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ID0815403700

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 8/154 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 154. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 17. Mai 1979 Inhalt: Begrüßung der Präsidentin des Senats von Kanada, Frau Renaude Lapointe . . . . 12266 B Bericht zur Lage der Nation Schmidt, Bundeskanzler . . . . . . . 12253 A Dr. Kohl CDU/CSU . . . . . . . . . 12266 C Mattick SPD . . . . . . . . . . 12279 C Hoppe FDP 12285 A Dr. Zimmermann CDU/CSU . . . . . 12289 B Friedrich (Würzburg) SPD . . . . . . 12296 C Dr. Wendig FDP 12301 C Franke, Bundesminister BMB . . . . . 12306 A Dr. Barzel CDU/CSU . . . . . . . . 12309 D Dr. Ehmke SPD 12315 D Dr. Abelein CDU/CSU 12322 D Ludewig FDP 12327 C Dr. Gruhl fraktionslos 12329 A Dr. Czaja CDU/CSU 12331 C Hofmann (Kronach) SPD . . . . . . 12335 C Graf Huyn CDU/CSU 12337 C Schulze (Berlin) SPD 12340 C Baron von Wrangel CDU/CSU . . . . . 12342 B Büchler (Hof) SPD . . . . . . . . . 12343 C Erklärungen nach § 35 GO Jäger (Wangen) CDU/CSU 12344 D Dr. Ehmke SPD 12345 B Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Umsatzsteuergesetzes (UStG 1979) — Drucksache 8/1779 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2864 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksache 8/2827 — Kühbacher SPD . . . 12345 D, 12347 B, 12353 C Di . Meyer zu Bentrup CDU/CSU . 12346 B, 12347 B Frau Matthäus-Maier FDP . . . . . . . 12347 C Dr. Kreile CDU/CSU 12348 B Frau Funcke FDP 12 357 B Matthöfer, Bundesminister BMF 12360 B II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Mai 1979 Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jenninger, Dr. Jobst, Röhner, Dr. George, Dr. Friedmann, Schröder (Lüneburg), Carstens (Emstek), Dr. von Wartenberg, Sauter (Epfendorf), Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Dr. Dregger, Kolb, Broll, Hanz, Spranger, Seiters, Glos, Susset, Dr. Waigel, Dr. Sprung, Dr. Warnke, Gerlach (Obernau), Dr. Miltner und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes — Drucksache 8/2780 — 12361 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung — Drucksache 8/2782 — 12362 A Beratung der Sammelübersicht 45 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen mit Statistik über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 14. Dezember 1976 bis 31. März 1979 eingegangenen Petitionen — Drucksache 8/2786 — in Verbindung mit Beratung der Sammelübersicht 46 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 8/2826 — 12362 A Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU Steuerliche Behandlung der gemeinnützigen Sportvereine — Drucksache 8/2668 — Dr. Schäuble CDU/CSU 12362 C Schirmer SPD 12364 B Mischnick FDP 12365 D Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dollinger, Dr. Friedmann, Niegel, Dr. Sprung, Dr. Stavenhagen, Damm, Biehle, Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) und der Fraktion der CDU/CSU Bessere Bedingungen für den CB-Funk — Drucksache 8/2727 —Dr. Friedmann CDU/CSU . . . . . . 13368 C Wuttke SPD 13370 A Hoffie FDP 12371 B Beratung der Ubersicht 9 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht — Drucksache 8/2800 — 12373 A Nächste Sitzung 12373 C Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . . 12375*A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Mai 1979 12253 154. Sitzung Bonn, den 17. Mai 1979 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Adams *** 17. 5. Dr. van Aerssen *** 18.5. Dr. Ahrens ** 17. 5. Dr. Aigner *** 18. 5. Alber *** 18. 5. Dr. Bangemann *** 17. 5. Frau Benedix 18. 5. Dr. von Bismarck 18. 5. Dr. Böhme (Freiburg) 18.5. Frau von Bothmer ** 17. 5. Büchner (Speyer) * 18. 5. Dr. Dollinger 18. 5. Fellermaier *** 18. 5. Dr. Fuchs 18.5. Haberl 18. 5. Handlos * 18. 5. von Hassel 17. 5. Dr. Haussmann 18. 5. Frau Hürland 18. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete () entschuldigt bis einschließlich Katzer 18. 5. Dr. Klepsch *** 17. 5. Dr. h. c. Kiesinger 18. 5. Klinker 18.5. Kolb 13. 5. Frau Krone-Appuhn 17. 5. Lange** 13. 5. Lemp *** 18. 5. Dr. Lenz (Bergstraße) 17. 5. Lenzer *** 13.5. Lücker *** 18. 5. Müller (Bayreuth) 18. 5. Müller (Mülheim) *** 18. 5. Müller (Remscheid) 18. 5. Neumann (Bramsche) 17. 5. Offergeld 18.5. Rapp (Göppingen) 18. 5. Frau Dr. Riede (Oeffingen) 18. 5. Frau Schlei 18.5. Schreiber *** 18. 5. Dr. Schwörer'** 18. 5. Seefeld *** 18. 5. Dr. Starke (Franken) *** 18. 5. Frau Dr. Walz *** 17. 5. Wawrzik *** 18. 5. Weber (Heidelberg) 18. 5. Wohlrabe 18. 5. Würtz *** 17. 5. Zeitler 18. 5.
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    Rede von Dr. Friedrich Wendig


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Bericht des Herrn Bundeskanzlers heute morgen war, wie ich meine, eine umfassende und nüchterne Darstellung der gegenwärtigen Situation in beiden Teilen Deutschlands und in allen wichtigen Bereichen.
    Leider kann der bisherige Verlauf der Debatte nicht überall an diesem von hoher Sachlichkeit geprägten Bericht gemessen werden. Es wurde für mich wieder einmal deutlich: Es gibt wohl kein Gebiet unserer Politik, das stärker im Zwielicht der Verdrehungen und der Unterstellungen steht als die Politik der deutschen Frage.
    Sie wird von seiten der Opposition zudem in einer Art und Weise behandelt, die auch für ein an harte Debatten gewöhntes Ohr manchmal wenig erträglich ist. Ich meine damit nicht alle Beiträge der Union. Aber ich frage mich immer wieder, wie dieser Debattenstil, und zwar gerade zu dieser Frage, auf einen Außenstehenden wirken muß, der in unserem Land dann nicht mehr erkennen kann, daß die eine Seite des Hauses der anderen bei unterschiedlichen Auffassungen über den Weg wenigstens die gute Absicht zugestehen mag. Das ist doch unsere Situation in diesem Bereich schon seit Jahren.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Wir sind ja auch so oft getäuscht worden!)

