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    Plenarprotokoll 8/145 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 145. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Inhalt: Gedenkworte zum 130. Jahrestag der Verabschiedung der Frankfurter Reichsverfassung 11559 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. Schachtschabel und Dr. Gradl . . 11560 C Wahl des Abg. Müller (Nordenham) zum ordentlichen Mitglied und des Abg. Dr. Enders zum stellvertretenden Mitglied im Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt 11560 C Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . 11560 C Erweiterung der Tagesordnung 11561 C Absetzung eines Punktes von der Tagesordnung 11673 B Beratung des Antrags der- Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Hermann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord — Drucksache 8/2539 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurfs eines 18. Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksache 8/2653 (neu) — in Verbindung mit II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Beratung der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord — Drucksache 8/2616 — Dr. Gradl CDU/CSU 11561 D Dr. Emmerlich SPD 11565 C Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . . 11569 D Kleinert FDP 11575 C Schmidt, Bundeskanzler 11579 A Graf Stauffenberg CDU/CSU 11581 A Dr. Wendig FDP 11585 D Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 11590 B Waltemathe SPD 11593 B Dr. Dr. h. c. Maihofer FDP 11596 A Dr. Mikat CDU/CSU 11601 C Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU 11607 C Dr. Vogel (München) SPD 11611 C Engelhard FDP 11617 A Dr. Weber (Köln) SPD 11619 C Wissmann CDU/CSU 11622 A Oostergetelo SPD 11624 A Dr. Klein (Göttingen) CDU/CSU 11625 D Frau Matthäus-Maier FDP 11627 C Blumenfeld CDU/CSU 11631 A Hartmann CDU/CSU 11633 B Hansen SPD 11635 B Helmrich CDU/CSU 11638 A Dr. Schwencke (Nienburg) SPD 11639 C Dr. Schwarz- Schilling CDU/CSU 11642 B Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 11645 B Sieglerschmidt SPD 11647 A Josten CDU/CSU 11649 C Präsident Carstens 11575 A Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europaabgeordnetengesetz) — Drucksache 8/362 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2708 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 8/2707 — Krey CDU/CSU 11651 A Bühling SPD 11652 C Dr. Klepsch CDU/CSU 11654 D Wolfgramm (Göttingen) FDP 11656 D Luster CDU/CSU 11657 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr — Drucksache 8/2453 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2697 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 8/2696 — Hölscher FDP 11658 C, 11660 C Burger CDU/CSU 11658 D Kratz SPD 11659 D Dr. Ehrenberg, Bundesminister BMA . . 11661 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und FDP Enquete-Kommission „Zukünftige Energie-Politik" und dem Antrag der Abgeordneten Lenzer, Pfeifer, Dr. Probst, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Riesenhuber, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Laufs, Pfeffermann, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Dr. Narjes und der Fraktion der CDU/CSU Enquete-Kommission „Zukünftige Energie-Politik" — Drucksachen 8/2353, 8/2374, 8/2628 — Dr. Freiherr Spies von Büllesheim CDU/CSU 11663 B Ueberhorst SPD 11664 D Dr.-Ing. Laermann FDP 11666 A Bericht des Ausschusses für Forschung und Technologie gemäß § 60 Abs. 3 der Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Lenzer, Dr. Riesenhuber, Dr. Probst, Pfeifer, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Pfeffermann und der Fraktion der CDU/CSU Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 III Einrichtung einer Prognose- und Bewertungskapazität zur Begutachtung technologischer und forschungspolitischer Entwicklungen beim Deutschen Bundestag — Drucksachen 8/1241, 8/2629 (neu) — Dr. Riesenhuber CDU/CSU 11667 B Stockleben SPD 11669 B Dr.-Ing. Laermann FDP 11670 D Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Verträgen vom 17. November 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Bau einer Autobahnbrücke über den Rhein zwischen Steinenstadt und Ottmarsheim sowie über den Bau einer Straßenbrücke über den Rhein zwischen Weil am Rhein und Hüningen — Drucksache 8/2437 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2686 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2642 — 11672 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den gewerblichen Binnenschiffsverkehr — Drucksache 8/2366 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2640 — 11673 A Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. Februar 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über den Luftverkehr — Drucksache 8/2436 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2669 — 11673 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Viehseuchengesetzes — Drucksache 8/2646 — 11673 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. Juli 1978 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Großherzogtums Luxemburg über verschiedene Fragen der Sozialen Sicherheit Drucksache 8/2645 — 11673 D Beratung der Sammelübersicht 43 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 8/2665 11673 D Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen Veräußerung von Teilflächen des ehemaligen Standortübungsplatzes Bad Vilbel an die Stadt Frankfurt — Drucksachen 8/2478, 8/2648 — 11674- A Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Verbilligte Veräußerung von bundeseigenen Grundstücken — Drucksachen 8/2558, 8/2649 — 11674 A Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der zustimmungsbedürftigen Verordnung der Bundesregierung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 3/79 — Zollkontingent für Walzdraht 1. Halbjahr 1979) — Drucksachen 8/2536, 8/2632 — 11674 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Anpassung der Kapazität für den gewerblichen Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten — Drucksachen 8/2357, 8/2641 — 11674 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung VI Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 816/70 zur Festlegung ergänzender Vorschriften für die gemeinsame Marktorganisation für Wein — Drucksachen 8/2513 Nr. 3, 8/2670 — . . 11674 C Beratung des Berichts der Bundesregierung über Möglichkeiten zur Umstellung des 7 b EStG auf ein anderes Förderungssystem — Drucksache 8/2554 — 11674 D Beratung des Berichts der Bundesregierung über die Auswirkungen des Gesetzes über steudrliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude auf das geltende Grunderwerbsteuerrecht und über die Überlegungen, die zur Reform des Rechts der Grunderwerbsteuer angestellt worden sind — Grunderwerbsteuerbericht — Drucksache 8/2555 — 11674 D Nächste Sitzung 11675 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 11677* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 11559 145. Sitzung Bonn, den 29. März 1979 Beginn: 9.01 Uhr
