Rede von
Adolf
Müller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein kurzes Wort an Herrn Kollegen Grobecker. Ich habe mir überlegt: Sollst du auf diesen billigen Angriff gegen Norbert Blüm antworten? Ich möchte folgendes hier feststellen: Norbert Blüm braucht sich nicht um eine Eintrittskarte in die Führungsgremien der Union zu bemühen. Als Vorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft hat er diese Eintrittskarte.
Ein Zweites: Er wird es sicherlich ertragen können, daß Sie ihn in Zukunft mit „Herr" anreden wollen.
Für uns ist es wichtig, daß unsere Kollegen in den
Betrieben ihn weiterhin als unseren Arbeitnehmerrepräsentanten ansehen und ihn mit „Kollege" anreden.
Die breite Palette des Arbeitsministeriums zwingt zur Konzentration. Ich möchte von daher in dieser Haushaltsdebatte insbesondere die Arbeitsmarktpolitik ansprechen, die auch bei den Berichterstattern schon eine Rolle gespielt hat. Die Sicherung der Vollbeschäftigung muß eine der wichtigsten politischen Aufgaben einer jeden Bundesregierung sein; denn von der Arbeitsmarktpolitik sind Millionen Menschen existentiell abhängig.
Es ist zwar richtig, daß sich die Arbeitslosenzahlen in den letzten Monaten durch die leichte Konjunktursonne etwas gebessert haben, aber, meine Herren von der Regierungsbank, arbeitsmarktpolitisch Entwarnung zu blasen wäre bestimmt verfrüht.
Angesichts des neuerlichen Anstiegs der Arbeitslosenquote auf 3,5 % im letzten Monat erscheint es mir wie ein Hohn für die Betroffenen, wenn auf Regierungsseite schon das Wort „Vollbeschäftigung" gebraucht wird. Da wird vom Sockel der Arbeitslosigkeit geredet, von Restarbeitslosigkeit und von Bodensatz. Meine Herren, die Sprache verrät ein bißchen Verachtung.
Helmut Schmidt sagte 1972 — ich habe das schon einmal hier in die Debatte eingeführt; aber so etwas kann man nicht oft genug sagen —, er würde 2 % Arbeitslosigkeit als eine schwere Fehlentwicklung der Wirtschaft ansehen. An solchen eigenen Zusagen bzw. Versprechungen muß sich die Bundesregierung und muß sich die SPD messen lassen. Früher, als wir die Regierungsverantwortung trugen, haben Sie bei viel geringeren Arbeitlosenzahlen sehr scharf und energisch protestiert.
Diesen selbst gesetzten Anspruch muß die SPD
heute gegen sich gelten lassen. Gemessen an diesem
Anspruch haben Sie schlicht und einfach versagt.
Sie haben in der Arbeitsmarktpolitik traurige Rekorde errungen. Seit 20 Jahren gab es in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr so viele Arbeitslose wie in der Regierungszeit von SPD und FDP.
Noch nie mußte so viel Geld für die Bezahlung der Arbeitslosigkeit ausgegeben werden. Eine Million Arbeitslose kosten den Staat jährlich rund 20 Milliarden DM an Steuer- und Beitragsausfällen. Allein im Zeitraum von 1975 bis 1979 mußten für Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Kurzarbeitergeld über 45 Milliarden DM ausgegeben werden. Das ist mehr als in 20 Jahren unter CDU-Verantwortung.
Von diesem Ihrem Versagen sind die Problemgruppen, die schwächsten Glieder des Arbeits-
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markts am härtesten betroffen; denn sie zahlen die Zeche, und ihre Zahl wächst trotz leichter genereller Besserung auf dem Arbeitsmarkt weiter.
Noch nie waren so viele Schwerbehinderte arbeitslos. Ober 60 000 sind es zur Zeit. 1970 waren es nur 5100.
