicht sinnvoll wäre, die Lohnkostenzuschüsse zu erhöhen und die mögliche Bezugsdauer zu verlängern.
    Wir müssen uns überlegen, ob es zur Schaffung von Teilzeitarbeitsplätzen nicht zweckmäßig wäre, die sogenannte verstärkte Förderung aus Bundesmitteln nach § 96 AFG vorwiegend oder ganz dieser Beschäftigungsart vorzubehalten.
    Wir müssen darüber nachdenken, ob es für die Eingliederung älterer Arbeitsloser nicht sinnvoll wäre, auch hier die Lohnkostenzuschüsse zu erhöhen. Zusammen mit den Vorschlägen, die wir in der Studie zur Lebenssituation der Arbeitslosen gemacht haben, ist es eine ganze Reihe von Anregungen. Wir glauben, dies den Betroffenen schuldig zu sein. Ein Abfinden mit der Millionenarbeitslosigkeit darf und wird es für uns nicht geben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Im Gegensatz zu einer Politik, die sich mit der Millionenarbeitslosigkeit auf dem Rücken der Betroffenen abfindet, ist nach unserem Grundsatzpro-
    15328 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979
    Müller (Remscheid)

    gramm Vollbeschäftigung für uns die gesellschaftspolitische Aufgabe Nr. 1.

    (Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von Dr. Richard von Weizsäcker
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Urbaniak.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans-Eberhard Urbaniak


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Müller, Sie können natürlich nicht den miesen Eindruck verwischen, den der Kollege Blüm hier hinterlassen hat.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Sind Sie der Oberschiedsrichter?)

    Der steht für sich und wird von den Arbeitnehmern in den Betrieben auch begriffen. Der steht und wird bewertet.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Das entscheidet nicht der Kollege Urbaniak! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Sie haben hier den Ausstieg aus der Sozialpolitik für sich beschlossen, Kollege Blüm,

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Das bestimmen Sie nicht!)

    und damit müssen Sie selbst fertig werden.
    Kollege Müller, man muß Ihnen schon bescheinigen, daß ganze Passagen Ihrer Ausführungen von Polemik getragen sind. Sie kennen ja wohl die Beratungen um die Novellierung des Arbeitsförderungsgesetzes, wo wir uns sehr bemüht haben, entsprechend den Notwendigkeiten draußen — Arbeitsmarkt, Wirtschaft, Betriebe — die Entscheidungen zu treffen, um Antworten zu finden, fertig zu werden mit den Schwierigkeiten, die uns aus der weltwirtschaftlichen Lage mit ins Haus gekommen sind. Wir haben eine Novellierung zustande gebracht, die dieses eigentlich hergibt. Ich sage Ihnen sehr offen: Sozialdemokraten und Bundesregierung haben in ihrer Amtszeit, soweit ich das sehe und sehr aufmerksam verfolge, von „Drückebergern" — das sollen Arbeitslose sein; so sollen wir formuliert haben — nie gesprochen. Uns ist schon ein Arbeitsloser zuviel, und wir geben uns mit der Zahl überhaupt nicht ab, sondern bekämpfen mit unseren Maßnahmen die Zahl der Arbeitslosen, die wir haben. Der eine Arbeitslose ist uns zuviel, und ich sage Ihnen voller Überzeugung: Unsere Politik zielt darauf ab, mit dieser Frage fertig zu werden.
    Zum zweiten Punkt, der in Ihrer Darstellung eine Rolle spielte: Das soziale Leistungsystem hat gerade arbeitslosen Menschen geholfen, über diese schwierige Situation hinwegzukommen. Wir haben ein Leistungsnetz gezogen, das garantiert, daß keiner durchzufallen braucht. Das ist eine Sozial- und Gesellschaftspolitik, die sich auf diesem Felde sehen lassen kann.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Wer's glaubt, wird selig!)

    Man kann nur mit Daten, Fakten und Zahlen antworten. Sie kennen vielleicht nicht die Darstellung der Bundesanstalt für Arbeit. Darum sage ich Ihnen, was dort über die Politik der Bundesregierung und der Sozialdemokraten steht. Wir haben 350 000
    Beschäftigte mehr in diesem Jahr. Wir haben offene Stellen in vielen Branchen, für die wir Arbeitskräfte leider nicht zur Verfügung stellen können. Wir haben 1979 mehr als 300 000 arbeitslose Arbeitnehmer weniger, und wir haben bei den Leistungsempfängern noch einmal 200 000 weniger. Wir haben bei den arbeitslosen Jugendlichen 25 % weniger, bei den Kurzarbeitern 60 % weniger und bei den Teilzeitarbeitslosen 20 % weniger. Diese Zahlen sprechen für sich und sind nur durch das Instrumentarium zu erklären, das wir wirtschafts- und arbeitsmarktpolitisch geschaffen haben, um mit diesen Herausforderungen fertig zu werden. Die wirtschaftlichen Auftriebskräfte sind nun in der Weise wirksam, daß sie auf diesem Felde weiter mit dazu beitragen, die Arbeitslosigkeit noch stärker abzubauen.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Das höre ich seit fünf Jahren!)