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Tut
    niemand!)
    Meine Damen und Herren, Sie haben das sehr lange getan, und Sie tun es zu einem großen Teil auch heute noch. Im Grunde genommen aber kennen Sie die Voraussetzungen, unter denen wir Deutschlandpolitik betreiben können, ganz genauso wie wir.
    Wenn die Bedingungen in den 30 Jahren, in denen die Bundesrepublik Deutschland besteht, nicht besser, sondern, wie ich meine, schlechter gewor-



    Dr. Wendig
    den sind, so liegt dies — ich will das mit allem Vorbehalt sagen —, soweit überhaupt das Verhalten deutscher Nachkriegsregierungen ursächlich gewesen sein sollte, an der Politik, die die Union vor allem in den 50er Jahren betrieben hat, als sie Regierungsverantwortung für dieses Land trug.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Wo war die FDP damals?)

    — Wir haben dann ja auch die Konsequenzen gezogen.
    Meine Damen und Herren, ich will hier keineswegs in alten Geschichten rühren, über die vermutlich erst spätere Historiker zuverlässig werden urteilen können. Aber auch heute in dieser Debatte gibt die Opposition wieder eine Darstellung, die einer historischen Legende gleicht, der man in diesem Lande entgegentreten muß. Die deutsche Offentlichkeit muß nämlich wissen, daß die Union in den 50er und in den 60er Jahren die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Deutschlandpolitik zumindest gröblich verkannt hat; und das ist eine noch sehr milde Auslegung. Man kann die Frage nämlich auch anders stellen und dann zu dem Vorwurf kommen, daß die damalige Bundesregierung und die Union der deutschen Bevölkerung die zwangsläufigen Konsequenzen der Westintegration für die deutsche Frage nie offen vor Augen gestellt haben.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Ich will hier nicht mißverstanden werden;

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ist schon verstanden!)

    den Eintritt der Bundesrepublik Deutschland in das westliche Verteidigungsbündnis und die Europapolitik will ich mit diesem Satz überhaupt nicht — weder für damals noch für heute — in Frage stellen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was dann?)

    — Bitte warten Sie doch ab! — Der deutschen Bevölkerung wurde aber — damit gehe ich auf diese Zeit zurück — vom damaligen Bundeskanzler und von anderen Unionspolitikern jahrelang mit aller Überzeugungskraft dargestellt, allein die Westintegration und — das kommt jetzt hinzu — die Politik der Stärke seien der Weg, auf dem man die Wiedervereinigung erlangen könne, und zwar sogar innerhalb sehr kurzer Frist. Das war doch die damalige Situation.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Und da waren Sie im Kabinett?)

    Lassen Sie mich die Widersprüchlichkeit und die Realitätsferne an einigen wenigen Beispielen aufzeigen. Es gab in den 50er Jahren eine Vierteljahresschrift mit dem schönen Namen „Neues Abendland", deren Geisteshaltung einige damals bedeutende Unionspolitiker nicht fernstanden. So schrieb im Jahre 1957 ein Herr Falk unter der Überschrift „Deutsches Geschichtsbild und deutsche Politik" u. a. — ich zitiere —:
    Das „Wirtschaftswunder" und die wachsende
    Macht der Bundesrepublik lassen Adenauers
    Politik als erfolgreich und darum richtig erscheinen; der Zug des Herzens aber folgt einem Geschichtsbild, das in einem völlig entgegengesetzten Felde des Koordinatensystems steht und durch Gefühlspunkte wie Tauroggen, Alter Fritz, Potsdam, Sedan-Feier und last not least Reichskanzlei einerseits, durch Paulskirche, Kulturkampf, Antimilitarismus und Spartakusromantik andererseits fixiert werden kann. Darum muß jeder Schritt, der tiefer in die Gemeinsamkeit der westlichen Völker führt, damit begründet werden, daß er „eigentlich" auf die „Wiedervereinigung" ziele. Darum muß der ganze deutsche Staat als Provisorium behandelt werden. Darum ist es eine Todsünde gegen die Nation, wenn man Berlin nicht als die einzige und ewige „Reichshauptstadt" anspricht, obwohl es mit dem wirklichen Reich nie etwas zu tun hatte.
    Ich will dies keineswegs als eine offizielle Auffassung der damaligen CDU bezeichnen. Immerhin wurde aber diese Schrift mit aus Bundesmitteln finanziert, und die von mir zitierte Ausgabe erschien mit einem Vorwort des damaligen Bundeskanzlers.
    Sicher gab es auch andere Auffassungen in der Union. Zur sogenannten Wiedervereinigungsnote der Sowjetunion von 1952 erklärte z. B. der Evangelische Arbeitskreis der Union u. a. — ich zitiere wieder —:
    Wir sehen in der Note der Sowjetunion vom 10. März 1952 einen Erfolg der Politik der Bundesregierung, da damit ein Gespräch zwischen den Mächten veranlaßt wird, auf denen die Verantwortung für die Teilung Deutschlands beruht. Wir bitten die Bundesregierung, bei ihren Beratungen mit den Westmächten sich dafür einzusetzen, daß auch diese nichts unversucht lassen, das von ihnen gleichfalls bejahte Ziel der deutschen Wiedervereinigung zu verwirklichen.
    Die Führung der CDU sah die Dinge politisch anders, und die Empfehlungen des Evangelischen Arbeitskreises verschwanden vermutlich in den Parteiarchiven.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Alles mit der FDP!)

    — Ich habe Ihnen ja gesagt, welche Konsequenzen das später hatte.
    Gleichwohl will ich ohne jede Schärfe, Herr Kollege Mertes, jedem deutschen Politiker zubilligen, daß er sich in einer so schwierigen Situation in der Beurteilung der Lage irren konnte. Nur darf man nicht so tun, als wäre mit der Ost- und Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition eine jahrzehntelange, beständige und erfolgreiche Wiedervereinigungspolitik der Union jäh unterbrochen worden. So stellen Sie es doch immer wieder hin.

    (Zustimmung bei der FDP und der SPD — Wehner [SPD] : Das Gegenteil war der Fall, weil das andere nicht mehr ging! — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das haben wir nicht getan!)




    Dr. Wendig
    Die Ergebnisse zeigen im Grunde genommen genau das andere.

    (Wehner [SPD] : Natürlich!)

    Dabei wurde spätestens seit Ende der 50er Jahre die Deutschlandpolitik der Union ziel- und. richtungslos, als sich nämlich herausstellte, daß sich die voreilig verkündeten Wiedervereinigungsversprechen — und da könnte ich eine Fülle von Zitaten anführen — nun doch nicht verwirklichen ließen. Die sehr zurückhaltende Äußerung des Bundeskanzlers Adenauer nach dem Mauerbau in Berlin vom 13. August 1961 ist bekannt. Sie war vernünftig, weil sie Sinn für die Realitäten aufwies. Auch schon auf einer Pressekonferenz vorher, am 13. Juli 1961 erklärte der damalige Bundeskanzler zur Frage von Bundestagssitzungen in Berlin u. a. — ich darf wieder zitieren —:
    Wir müssen uns doch darüber im klaren sein, daß die Atmosphäre gespannt ist und daß es nicht gut ist, diese Spannung in der Atmosphäre noch. zu vergrößern, wenn man es vermeiden kann. Es liegen so wichtige Dinge vor, die Zukunft Berlins, die Zukunft Deutschlands, daß es nun wirklich keine Rolle spielt, ob der Bundestag oder der Bundesrat gerade im Sommer einmal hiergewesen sind.
    Das hätte mal ein anderer sagen sollen, meine Damen und Herren.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das wurde ihm von der SPD verübelt!)

