Rede:
ID0815403900

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 8154

  • date_rangeDatum: 17. Mai 1979

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    Plenarprotokoll 8/154 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 154. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 17. Mai 1979 Inhalt: Begrüßung der Präsidentin des Senats von Kanada, Frau Renaude Lapointe . . . . 12266 B Bericht zur Lage der Nation Schmidt, Bundeskanzler . . . . . . . 12253 A Dr. Kohl CDU/CSU . . . . . . . . . 12266 C Mattick SPD . . . . . . . . . . 12279 C Hoppe FDP 12285 A Dr. Zimmermann CDU/CSU . . . . . 12289 B Friedrich (Würzburg) SPD . . . . . . 12296 C Dr. Wendig FDP 12301 C Franke, Bundesminister BMB . . . . . 12306 A Dr. Barzel CDU/CSU . . . . . . . . 12309 D Dr. Ehmke SPD 12315 D Dr. Abelein CDU/CSU 12322 D Ludewig FDP 12327 C Dr. Gruhl fraktionslos 12329 A Dr. Czaja CDU/CSU 12331 C Hofmann (Kronach) SPD . . . . . . 12335 C Graf Huyn CDU/CSU 12337 C Schulze (Berlin) SPD 12340 C Baron von Wrangel CDU/CSU . . . . . 12342 B Büchler (Hof) SPD . . . . . . . . . 12343 C Erklärungen nach § 35 GO Jäger (Wangen) CDU/CSU 12344 D Dr. Ehmke SPD 12345 B Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Umsatzsteuergesetzes (UStG 1979) — Drucksache 8/1779 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2864 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksache 8/2827 — Kühbacher SPD . . . 12345 D, 12347 B, 12353 C Di . Meyer zu Bentrup CDU/CSU . 12346 B, 12347 B Frau Matthäus-Maier FDP . . . . . . . 12347 C Dr. Kreile CDU/CSU 12348 B Frau Funcke FDP 12 357 B Matthöfer, Bundesminister BMF 12360 B II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Mai 1979 Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jenninger, Dr. Jobst, Röhner, Dr. George, Dr. Friedmann, Schröder (Lüneburg), Carstens (Emstek), Dr. von Wartenberg, Sauter (Epfendorf), Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Dr. Dregger, Kolb, Broll, Hanz, Spranger, Seiters, Glos, Susset, Dr. Waigel, Dr. Sprung, Dr. Warnke, Gerlach (Obernau), Dr. Miltner und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes — Drucksache 8/2780 — 12361 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung — Drucksache 8/2782 — 12362 A Beratung der Sammelübersicht 45 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen mit Statistik über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 14. Dezember 1976 bis 31. März 1979 eingegangenen Petitionen — Drucksache 8/2786 — in Verbindung mit Beratung der Sammelübersicht 46 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 8/2826 — 12362 A Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU Steuerliche Behandlung der gemeinnützigen Sportvereine — Drucksache 8/2668 — Dr. Schäuble CDU/CSU 12362 C Schirmer SPD 12364 B Mischnick FDP 12365 D Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dollinger, Dr. Friedmann, Niegel, Dr. Sprung, Dr. Stavenhagen, Damm, Biehle, Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) und der Fraktion der CDU/CSU Bessere Bedingungen für den CB-Funk — Drucksache 8/2727 —Dr. Friedmann CDU/CSU . . . . . . 13368 C Wuttke SPD 13370 A Hoffie FDP 12371 B Beratung der Ubersicht 9 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht — Drucksache 8/2800 — 12373 A Nächste Sitzung 12373 C Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . . 12375*A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Mai 1979 12253 154. Sitzung Bonn, den 17. Mai 1979 Beginn: 9.01 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Adams *** 17. 5. Dr. van Aerssen *** 18.5. Dr. Ahrens ** 17. 5. Dr. Aigner *** 18. 5. Alber *** 18. 5. Dr. Bangemann *** 17. 5. Frau Benedix 18. 5. Dr. von Bismarck 18. 5. Dr. Böhme (Freiburg) 18.5. Frau von Bothmer ** 17. 5. Büchner (Speyer) * 18. 5. Dr. Dollinger 18. 5. Fellermaier *** 18. 5. Dr. Fuchs 18.5. Haberl 18. 5. Handlos * 18. 5. von Hassel 17. 5. Dr. Haussmann 18. 5. Frau Hürland 18. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete () entschuldigt bis einschließlich Katzer 18. 5. Dr. Klepsch *** 17. 5. Dr. h. c. Kiesinger 18. 5. Klinker 18.5. Kolb 13. 5. Frau Krone-Appuhn 17. 5. Lange** 13. 5. Lemp *** 18. 5. Dr. Lenz (Bergstraße) 17. 5. Lenzer *** 13.5. Lücker *** 18. 5. Müller (Bayreuth) 18. 5. Müller (Mülheim) *** 18. 5. Müller (Remscheid) 18. 5. Neumann (Bramsche) 17. 5. Offergeld 18.5. Rapp (Göppingen) 18. 5. Frau Dr. Riede (Oeffingen) 18. 5. Frau Schlei 18.5. Schreiber *** 18. 5. Dr. Schwörer'** 18. 5. Seefeld *** 18. 5. Dr. Starke (Franken) *** 18. 5. Frau Dr. Walz *** 17. 5. Wawrzik *** 18. 5. Weber (Heidelberg) 18. 5. Wohlrabe 18. 5. Würtz *** 17. 5. Zeitler 18. 5.
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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir zunächst einige Vorbemerkungen. Der Abgeordnete Dr. Barzel hat in der Aktuellen Stunde am 26. April hier die Bundesregierung aufgefordert, den Bericht zur Lage der Nation, „wie es Vorschrift ist", schriftlich vorzulegen.
    Hier liegt offensichtlich ein Mißverständnis vor. Seit 1968 haben alle Bundeskanzler den Bericht zur Lage der Nation von dieser Stelle aus stets mündlich vorgetragen. Das ist zu allen Zeiten so gewesen.
    Anders steht es mit den Materialien und Dokumenten. In Ergänzung zum Bericht zur Lage der Nation hat die Bundesregierung seit Beginn der 70er Jahre ohne Beschluß des Parlaments, also ohne Auflagen, zur Ergänzung des Berichts solche Dokumentationen und Materialien vorgelegt, wenn es sinnvoll erschien und auch zustande zu bringen war, aus dem Thema, aus der ganzen Situation heraus. Das war natürlich immer schriftlich. Ich bitte Sie, doch wenigstens in dieser Frage zu versuchen, mit uns übereinzustimmen, daß wir bemüht waren, neben dem Vortrag auch Dokumente, und zwar sehr dicke, in Fortschreibung durch wissenschaftliche Kommissionen erstellt, zur Verfügung zu stellen. Sie mögen es glauben oder nicht: Diese Materialien wurden von der interessierten Öffentlichkeit in einem solch hohen Maße angefordert, daß wir mehrere Auflagen nachdrucken lassen mußten.
    Dies war in der Tat eine großartige Sache. Wir werden auch bemüht sein, das wieder zustande zu bringen. In diesem Jahr wird es keine Dokumentation geben. Aber ich darf sagen, daß das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen zum nächsten Jahr bereits eine Fortschreibung dieser Dokumentation vorbereitet.
    Aber bitte: Es ist keine zwingende Verpflichtung gewesen, daß der Bericht zur Lage der Nation mit Dokumenten belegt hier erstattet wird. Aber es ist in das Ermessen der Regierung gestellt, und diese Absicht besteht.