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    Berichtigung 144. Sitzung, Seite 11 405 A: In den Zeilen 10 bis 13 ist statt „ ... an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend —, an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — mitberatend —" zu lesen: ,,... an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — federführend —, an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — mitberatend —" ; Seite 11 526 * D: In der Zeile 8 von unten ist statt „36" zu lesen: „38". Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. Aigner * 30. 3. Dr. Althammer 30.3. Dr. Bangemann* 29. 3. Dr. Becher (Pullach) 30. 3. Frau Berger (Berlin) 30. 3. Blumenfeld ** 30. 3. Dr. Corterier ** 30. 3. Frau Erler 30. 3. Fellermaier * 30. 3. Frau Fischer 30. 3. Friedrich (Würzburg) 29. 3. Genscher 30. 3. Dr. Hornhues 30. 3. Horstmeier 29. 3. Dr. Jahn (Braunschweig) * 30. 3. *) für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments *5) für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung ***) für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. h. c. Kiesinger 30. 3. Klinker 30. 3. Koblitz 30. 3. Lange * 30. 3. Leber 30.3. Lemp * 30.3. Lenzer 30.3. Dr. Müller *** 29.3. Müller (Mülheim) * 30. 3. Müller (Remscheid) 30. 3. Sauer (Salzgitter) 30. 3. Schmidt (München) * 30. 3. Schreiber* 30. 3. Dr. Schröder (Düsseldorf) 30. 3. Dr. Schwencke (Nienburg) *** 29. 3. Dr. Schwörer * 29. 3. Seefeld * 30. 3. Spitzmüller 30. 3. Stahlberg 30. 3. Dr. Starke (Franken) * 30. 3. Frau Tübler 30. 3. Dr. Vohrer *** 29. 3. Frau Dr. Walz 30. 3. Baron von Wrangel 30. 3. Wuwer 30.3. Ziegler 30. 3.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Werner Maihofer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte des Parlaments, die wir heute führen, hat daran möchte ich eingangs erinnern, wie es auch zwei meiner Vorredner getan haben — einen einzigen Grund: die zum 31. Dezember dieses Jahres drohende Verjährung aller durch Mord begangenen nationalsozialistischen Gewaltverbrechen und nichts sonst. Angesichts so vieler guter Worte über die Verteidigung des Rechtsstaats im allgemeinen und die Bewahrung der Rechtssicherheit auf der Seite derer, die für einen Verjährungsablauf selbst für diese Massenmordverbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft eintreten, aber auch angesichts so vieler starker Worte über den Schutz des Lebens im allgemeinen und die Wahrung der Gerechtigkeit auf der Seite derer, die sich für eine Verjährungsaufhebung für Mord überhaupt einsetzen, muß man dies, glaube ich, zunächst wieder in den Mittelpunkt rücken. Denn mir scheint, daß wir uns auf die eine oder andere Weise von der Sache, um die es hier geht, eher entfernen, die sich in die schlichte Frage fassen läßt: Sollen die Mordverbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zum Ende dieses Jahres verjähren, nachdem wir ihre Verjährung mehr als 45 Jahre hinausgezögert haben: von den sogenannten Ahndungsgesetzen der neugebildeten Länder an, die bei Straftaten, deren Verfolgung der als Gesetz geachtete Führerwille entgegenstand, ein Ruhen oder doch eine Hemmung der Verjährung bis zum 8. Mai 1945 annahmen, über das sogenannte Berechnungsgesetz des Bundestages von 1965, das — auch das wird leicht vergessen — in seiner praktischen Konsequenz ebenfalls ausschließlich zu einer Erstreckung der Verjährung für die durch Mord begangenen NS-Verbrechen geführt hat, bis hin zum 9. Strafrechtsänderungsgesetz 1969, das uns nun diese NS-Morde — und ' ausschließlich sie! — zur erneuten Entscheidung 1979 überantwortet hat?
    Ich will mich mit dieser Vorgeschichte der heutigen Verjährungsentscheidung nicht aufhalten. Sie ist ein beklemmendes Stück Nachkriegsgeschichte für sich, das nach nicht geschrieben ist. Ich will mich ausschließlich mit den Antworten beschäftigen, die heute von den beiden Seiten des Hauses auf die Frage nach der Verjährung von NS-Morden gegeben worden sind: Ablauf der Mordverjährung — damit auch für NS-Morde — auf der einen Seite
    und Aufhebung der Mordverjährung — damit auch für NS-Morde — auf der anderen Seite. Ich halte beide bisher vorgetragenen Antworten auf die Verjährungsfrage 1979 — bei allem Respekt für die moralische Position, die ihnen zugrunde liegt und wie sie gerade auch Herr Kollege Graf Stauffenberg so eindrucksvoll dargetan hat — juristisch nicht für akzeptabel.
    Da es eine schwierige Sache ist, die hier von jedem Abgeordneten nach seinem Gewissen zu entscheiden ist, können uns höfliche Worte nach allen Seiten nicht weiterhelfen. Da dieses Gewissen, nach dem hier jeder für sich entscheidet, nicht einfach ein blindes Gefühl, sondern denkende Vernunft ist, weil nur aus einem denkenden Gewissen eine vernünftige Entscheidung hervorgehen kann, die aus zureichenden und angebbaren Gründen gefällt wird, müssen diese Gründe für und gegen die eine wie die andere Lösung — und auch für eine weitere, von mir hier in die Debatte einzuführende Lösung — ohne alle vorschnellen Festlegungen sorgfältig erörtert und ernsthaft dahin abgewogen werden, ob sie nicht nur moralisch, sondern auch juristisch dauerhaft tragfähig sind. Insoweit unterstreiche ich voll den Beitrag des Kollegen Vogel, der auch von seiner Seite darauf abzielte, daß wir uns- hier nicht kurzschlüssig, überschnell festlegen.
    Wenn ich dabei auch nur für eine bisher kleine Gruppe von sieben Abgeordneten sprechen kann, so bitte ich doch die sich ihrer Sache sicheren Mehrheiten dieses Hauses, unsere Gründe nicht nach Zahlen zu wägen. Es gibt auch außerhalb dieses Hauses nicht wenige — nicht nur unter den Fachkollegen, sondern auch im Laienpublikum —, die beide in diesem Hause bisher erörterten Lösungen nicht für verantwortbar halten. Die Gründe hierfür will ich Ihnen im folgenden mit schonungsloser Deutlichkeit offenlegen.
    Läßt sich ein Ablauf der Verjährungsfrist für Mord und damit für alle NS-Morde verantworten? Das ist die erste Frage, die wir uns zu stellen haben. Meine klare Antwort ist: Nein. Dieses Nein beruht nicht auf irgendwelchen, sondern auf Rechtsgründen. Wenn Thomas Dehlèr recht hatte, als er in der Verjährungsdebatte 1965 so bewegt ausrief: „Wir können der Welt nur schlicht und fest unseren Willen zum Recht dartun; ein Mehr gibt es nicht", dann werden wir uns vor allem anderen auch heute fragen müssen, wie unsere Entscheidung vor dem Recht bestehen kann, das uns Gesetz und Verfassung vorgeben.
    Ich nenne Ihnen vier der entscheidenden Gründe, warum ich zu der Überzeugung gelangt bin, daß ein Verjährungsablauf aus Rechtsgründen nicht zu rechtfertigen ist.
    Erstens. Auch aus Rechtsgründen wäre eine Verjährung dann zu rechtfertigen, wenn bis zum 31. Dezember 1979 eine annähernd vollständige Unterbrechung der Verjährung durch richterlichen Akt im Einzelfall für die NS-Morde möglich gewesen wäre. Nun, hier ist schon mehrfach festgestellt worden: Diese noch 1969 gehegte Erwartung hat sich erneut als trügerisch erwiesen. Selbst 1978 ist es nach dem



