Rede von
Udo
Fiebig
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir bitte, daß ich einen Gedanken der Frau Minister aufnehme. Haben Sie ein wenig Geduld mit mir, daß ich an den Anfang meiner Ausführungen ein ausführliches Zitat stelle:
Der Begriff der Hilfsbedürftigkeit im Sinn des § 1531 Reichsversicherungsordnung wird dagegen von dem Reichsversicherungsamt verneint, wenn sich die Unterbringung des Geisteskranken überwiegend aus Gründen der öffentlichen Sicherheit als notwendig erwies. In der Praxis muß aufgrund dieser Rechtsprechung in jedem einzelnen Fall geprüft werden, ob die Unterbringung eines Geisteskranken in ,seinem eigenen Interesse erfolgte oder vorwiegend aus sicherheitspolizeilichen Gründen veranlaßt worden ist. Um die mit dieser Prüfung verbundenen Schwierigkeiten zu vermeiden und die Verwaltungsarbeit der beteiligten Stellen zu vereinfachen, ordnen wir auf Grund des Erlasses des Führers und Reichskanzlers über die Vereinfachung der Verwaltung vom 28. August 1939 bis auf weiteres folgendes an: Werden gegen Krankheit versicherte Geisteskranke von anderen Stellen als den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung in Heil- und Pflegeanstalten eingewiesen und treten die Fürsorgeverbände als Kostenträger auf, so sind die den Fürsorgeverbänden durch die Unterbringung entstandenen Kosten ungeachtet der Gründe, auf denen die Unterbringung beruht, je zur Hälfte von dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung und dem Fürsorgeverband zu tragen.
Namens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion danke ich Ihnen, Frau Minister, herzlich für
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 177. Sitzung. — Bonn, Donnerstag, den 11. Oktober 1979 13957
Fiebig
die Ankündigung, daß die Bundesregierung nun endlich diesen Halbierungserlaß aufheben wird.
Eine lange, unheilvolle Geschichte hat damit endlich ihr Ende gefunden. Ich füge an: Sicher hätten wir uns dies alles schon ein klein wenig früher gewünscht.
Immer noch leidet die Psychiatrie im wahrsten Sinn des Wortes an den Folgen des Dritten Reiches. Nicht nur wurde in den Jahren 1933 bis 1945 die psychiatrische Forschung in Deutschland abrupt unterbrochen. Viel gravierender ist, daß in unserer Gesellschaft immer noch das sogenannte Dritte Reich nachwirkt. Psychisch Kranke werden als nicht leistungsfähig, ja sogar als Schmarotzer der Gesellschaft diffamiert. Oft finden sie nicht einmal das geringste menschliche Verständnis, geschweige denn Solidarität und aktive menschliche Anteilnahme. Hadamar und Euthanasie werfen noch immer ihre furchtbaren Schatten.
Einbezogen in diese angesprochene gesellschaftliche Ächtung und die dadurch gegebene Außenseiterstellung sind die Angehörigen von psychisch Kranken. Auch an sie müssen wir denken. Im östlichen Ruhrgebiet ist dies immer noch eine Beleidigung: „Du gehörst nach Aplerbeck!" Man kann auch bei spielenden Kindern oft die Beleidigung hören: „Du bist ein Spasti!" Folglich begegnen auch die Mitarbeiter in der Psychiatrie immer noch diesen alten historischen Vorurteilen.
Lassen Sie mich an dieser Stelle den unbegrenzten Respekt zum Ausdruck bringen, den wir Sozialdemokraten vor dem mühsamen und mit ungeheuren Lasten beschwerten Dienst in der Psychiatrie haben.
Und wenn das überhaupt unsere Sache sein kann und sein soll, müssen wir Sozialdemokraten all denen, die diesen schweren Dienst tun, unseren Dank sagen.
Wenn diese Debatte zusätzlich einen Sinn haben könnte, dann diesen: daß wir — über die Parteigrenzen hinweg — alle miteinander noch mehr Verständnis für unsere psychisch kranken Mitbürger und den Dienst der Psychiatrie in all ihren Formen wecken. Dabei sind wir auf die Mitarbeit von Presse, Funk und Fernsehen angewiesen. Wie klein die Lobby der psychisch Kranken hier im Parlament ist, sehen wir auch heute wieder an der Präsenz im Plenum des Bundestages.