    (Zuruf des Abg. Kittelmann [CDU/CSU]) — Wir strengen uns doch an, weil wir gemeinsam daran interessiert sind, das Mögliche zu tun, um die Debatte zu diesem ernsten Thema so sachlich und fundiert, wie es nur geht, zu führen und — für jeden nachprüfbar — auch mit Materialien anzureichern.

    Eine zweite Vorbemerkung. Herr Dr. Kohl, Sie meinten heute morgen, die Bundesregierung mahnen zu müssen, mehr für die Verbreitung nationalen Bewußtseins und Wissens in den Schulen zu tun.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    — Lassen Sie mich doch dazu antworten. Ich habe das ja aufgegriffen.

    (Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Kohl [CDU/ CSU])

    Dazu muß ich sagen: Wir tun das, wozu wir einmal kompetenzmäßig in der Lage sind, Ich darf Sie an die Konflikte erinnern, die wir hatten, als es um flankierende Dinge ging. Da gab es beachtliche Proteste der Länderminister.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Aber doch nicht, weil Sie aktiv waren, sondern zu dem, was Sie gemacht haben!)

    Zum anderen geht es dabei um Dinge, zu denen wir finanziell in der Lage sind. Wir machen das im engsten Zusammenwirken mit der Ständigen Kultusministerkonferenz und sind bemüht, dabei ein Höchstmaß zu erreichen. Die Nachfrage nach diesem Material ist beachtlich gestiegen.
    Es besteht immer nur die Schwierigkeit: Sie fordern, daß wir mehr tun sollen. Wenn es aber bei den Haushaltsplanberatungen darum geht, für die Finanzierung zu sorgen, dann beantragen Sie gerade hierfür die Kürzung der Mittel. Ich weiß nicht, wie ich das miteinander vereinbaren soll. Bisher haben wir jedenfalls immer noch eine einigermaßen optimale Möglichkeit gefunden. Ich würde mich freuen, wenn Sie bei den nächsten Haushaltsberatungen zu diesem Titel initiativ würden und sagten: Dafür müssen wir den Mittelansatz im Etat des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen verstärken.

    (Beifall bei der SPD)

    Damit würden Sie einer guten Sache helfen. Hier geht das aber, wie Sie es mal so, mal so für richtig halten.
    Nach diesen Vorbemerkungen möchte ich noch einige Anmerkungen zu anderen Themen machen, die in Verbindung mit dem Bericht zur Lage der Nation eine Rolle spielen. Lassen Sie mich dabei zunächst einmal zu dem kommen, was in den letzten Wochen auch eine Rolle spielte, nämlich dem Streit, der um den Begriff der Wiedervereinigung entbrannt ist. Ich möchte dazu ganz offen sagen: Diejenigen, die sich unterstanden — —

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Der vom Zaun gebrochene Streit!)