    Was unser Ziel ist, sagte ich schon, und ich will es Ihnen noch einmal sagen: Schon ein Arbeitsloser ist den Sozialdemokraten zuviel.
    Ein weiterer Punkt, den Sie angesprochen haben und der auch für sich spricht: Durch die regionale Arbeitsmarktpolitik — vor allen Dingen für Nordrhein-Westfalen — verzeichnen wir Gott sei Dank einen überdurchschnittlichen Abbau der Arbeitslosigkeit und die Aufnahme eines Strukturprogramms, das das Ziel hat, vor Arbeitslosigkeit zu bewahren und eine Höherqualifizierung der Arbeitnehmer herbeizuführen. Ich kann die Bundesregierung nur bitten, dieses regionalpolitische Instrument weiterzuführen, damit wir in schwierigen Regionalbereichen die Probleme mit unseren Erfahrungen angehen und die Sicherung der Arbeitsplätze und der Qualifizierung unserer Arbeitnehmer betreiben können. Wir haben also in den Jahren Instrumente geschaffen und damit politische Zielvorstellungen verbunden, die dazu beigetragen haben, die Arbeitslosigkeit im wesentlichen herabzudrücken.
    Wenn Sie hier beklagen, daß hinsichtlich der Situation bei den Schwerbehinderten ungünstige Zahlen vorliegen, so kann ich das natürlich auch nur feststellen. Aber man muß auch sagen, wie man mit diesen Problemen fertig werden will. Für mich ist es unverständlich, daß die Arbeitgeber in unserem Lande den Sachverstand dieser Arbeitnehmergruppen — sowohl dieser Gruppe wie aber auch der älteren Arbeitnehmer — für sich so wenig in Anspruch nehmen und sie lieber in die Arbeitslosigkeit abdrängen.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

    Daher sage ich, die Arbeitgeber sind aufgefordert, vor allen Dingen die älteren Arbeitnehmer und die Schwerbehinderten in den Arbeitsprozeß einzugliedern, weil es sich dabei in den meisten Fällen um hochqualifizierte und erfahrene Arbeitnehmer handelt, und die darf man nicht in die Arbeitslosigkeit abdrücken.

    (Beifall bei der SPD)

    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979 15329
    Urbaniak
    Wir kennen auch die Strukturuntersuchungen der Bundesanstalt für Arbeit, die uns das geradezu verdeutlichen, und wir werden uns bemühen, Überlegungen weiter fortzuentwickeln, die Ausgleichsabgabe und die Pflichtquote zu erhöhen, wenn in Betrieben eine Eigenverpflichtung nicht vorherrscht.
    Die Bundesregierung hat auf unsere Initiative eine weitere sehr wichtige Maßnahme ergriffen — dankenswerterweise hat Kollege Grobecker das schon gesagt —: eine vorbeugende Maßnahme für unsere Arbeitnehmer in der Stahlindustrie, damit diese bei den Strukturveränderungen, die auf uns zukommen, nicht ins Bergfreie fallen, sondern durch eine soziale Flankierung in gesicherten sozialen Verhältnissen belassen werden. Dafür haben wir uns besonders zu bedanken.
    Kollege Müller, es ist sehr einfach, die Dinge polemisch darzustellen; das bringt uns nicht weiter. Als erfahrener Politiker wissen Sie genausogut, welchen Turbulenzen wir auf den Märkten ausgesetzt sind, die von draußen auf uns einwirken. Daher stelle ich fest:
    Erstens. Trotz der angespannten finanziellen Situation hat die soziale Sicherung unserer Bevölkerung nach wie vor für uns erste Priorität.

    (Reddemann [CDU/CSU]: Da hat nicht einmal einer geklatscht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Zweitens. Der Haushalt des BMA ist mit 48,3 Milliarden DM seit Jahren der größte Einzelhaushalt, weil wir es mit der sozialen Sicherheit der breiten Schichten in unserer Bevölkerung ernst meinen.
    Drittens. Unsere dynamisierte Sozialpolitik steht für uns auch als Sozialstaat, um das Vertrauen der Menschen in den demokratischen Rechtsstaat zu festigen.
    Kollege Müller, das wollte ich Ihnen gern noch mitgeben, damit Sie sehen, wie wir an die Bewältigung der Probleme herangehen, nämlich ohne Polemik, sachlich und klar in der Zielsetzung, die Vollbeschäftigung zurückzugewinnen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)