    Dr. Dr. h. c. Maihof er
    vorliegenden Bericht des Leiters der Zentralstelle in Ludwigsburg allein auf Grund polnischen Aktenmaterials zu über hundert neuen Verfahren wegen solcher NS-Morde gekommen. Auch nach 1979 werden wir entsprechend mit einer noch nicht abschätzbaren Zahl solcher neuer Verfahren rechnen müssen, nicht wegen irgendwelcher Morde aus privaten Motiven, sondern wegen massenhafter Völkermordverbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Daran ist überhaupt nicht zu deuteln; dies ist die Ausgangslage.
    Wie wollen es darum die Vertreter eines Verjährungsablaufs eigentlich aus Rechtsgründen rechtfertigen, wenn etwa — ich rede hier nicht ins Blaue — zum Jahresende 1979 noch Hunderte unentschiedener und in dieser Zeit gar nicht mehr entscheibarer NS-Mordfälle auf dem Tisch der Staatsanwaltschaften lägen? Wollen sie diese dann sehenden Auges verjähren lassen?
    Wer dies will, muß auch wollen können, so meine ich, daß auch schwerste Taten in außergewöhnlicher Häufung, die erst nach 1979 bekannt oder deren Täter erst nach dieser Zeit erkannt werden, dennoch verjähren sollen. Wer dies will, muß auch wollen können — das ist für mich die logische Konsequenz —, daß wir mit den Mordprozessen gegen bisher erkannte NS-Täter bis über das Jahr 2000 hinaus fortfahren, die bisher unerkannten NS-Mörder dann aber nach 1979 nicht mehr auf die Anklagebank zu den wegen derselben Tat Angeklagten bringen können, sondern im Zuschauerraum Platz nehmen lassen. Wer das will — das muß man sich einfach auch mal in der praktischen Konsequenz vorstellen —, muß sich überlegen, ob es nicht besser wäre, nach 1979 mit den NS-Prozessen überhaupt Schluß zu machen und die noch nicht überführten Täter zu amnestieren. Denn wie wollen Sie dies eigentlich ertragen und verantworten: die einen auf der Anklagebank, die anderen im Zuschauerraum, die Kollegen und Komplicen aus denselben Mordtaten, die hier in Frage stehen?