    Schließlich wurde noch Ende der 50er Jahre der Plan entwickelt und der Sowjetunion nahegebracht, für die DDR eine Österreich-Lösung vorzusehen, d. h., einen selbständigen, freien und durch Neutralität gebundenen zweiten deutschen Staat zu schaffen. Das war eine Sache — ich wage es beinahe nicht zu sagen —, über die man hätte reden können. Ich frage mich nur, welche Protestschreie von seiten der Union zu erleben gewesen wären, hätte dies ein Vertreter der anderen Seite, der sozialliberalen Koalition, verkündet, wäre doch mit einem solchen Modell die Zwei-Staaten-Theorie auf die Dauer festgeschrieben. Was würde man wohl zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundlagenvertrag gesagt haben, wenn es diesen damals schon gegeben hätte, meine Damen und Herren? Diese Fragen drängen sich doch auf.
    Die beginnende Erkenntnis in die wahre Situation Deutschlands war allerdings auch in den früheren Jahren durch Äußerungen geprägt, die sich weitab jeglicher Realität bewegten. So erklärte Konrad Adenauer am 29. Oktober 1956 auf die Frage eines israelischen Journalisten nach der Tauglichkeit wirtschaftlicher Mittel zur Erreichung der deutschen Einheit u. a.:
    Es war möglich; es ist noch immer möglich. Die Lage Rußlands ist nicht beneidenswert. Früher haben ihnen die Amerikaner Weizen verkauft, ohne Bedingungen zu stellen. Ich hätte die bestehenden Gelegenheiten wahrgenommen. Man beginnt mit kleinen Forderungen und erhöht diese Forderungen im Laufe der Zeit.
    So leicht ist das offenbar.
    Zu Gesprächen deutscher Wirtschaftsdirektoren auf der Leipziger Messe vor dem Presseclub am 12. April 1960:

    (Sauer [Salzgitter] CDU/CSU] : Zur aktuellen Lage!)

    Es gebe Vertreter der Wirtschaft, die so wenig nationales Selbstgefühl hätten, daß es bedauerlich sei. Sie seien sich bei ihren Verhandlungen mit sowjetzonalen Politikern ihrer Pflicht nicht bewußt gewesen, die auch Führer der Wirtschaft in nationaler Hinsicht hätten.
    Ich wiederhole, meine Damen und Herren: Ich habe diese Zitate nicht gebracht, um unnötig in der Vergangenheit herumzurühren. Allerdings meine ich, daß man über die 30jährige Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland, wenn man über Deutschlandpolitik spricht, nicht reden kann, ohne auch darzulegen, wie die Behandlung der deutschen Frage von denen gesehen worden ist, die in den entscheidenden Jahren Verantwortung in der Bundesrepublik getragen haben. Meine Damen und Herren, ich sage dies bei aller Zurückhaltung — und ich bin wirklich zurückhaltend, glaube ich —, um der Darstellung der Union entgegenzutreten, sie allein habe zu allen Zeiten konsequent die richtige Politik in der deutschen Frage vertreten, sie sei sozusagen die Wiedervereinigungspartei par excellence.

    (Dr. Ehmke [[SPD] : Da kann man nur lachen! — Zuruf von der CDU/CSU)

    Die sozialliberale Koalition hat 1969 die wahre Lage klar erkannt. Sie hat auf Grund der vorgegebenen Situation im Zuge der allgemeinen Entspannungs- und Friedenspolitik durch ihre Verträge von Moskau und Warschau auch den anderen deutschen Staat in ihre Konzeption einbezogen, wohlwissend, daß eine Verdichtung und Normalisierung der Beziehungen zur DDR die immer stärker gewordene Mauer schrittweise durchlässig machen könne, wenn auch zunächst nur von einer Seite her.
    Gewiß, meine Damen und Herren, ist die schreckliche Mauer, die unser Land trennt, noch nicht beseitigt. Wer konnte dies angesichts der Macht- und Interessenlage in Mitteleuropa so leicht erwarten? Wer wußte aber auch wirksame Mittel aufzuzeigen, mit denen man diesen Zustand in absehbarer Zeit hätte beseitigen können? Die Opposition ganz gewiß nicht.

    (Dr. Hennig [CDU/CSU] : Sie sprechen immer noch über die Vergangenheit!)

    — Ich komme langsam heran, Herr Kollege.
    Im Zusammenhang mit den vertraglichen Vereinbarungen ist unser Anspruch auf Vollendung der staatlichen Einheit aller Deutschen schriftlich festgehalten und auch im internationalen Rahmen immer wieder geltend gemacht worden. Ich erinnere — mein letzter Hinweis — an die Erklärung von



    Dr. Wendig
    Bundesaußenminister Genscher vor der UNO-Vollversammlung, wo er klar und unmißverständlich gesagt hat: Es bleibt das erklärte Ziel, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wi e d e r erlangt!) — Ja, wiedererlangt.

    Gewiß, immer wieder versucht die DDR, sich von einigen Verpflichtungen des Grundvertrages abzusetzen. Die Beschränkung der Tätigkeit westdeutscher Journalisten ist ein besonders aktuelles und böses Beispiel. Wir verurteilen diese Maßnahmen auf das schärfste. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie nichts unversucht läßt, die DDR immer wieder an ihre Verpflichtungen aus dem Grundlagenvertrag und aus der Schlußakte von Helsinki zurückzuführen. Wirtschaftliche Sanktionen etwa in dem Sinne, in dem Herr Kollege Barzel am 26. April in der Aktuellen Stunde sehr eloquent sein Konzept von Tranchen und Gegenleistungen entwickelt hat, sind zumindest in den Wirkungen fragwürdig. Ich erinnere an das vorhin genannte Zitat Konrad Adenauers, in dem er meinte, durch wirtschaftliche Repressionen die DDR gewissermaßen freikaufen zu können. Wer aber meint, es nütze dann eben nichts, mit der DDR Verträge zu schließen, führt uns zurück zum Punkt Null, d. h. in eine Situation, in der wie im Kalten Krieg zwischen den beiden Teilen Deutschlands nichts mehr läuft,

    (Zurufe von der CDU/CSU: Wer sagt denn das? Wer redet denn davon?)