    Bundesminister Franke
    — Sie können das deuten, wie Sie wollen. Per Saldo kommt es auf dasselbe heraus: vom Zaun gebrochen entbrannt,was soll's.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Von Herrn Wehner!)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie uns doch versuchen, beim Wesentlichen zu bleiben. Ich habe den Eindruck, daß hier durch erheiternde Zwischenbemerkungen zur Auflockerung der Diskussion beigetragen wird. Ich glaube aber, die werden dem Thema nicht ganz gerecht. Wir sollten ruhig versuchen, ein bißchen bei der Sache zu bleiben. Lassen Sie uns doch einmal versuchen, diesem Thema in aller Sachlichkeit beizukommen. Ich weiß, daß ich nicht bei jedem Gehör finde. Das wäre auch anmaßend. Ihnen geht es ja nicht anders. Ich muß mich eben damit abfinden.
    Diejenigen, die sich unterstanden, die politische Wirklichkeit oder Wahrscheinlichkeit dieses Wortes unter die Lupe zu nehmen und dabei zu einem eher negativen Befund gelangten, wurden als nationale Defätisten oder gar Verräter behandelt. Diejenigen aber, die sich sehr impulsiv ohne viel nachzudenken entrüsteten, taten so, als seien sie die wahren, die echten, die treuen Patrioten. Oft war dann auch wohlfeiles, im Brustton der Überzeugung vorgetragenes Bekenntnis von der Art zu hören, wie wir es auch heute hier wieder vernommen haben. Dazu meine ich aber: Wohlfeile Bekenntnisse, Bekenntnisse, die nichts kosten, sind auch nichts wert. Die kann man schnell von der Zunge bringen. Hier geht es um praktische Aufgaben, die sogar Courage erfordern, um sich gegenüber eingefahrenen Begriffen und Vorstellungen durchsetzen zu können.
    Nun könnte man sich auf den Standpunkt stellen: wenn sie auch nichts wert sind, so schaden sie auch nichts. Dies ist ein Irrtum. Wer in der politischen Realität des Jahres 1979 Raum und Platz für den gedanklichen Entwurf der Wiederherstellung des Deutschen Reiches, wie es einmal war, findet, der ist entweder ein politischer Phantast oder ein Zyniker. Auf jeden Fall hindert er sich und andere daran, das der heutigen Realität Gemäße und Mögliche zu erkennen und dann auch zu tun.
    Deswegen sage ich: Solche tönenden Bekenntnisse in stumpfen Denk- und Sprachfiguren sind nicht nur nichts wert, sie schaden vielmehr auch, und zwar am meisten den Menschen, die gegenwärtig in dem anderen deutschen Staat, der Deutschen Demokratischen Republik, leben und arbeiten.
    Ich sage Ihnen offen: Letztlich ist es mir egal, in welchen Worten und Begriffen einer seine patriotischen Gefühle zum Ausdruck bringt, wenn es nur in einer Weise geschieht, daß dabei die Interessen und Wünsche der heute in der DDR lebenden Deutschen mitbedacht werden.

    (V o r s i t z : Präsident Carstens)

    Was nämlich wirklich zählt, ist, ob wir bereit und
    fähig sind, den nötigen Anstand und die nötige Solidarität gegenüber den heute in der DDR lebenden
    Deutschen aufzubringen, und zwar in der DDR, so wie sie heute ist und sich uns darstellt. Manche, die ungerührt und leichthin das Wort „Wiedervereinigung" im Munde führen, glauben vielleicht, das Problem auf diese Weise bequem in eine weite nebulöse Zukunft abzuschieben und es auf diese Weise jedenfalls für die Gegenwart loszuwerden. Das wären dann die Zyniker, von denen ich vorhin sprach: Wiedervereinigungsrhetorik als Nebelwand, um dahinter eine ausschließlich an westdeutschen Interessen orientierte Politik zu verfolgen!
    Es könnte ja sein, daß einer so viel hellseherische oder auch analytische Fähigkeiten besitzt, daß er voraussieht: die Deutschen haben mit dem angestifteten und verlorenen Zweiten Weltkrieg die Einheit endgültig auf Jahrhunderte verspielt, oder sie werden sie schließlich nicht mehr entbehren, oder sie verzichten am Ende aus freien Stücken darauf. Wie gesagt, es kann sein, daß jemand diese Einsicht heute schon hat und weiß, daß es so kommen wird. Aber ich behaupte, selbst dieser Jemand hätte moralisch nicht das Recht, die Erwartungen, Hoffnungen und Interessen der Menschen in der DDR zu enttäuschen und für die Bundesrepublik heute eine Politik zu empfehlen oder zu führen, welche die Erwartungen, Hoffnungen und jetzigen Interessen der Deutschen in der DDR nicht mitberücksichtigt.
    Wir anderen, die wir solche Fähigkeiten des Hellsehens nicht haben und demzufolge das künftige Schicksal der Deutschen nicht kennen, wir haben erst recht keinen vertretbaren Grund dazu. Anstand und Solidarität gegenüber den Deutschen in der DDR verpflichten uns zu einer Politik der Zusammenarbeit mit dem Staat DDR, verpflichten uns, die uns zur Verfügung stehenden Mittel und Wege zu nutzen, um die Folgen der Teilung für die Menschen unseres Volkes zu mildern. Hier an diesem Punkt scheiden sich in Wahrheit die Geister und nicht an der Häufigkeit oder der oft gedankenlosen Beständigkeit, mit welcher einer seine patriotischen Bekenntnisse ablegt.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Trifft nicht zu!)

    Für das heutige und künftige Schicksal der Deutschen viel wichtiger ist, ob wir heute das uns Mögliche zu tun bereit sind und auch die Courage dazu aufbringen.

    (Zurufe von der CDU/CSU: So ist es! — Eben!)

    Wir, die Koalition, sagen, die Politik der Entspannung in den innerdeutschen Beziehungen, die wir vor knapp zehn Jahren begonnen haben, ist ohne reale oder vernünftige Alternative. Dies wird uns zuweilen als unpolitische, zumindest als taktisch unkluge Äußerung vorgehalten. Was wir damit meinen, ist dies: Zu dieser Politik treibt uns nicht allein die moralische Verpflichtung, die wir als Deutsche für die Deutschen in der DDR fühlen, es treiben uns dazu auch eigene Interessen. Eben diese Kombination aus moralischer Verpflichtung und Interesse läßt in unseren Augen diese unsere Poli-