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Zweitens. Das wird aber auch nach der Verjährungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 1969 mit Rechtsgründen ebensowenig gerechtfertigt werden können wie schon der Ablauf der Mordverjährung für diese NS-Verbrechen. Diese Entscheidung hat — was leider in der heutigen Parlamentsdebatte noch nicht voll gewürdigt worden ist — allen 1965, ja selbst noch 1969 vorgetragenen Rechtsgründen für einen Verjährungsablauf den Boden entzogen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : 1969 nicht mehr!)

    Denn diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat nicht nur festgestellt, Herr Kollege Mertes, daß auch eine nachträgliche Verlängerung oder Aufhebung von Verjährungsfristen weder gegen das Rechtsstaatsprinzip noch gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt. Das Gericht hat in seiner Begründung zugleich ausgeführt, daß alle Rechtsgründe gegen einen Eingriff in die Verjährungsvorschriften, von denen auch heute die Rede war, für die vom
    damaligen Berechnungsgesetz erfaßten NS-Verbrechen — also schwerste Taten in außergewöhnlicher Häufung — nicht durchschlagen. So steht es da wörtlich zu lesen.
    Dies gilt nicht nur für den Gedanken des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit im allgemeinen, sondern ebenso auch für die Gedanken — ich zähle sie auf, so steht es in der Begründung — des Persönlichkeitswandels, der Beweisvergänglichkeit, der Strafzweckvereitelung, des Justizirrtums genauso wie den der Prozeßökonomie. Mit all diesen Rechtsgründen kann bei unserer erneuten Verjährungsentscheidung niemand antreten, es sei denn, er will sich in Widerspruch zum Bundesverfassungsgericht setzen. Das ist sicher jedem unbenommen, eine moralische Position dieser Art, wer will sie jemandem verwehren? Aber als juristische Position hat sie in der heutigen Verjährungsdebatte kein Gewicht mehr. Wer daraus mit Rechtsgründen einen Verjährungsablauf für die heute in Frage stehenden NS-Morde rechtfertigen wollte — ich sage es noch einmal klar und deutlich —, der setzt sich mit den maßgebenden Begründungen der Verjährungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Widerspruch, die sich alle ausdrücklich mit den Vorlagebeschlüssen und ihrer juristischen Argumentation auseinandersetzen.
    Drittens. Der Völkermord ist seit 1969 unverjährbar gestellt. Die letzte Verjährungsentscheidung durch das Neunte Strafrechtsänderungsgesetz enthielt nicht nur, wie häufig zu hören ist, in Art. 1 eine Verlängerung der Verjährungsfrist für Mord von 20 auf 30 Jahre. Es enthielt unter demselben Vorzeichen einer Verjährungsentscheidung für die damals zur Verjährung anstehenden NS-Morde die Einführung der Unverjährbarkeit des Völkermords — § 66 Abs. 2, jetzt § 78 Abs. 2 unseres Strafgesetzbuches. Beide Entscheidungen in der Verjährungsfrage 1969 wurden ausdrücklich nicht nur für die Zukunft, sondern mit Rückwirkung für die Vergangenheit getroffen. Dazu heißt es in Art. 3 des Gesetzes unter der Überschrift „Anwendung auf früher begangene Taten" — ich zitiere —: § 66 Abs. 2, also Strafverfolgung wegen Völkermords, und § 67 Abs. 1, also Strafverfolgung wegen Mordes, in der Fassung des Art. 1 gelten auch für früher begangene Taten und früher verhängte Strafen, wenn die Verfolgung bei Inkrafttreten dieses Gesetzes noch nicht verjährt ist.
    Man kann lange darüber rechten, was der Gesetzgeber subjektiv damit gemeint hat. Im Bericht ist von „kleiner Rückwirkung" die Rede. Das würde also wohl heißen: rückwirkende Anwendung der Unverjährbarkeit des Völkermords auf die seit dem 22. Februar 1955 begangenen Taten — eine im Gesamtzusammenhang einer Verjährungsregelung für die NS-Verbrechen, die das Neunte Strafrechtsänderungsgesetz darstellt, einigermaßen kuriose Konsequenz; das werden Sie wohl zugeben.
    Sieht man sich einmal die Protokolle des Rechtsausschusses zur Endredaktion dieser Rückwirkungsregelung an, dann stellt man dabei nicht nur fest, daß die ausdrückliche Bezugnahme auch auf die