    Herr Kollege Barzel hat am 26. April in einem allerdings recht gehabt: Wir sind nicht ohnmächtig. Wir reden uns das aber auch nicht ein. Leider vergessen viele bei uns immer wieder, daß sich die DDR als Ergebnis unserer Vertragspolitik und durch den Eintritt in die UNO nunmehr als Mitglied der" Völkerrechtsgemeinschaft der uneingeschränkten Kritik der Weltöffentlichkeit stellen muß. Die Abkapselung früherer Jahre ist ihr in dem internationalen Spektrum nicht mehr möglich. Im übrigen: Vereinbarungen wie z. B. Verkehrsbeziehungen sind für die DDR sicher leichter einzuhalten als Vereinbarungen, die den Bereich der Pressefreiheit berühren. Dies ist zu bedauern. Das ist jetzt keine Wertung, die ich abgebe. Die Tatsache, daß sich hier Welten gegenüberstehen, wird von niemand wegzudiskutieren sein. Hier zeigt sich aber die Schwäche der DDR, weil sie vor der Weltöffentlichkeit die freie Presse, die freie Berichterstattung scheuen muß. Auf lange Sicht gesehen ist deshalb unsere Position die stärkere.
    Die Opposition meint weiterhin, als Ergebnis der Vertragspolitik die erwarteten menschlichen Erleichterungen vermissen zu müssen. Nun, auch wir wünschten uns mehr Erleichterungen, und nicht nur überwiegend in der Richtung von West nach Ost. Die Tatsache aber, daß heute jährlich Millionen westdeutsche und Berliner Bürger in die DDR reisen können, ist schon ein ganz entscheidender
    Erfolg, der von der Opposition leider immer wieder heruntergespielt wird.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Auch ein sehr kleiner!)

    Uns unterscheidet von den Gründerjahren der Bundesrepublik Deutschland ein ganz wesentlicher Umstand: Den Bürgern in beiden deutschen Staaten war vor 30 Jahren, noch vor 20 Jahren die staatliche Einheit der Deutschen eine bewußt gelebte Vergangenheit, die noch nicht lange zurücklag. Dies ist heute bei der Mehrzahl unserer Bürger infolge des Wechsels der Generationen nicht mehr der Fall. Das ist der entscheidende Punkt. Jedes politische Offenhalten der deutschen Frage, aber auch jeder noch so gute Unterricht an den Schulen bleiben blasse Theorie, wenn nicht die Möglichkeiten persönlicher Begegnungen bestehen und genutzt werden.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das ist richtig!)

    Politisch kommt es für uns Deutsche in der Bundesrepublik Deutschland also auf zwei zentrale Punkte an. Erstens ist das Bewußtsein der deutschen Einheit wachzuhalten und zu entwickeln. Dazu gehört, daß wir den anderen Teil Deutschlands kennen, daß wir seine Menschen kennen und die Entwicklungen, die sich politisch, geistig und kulturell dort vollzogen haben. Zweitens. Solange eine politische Lösung für die deutsche Einheit wie zur Zeit nicht möglich erscheint, muß nach Formen für ein geregeltes Nebeneinander der beiden Staaten in Deutschland gesucht werden. Auch dabei kommt es darauf an, den politischen, rechtlichen und humanitären Anspruch der Deutschen auf freie Selbstbestimmung langfristig wachzuhalten.
    Beiden Voraussetzungen — das betone ich — wird die Deutschlandpolitik der Bundesregierung und der sozialliberalen Koalition voll gerecht.' Es gibt keinen Anlaß, hier irgendwelche Zweifel zu haben. Allerdings kann der Staat allein nicht alles tun. Auch der Unterricht an den Schulen kann allein das Deutschlandbild der jungen Menschen nicht entscheidend prägen. Presse, Funk, Fernsehen, kultureller, aber auch sportlicher Austausch, wirtschaftliche Beziehungen müssen hinzutreten. Dies kann aber den persönlichen Austausch von Meinungen und Gedanken nicht ersetzen, so dünn die Rinnsale auch sein mögen, die zur Zeit in beiden Richtungen fließen.
    Die Empfehlungen der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder zur Behandlung der deutschen Frage im Unterricht sind eine hervorragende Leistung. Sie stehen voll auf dem Boden der gegebenen Tatsachen und führen den jungen Menschen sachlich in die Problematik der deutschen Frage ein. Sie stehen auch in keinem Widerspruch zur Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition. Im Gegenteil: Sie umschreiben sie in einer sehr klaren Diktion. Sie legen nicht zuletzt auch dem jungen Schüler dar, daß das europäische Einigungsstreben — damit komme ich zu einer weiteren, zur letzten Frage — nicht im Gegensatz



    Dr. Wendig
    zur Wiedervereinigung Deutschlands zu stehen braucht.
    Trotz Ihrer verbalen Erklärungen in diesem Bereich muß man sich bei manchen Aussagen der Union zur Deutschlandpolitik fragen, wie Sie den Widerspruch auflösen wollen, der bei einigen Ihrer Redner zwangsläufig entstehen muß. Daß Wiedervereinigung nicht im Sinne eines Anschlusses, aber auch nicht im Sinne eines deutschen Nationalstaats alter Prägung möglich ist, steht, und zwar für alle, nicht erst seit heute fest. Einsichtige Unionspolitiker haben das ebenfalls längst erkannt. Während aber auf der einen Seite — durchaus konsequent — die Zusammenfassung aller Deutschen unter einem staatlichen Dach gerade in einer Verwirklichung der Europäischen Gemeinschaft als die auf längere Sicht einzig mögliche Lösung angesehen wird, sprechen andere von Ihnen von Verfassungsbruch und von Landesverrat, wenn erklärt wird, daß man die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands unter den heutigen Umständen neu formulieren müsse, möglicherweise mit Wendungen, die rein verbal nicht den Begriff der Wiedervereinigung alter Art enthalten. Das ist, Herr Kollege Zimmermann, keine Statusfrage und hat mit Rechtsposition überhaupt nichts zu tun.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Ich muß auch, weil sich ein bestimmter Punkt gegen meine Partei und Fraktion richtet, ganz deutlich erklären: Für uns stehen in dieser Frage Rechtsgrundsätze nicht zur Disposition. Das gilt auch für die Frage der Staatsangehörigkeit. Herr Kollege Hoppe, der vorhin von Herrn Zimmermann angesprochen worden ist, hat darauf schon in der Aktuellen Stunde ganz klar und eindeutig geantwortet, so daß das heute wirklich nicht mehr erforderlich war.

    (Kittelmann [CDU/CSU] : Können Sie das auch für die andere Fraktion erklären?)