Noch nie waren so viele ältere Arbeitnehmer arbeitslos. Ober 123 000 der 55jährigen und älteren Arbeitnehmer waren im September arbeitslos. Noch nie waren so viele Arbeitnehmer mit gesundheitlichen Einschränkungen arbeitslos wie in diesem Jahr. Nach der letzten Strukturanalyse der Bundesanstalt für Arbeit sind es fast 250 000.
Diese Zahlen zeigen, daß bei den Problemgruppen der negative Trend keineswegs gebrochen ist. Der harte Kern der Arbeitslosigkeit ist noch härter geworden. Die Konjunkturlokomotive hat die Problemgruppen abgekoppelt. Diese Entwicklung ist beängstigend.
Diese Menschen fühlen sich auch zunehmend von der Gesellschaft ausgestoßen. Sie haben diese Menschen in den letzten Jahren weitgehend alleingelassen. Sie haben viel zu wenig dagegen getan, daß die Arbeitslosen in der Gesellschaft als Drückeberger und Faulenzer abgestempelt wurden.
Sie haben das offensichtlich billigend in Kauf genommen, weil damit Ihr eigenes Versagen in der Arbeitsmarktpolitik auf die Betroffenen abgeschoben wurde.
Ihre politische Verantwortung für die Vollbeschäftigung in diesem Land werden Sie damit allerdings nicht los. Ich werde den Verdacht nicht los, daß Sie die Opfer Ihrer Politik auch noch zu den Schuldigen machen wollen.
Mit der 5. Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz z. B. wollten Sie die Anpassungslast einer anhaltend hohen Arbeitslosigkeit einseitig den Arbeitslosen zuschieben und damit praktisch glauben machen, man brauche den Arbeitslosen nur Beine zu machen, und das Problem werde sich dann von selbst lösen.
Sie wollten die Arbeitnehmer von Stufe zu Stufe herabqualifizieren. In Ihren eigenen Reihen hat es darüber Auseinandersetzungen gegeben. Wir haben uns mit den Gewerkschaften dagegen gewandt, weil diese Abstiegsautomatik billig und menschenfeindlich ist.
Sie wollten in der Arbeitslosenversicherung den Zwang zur unbegrenzten Mobilität einführen, die Arbeitnehmer praktisch wie Hasen durch die Wirtschaftslandschaft jagen. Wir haben uns mit den Gewerkschaften dagegen gewandt, weil dies familienfeindlich und inhuman gewesen wäre.
Ihre Arbeitsmarktpolitik der Vertröstungen und Verharmlosungen hat bei vielen Betroffenen zu ungeahnten physischen und psychischen Schäden geführt, die wir kürzlich in einer Studie zur Lebenssituation der Arbeitslosen und zu den sozialen Folgekosten der Arbeitslosigkeit dargestellt haben. Man muß einfach wissen, daß bei vielen Arbeitslosen die seelischen Belastungen durch die Arbeitslosigkeit viel größer sind als die finanziellen Probleme. Man muß wissen, daß diese seelischen Belastungen durch die Arbeitslosigkeit bei den meisten Betroffenen auch zu körperlichen Krankheiten führen. Wir haben deswegen u. a. in dieser Studie vorgeschlagen, Forschungsaufträge mit dem Ziel zu vergeben, die gesundheitlichen Auswirkungen und gesamtwirtschaftlichen Folgekosten von Arbeitslosigkeit zu untersuchen und transparent zu machen. Die ganze Tragweite dieses Problems ist einfach noch nicht erfaßt. Ich schicke Ihnen, Herr Ehrenberg, diese Studie zu, damit Sie die vorgeschlagenen positiven Anregungen mit aufgreifen und unterstützen können.
Eine verantwortliche Arbeitsmarktpolitik darf sich nicht mit 800 000 Arbeitslosen abfinden. Das wäre Menschenverachtung. Die Arbeitsmarktpolitik muß mit allen Mitteln darauf hinarbeiten, daß jeder, der arbeiten will, dies auch kann. Deshalb müssen die finanziellen Mittel konzentriert für die Wiederbeschäftigung von Arbeitslosen ausgegeben werden; eine sachfremde Vergeudung darf es nicht geben.