    Dr. Dr. h. c. Maihofer
    Nichtverjährbarkeit des Völkermordes keinesfalls ein Versehen ist — sie wurde damals in der Endberatung von seiten des Justizministeriums ausdrücklich beantragt —, sondern stellt mit einiger Überraschung auch fest, daß schon damals der frühere Generalbundesanwalt Güde eine Fassung des Art. 3 vorgeschlagen hatte, die uns eine neuerliche Verjährungsdebatte 1979 erspart hätte, hätte doch Art. 3 danach gelautet:
    § 66 Abs. 2 und § 67 Abs. 1 gelten auch für früher begangene Taten eines Mörders und die für sie verhängten Strafen, wenn die Verfolgung und Vollstreckung beim Inkrafttreten dieses Gesetzes noch nicht verjährt sind.
    So ist es in den Protokollen des Rechtsausschusses nachzulesen.
    Mit meinen Worten: Die Nichtverjährbarkeit des Völkermords gilt auch für früher begangene Verbrechen des Mordes, welche die Voraussetzungen des Völkermordes erfüllen, wenn sie noch nicht verjährt sind. Offenkundig hat der Bundestag damals zwar die Unverjährbarkeit des Völkermordes beschlossen, aber diese Grundsatzentscheidung nicht auf die noch unverjährten Mordverbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erstreckt, jedenfalls nicht ausdrücklich, obwohl diese doch allein der eigentliche Anlaß sowohl für die Schaffung des Völkermordtatbestandes als auch für seine Unverjährbarkeitserklärung waren und sind.
    So wird sich jeder fragen müssen — und das ist an diejenigen gerichtet, die für einen Ablauf der Verjährungsfrist eintreten —, wie er entgegen dieser nach geltendem Recht bereits bestehenden Unverjährbarkeit des Völkermordes die früher begangenen Völkermordverbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft einfach verjähren lassen will, ohne sich mit der getroffenen Grundentscheidung unseres eigenen Rechts in Widerspruch zu setzen. Denn klar ist nach der Verfassungsgerichtsentscheidung auch insoweit, daß das Rückwirkungsverbot eine solche rückwirkende Erstreckung der Verjährungsfristen grundsätzlich nicht ausschließt.
    Viertens und letztens. Die Fragwürdigkeit eines Verjährungsablaufs zeigt sich aber nicht nur im Blick auf unser eigenes Strafrecht, sondern auch
    und darauf kommt es mir noch mehr an — im Blick auf das allgemeine Völkerstrafrecht, wie es in der Genozid-Konvention der UNO von 1948 kodifiziert und durch den Völkermordtatbestand des § 220 a auch in unser Recht transformiert worden ist. Zwar enthielt die Völkermord-Konvention weder eine Vorschrift über die Unverjährbarkeit noch eine über die Rückwirkung auf früher begangene Taten; aber die Unverjährbarkeit des Völkermords steht, um nur ein Beispiel zu nennen, für einen so rechtsstaatlichen Nachbarn wie Frankreich so sicher fest, daß die entsprechenden Taten in einem noch von de Gaulle unterzeichneten Gesetz 1964 als ihrer Natur nach unverjährbare Verbrechen bezeichnet wurden.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Sie sind aber noch nie verfolgt worden! Es gibt bis jetzt keinen Prozeß!)

    — Das ist doch hier nicht die Frage, ob Prozesse geführt werden, wir reden jetzt von der Unverjährbarkeit und von nichts sonst, Herr Kollege Mertes.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Das gehört ja wohl zusammen!)