    — Ich spreche für meine Fraktion. Aber, ich glaube — —(Kittelmann [CDU/CSU] : Das reicht
    schon!)
    — Nein, durchaus nicht. Ich habe davon gesprochen, daß in einer verbal anderen Umschreibung noch keine Veränderung der Rechtspositionen liegt.
    Der Herr Bundeskanzler hat in seinem Bericht die politischen, wirtschaftlichen und geistigen Entwicklungen im freien Teil Deutschlands und in der DDR sehr umfassend geschildert. Gegensätzliches und Gemeinsames treten hier zutage. Hat aber — ich glaube, wir müssen jetzt auch einige Fragen an uns richten — nicht bei uns eine in Klischees erstarrte Diskussion, wie sie leider seit Jahren betrieben wird, dazu beigetragen, daß viele Bürger nur schwer die notwendige Klarheit über die wahre Lage der deutschen Nation haben gewinnen können? Hat diese Vernebelung, die, wie ich aufgezeigt habe, eine lange Geschichte hat, nicht schließlich auch bewirkt, daß viele bei uns die nationale Zukunft der Deutschen nicht mehr als eine brennende Frage ansehen? Ich stelle diese Frage.
    Ich fürchte, daß in den letzten 30 Jahren vieles von dem verschüttet worden ist, was uns noch bei Gründung der Bundesrepublik Deutschland bewegt hat. Auf der anderen Seite wird sich bei vielen Bürgern der DDR ein besonderes sozialistisches Staatsbewußtsein am Ende sicherlich nicht herausbilden können — davon bin ich felsenfest überzeugt -, fehlt es doch dort an der Freiheit, auf die jeder Weg nach staatlicher Einheit der Deutschen ausgerichtet sein muß.
    Nach dem Frieden von Lunéville 1801 — ich wende meinen Blick also wieder einmal zurück — schrieb Friedrich Schiller angesichts der napoleonischen Bedrohung in einem fragmentarischen Gedicht über die Deutschen u. a.:
    Die Majestät der Deutschen ruhte nie auf dem Haupt seiner Fürsten. Abgesondert von den Politikern hat der Deutsche sich einen eigenen Wert gegründet, und wenn auch das Imperium unterging, so blieb die deutsche Würde unangefochten. Sie ist eine sittliche Größe; sie wohnt in der Kultur und in dem Charakter der Nation, der von ihren politischen Schicksalen unabhängig ist.
    Ich sehe einmal davon ab, daß Schiller mit diesen Sätzen von einem politischen Begriff der Nation Abschied nahm, um sich um so deutlicher der Kulturnation zuzuwenden. Es war dies eine Entwicklung, die für die politische Bildung des Bewußtseins des deutschen Bürgertums im 19. Jahrhundert nicht unbedingt von Vorteil gewesen ist. Trotzdem sollten wir in unserer konkreten Situation an dem Verbindenden der gemeinsamen deutschen Kultur festhalten, das auch durch unterschiedliche Gesellschaftssysteme so leicht nicht zu zerstören ist. Auf diesem Gebiet ist zur Zeit sehr viel mehr in Bewegung, als manch einer meinen mag. Der Herr Kollege Hoppe hat vorhin auf einige dieser Probleme hingewiesen.
    Zur Würde der Deutschen wie zur Würde aller Menschen gehört an allererster Stelle die Freiheit. Für die Freiheit der Deutschen in der DDR können wir heute nicht viel tun.
    Kommen wir aber zu uns: Materieller Wohlstand und soziale Sicherung dürfen bei dem Bürger unserer Republik nicht den Blick auf die Tatsachen verstellen, daß seine Freiheit zugleich sein höchster Besitz ist. Nur wenn wir stärker als in der Vergangenheit uns dieser geistigen Kraft bewußt sind, wirken wir vorbildlich auch auf diejenigen, denen die Freiheit bisher versagt ist. Nicht mit großen Worten und nicht mit verbalen Gesten bewegen wir die Geschicke unserer Nation.
    Was soll ich von den Worten des Herrn Kollegen Zimmermann halten, wenn er vorhin pathetisch gesagt hat — so in etwa —, keine Macht in der Welt könne den Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands versperren.

    (Zuruf des Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU])

    Erstens ist diese Aussage falsch; zweitens erreicht das einen Grad von

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Zumutung!)




    Dr. Wendig
    Zumutung, der eigentlich für viele schwer erträglich ist. Es bedeutet eigentlich immer noch einen Realitätsverlust gegenüber den Möglichkeiten, in denen sich eine verantwortliche deutsche Politik bewegen kann.
    Nicht mit großen Worten bewegen wir die Geschicke der Nation; nur wenn wir nüchtern die Realität erkennen, sie beschreiben und danach handeln, wirken wir überzeugend nach innen und außen. Nur wenn wir überzeugend wirken, begründen wir aber für unsere Politik, die einen langen Atem braucht, die einzige Chance zum Erfolg.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)



Rede von Dr. Hermann Schmitt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundesminister Franke.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir zunächst einige Vorbemerkungen. Der Abgeordnete Dr. Barzel hat in der Aktuellen Stunde am 26. April hier die Bundesregierung aufgefordert, den Bericht zur Lage der Nation, „wie es Vorschrift ist", schriftlich vorzulegen.
    Hier liegt offensichtlich ein Mißverständnis vor. Seit 1968 haben alle Bundeskanzler den Bericht zur Lage der Nation von dieser Stelle aus stets mündlich vorgetragen. Das ist zu allen Zeiten so gewesen.
    Anders steht es mit den Materialien und Dokumenten. In Ergänzung zum Bericht zur Lage der Nation hat die Bundesregierung seit Beginn der 70er Jahre ohne Beschluß des Parlaments, also ohne Auflagen, zur Ergänzung des Berichts solche Dokumentationen und Materialien vorgelegt, wenn es sinnvoll erschien und auch zustande zu bringen war, aus dem Thema, aus der ganzen Situation heraus. Das war natürlich immer schriftlich. Ich bitte Sie, doch wenigstens in dieser Frage zu versuchen, mit uns übereinzustimmen, daß wir bemüht waren, neben dem Vortrag auch Dokumente, und zwar sehr dicke, in Fortschreibung durch wissenschaftliche Kommissionen erstellt, zur Verfügung zu stellen. Sie mögen es glauben oder nicht: Diese Materialien wurden von der interessierten Öffentlichkeit in einem solch hohen Maße angefordert, daß wir mehrere Auflagen nachdrucken lassen mußten.
    Dies war in der Tat eine großartige Sache. Wir werden auch bemüht sein, das wieder zustande zu bringen. In diesem Jahr wird es keine Dokumentation geben. Aber ich darf sagen, daß das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen zum nächsten Jahr bereits eine Fortschreibung dieser Dokumentation vorbereitet.
    Aber bitte: Es ist keine zwingende Verpflichtung gewesen, daß der Bericht zur Lage der Nation mit Dokumenten belegt hier erstattet wird. Aber es ist in das Ermessen der Regierung gestellt, und diese Absicht besteht.

    (Zuruf des Abg. Kittelmann [CDU/CSU]) — Wir strengen uns doch an, weil wir gemeinsam daran interessiert sind, das Mögliche zu tun, um die Debatte zu diesem ernsten Thema so sachlich und fundiert, wie es nur geht, zu führen und — für jeden nachprüfbar — auch mit Materialien anzureichern.

    Eine zweite Vorbemerkung. Herr Dr. Kohl, Sie meinten heute morgen, die Bundesregierung mahnen zu müssen, mehr für die Verbreitung nationalen Bewußtseins und Wissens in den Schulen zu tun.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    — Lassen Sie mich doch dazu antworten. Ich habe das ja aufgegriffen.