In die Konfession der Schuld, all der Versäumnisse müssen wir Parlamentarier uns selber mit einbeziehen. Wir können nicht nur immer auf andere hinweisen, die etwas versäumt haben könnten. Wenn es um die Konfession der Schuld geht, dann möchte ich daran erinnern, daß Friedrich von Bodelschwingh, der Vater von Bethel, dem sogenannten Führer Adolf Hitler 1940 entschlossenen Widerstand entgegensetzte, als die Kranken von Bethel in die Vernichtungslager abtransportiert werden sollten. Ebenso muß an die mutigen Predigten des Bischofs von Münster, des Grafen von Galen, erinnert werden, der den ungeheuren Mut aufbrachte, die Euthanasie öffentlich zu brandmarken.
Diese Tradition sollte nicht nur in den Kirchen lebendig bleiben. Vielmehr muß unsere Gesellschaft an diese unheilvolle Historie erinnert werden, damit die Erfahrungen, die die Kirchen gemacht haben, in die Weiterentwicklung der Psychiatrie umgesetzt werden. Dazu gehört sicherlich auch die praktische Erfahrung, die in Bethel in mehr als 100 Jahren im Umgang mit psychisch Kranken gemacht worden ist, sowie die Fortschrittlichkeit von Vater Bodelschwingh, der erkannte, wie wichtig Arbeit und Beschäftigung für alle psychisch Kranken sind.
Wer erfährt als erster, wenn ein Mitbürger ganz konkret psychisch krank wird? Wer wird als erster mit einer ausweglos erscheinenden Situation konfrontiert? Es sind doch die Familienangehörigen, die sich an den Hausarzt wenden, und vielleicht — so hoffe ich, wenn ich pro domo sprechen darf — finden sie auch einen Pfarrer, der ihnen als Seelsorger hilft. Vor welche Probleme wird eine Familie gestellt, wenn ein Mitglied der Familie psychisch krank wird? Wo kann sie konkrete Hilfe und Beratung erfahren? Wie wird sie mit der neuen Situation fertig? Wie furchtbar für den psychisch Kranken, wenn der Ehepartner nichts Eiligeres zu tun hat, als einen Antrag auf Scheidung oder sogar einen Entmündigungsantrag zu stellen oder den psychisch Kranken möglichst schnell in stationäre Behandlung abzuschieben! Oft aber — das müssen wir auch sehen — bleibt nichts anderes als stationäre Behandlung übrig, weil eine Familie allein mit den Problemen nicht fertig wird.
Gegenüber 1969/70 haben sich die Verhältnisse teilweise verändert; sie müssen fortgeschrieben werden. Die Bundesregierung steht jetzt vor Grenzen, die offen ausgesprochen werden müssen. Zuerst muß mit allem Nachdruck darauf hingewiesen werden, daß die allseits berufene gemeindenahe Versorgung der psychisch Kranken noch nicht überall erreicht ist, ja daß sogar Modelleinrichtungen, die gebildet worden sind, Probleme offengelegt haben, die nur durch neue Konzeptionen sowohl wirtschaftlicher als auch struktureller Art gelöst werden können. So entnehme ich dem Tätigkeitsbericht 1978 des Sozialpsychiatrischen Dienstes Uelzen:
Aufgaben eines Sozialpsychiatrischen Dienstes wurden für das Land Niedersachsen erstmals gesetzlich definiert. In Erwartung der gesetzlichen Regelung hatte der Sozialpsychiatrische Dienst Uelzen bereits bei seiner Einrichtung die später im Gesetz enthaltenen Aufgaben mit eingeplant und ist darauf vorbereitet, diese Aufgaben auch offiziell zu übernehmen. Das Gesundheitsamt und die Verwaltung des Landkreises Uelzen gehen jedoch davon aus, daß die Aufgaben des Sozialpsychiatrischen Dienstes, wie sie im niedersächsischen Psychiatrie-
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Krankenhausgesetz vorgesehen sind, vom Gesundheitsamt übernommen werden.