    Bundesminister Franke
    tik ohne Alternative sein — so alternativlos übrigens, daß wir allen Grund haben zu der Annahme, daß die Opposition am Ende doch auch bei dieser Politik landet. Um einem Mißverständnis vorzubeugen: dazu müßte die heutige Opposition natürlich noch einen großen Lernprozeß durchmachen.
    Um wieder zu den Interessen zurückzukehren, die uns neben einer moralischen Verpflichtung zu der Politik der Entspannung und Zusammenarbeit gegenüber der DDR veranlassen: welche Interessen sind das? Im wesentlichen zwei. Da ist zunächst unser Interesse an der Lebensfähigkeit und an der Stabilität der Lebensverhältnisse für WestBerlin. Und West-Berlin liegt nun einmal mitten in der DDR. Die Rolle und Verantwortung, die uns hier obliegt, könne uns die drei Westalliierten nicht abnehmen; sie haben sie uns ja mit unserer eigenen Zustimmung sogar ausdrücklich übertragen.
    Die Vereinbarungen vom November vergangenen Jahres sind ein hervorragendes Beispiel für die Verbindung zwischen unserer Politik gegenüber der DDR und unserer Politik für Berlin. Im Ernst wird niemand leugnen, daß es angesichts der „Unterschiede in den Rechtsauffassungen" — wie es im Viermächteabkommen heißt — ein Politikum ersten Ranges darstellt, wenn wir mit der DDR einen Ausbau der Zugangswege nach Berlin vereinbaren, ein Politikum und eine Leistung, die auch einen Preis wert ist. Die Bundesregierung jedenfalls hat so gedacht, als sie über das Verhandlungsergebnis zu befinden hatte. Sowohl hier vor dem Bundestag als auch vor der Offentlichkeit haben wir unsere Kriterien dargelegt. Wir bleiben auch nach den Beratungen in den Ausschüssen des Bundestages bei der Beurteilung, daß die vereinbarten Verbesserungen und ihre politische Bedeutung den finanziellen Aufwand lohnen. Aus unserer Sicht rangieren die Interessen Berlins dabei an erster Stelle.
    Wir unterschätzen aber auch nicht den Wert dieser Vereinbarungen für die Stabilisierung unserer Beziehungen zur DDR. Statt daran herumzumäkeln, sollten wir die Verschränkung unserer Deutschlandpolitik mit unserer Berlin-Politik begrüßen. Wir sollten es begrüßen, daß Investitionen für die Zukunft West-Berlins zugleich unseren Arbeits- und Kooperationskontakt mit der DDR fundieren und weiterbringen.
    Manche Kritiker vermissen anscheinend direkte Vorteile aus den erheblichen finanziellen Aufwendungen für die Menschen in der DDR. Manche kritisieren an den Aufwendungen, die Bundesrepublik subventioniere das Wirtschaftssystem der DDR. Ich finde das reichlich kurzsichtig. Schließlich sind die Menschen von dem gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang, unter dem sie arbeiten, wirtschaften und konsumieren, nicht zu trennen. Außerdem — darauf hat ein Journalist bei uns mit Recht hingewiesen — tut die neue Autobahn auch vielen Urlaubern recht wohl, die aus dem Süden der DDR an deren westliche Ostseeküste zur Erholung reisen, eine Vorstellung, die mir nicht unsympathisch ist, und ein Gesichtspunkt, der zugegebenermaßen nur am Rande zählen darf, aber doch nicht ganz unbeachtet bleiben sollte.
    Bei dem ganzen Verhandlungskomplex, der letzten November abgeschlossen wurde, ging es wieder darum, verschiedene, unterschiedliche Interessen gegeneinander aufzuwiegen und in einem für beide Seiten tragbaren Kompromiß zu verschnüren. Das ist etwas anderes, als wenn zwei Partner mit der grundsätzlich selben Zielsetzung bei variierenden Interessen versuchen, zu einem Ergebnis zu kommen. Wir müssen immer von der Prämisse ausgehen: Grundlegende Meinungsverschiedenheiten und Gegensätze, gerade in den elementaren Fragen, mit denen wir es zu tun haben, bringen nur einen Kompromiß und nicht das ideal Gewünschte zustande.
    Hier im Verhältnis zur DDR ist es so, daß grundsätzliche Unterschiede, ja Gegensätze, weit auseinanderliegende Interessen ohne gemeinsamen Grundnenner hervorbringen. Solche Interessen ohne gemeinsamen Grundnenner müssen wir dann in einem Kompromiß gegeneinander aufwiegen. Das Schwierige dabei ist, daß so Interessen miteinander in Beziehung gebracht werden — gebracht werden müssen —, die von Hause aus nichts miteinander zu tun haben.
    Meine Damen und Herren, unser zweites starkes Interesse, das unserer Politik gegenüber der DDR zugrunde liegt, ist unser Interesse am Frieden. Zu diesem Interesse haben wir aus unserer jüngsten Geschichte sowie aus unserer politisch-territorialen Situation heraus die allergrößte und zugleich die konkreteste Veranlassung, die sich denken läßt. Hier in Mitteleuropa, auf dem Territorium der beiden deutschen Staaten, stehen sich die Bündnisse Warschauer Pakt und Nordatlantikpakt hochkonzentriert gegenüber, unter Aufbietung — auf beiden Seiten — enormer Potentiale von Waffen und Menschen.
    Fast möchte man zweifeln, daß mit den Mitteln der innerdeutschen Politik die Gefahr, die von dieser militärischen Konfrontation ausgeht, nennenswert gemindert werden könnte. Auf der anderen Seite wird nicht zu Unrecht gerade von Oppositionskollegen darauf verwiesen, die militärische Konfrontation sei nicht das Primäre, primär sei die politische Konfrontation, die in der militärischen zum Ausdruck komme. Wenn das richtig ist, dann kann normalisierungsförderliche, spannungsabbauende innerdeutsche Politik in der Tat zur Entschärfung der Konfrontation — auch der militärischen — zwischen den Bündnissen beitragen. Daß das geschieht, daran müssen wir allein aus der militärisch-geographischen Lage heraus das größte Interesse haben.
    Wenn wir uns so unsere Interessen und moralischen Verpflichtungen zu einer Politik der Entspannung und Zusammenarbeit gegenüber der DDR klarmachen, dann verhilft uns das, so meine ich, zu mehr Nüchternheit und Beständigkeit im Urteil über die Vertragspolitik, ihre Bedingungen, ihren Ertrag und ihre Gefährdungen. Das verhilft auch