    (Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Kohl [CDU/ CSU])

    Dazu muß ich sagen: Wir tun das, wozu wir einmal kompetenzmäßig in der Lage sind, Ich darf Sie an die Konflikte erinnern, die wir hatten, als es um flankierende Dinge ging. Da gab es beachtliche Proteste der Länderminister.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Aber doch nicht, weil Sie aktiv waren, sondern zu dem, was Sie gemacht haben!)

    Zum anderen geht es dabei um Dinge, zu denen wir finanziell in der Lage sind. Wir machen das im engsten Zusammenwirken mit der Ständigen Kultusministerkonferenz und sind bemüht, dabei ein Höchstmaß zu erreichen. Die Nachfrage nach diesem Material ist beachtlich gestiegen.
    Es besteht immer nur die Schwierigkeit: Sie fordern, daß wir mehr tun sollen. Wenn es aber bei den Haushaltsplanberatungen darum geht, für die Finanzierung zu sorgen, dann beantragen Sie gerade hierfür die Kürzung der Mittel. Ich weiß nicht, wie ich das miteinander vereinbaren soll. Bisher haben wir jedenfalls immer noch eine einigermaßen optimale Möglichkeit gefunden. Ich würde mich freuen, wenn Sie bei den nächsten Haushaltsberatungen zu diesem Titel initiativ würden und sagten: Dafür müssen wir den Mittelansatz im Etat des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen verstärken.

    (Beifall bei der SPD)

    Damit würden Sie einer guten Sache helfen. Hier geht das aber, wie Sie es mal so, mal so für richtig halten.
    Nach diesen Vorbemerkungen möchte ich noch einige Anmerkungen zu anderen Themen machen, die in Verbindung mit dem Bericht zur Lage der Nation eine Rolle spielen. Lassen Sie mich dabei zunächst einmal zu dem kommen, was in den letzten Wochen auch eine Rolle spielte, nämlich dem Streit, der um den Begriff der Wiedervereinigung entbrannt ist. Ich möchte dazu ganz offen sagen: Diejenigen, die sich unterstanden — —

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Der vom Zaun gebrochene Streit!)




    Bundesminister Franke
    — Sie können das deuten, wie Sie wollen. Per Saldo kommt es auf dasselbe heraus: vom Zaun gebrochen entbrannt,was soll's.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Von Herrn Wehner!)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie uns doch versuchen, beim Wesentlichen zu bleiben. Ich habe den Eindruck, daß hier durch erheiternde Zwischenbemerkungen zur Auflockerung der Diskussion beigetragen wird. Ich glaube aber, die werden dem Thema nicht ganz gerecht. Wir sollten ruhig versuchen, ein bißchen bei der Sache zu bleiben. Lassen Sie uns doch einmal versuchen, diesem Thema in aller Sachlichkeit beizukommen. Ich weiß, daß ich nicht bei jedem Gehör finde. Das wäre auch anmaßend. Ihnen geht es ja nicht anders. Ich muß mich eben damit abfinden.
    Diejenigen, die sich unterstanden, die politische Wirklichkeit oder Wahrscheinlichkeit dieses Wortes unter die Lupe zu nehmen und dabei zu einem eher negativen Befund gelangten, wurden als nationale Defätisten oder gar Verräter behandelt. Diejenigen aber, die sich sehr impulsiv ohne viel nachzudenken entrüsteten, taten so, als seien sie die wahren, die echten, die treuen Patrioten. Oft war dann auch wohlfeiles, im Brustton der Überzeugung vorgetragenes Bekenntnis von der Art zu hören, wie wir es auch heute hier wieder vernommen haben. Dazu meine ich aber: Wohlfeile Bekenntnisse, Bekenntnisse, die nichts kosten, sind auch nichts wert. Die kann man schnell von der Zunge bringen. Hier geht es um praktische Aufgaben, die sogar Courage erfordern, um sich gegenüber eingefahrenen Begriffen und Vorstellungen durchsetzen zu können.
    Nun könnte man sich auf den Standpunkt stellen: wenn sie auch nichts wert sind, so schaden sie auch nichts. Dies ist ein Irrtum. Wer in der politischen Realität des Jahres 1979 Raum und Platz für den gedanklichen Entwurf der Wiederherstellung des Deutschen Reiches, wie es einmal war, findet, der ist entweder ein politischer Phantast oder ein Zyniker. Auf jeden Fall hindert er sich und andere daran, das der heutigen Realität Gemäße und Mögliche zu erkennen und dann auch zu tun.
    Deswegen sage ich: Solche tönenden Bekenntnisse in stumpfen Denk- und Sprachfiguren sind nicht nur nichts wert, sie schaden vielmehr auch, und zwar am meisten den Menschen, die gegenwärtig in dem anderen deutschen Staat, der Deutschen Demokratischen Republik, leben und arbeiten.
    Ich sage Ihnen offen: Letztlich ist es mir egal, in welchen Worten und Begriffen einer seine patriotischen Gefühle zum Ausdruck bringt, wenn es nur in einer Weise geschieht, daß dabei die Interessen und Wünsche der heute in der DDR lebenden Deutschen mitbedacht werden.

    (V o r s i t z : Präsident Carstens)

    Was nämlich wirklich zählt, ist, ob wir bereit und
    fähig sind, den nötigen Anstand und die nötige Solidarität gegenüber den heute in der DDR lebenden
    Deutschen aufzubringen, und zwar in der DDR, so wie sie heute ist und sich uns darstellt. Manche, die ungerührt und leichthin das Wort „Wiedervereinigung" im Munde führen, glauben vielleicht, das Problem auf diese Weise bequem in eine weite nebulöse Zukunft abzuschieben und es auf diese Weise jedenfalls für die Gegenwart loszuwerden. Das wären dann die Zyniker, von denen ich vorhin sprach: Wiedervereinigungsrhetorik als Nebelwand, um dahinter eine ausschließlich an westdeutschen Interessen orientierte Politik zu verfolgen!
    Es könnte ja sein, daß einer so viel hellseherische oder auch analytische Fähigkeiten besitzt, daß er voraussieht: die Deutschen haben mit dem angestifteten und verlorenen Zweiten Weltkrieg die Einheit endgültig auf Jahrhunderte verspielt, oder sie werden sie schließlich nicht mehr entbehren, oder sie verzichten am Ende aus freien Stücken darauf. Wie gesagt, es kann sein, daß jemand diese Einsicht heute schon hat und weiß, daß es so kommen wird. Aber ich behaupte, selbst dieser Jemand hätte moralisch nicht das Recht, die Erwartungen, Hoffnungen und Interessen der Menschen in der DDR zu enttäuschen und für die Bundesrepublik heute eine Politik zu empfehlen oder zu führen, welche die Erwartungen, Hoffnungen und jetzigen Interessen der Deutschen in der DDR nicht mitberücksichtigt.
    Wir anderen, die wir solche Fähigkeiten des Hellsehens nicht haben und demzufolge das künftige Schicksal der Deutschen nicht kennen, wir haben erst recht keinen vertretbaren Grund dazu. Anstand und Solidarität gegenüber den Deutschen in der DDR verpflichten uns zu einer Politik der Zusammenarbeit mit dem Staat DDR, verpflichten uns, die uns zur Verfügung stehenden Mittel und Wege zu nutzen, um die Folgen der Teilung für die Menschen unseres Volkes zu mildern. Hier an diesem Punkt scheiden sich in Wahrheit die Geister und nicht an der Häufigkeit oder der oft gedankenlosen Beständigkeit, mit welcher einer seine patriotischen Bekenntnisse ablegt.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Trifft nicht zu!)