    Entsprechend lautet auch das Votum einer vom Generalsekretär der Vereinten Nationen veranlaßten Studie, die bereits 1966 zu dem Ergebnis kommt, die Nichtverjährbarkeit von Kriegs- und Menschlichkeitsverbrechen sei ein schon geltendes Prinzip des allgemeinen Völkerrechts. Es heißt da, die Anwendung von Verjährungsvorschriften auf derartige Verbrechen wäre nur kraft ausdrücklicher völkerrechtlicher Bestimmung möglich; das Schweigen des Völkerrechts zur Verjährungsfrage müsse als Ausdruck des Prinzips der Nichtverjährbarkeit ausgelegt werden. Auch die Studie gibt zu, daß darüber unter Juristen Streit besteht. Deshalb schlägt sie vor, diese Rechtsfragen durch eine internationale Konvention fraglos klarzustellen. Das geschieht dann auch mit dem Versuch einer Verbindlicherklärung nicht nur der Unverjährbarkeit, sondern auch der Rückwirkung, wie er in den entsprechenden Folgekonventionen der UNO 1968 und nun auch des Europarates 1974 gemacht wird.
    Ich frage hier wiederum die Kollegen, die gegenwärtig für einen Verjährungsablauf bei NS-Morden eintreten: Wie wollen Sie sich eigentlich angesichts dieser nun wiederum, zu Beginn dieses Jahres, auf den Tisch gekommenen Europaratskonvention verhalten, die von uns verlangt, daß wir die Völkermordverbrechen, soweit sie noch nicht verjährt sind — also ohne eine verfassungsmäßig unzulässige Rückwirkungsregelung —, für unverjährbar und verfolgbar erklären?
    Ich meine, daß sich gerade die Kollegen, die gegenwärtig noch einem solchen Verjährungsablauf bei NS-Taten zuneigen, die Frage vorlegen müssen, ob wir uns mit dieser Haltung in der Völkerrechtsgemeinschaft nicht auch juristisch isolieren. Dadurch würden alle Möglichkeiten abgeschnitten, auch in Zukunft im Einklang mit dem allgemeinen Verständnis der Völkerrechtsgemeinschaft eben diese NS-Morde, die der eigentliche Anlaß für die Schaffung der Genozid-Konvention der UNO wie des entsprechenden Artikels der Menschenrechtskonvention des Europarates waren, unverjährbar und verfolgbar zu stellen.
    Ich halte — um es ganz klar zu sagen — die Bundesrepublik Deutschland durch ihren Beitritt zur Menschenrechtskonvention für verpflichtet, in den Grenzen unserer Verfassung — und das bedeutet: des Rückwirkungsverbots des Art. 103 des Grundgesetzes — alles zu tun, um sicherzustellen, daß eine Verurteilung oder Bestrafung von Personen nicht ausgeschlossen wird, die sich einer Handlung oder Unterlassung schuldig gemacht haben, welche im Zeitpunkt ihrer Begehung nach den allgemeinen, von den zivilisierten Völkern anerkannten Rechtsgrundsätzen strafbar war, wie es in Art. 7 Abs. 2 der Menschenrechtskonvention heißt.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP)




    Dr. Dr. h. c. Maihofer
    Ergebnis: Ich halte danach schon aus Rechtsgründen einen Verjährungsablauf für die durch Mord begangenen Völkermordverbrechen der NS-Zeit nicht für verantwortbar,

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    weder nach der 1969 getroffenen Grundsatzentscheidung des innerstaatlichen Rechts, den Völkermord unverjährbar zu erklären, noch nach den sich aus der Völkermordkonvention der UNO und der Menschenrechtskonvention des Europarates ergebenden völkerstrafrechtlichen Verpflichtungen. Dies ist ein Ergebnis, das ich die Kollegen, die in ihrer Haltung zunächst festliegen, wirklich ernsthaft zu würdigen bitte; denn ich meine, daß wir aus Rechtsgründen in dieser Haltung nicht verharren dürfen.
    Nun zum zweiten Teil der hier erörterten Fragestellung: Von der anderen Seite des Hauses — wenn auch die Meinungsfronten hier quer durch die Fraktionen laufen —

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Wen meinen Sie denn?)

    wird vorgeschlagen, die Mordverjährung überhaupt aufzuheben. Zur Ablehnung dieses Vorschlags kann ich mich kürzer fassen, weil die Gründe dafür und dagegen in den bisherigen Debattenbeiträgen ausführlich erörtert worden sind. Ich meine, daß es auch zu der hier zunächst in Vorschlag gebrachten Lösung Fragen gibt, die noch einmal ernsthaft erörtert werden müssen und die nach meiner bisherigen Beurteilung ausschließen, daß man diesen Weg wählt, um zu einer Verjährungsentscheidung im Jahre 1979 zu gelangen. Ich will auch hier nur vier Gründe kurz und knapp herausgreifen.
    Erstens. Ich meine, daß die Aufhebung der Verfolgungsverjährung für Mord sich aus keinem im Mordtatbestand selbst liegenden Grund rechtfertigen läßt.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Niemand wäre 1965 oder 1969 — und dies gilt auch für 1979 — auf den Gedanken verfallen, eine Aufhebung der Mordverjährung vorzuschlagen, wenn der Gesetzgeber nicht vor der Frage der Verjährung der NS-Morde gestanden hätte. Das sollte man ehrlich sehen und bekennen.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: So ist es! Das ist ehrlich!)