Durch diese Auffassungsunterschiede ist es zu Problemen in der Kooperation gekommen, auf die dieser Tätigkeitsbericht eingeht. Außerdem wird in diesem Bericht kritisch angemerkt:
Wir haben den Eindruck, daß die aufgetretenen Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit dem Landkreis Uelzen konzept- und strukturbedingt sind. Es hat einen solchen Dienst bisher nicht gegeben. Er arbeitet mit einer bisher ungewohnten Konzeption. Er ist als multiprofessionelles Team tätig und personell den Erfordernissen entsprechend ausgestattet. Er paßt nicht in das derzeit bestehende System psychosozialer Dienste und läßt sich — dies zeigen auch die Beispiele aus Hannover und Berlin — kaum im Rahmen der Vorstellung des. niedersächsischen Psychiatrie-Krankenhausgesetzes von den Landkreisen finanzieren.
Hier wird also deutlich, wie vor Ort die Schwierigkeiten gesehen werden. Es zeigt sich aber auch, daß diese in Uelzen aufgetretenen Ereignisse typisch sind und daß bei allen vergleichbaren Reformvorhaben ähnliche Schwierigkeiten auftreten.
Modellversuche der ambulanten gemeindenahen Versorgung in der Nachbarschaft meines Wahlkreises, nämlich in Dortmund-Aplerbeck, Paderborn, Lengerich und Gütersloh, haben ein überraschendes Resultat gezeigt. Es war durch die vertragliche Vereinbarung mit der Kassenärztlichen Vereinigung nur eine 20 %ige Kostendeckung zu erreichen, so daß 80 % der benötigten Kosten wiederum auf die Krankenhäuser zurückfallen, die die Träger dieser Modelleinrichtungen sind, und die Krankenhäuser können diese Kosten nicht weitergeben. Die ambulante Betreuung konnte sich hier nicht auf das Rezeptieren von Psychopharmaka beschränken. Es wurden sinngemäß die sozialtherapeutischen Dienste eingesetzt, von der Krankenversicherung jedoch nur die ärztlichen Leistungen nach der Gebührenordnung vergütet. Hier müssen wir die Bundesregierung darauf aufmerksam machen, daß auch hier die Gebührenordnung der Ärzte geändert werden muß. Während z. B. ein niedergelassener Nervenarzt aus dem betroffenen Einzugsbeispiel 2 200 Patienten abrechnete, konnten die ambulanten Dienste im Quartal nur 150 bis 200 Patienten betreuen und nur eben zu 20 % abrechnen. Es ist natürlich zu fragen, ob unter diesen Umständen die Modelleinrichtungen wirklich effektiv arbeiten, ob sich realistische Rezepte dort entwickeln und übertragen lassen. Kosten- und Stellenpläne sind hier zu untersuchen, die Kostenarten sind zu analysieren. Insbesondere ist zu prüfen, wie solchen Modelleinrichtungen langfristig eine Arbeitsmöglichkeit gegeben wird und welchen Nutzen, wiederum gemeindenah betrachtet, diese Modelleinrichtungen bringen. Auch die Bundesregierung führt in ihrer Stellungnahme aus — Zitat —, „daß bei der angespannten Finanzlage der Haushalte von Ländern und Gemeinden wie auch bei den
Kostenträgern im Gesundheitswesen derzeit noch Regelungen weiterbestehen, die psychisch Kranke und Behinderte in gewissem Umfange benachteiligen".
Lassen Sie mich noch einen Vergleich im Hinblick auf die Finanzen bei ambulanter und stationärer Versorgung anstellen. Wenn psychisch Kranke gemeindenah ambulant versorgt werden können und die stationäre Unterbringung mit wenigstens einem durchschnittlichen Pflegesatz, niedrig gegriffen, von 100 DM pro Tag, d. h. bei 150 bis 200 Kranken um eine halbe Million im Quartal, ein Vielfaches teurer sein muß als die ambulante Betreuung, dann ist die ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Kranken im Sinne der Reichsversicherungsordnung für die ambulante Versorgung nicht gewährleistet. Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß die Kassenärztlichen Vereinigungen den Sicherstellungsauftrag nicht erfüllt haben. Mit der gegenwärtigen Vergütung der ambulanten ärztlichen Tätigkeit nach Höhe und Inhalt ist offensichtlich die ausreichende ambulante Versorgung nicht durchzuführen, ohne daß irgend jemand sich bemüßigt gefühlt hätte, etwas zu ändern oder auch nur Alarm zu schlagen. Die gemeindenahe Versorgung benötigt meines Erachtens nicht nur mehr Mittel, sondern zusätzlich auch eine Umschichtung der Mittel bei sehr wahrscheinlicher Kostenersparnis.