    Für das heutige und künftige Schicksal der Deutschen viel wichtiger ist, ob wir heute das uns Mögliche zu tun bereit sind und auch die Courage dazu aufbringen.

    (Zurufe von der CDU/CSU: So ist es! — Eben!)

    Wir, die Koalition, sagen, die Politik der Entspannung in den innerdeutschen Beziehungen, die wir vor knapp zehn Jahren begonnen haben, ist ohne reale oder vernünftige Alternative. Dies wird uns zuweilen als unpolitische, zumindest als taktisch unkluge Äußerung vorgehalten. Was wir damit meinen, ist dies: Zu dieser Politik treibt uns nicht allein die moralische Verpflichtung, die wir als Deutsche für die Deutschen in der DDR fühlen, es treiben uns dazu auch eigene Interessen. Eben diese Kombination aus moralischer Verpflichtung und Interesse läßt in unseren Augen diese unsere Poli-



    Bundesminister Franke
    tik ohne Alternative sein — so alternativlos übrigens, daß wir allen Grund haben zu der Annahme, daß die Opposition am Ende doch auch bei dieser Politik landet. Um einem Mißverständnis vorzubeugen: dazu müßte die heutige Opposition natürlich noch einen großen Lernprozeß durchmachen.
    Um wieder zu den Interessen zurückzukehren, die uns neben einer moralischen Verpflichtung zu der Politik der Entspannung und Zusammenarbeit gegenüber der DDR veranlassen: welche Interessen sind das? Im wesentlichen zwei. Da ist zunächst unser Interesse an der Lebensfähigkeit und an der Stabilität der Lebensverhältnisse für WestBerlin. Und West-Berlin liegt nun einmal mitten in der DDR. Die Rolle und Verantwortung, die uns hier obliegt, könne uns die drei Westalliierten nicht abnehmen; sie haben sie uns ja mit unserer eigenen Zustimmung sogar ausdrücklich übertragen.
    Die Vereinbarungen vom November vergangenen Jahres sind ein hervorragendes Beispiel für die Verbindung zwischen unserer Politik gegenüber der DDR und unserer Politik für Berlin. Im Ernst wird niemand leugnen, daß es angesichts der „Unterschiede in den Rechtsauffassungen" — wie es im Viermächteabkommen heißt — ein Politikum ersten Ranges darstellt, wenn wir mit der DDR einen Ausbau der Zugangswege nach Berlin vereinbaren, ein Politikum und eine Leistung, die auch einen Preis wert ist. Die Bundesregierung jedenfalls hat so gedacht, als sie über das Verhandlungsergebnis zu befinden hatte. Sowohl hier vor dem Bundestag als auch vor der Offentlichkeit haben wir unsere Kriterien dargelegt. Wir bleiben auch nach den Beratungen in den Ausschüssen des Bundestages bei der Beurteilung, daß die vereinbarten Verbesserungen und ihre politische Bedeutung den finanziellen Aufwand lohnen. Aus unserer Sicht rangieren die Interessen Berlins dabei an erster Stelle.
    Wir unterschätzen aber auch nicht den Wert dieser Vereinbarungen für die Stabilisierung unserer Beziehungen zur DDR. Statt daran herumzumäkeln, sollten wir die Verschränkung unserer Deutschlandpolitik mit unserer Berlin-Politik begrüßen. Wir sollten es begrüßen, daß Investitionen für die Zukunft West-Berlins zugleich unseren Arbeits- und Kooperationskontakt mit der DDR fundieren und weiterbringen.
    Manche Kritiker vermissen anscheinend direkte Vorteile aus den erheblichen finanziellen Aufwendungen für die Menschen in der DDR. Manche kritisieren an den Aufwendungen, die Bundesrepublik subventioniere das Wirtschaftssystem der DDR. Ich finde das reichlich kurzsichtig. Schließlich sind die Menschen von dem gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang, unter dem sie arbeiten, wirtschaften und konsumieren, nicht zu trennen. Außerdem — darauf hat ein Journalist bei uns mit Recht hingewiesen — tut die neue Autobahn auch vielen Urlaubern recht wohl, die aus dem Süden der DDR an deren westliche Ostseeküste zur Erholung reisen, eine Vorstellung, die mir nicht unsympathisch ist, und ein Gesichtspunkt, der zugegebenermaßen nur am Rande zählen darf, aber doch nicht ganz unbeachtet bleiben sollte.
    Bei dem ganzen Verhandlungskomplex, der letzten November abgeschlossen wurde, ging es wieder darum, verschiedene, unterschiedliche Interessen gegeneinander aufzuwiegen und in einem für beide Seiten tragbaren Kompromiß zu verschnüren. Das ist etwas anderes, als wenn zwei Partner mit der grundsätzlich selben Zielsetzung bei variierenden Interessen versuchen, zu einem Ergebnis zu kommen. Wir müssen immer von der Prämisse ausgehen: Grundlegende Meinungsverschiedenheiten und Gegensätze, gerade in den elementaren Fragen, mit denen wir es zu tun haben, bringen nur einen Kompromiß und nicht das ideal Gewünschte zustande.
    Hier im Verhältnis zur DDR ist es so, daß grundsätzliche Unterschiede, ja Gegensätze, weit auseinanderliegende Interessen ohne gemeinsamen Grundnenner hervorbringen. Solche Interessen ohne gemeinsamen Grundnenner müssen wir dann in einem Kompromiß gegeneinander aufwiegen. Das Schwierige dabei ist, daß so Interessen miteinander in Beziehung gebracht werden — gebracht werden müssen —, die von Hause aus nichts miteinander zu tun haben.
    Meine Damen und Herren, unser zweites starkes Interesse, das unserer Politik gegenüber der DDR zugrunde liegt, ist unser Interesse am Frieden. Zu diesem Interesse haben wir aus unserer jüngsten Geschichte sowie aus unserer politisch-territorialen Situation heraus die allergrößte und zugleich die konkreteste Veranlassung, die sich denken läßt. Hier in Mitteleuropa, auf dem Territorium der beiden deutschen Staaten, stehen sich die Bündnisse Warschauer Pakt und Nordatlantikpakt hochkonzentriert gegenüber, unter Aufbietung — auf beiden Seiten — enormer Potentiale von Waffen und Menschen.
    Fast möchte man zweifeln, daß mit den Mitteln der innerdeutschen Politik die Gefahr, die von dieser militärischen Konfrontation ausgeht, nennenswert gemindert werden könnte. Auf der anderen Seite wird nicht zu Unrecht gerade von Oppositionskollegen darauf verwiesen, die militärische Konfrontation sei nicht das Primäre, primär sei die politische Konfrontation, die in der militärischen zum Ausdruck komme. Wenn das richtig ist, dann kann normalisierungsförderliche, spannungsabbauende innerdeutsche Politik in der Tat zur Entschärfung der Konfrontation — auch der militärischen — zwischen den Bündnissen beitragen. Daß das geschieht, daran müssen wir allein aus der militärisch-geographischen Lage heraus das größte Interesse haben.
    Wenn wir uns so unsere Interessen und moralischen Verpflichtungen zu einer Politik der Entspannung und Zusammenarbeit gegenüber der DDR klarmachen, dann verhilft uns das, so meine ich, zu mehr Nüchternheit und Beständigkeit im Urteil über die Vertragspolitik, ihre Bedingungen, ihren Ertrag und ihre Gefährdungen. Das verhilft auch