    Deshalb hat auch der Alternativentwurf — und er ist hier sicher ein unverdächtiger Zeuge — sowohl in seiner ersten Auflage im Jahre 1966 als auch in der zweiten Auflage im Jahre 1969 die Unverjährbarkeit Mordverjährung zwar auf 30 Jahre erstreckt, aber zugleich die Unverjährbarkeit ausschließlich für den Völkermord die Unverjährbarkeit vorgesehen, und zwar — wie es in der Begründung heißt — angesichts der bevorstehenden völkerrechtlichen Regelung dieser Frage.
    Zweitens. Eben diesen wohlbegründeten Wertunterschied zwischen Völkermord und Mord, der auch unserem 1973 in Kraft getretenen neuen Strafgesetzbuch zugrunde liegt, würden wir mit der hier vorgeschlagenen Lösung einer Aufhebung der Mordverjährung nachträglich wieder einebnen. Unser geltendes Recht geht aus guten Gründen von einem grundsätzlichen Wertunterschied zwischen Völkermord und Mord aus. Deshalb kann auch die Formel „Mord ist Mord" hier nicht zutreffen. Wir reden hier von Völkermord auf der einen und von Mord auf der anderen Seite. Auf der einen Seite haben wir in allen Grundsatzentscheidungen, die der Gesetzgeber seit 1969 getroffen hat, uns zur Unverjährbarkeit bekannt, und nicht nur dazu, sondern auch dazu, das Weltrechtsprinzip für den Völkermord, Verbrechen mit ganz anderem kriminellen Charakter und ganz anderer internationaler Dimension, einzuführen. Das haben wir nicht nur bereits im Neunten Strafrechtsänderungsgesetz getan, sondern das haben wir auch im 2. Strafrechtsreformgesetz noch einmal bekräftigt, das die Grundlage unseres geltenden Rechts darstellt. Wenn Sie sich den Bericht zum 2. Strafrechtsreformgesetz darauf ansehen, finden Sie darin alle die auch heute noch maßgebenden und durchschlagenden Gründe aufgereiht, warum Völkermord etwas anderes ist als Mord. Er ist deshalb etwas anderes, weil er — so heißt es in der Begründung — als Staatsverbrechen konzipiert ist und damit ganz anderen Beweisüberlegungen unterliegt als der Typus der Straftaten einzelner gegen einzelne, was zugleich — so heißt es in der Begründung weiter — dazu führen müsse, die Verfolgbarkeit des Völkermordes von der Dauer eines verbrecherischen Regimes unabhängig zu machen.
    Alle diese entscheidenden Unterschiede, die doch
    — das muß ich auch in Entgegnung auf manche Debattenbeiträge sagen — nicht nur in der Schwere der Tat allein — dies ist gar nicht allein die Frage bei der Verjährung —, sondern auch in der Schwierigkeit der Verfolgung dieser Taten begründet sein müssen, würden mit der sachunangemessenen Gleichstellung von Mord und Völkermord wieder beseitigt, nur weil Sie glauben, allein auf diesem Wege die Frage der Unverjährbarkeit der NS-Morde lösen zu können.
    Über Mord ist nun einmal nach Jahrzehnten Gras gewachsen. Das ist jedenfalls unsere Rechtsauffassung seit über 100 Jahren.

    (Lachen des Abg. Wehner [SPD] — Wehner [SPD] : Wessen Rechtsauffassung ist das denn?)

    — Entschuldigen Sie bitte, Herr Kollege Wehner, natürlich können Sie alles belächeln.

    (Wehner [SPD] : Ich frage Sie nur!)

    Das ist doch Tatsache, daß dies unsere Rechtsauffassung ist.

    (Wehner [SPD]: Bei Ihnen offenbar!)

    — Hierin können Sie mich durch Ihre Zwischenrufe nun überhaupt nicht beirren.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU — Wehner [SPD] : Das ist aber nicht meine Rechtsauffassung! Sie bekommen den Beifall von der richtigen Seite!)

    — Entschuldigen Sie, über Mord wächst irgendwann einmal Gras, und zwar im Regelfall schon nach



    Dr. Dr. h. c. Maihofer
    einer Generation. Über Auschwitz aber wächst kein Gras, noch nicht einmal in 100 Generationen.

    (Beifall bei der FDP, bei Abgeordneten der SPD und bei der CDU/CSU)

    Diesen Unterschied einzuebnen, einfach weil man hier nun plötzlich auf die völlig verfehlte Begründung „Mord ist Mord" verfällt, und zu glauben, das sei hier die Frage, ist ein Irrweg, der uns alle ins Abseits führen wird und der uns eine der besten Errungenschaften unseres Rechtsstaates, nämlich die Verjährbarkeit auch schwerster Taten unterhalb der Schwelle des Völkermordes, kosten wird. Ich muß Ihnen für mich sagen — ich weiß, wovon ich hier rede —: Als Strafrechtsreformer kann ich diesen Schritt nicht mitvollziehen.
    Drittens. Ebenso führt aber die Aufhebung der Mordverjährung nicht nur zu sachunangemessenen, sondern auch zu unverhältnismäßigen Folgen — auch das kann ich Ihnen nicht ersparen, auch wenn Ihnen das unangenehm sein sollte —, nämlich dadurch, daß Sie für alle Zukunft auch jeden Mord aus privaten Motiven mit den Völkermorden der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft auf eine Stufe stellen. Das ist mir ein ganz unerträglicher Gedanke. Diese Aufhebung der Mordverjährung führt aber auch in ihre Rückwirkung auf die Vergangenheit nicht etwa dazu, wie manche meinen, daß wir nun die Morde seit 1933 aus privaten Motiven auf der einen Seite und die NS-Morde seit 1933 auf eine Ebene stellen, sondern sie führt ausschließlich dazu, daß wir rückwirkend die NS-Morde seit 1933 mit den Morden aus privaten Motiven seit 1949 auf eine Stufe stellen; denn es ist unter Fachleuten schon vom Ahndungsgesetz an völlig unbestritten, daß sich die Verjährungserstreckung bis zum Berechnungsgesetz hin ausschließlich für die Verjährungsverlängerung bei den NS-Morden und für nichts sonst ausgewirkt hat.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Die anderen sind alle weiter so gelaufen!)