Ein großes Problem ist die stationäre Versorgung. Die Verkleinerung der psychiatrischen Krankenhäuser mit Ausgliederung der Pflegeheime hat häufig wegen Mangels an qualifiziertem ärztlichem und pflegerischem Personal zu. einer Verschlechterung der Lage psychisch Kranker geführt. Die Einrichtung psychiatrischer Abteilungen in Allgemeinkrankenhäusern stößt auf große Schwierigkeiten. Hier sind beschäftigungs-, arbeits- und sozialtherapeutische Kräfte einzubeziehen und Lentsprechende räumliche Bedingungen zu schaffen. Die Handhabung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes durch die Krankenkassen hat dazu geführt, daß sich die Krankenhausträger bei der Verwirklichung der Forderung der Psychiatrie-Enquete oft einem untragbaren wirtschaftlichen Risiko bei einer bedarfsgerechten personellen Ausstattung der psychiatrischen Abteilungen ausgesetzt sehen.
Die Krankenkassen, die zumeist unter Hinweis auf die Kosten im Vergleich mit anderen Einrichtungen die Humanität durch kostengünstige chemische Zwangsjacken ersetzen, sind nicht bereit, die notwendigen Pflegesätze zu zahlen. Eine kostengünstige stationäre Behandlung mit notwendigerweise hohem Pflegesatz setzt eine kostendeckende ambulante oder teilstationäre Behandlung voraus. Dies ist nicht eine Frage der Finanzkraft der Krankenkassen, denn hier geht es um ein grundsätzliches Problem. Sowohl das Krankenhausfinanzierungsgesetz wie auch das Kostendämpfungsgesetz werden von den Krankenkassen nicht so angewendet, wie wir das erwarten müßten.
Ich darf einmal einen etwas unscharfen Vergleich im Hinblick auf die Kosten, die bei Chirur-
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gie und Psychiatrie entstehen, anstellen. Ich weiß, daß man das eigentlich nicht miteinander vergleichen kann, aber ich will es dennoch einmal tun. In einem mittleren Krankenhaus hat ein Chirurg nicht mehr alle angemeldeten Patienten aufgenommen, sondern einen erheblichen Teil ambulant versorgt. So wurde die Belegung auf 70 % reduziert; die Kasse sparte dadurch 2,5 Millionen DM an Kosten. Da die fixen Kasten jedoch die gleichen bleiben, auch bei einer geringeren Belegung ,des Krankenhauses, verteilen sich die Basiskosten dann eben auf weniger Pflegetage. Die Kassen waren in diesem Fall nicht bereit,. den Pflegesatz trotz verringerter Gesamtkosten, nämlich um 2,5 Millionen DM, zu erhöhen.
Die im Kostendämpfungsgesetz vorgesehene vor-und nachstationäre Behandlung und Diagnostik sind nicht durchgeführt worden. Sie können aber nur zum Zuge kommen, wenn Kranke durch die vorhandenen Krankenhausbetten nach dem Vollbelegungsprinzip nicht mehr durchgeschleust werden, sondern wenn für dieselben Kranken weniger Betten benötigt werden. Das hat zur Folge, daß die Belegung der Krankenhäuser sinken muß. Mit niedrigerer Belegung und Verkürzung der Verweildauer kommen mehr Leistungen und Kosten auf den jeweiligen Pflegetag. Das heißt: Bei fallenden Gesamtkosten müssen — so paradox ,das klingt — die Pflegesätze steigen. Bei wirtschaftlicher Vernunft könnten dann aber im Endeffekt viele Kosten gespart werden.