    Bundesminister Franke
    dazu, vor allem in Fragen der Menschenrechte auf die Effektivität des Verhaltens und Handelns von Regierungsseite zu sehen.
    In diesem Zusammenhang muß ich in aller Form das Verhalten des CDU-Abgeordneten Dr. Mende beanstanden. Herr Dr. Mende zieht seit einiger Zeit hier in der Bundesrepublik, aber auch vor der internationalen Offentlichkeit im Europarat zu Straßburg mit Begriffen wie „Menschen- oder Sklavenhandel" über die besonderen Bemühungen der Bundesregierung um die Freilassung von Häftlingen her. Es geht mir dabei gar nicht um die Bundesregierung. Deren Verhalten ist ohnehin verantwortungsethisch voll gerechtfertigt. Das Schlimme ist -- darum erwähne ich es überhaupt —: Mit seinen Diffamierungen und Disqualifizierungen trifft Dr. Mende gleichsam direkt das Schicksal der Menschen, die in der DDR im Gefängnis sitzen und auf unsere Hilfe warten. Mehr ist dazu überhaupt nicht zu sagen. Ein Menschenrechtseinsatz von dieser Qualifikation richtet sich selbst. Ich weiß nicht, wie ich aus folgendem Widerspruch herauskommen soll. Entweder man unternimmt verstärkte Anstrengungen — auch auf Ihr Drängen hin — in Richtung auf Freilassung dieser Menschen. Sie wissen ja selber, wie notwendig es ist, das menschliche Leid zu lindern. Wenn man dies will, kann man aber diese Bemühungen in der Offentlichkeit nicht so disqualifizieren, daß die beteiligten weiterhin mit einem schlechten Gewissen bei der Sache wären.

    (Beifall bei der SPD)

    Es lohnt sich, einmal darüber nachzudenken. Sie sollten einmal den Widerspruch zwischen Ihren Forderungen nach mehr Menschlichkeit und praktischer Wirksamkeit durchdenken.
    Es ist glatte Illusion, zu erwarten, die DDR könne durch das Mittel zwischenstaatlicher Vereinbarungen dazu gezwungen werden, bei sich selbst Zustände einzuführen, wie sie in freiheitlichrechtsstaatlichen Demokratien gang und gäbe sind. Als Beispiel nenne ich die journalistische Berichterstattung aus der DDR. Ich stehe nicht an, die jüngste Durchführungsbestimmung samt ihrer Anwendung gegen den ZDF-Korrespondenten nicht nur für einen Rückschlag, sondern für einen tatsächlichen Rückschritt zu halten.
    Die DDR hat 1972/73 mit uns eine Vereinbarung auf Gegenseitigkeit über die freie Information und Berichterstattung der Korrespondenten beschlossen. Aus Gründen, die sie selbst zu vertreten hat, sieht sie sich nunmehr offenbar außerstande, die auf Grund dieser Vereinbarung inzwischen gewachsene mehrjährige Praxis ungeschmälert weiter fortzuführen. Darum die Verschärfung bzw. Ausdehnung der Bestimmungen über die Genehmigungspflichtigkeit von Vorhaben und Reisen, darum die provinzielle Sturheit in der Durchsetzung.
    Es ist nicht schwer auszumachen, welche Gründe es sind, die die DDR zu diesem Verhalten veranlassen: Der herrschenden Partei bleibt das Informationsmonopol unantastbar.
    Es hat nicht im entferntesten etwas mit Billigung oder Zustimmung zu tun, wenn man sich dies nüchtern vor Augen führt und dann fragt, welche Konsequenzen zu ziehen sind. Sollen die westlichen Journalisten auf Berichterstattung aus der DDR nun vollends verzichten? Dies wäre ja wohl die Konsequenz, wenn man dem Urteil von Oppositionsseite folgte, der Vorgang beweise ein weiteres Mal das Scheitern der Vertragspolitik.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine Unterstellung!)

    Ich meine, so leichtsinnig und pauschal kann nur denken und urteilen, wer diese Politik für irgendeine konjunkturelle Erscheinung hält und nicht für eine moralisch und interessenmäßig fundierte Notwendigkeit, die nur auf Langfristigkeit angelegt Erfolg bringen kann

    (Beifall bei der SPD)

    und nicht beliebig unterbrochen werden kann, um dann bei passender Gelegenheit wieder aufgegriffen zu werden. Nichtsdestoweniger wird der Vorgang auf unsere künftige Verhandlungsführung selbstverständlich seine Auswirkungen haben. Dieses Thema ist für uns keineswegs beendet.
    Aufs Ganze gesehen wird sich die Bundesregierung nicht davon abbringen lassen, die innerdeutschen Fragen mit Umsicht, Beharrlichkeit und Augenmaß zu handhaben und weiter zu verfolgen. Wer — wie wir — von Anfang an von der Notwendigkeit und Richtigkeit dieser Politik überzeugt ist, wird auch nicht gleich schwankend und unsicher, wenn sich herausstellt, daß die DDR mit der Vertragspolitik ebensowenig zu missionieren ist wie wir selbst.
    Wir, die Bundesregierung, agieren und reagieren mit dem Blick auf unsere moralische Verpflichtung und die Interessen dieses Landes.

    (Kittelmann [CDU/CSU] : Sie veredeln Ihren Vertragsbruch!)

    Ich fand, es war äußerst interessant, als heute der Beitrag von unserem Kollegen Mattick hier vorgetragen wurde, um einmal aufzuzeigen, was aus Ihren Prognosen in der Zeit der praktischen Politik geworden ist.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Von Anfang an haben Sie den Untergang Deutschlands und das Scheitern dieser Politik prophezeit, und inzwischen bedienen Sie sich der Ergebnisse und Erfolge. So soll es auch sein. Die Menschen drüben haben wieder mehr Zuversicht und Hoffnung gefaßt. Lassen Sie uns diese Politik gemeinsam und sachlich fortführen!

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Barzel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rainer Barzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Franke, haben



    Dr. Barzel
    Sie sich am Schluß versprochen, oder haben Sie das gemeint? Eines Ihrer letzten Worte hieß „gemeinsam".

    (Bundesminister Franke: Das war ich immer schon bestrebt!)

    — Dann setzen Sie das einmal beim Kanzler und beim Herrn Wehner durch, Herr Kollege Franke!