    Bundesminister Franke
    dazu, vor allem in Fragen der Menschenrechte auf die Effektivität des Verhaltens und Handelns von Regierungsseite zu sehen.
    In diesem Zusammenhang muß ich in aller Form das Verhalten des CDU-Abgeordneten Dr. Mende beanstanden. Herr Dr. Mende zieht seit einiger Zeit hier in der Bundesrepublik, aber auch vor der internationalen Offentlichkeit im Europarat zu Straßburg mit Begriffen wie „Menschen- oder Sklavenhandel" über die besonderen Bemühungen der Bundesregierung um die Freilassung von Häftlingen her. Es geht mir dabei gar nicht um die Bundesregierung. Deren Verhalten ist ohnehin verantwortungsethisch voll gerechtfertigt. Das Schlimme ist -- darum erwähne ich es überhaupt —: Mit seinen Diffamierungen und Disqualifizierungen trifft Dr. Mende gleichsam direkt das Schicksal der Menschen, die in der DDR im Gefängnis sitzen und auf unsere Hilfe warten. Mehr ist dazu überhaupt nicht zu sagen. Ein Menschenrechtseinsatz von dieser Qualifikation richtet sich selbst. Ich weiß nicht, wie ich aus folgendem Widerspruch herauskommen soll. Entweder man unternimmt verstärkte Anstrengungen — auch auf Ihr Drängen hin — in Richtung auf Freilassung dieser Menschen. Sie wissen ja selber, wie notwendig es ist, das menschliche Leid zu lindern. Wenn man dies will, kann man aber diese Bemühungen in der Offentlichkeit nicht so disqualifizieren, daß die beteiligten weiterhin mit einem schlechten Gewissen bei der Sache wären.

    (Beifall bei der SPD)

    Es lohnt sich, einmal darüber nachzudenken. Sie sollten einmal den Widerspruch zwischen Ihren Forderungen nach mehr Menschlichkeit und praktischer Wirksamkeit durchdenken.
    Es ist glatte Illusion, zu erwarten, die DDR könne durch das Mittel zwischenstaatlicher Vereinbarungen dazu gezwungen werden, bei sich selbst Zustände einzuführen, wie sie in freiheitlichrechtsstaatlichen Demokratien gang und gäbe sind. Als Beispiel nenne ich die journalistische Berichterstattung aus der DDR. Ich stehe nicht an, die jüngste Durchführungsbestimmung samt ihrer Anwendung gegen den ZDF-Korrespondenten nicht nur für einen Rückschlag, sondern für einen tatsächlichen Rückschritt zu halten.
    Die DDR hat 1972/73 mit uns eine Vereinbarung auf Gegenseitigkeit über die freie Information und Berichterstattung der Korrespondenten beschlossen. Aus Gründen, die sie selbst zu vertreten hat, sieht sie sich nunmehr offenbar außerstande, die auf Grund dieser Vereinbarung inzwischen gewachsene mehrjährige Praxis ungeschmälert weiter fortzuführen. Darum die Verschärfung bzw. Ausdehnung der Bestimmungen über die Genehmigungspflichtigkeit von Vorhaben und Reisen, darum die provinzielle Sturheit in der Durchsetzung.
    Es ist nicht schwer auszumachen, welche Gründe es sind, die die DDR zu diesem Verhalten veranlassen: Der herrschenden Partei bleibt das Informationsmonopol unantastbar.
    Es hat nicht im entferntesten etwas mit Billigung oder Zustimmung zu tun, wenn man sich dies nüchtern vor Augen führt und dann fragt, welche Konsequenzen zu ziehen sind. Sollen die westlichen Journalisten auf Berichterstattung aus der DDR nun vollends verzichten? Dies wäre ja wohl die Konsequenz, wenn man dem Urteil von Oppositionsseite folgte, der Vorgang beweise ein weiteres Mal das Scheitern der Vertragspolitik.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine Unterstellung!)

    Ich meine, so leichtsinnig und pauschal kann nur denken und urteilen, wer diese Politik für irgendeine konjunkturelle Erscheinung hält und nicht für eine moralisch und interessenmäßig fundierte Notwendigkeit, die nur auf Langfristigkeit angelegt Erfolg bringen kann

    (Beifall bei der SPD)

    und nicht beliebig unterbrochen werden kann, um dann bei passender Gelegenheit wieder aufgegriffen zu werden. Nichtsdestoweniger wird der Vorgang auf unsere künftige Verhandlungsführung selbstverständlich seine Auswirkungen haben. Dieses Thema ist für uns keineswegs beendet.
    Aufs Ganze gesehen wird sich die Bundesregierung nicht davon abbringen lassen, die innerdeutschen Fragen mit Umsicht, Beharrlichkeit und Augenmaß zu handhaben und weiter zu verfolgen. Wer — wie wir — von Anfang an von der Notwendigkeit und Richtigkeit dieser Politik überzeugt ist, wird auch nicht gleich schwankend und unsicher, wenn sich herausstellt, daß die DDR mit der Vertragspolitik ebensowenig zu missionieren ist wie wir selbst.
    Wir, die Bundesregierung, agieren und reagieren mit dem Blick auf unsere moralische Verpflichtung und die Interessen dieses Landes.

    (Kittelmann [CDU/CSU] : Sie veredeln Ihren Vertragsbruch!)

    Ich fand, es war äußerst interessant, als heute der Beitrag von unserem Kollegen Mattick hier vorgetragen wurde, um einmal aufzuzeigen, was aus Ihren Prognosen in der Zeit der praktischen Politik geworden ist.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Von Anfang an haben Sie den Untergang Deutschlands und das Scheitern dieser Politik prophezeit, und inzwischen bedienen Sie sich der Ergebnisse und Erfolge. So soll es auch sein. Die Menschen drüben haben wieder mehr Zuversicht und Hoffnung gefaßt. Lassen Sie uns diese Politik gemeinsam und sachlich fortführen!

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)