Hier, Herr Kollege Grobecker und vor allen Dingen Herr Minister, ist natürlich ein Wort zum laufenden arbeitsmarktpolitischen Sonderprogramm fällig. Ich rede ja hier nicht wie ein Blinder von der Farbe; Sie werden mir zugeben müssen, daß ich ein bißchen von den Dingen verstehe. Der Bundesminister für Arbeit preist dieses Programm überall als sinnvolle arbeitsmarktpolitische Offensive und als Beispiel einer vorbildlichen Arbeitsmarktpolitik. Der angebliche Erfolg -wird wesentlich damit begründet, daß für 964 Millionen DM Anträge vorliegen. Aber Schein und Wirklichkeit fallen bei diesem Programm weit auseinander. Wer sich vom Schein der Millionenbeträge nicht blenden läßt, muß das Programm in erster Linie daran messen, wie vielen Arbeitslosen es Arbeit und Brot gegeben hat.
Deshalb war es ja auch richtig, für den wichtigsten Schwerpunkt des Programms, die Wiedereingliederung Arbeitsloser, den Löwenanteil der Mittel vorzusehen. Es ist ein schwerer Fehler, wenn für diesen wichtigsten Programmpunkt jetzt nur noch magere 12 % übriggeblieben sind, für 6 456 Teilnehmer 121 Millionen DM; das sind 18 700 DM für den Einzelfall. Dagegen ist bei den Arbeitsmarktmaßnahmen im Bereich der sozialen Dienste der ursprüngliche Ansatz um das Dreifache überschritten. Hier werden für 7 950 Teilnehmer sage und schreibe 438 Mil-
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lionen DM ausgegeben. Das ist die Riesensumme von 55 100 DM pro Teilnehmer.
Auch die Mittel für innerbetriebliche Qualifizierungsmaßnahmen wurden um 260 % aufgestockt. Hier werden für 23 566 Teilnehmer 405 Millionen DM oder 17 200 DM pro Teilnehmer ausgegeben.
Wir halten diese massive Verlagerung der Schwerpunkte für völlig falsch.
Die zu allererst und vor sonstigen Aufgaben notwendige Wiederbeschäftigung von Arbeitslosen wird von dem Programm einfach nicht mehr geleistet. Sinn und Zweck des Programms werden fragwürdig.
Zudem behaupten die Gewerkschaften, daß es bei einer Reihe von Betrieben erhebliche Mitnahmeeffekte gibt. Herr Grobecker hat von den Kommunen gesprochen. Was sagen Sie, Herr Ehrenberg, zu den Berichten in der Gewerkschaftspresse, daß Firmen ihre Mitarbeiter plötzlich kolonnenweise qualifizieren wollen nach dem Motto: Sparen wir die Lohnkosten, der Staat bezahlt sie ja? Ist das in Ihren Augen sinnvolle Arbeitsmarktpolitik, wenn auf der anderen Seite noch 800 000 auf einen Arbeitsplatz warten?
Aber, Herr Grobecker, noch schlimmer ist das, was sich bei den einzelnen Gemeinden, Städten und Kreisen abspielt. Da werden einfach freie Planstellen in von der Bundesanstalt für Arbeit geförderte Arbeitsplätze umgewandelt und so kommunale Haushalte aus Beitragsmitteln der Arbeitslosenversicherung entlastet. Zum Beispiel hat die Stadt Duisburg — das liegt bekanntlich nicht in einem CDU-regierten Land — einerseits immer mehr eigene Stellen abgebaut, andererseits immer mehr Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Anspruch genommen. Kann das Sinn und Zweck einer rationalen Arbeitsmarktpolitik sein?
Der ÖTV-Vorsitzende hat Sie, Herr Ehrenberg, mit Schreiben vom 12. September auf diesen Mißstand hingewiesen. Herr Bundesarbeitsminister, warum nehmen Sie in der Öffentlichkeit nicht gegen diesen Mißbrauch Stellung? Warum verkaufen Sie in der Offentlichkeit weiter Ihre Erfolgsmeldungen über das Arbeitsmarktprogramm, obwohl Sie es besser wissen?