    (Beifall bei der CDU/CSU — Bundesminister Franke: Nein, bei Ihnen!)

    Früher gab es vor den Berichten zur Lage der Nation im gespaltenen Deutschland, Herr Kollege Wehner, noch interne Gespräche zwischen Regierung und Opposition. Das war nicht nur eine Anhörung, sondern eine Möglichkeit des Einwirkens auf Vorhaben, auf Texte und auf Erklärungen. Vielleicht ist das gemeint; dann sollten wir das vielleicht an anderem Orte fortsetzen.
    Im übrigen fand ich Ihre Rede, Herr Kollege Franke — verzeihen Sie —, eine traurige Offenbarung. Sie haben nämlich unsere Interessen an innerdeutscher Entspannungspolitik definiert und auf zwei Punkte beschränkt. Dies finde ich eine ungeheure Einengung. Sie haben unsere Zustimmung, wenn Sie das Interesse an Berlin nennen und wenn Sie das Interesse am Frieden nennen. Sie haben nicht unsere Zustimmung, wenn das das Ganze ist. Denn ich meine, diese Politik soll Deutschland dienen, der Wiederherstellung von Menschenwürde in Deutschland; denn Frieden ist eine Sache der Menschenrechte. Der wirkliche Streit zwischen uns ist es, daß Sie versuchen, eine Friedenspolitik zu machen, ohne die Menschenrechte wirklich in den Mittelpunkt zu stellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dies ist der Ansatz, bei dem wir auseinandergehen.
    Heute war viel von Historie die Rede, und der Kanzler hat auch von der Kriegsgeneration gesprochen. Wir haben erfahren, wie Krieg begann und wie er möglich wurde, nicht nur in den inneren Verhältnissen und in dem Anwenden von Gewalt unter innenpolitischen Gegnern und Verleumdungen. Davon war die Rede, Herr Mattick. Er wurde nur möglich, weil wir eingesperrt wurden: Grenzen zu, kein Jugendaustausch, kein Buch von draußen, kein Sender von draußen, nicht einmal die Musik aus England. Daraus haben wir gelernt: Frieden ist dort sicher, wo es Freizügigkeit für Menschen, Informationen und Meinungen gibt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dies kann man auf dem Papier, aber nicht in der Wirklichkeit trennen.
    Dieser Tag belebt natürlich in vielen von uns die Erinnerung an die geschichtliche Entscheidung über die Ostverträge heute vor sieben Jahren. Dies sollte uns allen ein Anlaß sein, wie ich glaube, nach vorn zu gucken; denn nur das nützt Deutschland, von dem hier zu reden ist. Herr Bundeskanzler, Deutschland ist mehr als die Beschreibung des Zustands der Beziehungen zwischen zwei Staaten in Deutschland. Deutschland ist kein Erinnerungsposten, sondern eine Realität, eine Aufgabe, eine Pflicht. Wer glaubt,
    dies alles sei leicht, ist kein Realist; aber wer deshalb aufgibt, ist kein Patriot.
    Wir haben damals nicht nur für den damaligen Bundestag, sondern völkerrechtlich wirksam für unseren Staat, für Deutschland beschlossen und notifiziert — ich zitiere —: „Die Politik der Bundesrepublik Deutschland strebt eine friedliche Wiederherstellung der nationalen Einheit an." Für uns gilt dieses Wort. Wie ist es bei Ihnen allen da drüben? Gilt dies?
    Das ist damals nicht „draufgesattelt" worden, Herr Kollege Wehner, sondern dies war die Geschäftsgrundlage

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Sehr wahr!)

    für alles andere, für die Wirksamkeit, für das Inkrafttreten und für die Geltung der Ostverträge; und Moskau hat dem vor der Ratifikation nicht widersprochen. Will auf dieser Seite irgend jemand das jetzt etwa wegnehmen? Das ist meine zweite Frage an diese Seite des Hauses.
    „Die Lage der Nation im gespaltenen Deutschland" heißt der Auftrag, den dieses Haus beschlossen hatte. Wenn man das nicht mehr sagen will, soll man das begründen. Die Lage der Nation im gespaltenen Deutschland beschneidet der Kanzler, er streicht sie auf Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR zusammen, die der Kanzler heute zu „zwischenstaatlichen" Beziehungen befördert hat. Ich würde gern den Herrn Vizekanzler fragen, ob das mit seinem Einverständnis geschehen ist. Denn da war doch immer von besonderen, von innerdeutschen Beziehungen fern der Sphäre des Völkerrechts, der Zwischenstaatlichkeit die Rede. Ist hier eine Veränderung der Politik mit dem Einverständnis des Außenministers passiert? Oder können solche Worte jetzt einfach par ordre du moufti gemacht werden? Wenn dies so geht, stellt sich wieder die Frage: Wo bleibt Deutschland? Und wo bleibt, wenn sich das festsetzt, Berlin?
    Einen „Rückschlag" nannte der Kanzler heute, ohne die Dinge beim Namen zu nennen, z. B. die Ausweisung des ZDF und den Maulkorberlaß. Mit Verlaub, Herr Bundeskanzler: Der klare Wortlaut des Vertrages ist hier verletzt. Ich habe es am 26. April hier vorgetragen. Hier ist ein Rechtsbruch passiert. Warum nennen Sie das nur „Rückschlag"?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das muß doch einen Sinn haben, meine Damen und meine Herren.
    Die Bundesregierung hat heute durch den Kanzler der DDR einige positive Punkte zuerkannt, z. B. ihre Wirtschaftskraft. Herr Bundeskanzler, warum verschweigen Sie — das gehört doch in den Bericht zur Lage der Nation im gespaltenen Deutschland —, daß die DDR sozial und wirtschaftlich weiter gegen uns abfällt, obwohl die DDR den früher industrialisierten, reicheren und wirtschaftskräftigeren Teil des alten Deutschen Reiches darstellt?