Was geschieht aber jetzt? Die Kassen drücken nur auf die Pflegesätze und sind leider beim Aushandeln der Pflegesätze mit den Krankenhäusern nicht zu einer vernünftigen Kooperation bereit. Die Kassenärztlichen Vereinigungen versuchen, die Beteiligungen und Ermächtigungen der Krankenhausärzte abzubauen. Das ist ein obendrein unerwünschter Effekt. So werden also die Absichten des Kostendämpfungsgesetzes und der PsychiatrieEnquete blockiert. Wir müssen hier die Gretchenfrage stellen, ob Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen hierbei in der Lage sind, die Probleme zu erkennen oder aber ob es zu einer Umstrukturierung kommen muß, nämlich wenn es darum geht, die Kostenexplosion und das Problem der Humanität im Krankenhaus in den Griff zu bekommen.
Eine weitere Aufgabe ist der Ausbau einer qualifizierten Mitbestimmung der Versicherten in allen Gremien und bei allen Entscheidungen, die die Krankenkassen zu treffen haben. Solidarität — das Grundprinzip jeder Sozialversicherung, auch der Krankenkassen — muß' sich auch und vor allen anderen auf psychisch Kranke beziehen.
Ein weiteres Kapitel ist die Lage der psychiatrischen Krankenhäuser. Hier haben wir es mit verschiedenen Patientengruppen zu tun, vorwiegend mit jüngeren Patienten, die in ein oder zwei Episoden im Leben psychiatrisch erkranken, dann die chronischen Erkrankungen und zuletzt mit reinen Pflegefällen. Diese drei Gruppen benötigen verschiedene Behandlungssituationen und -einrichtungen.
Hier taucht das böse Wort von der Edelpsychiatrie auf. Die Einrichtungen mit chronisch Kranken möchten gern die Patienten mit akuten Episoden behandeln, obwohl sie für diese Gruppen nicht oder ungenügend eingerichtet sind. Wenn es Edelpsychiatrie ist, die Kranken zweckmäßig, gemeindenah stationär und ambulant zu versorgen, dann müssen wir eben diese betreiben. Wir müssen aber das eigentliche Problem der psychiatrischen Krankenhäuser sehen. Mit dem Aufbau sozialpsychiatrischer Dienste, die über die notwendigen Ressourcen für die Krisenintervention und die ambulante Behandlung verfügen, wird sich der prozentuale Anteil chronisch Kranker und der Pflegefälle I in den Krankenhäusern erhöhen.
Ich sehe, daß ich zum Schluß kommen muß. Ich versuche, noch einmal zusammenzufassen. Wir müssen berücksichtigen, daß auch die Personalisierung der Verantwortung im Krankenhaus weiter vorangetrieben werden muß. Ich denke an das Urteil eines Kölner Gerichts in einem Fall, als ein Assistenzarzt versagt hat und dieses Versagen dem leitenden Arzt angelastet worden ist. Das Urteil hat auch für den Bereich, den wir heute behandeln, weitreichende Konsequenzen. Denn wer trägt die Verantwortung, wenn z. B. ein Patient in einem psychiatrischen Krankenhaus Selbstmord begeht?
Die Ziele der Psychiatrie-Enquete können nur erreicht werden, wenn es gelingt, die gemeindenahe ambulante und stationäre Versorgung psychisch Kranker kostendeckend durchzusetzen und die Heilung und Behandlung der psychisch Kranken finanziell besser auszugestalten sowie die Psychiatrie durch Personalisierung der Verantwortung zu humanisieren. Dazu brauchen wir qualifizierte Mitbestimmung der Versicherten in allen Gremien, sozialmedizinische und volkswirtschaftiche Qualifikationsnachweise für die Krankenkassen, durchgreifende Krankenkassenaufsicht und eine Überprüfung der Erfüllung des Sicherstellungsauftrages der Kassenärztlichen Vereinigungen.
Für die SPD-Fraktion sage ich eine sorgfältige Behandlung der Stellungnahme der Bundesregierung zur Psychiatrie-Enquete zu. Wir werden uns in unserem Ausschuß überlegen müssen, wie wir dieses Thema weiter behandeln, wie wir es parlamentarisch weiter verfolgen. Eventuell müssen wir überlegen, ob wir nicht noch einmal die Fachleute der Psychiatrie-Enquete zu uns bitten, um zu sehen, wie sich die Dinge in der Zwischenzeit weiterentwickelt haben.