Wenn diese Informationen zutreffen, ist es eine Vergeudung und ein Mißbrauch von Arbeitsmarktmitteln.
Im Zusammenhang mit der Aufstockung des Arbeitsmarktprogramms von 500 auf 940 Millionen DM ist noch interessant, daß die Änderungsanträge unserer Fraktion bei der 5. Novelle zum AFG, die auf eine Ausweitung und Verbesserung der Instrumente einer präventiven Arbeitsmarktpolitik abzielten, von Ihnen, meine Herren von der SPD und der FDP, wegen angeblich fehlender Finanzmittel abgelehnt worden sind, während Sie den Nachtragshaushalt des Bundes mit den nicht benötigten Zuschüssen der Bundesanstalt für Arbeit finanziert haben, gewissermaßen als Manipulationsmasse.
In dem Zusammenhang, Herr Grobecker, hätte ich von Ihnen gerne eine Auskunft darüber, was an Beschlüssen nun stimmt, ob die Bundesanstalt im nächsten Jahr 1,9 oder 1,6 Milliarden DM an Zuschüssen erhält. Das ist sicherlich auch für Nürnberg maßgebend. Wenn ich eine Presseinformation aus Nürnberg richtig gelesen habe, sind dort andere Zahlen eingesetzt worden, als Sie sie heute morgen hier genannt haben.
Wenn wir uns mit der Arbeitslosigkeit nicht abfinden und uns auf die noch kommenden wirtschaftlichen Herausforderungen — ich erinnere nur an den Energie- und Währungssektor — einstellen wollen, dürfen wir in der Arbeitsmarktpolitik keine Mark vergeuden. Wir müssen uns überlegen, ob wir nicht das von uns geschaffene und von Ihnen verschlechterte Arbeitsförderungsgesetz noch mehr zu einem Instrument umfassender und vorbeugender Arbeitsmarktpolitik ausbauen können.
Die halboffene und computerunterstützte Arbeitsvermittlung muß beschleunigt ausgebaut werden.
Das Unterhaltsgeld sollte bei Familien, die ihren Lebensunterhalt ausschließlich von diesem Geld bestreiten müssen, aufgestockt werden, ebenfalls bei langfristig Arbeitslosen.
Zur Steigerung der Mobilitätsbereitschaft sollten die Höchstbeträge für die Erstattung von Bewerbungskosten, Familienheimfahrten und Einrichtungsbeihilfen verdoppelt werden.
Wir müssen uns überlegen, ob es bei den Problemgruppen nicht sinnvoll wäre, die Lohnkostenzuschüsse zu erhöhen und die mögliche Bezugsdauer zu verlängern.
Wir müssen uns überlegen, ob es zur Schaffung von Teilzeitarbeitsplätzen nicht zweckmäßig wäre, die sogenannte verstärkte Förderung aus Bundesmitteln nach § 96 AFG vorwiegend oder ganz dieser Beschäftigungsart vorzubehalten.
Wir müssen darüber nachdenken, ob es für die Eingliederung älterer Arbeitsloser nicht sinnvoll wäre, auch hier die Lohnkostenzuschüsse zu erhöhen. Zusammen mit den Vorschlägen, die wir in der Studie zur Lebenssituation der Arbeitslosen gemacht haben, ist es eine ganze Reihe von Anregungen. Wir glauben, dies den Betroffenen schuldig zu sein. Ein Abfinden mit der Millionenarbeitslosigkeit darf und wird es für uns nicht geben.
Im Gegensatz zu einer Politik, die sich mit der Millionenarbeitslosigkeit auf dem Rücken der Betroffenen abfindet, ist nach unserem Grundsatzpro-
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Müller
gramm Vollbeschäftigung für uns die gesellschaftspolitische Aufgabe Nr. 1.