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Ein anderes Lob, das Sie der DDR haben zuteil werden lassen, macht mich stutzig, Herr Bundeskanzler. Sie sagten, man sei sich einig — so habe



    Dr. Barzel
    ich das notiert —, auch zwischen den Politikern beider Staaten, daß „von deutschem Boden kein Krieg ausgehen dürfe". Ich bin da hinsichtlich der hier attestierten Friedfertigkeit der DDR nicht so sicher; denn ich habe den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei nicht vergessen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich habe dies noch im Kopf. Das war Aggression und Gewalt und Nutzen militärischer Stärke, nicht nur Drohung mit Stärke, sondern Anwendung von militärischer Kraft. Das war nicht Friedfertigkeit. Ich habe in Erinnerung, daß es damals unwidersprochen hieß, die Anregung, die Planung, ja, die Forderung zu dieser Aktion sei weitgehend von Ost-Berlin ausgegangen. Dies war wohl kein Beweis von Friedfertigkeit.
    In Bulgarien, Herr Bundeskanzler, haben Sie, unlängst etwas gesagt — ich will es gleich zitieren —, was mich in diesem Zusammenhang mehr als stutzig macht. Vielleicht ergibt das Ganze ein Bild: Der Bundeskanzler hat Sie, Herr Kollege Wehner, mit dieser „defensiven" Sowjetunion — „defensiv" von Afrika bis Berlin, im Fernen Osten, in Vietnam und überall — eigentlich zum Chorknaben degradiert. Denn er hat dort etwas viel Umfassenderes, viel Weittragenderes gesagt. Ich zitiere nach der Niederschrift eines Interviews des Bundeskanzlers mit dem Westdeutschen und dem Norddeutschen Rundfunk, ausgesendet am 4. Mai 1979, 18.30 Uhr. Es handelt sich um den Text des Bundespresseamts. Danach sagt der Kanzler auf eine Frage:
    Ich glaube nicht, daß man überhaupt von Problemen zwischen uns und Bulgarien reden könnte. Es ist dies ein sehr problemfreier Meinungsaustausch gewesen. Sie haben recht: Wir gehören unterschiedlichen Verteidigungsbündnissen an.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Verteidigung?)

    Zwei unterschiedliche Verteidigungsbündnisse stehen sich, so der Kanzler, nun in Berlin' und Mitteleuropa gegenüber. Da wird der Aggressor zum Verteidiger ernannt. Die NATO ist aber doch eine Antwort auf die Herausforderung, nicht nur theoretisch. Aber nun wird der Warschauer Pakt zum Verteidigungsbündnis ernannt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, das kann man sicher in Ordnung bringen; sonst wird das noch eine große Rolle spielen, viel mehr als die Defensivität bei Herrn Kollegen Wehner.
    Man kann diese Pakte nicht gleichsetzen. Ich fürchte — ich sage das ganz vorsichtig —, daß Sie eigentlich dabei sind, die beiden Staaten in Deutschland zunehmend zu wenig nach ihrer Qualität zu unterscheiden.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr gut!)

    Dies ist eine sehr höfliche und vorsichtige Formulierung, weil ich hoffe, daß all das, was ich hier aus dem „Tag", nicht aus irgendwelchen obskuren Quellen, zusammengetragen habe, noch in dieser Debatte klargestellt werden kann. Wir werden dann sofort
    zufrieden sein und sagen: Jawohl; wir kommen darauf nicht mehr zurück. Vielleicht haben Sie sich versprochen. Das kann auch dem Bundeskanzler passieren.
    Sollte es nicht so sein, dann stelle ich hier die Frage: Wo kommen wir hin, wenn dies alles so weitergeht, mit den Worten, die wir 1968 beschlossen und unterschrieben, die wir 1972 beschlossen und unterschrieben — und die heute nicht mehr gelten sollen?
    Demokratie ist nach einem berühmten Wort, Herr Kollege Wehner, Höflichkeit, Kompromißbereitschaft und Vertrauen. Vertrauen auch hier zueinander in das Wort, das man sich gegeben hat. Und das sollte auch in der Frage der Wiedervereinigung gelten.

    (Wehner [SPD] Das muß wechselseitig sein, Herr Barzel!)

    — Herr Kollege Wehner, wer die Sensibilität für diese Frage hat, wird auch feststellen, daß die Anzeichen der letzten Wochen nicht nur dafür sprechen, daß vielleicht die Führung drüben Schwierigkeiten hat, daß sie schwach ist. Wer weiß? Vielleicht gilt das, was Dean Rusk uns einmal sagte, kurz bevor die Tschechoslowakei zum zweitenmal durch die Kommunisten besetzt wurde: Offensichtlich halten die die Koexistenz nicht aus.
    Sollte das so sein, dann ist das ein ernster Punkt, der weit über die deutsche Frage hinausginge. Wir müssen auf jeden Fall feststellen: Sie verbieten das Wort — das sich nicht verbieten läßt —; sie suchen Ideen einzumauern — man kann aber nicht auf sie schießen —; sie verordnen den Maulkorb. Und zugleich kommt das bei der Bundesregierung alles nicht vor.
    Wer einen Weg nach vorn sucht, muß wissen, auf welchem Fundament er das tut. In unserem Antrag ist eine Ziffer — ich mache dies ganz kurz —, auf die ich Ihre besondere Aufmerksamkeit lenken möchte. Sie sagt: Wir sollten uns zu eigen machen, was die Kultusminister der deutschen Länder einstimmig in die Hand der Lehrer und Schüler für den Unterricht in dieser Frage gegeben haben.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Sehr gut!)

    Ich kann darauf verzichten, jetzt noch einmal die Basis zu formulieren: Geltende Westverträge mit Art. 7 — Wiedervereinigung —; geltende Ostverträge, Urteil, Entschließung und all das. Ich kann darauf verzichten, das jetzt hier festzuhalten. Ich hoffe, daß Sie dem zustimmen werden. Oder ist da jemand, der dieses Instrument den Lehrern und Schülern etwa aus der Hand nehmen will? Das ist die verbindliche Festlegung, das für jeden ver- bindliche Fundament der Deutschlandpolitik jeder Regierung und jeder Opposition.
    Und wer immer hier regiert, Herr Kollege Wehner, und wer immer gerade opponiert — in diesen. Fragen gilt: Anders, als Sie, Herr Kollege Wehner, es damals sagten, braucht jeder, der hier regiert, die Opposition, bevor er zu Fortschritten in dieser



    Dr. Barzel
    Frage die Freunde draußen und die Moskauer braucht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich erkläre noch einmal: Die Ostverträge sind geltendes Recht wie die Westverträge, eingeschlossen den Deutschlandvertrag.
    Diesen Maßstäben wird Ihre Politik, Herr Bundeskanzler, nicht gerecht. Sie haben, wie ich glaube, den pflichtmäßigen Bericht zur Lage der Nation
    — und das meint die ganze Nation im gespaltenen Deutschland — nicht erstattet. Warum eigentlich
    — so sind Sie doch zu fragen — erklären Sie amtlich nach Abschluß der letzten innerdeutschen Vereinbarung, es sei die Politik der Bundesregierung, die beiden deutschen Staaten zu „stabilisieren"?

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Die beiden deutschen Staaten!)

    Wir haben doch ein anderes Ziel. Wir wollen sie beide zugunsten der Freiheit und Einheit aller Deutschen überwinden und nicht stabilisieren. Die deutsche Nation ist gespalten. Sie lebt in zwei Staaten in Deutschland, nicht in zwei deutschen Staaten. Wo kommt das bei Ihnen vor, Herr Bundeskanzler? Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht die deutsche Nation. Ihre Probleme, wie wichtig auch immer, sind nicht die alleinigen Probleme der deutschen Nation. .Die Bundesrepublik Deutschland ist der Vorort der Freiheit aller Deutschen — das ist richtig —, nicht weniger und nicht mehr.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Warum, Herr Bundeskanzler und die Bundesregierung, schweigen Sie über so viele Dinge, z. B. von Häftlingen? Man hört, wenn Sie welche freigekauft haben, und ich bin da — das wissen Sie sehr gut — Ihrer Meinung, Herr Franke. Aber warum hört man nichts vom Schicksal politischer Gefangener während der Haft, in der Zeit, in der sie da sitzen? Und warum redet dann, wenn die Regiegierung vielleicht schweigen muß — das wissen wir alle —, nicht die sozialdemokratische oder die liberale Fraktion? Verehrte Damen und Herren, warum schweigen Sie? Warum lassen Sie soviel schweigen? Durch dieses Schweigen produzieren Sie doch Fragezeichen in aller Welt, Fragezeichen gegen Deutschland, Fragezeichen an unserer Aufrichtigkeit. Denn niemand in der Welt glaubt, wir hätten Deutschland aufgegeben. Indem Sie aber schweigen und schweigen lassen, entstehen Gerüchte, Mißtrauen, Verdächtigungen.
    Sozialismus sei Humanität, meinen viele in der Welt. Warum verschweigen Sie dann Unrecht und Unmenschlichkeit in der DDR? Die „Humanita" in Rom hat die letzte Erklärung von Havemann abgedruckt. Wo ist sie im „Vorwärts"?
    Meine Damen und Herren, wer in der Welt soll sich einen Reim darauf machen: laute Kritik an Chile und an Südafrika, nicht aber an der DDR? Die humanitären Fragen erlauben es nicht immer, zu reden; ich weiß das, und ich habe das praktiziert. Aber sie erlauben natürlich auch nicht, immer zu schweigen. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung übt sich aber im Schweigen und im Verschweigen.
    Glaubt hier irgend jemand ernsthaft, die hätten den Hausarrest gegen Havemann beendet ohne den lautstarken Protest aus aller Welt?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Glaubt hier jemand, die Dissidenten aus Moskau wären unlängst in New York angekommen ohne den weltweiten Protest in diesen Fragen?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Glaubt hier jemand, die Auswanderung von Juden aus der Sowjetunion hätte so zugenommen ohne die lautstarke Forderung in aller Welt? Wenn wir diese Erfahrungen machen, warum schweigt die Regierung gleichwohl?
    Diese Strategie des Verschweigens an Stelle der der Regierung doch besonders gegebenen Möglichkeit, die Alternative des Einwirkens als Strategie zu wählen, produziert zusätzliche Fragezeichen. Die Regierungspropaganda behauptet, ihre Politik sei ohne Alternative; wir haben dies eben wieder von Herrn Franke gehört. Wahr ist dies: Diese Politik ist keine verantwortbare Alternative zu dem, was Vernunft und Augenmaß, was Menschlichkeit und Einsicht heute tatsächlich möglich machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Indem Sie nur schweigen -- statt zu reden, wo es nottut, und zu schweigen, wo es geboten ist — humpeln Sie eigentlich wie ein Einäugiger auf der Straße.
    Zur wirklichen Lage der deutschen Nation im gespaltenen Deutschland gehört das erzwungene Schweigen unserer Landsleute drüben, aber leider auch das freiwillige Schweigen mancher Politiker über die wahre Lage der deutschen Nation.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Leider wahr!)

    Meine Damen, meine Herren, wir sind doch hier frei gewählte Abgeordnete. Wie sollen wir dazu schweigen können? Wie sollen wir hinnehmen, daß gesagt wird, die deutsche Frage sei eine „Erfindung" ? Herr Kollege Wehner, Sie haben mir neulich zugerufen, dies sei nicht wahr. Ich habe es nachgelesen und habe das hier; natürlich haben Sie das gesagt. Und von Wiedervereinigung sollten wir nicht mehr reden. Sind das Beschlüsse Ihrer Bundestagsfraktion, oder sind das Befehle von vorne, zu denen Sie, verehrte Damen und Herren, wiederum schweigen?