    Niemand hat sich in den letzten Jahren mit irgendwelchen gemeinen Straftaten der Jahre vor 1949 beschäftigt; das ist alles längst verjährt und vergessen, soweit es sich nicht um NS-Morde handelt.
    Viertens: Mit dieser Regelung würde der Gesetzgeber im Ergebnis aber auch — und das ist für mich nicht nur ein Schönheitsfehler — einen Rechtszustand wiederherstellen, den der nationalsozialistische Gesetzgeber 1943 eingeführt hat, wenn auch in der Form einer fakultativen Aufhebung der Mordverjährung nach dem sogenannten Opportunitätsprinzip. Ich meine, daß wir uns aber die Frage stellen müssen, ob der Gesetzgeber, dieser Bundestag, der 1953 diese Aufhebung der damaligen Aufhebung der Mordverjährung beschlossen hat, um aus rechtsstaatlichen Gründen die Errungenschaft der Mordverjährung wiederherzustellen, nun durch eine neuerliche Entscheidung des Bundestages total desavouiert werden soll. Denn wenn wir morgen den Vorschlag, wie er auf dem Tisch liegt, beschließen würden, die Mordverjährung aufzuheben, würden wir die Aufhebung dieser Aufhebung, nämlich 1953 der von 1943, jetzt im Jahre 1979 wiederaufheben. Das wäre für mich ein solcher Selbstwiderspruch des Gesetzgebers, daß hier von Kontinuität oder gar Autorität desselben Gesetzgebers gegenüber den Bürgern in einem Rechtsstaat keine Rede mehr sein kann.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Ich komme aus allen diesen Gründen zu dem Ergebnis — und es fällt mir nicht leicht, dies zu sagen —, daß die generelle Aufhebung der Mordverjährung, für die es keinen im Mordtatbestand selbst liegenden sachlichen Grund gibt, nicht nur sachunangemessene, sondern auch unmäßige Folgewirkungen hätte, zudem den wohlbegründeten Wertunterschied zwischen Völkermord und Mord einebnen und zu einem unerträglichen Selbstwiderspruch des Gesetzgebers führen würde.
    Demgegenüber ist die differenzierte Anwendung der Nichtverjährbarkeit des Völkermords auf die Verbrechen des Mordes unter nationalsozialistischer Gewaltherrschaft, die die Voraussetzungen des Völkermordes erfüllen, in den Wertentscheidungen des geltenden Rechts bereits vorgezeichnet, wie vorstehend, wie ich hoffe, gezeigt worden ist. Sie führt im Gegensatz zur Aufhebung der Mordverjährung zu einer ebenso sachangemessenen wie verhältnismäßigen Regelung, die allein auch der besonderen kriminellen Qualität und dem besonderen internationalen Charakter dieser völkerstrafrechtlichen Verbrechen des Völkermords gerecht wird.
    Diese vorgeschlagene differenzierende Lösung, die von mir in einen Gesetzentwurf gefaßt worden ist und die von sechs weiteren Abgeordneten meiner Fraktion unterstützt wird, nämlich von Frau Matthäus-Maier, Herrn Grüner, Frau Schuchardt, Herrn Hoffie, Herrn Vohrer und Graf Lambsdorff, sagt klar, was sie will, und tut, was sie sagt: die Unverjährbarkeitserklärung der Verbrechen des Mordes, die unter die Voraussetzungen des Völkermords fallen.
    Man hat gegen diese differenzierende Lösung eingewendet, daß sie alle Mordverbrechen, die nicht Völkermord sind, verjähren lasse. Das tut sie in der Tat.
    Aber dieser Einwand unter dem Gesichtspunkt „Alles oder Nichts" übersieht nicht nur, daß auch unser geltendes Recht diese Unverjährbarkeit in Übereinstimmung mit der internationalen GenozidKonvention nur für diese Menschheitsverbrechen kennt und für nichts sonst. Ein solcher Einwand, man könne damit beispielsweise die Euthanasiefälle nicht erfassen, übersieht darüber hinaus nicht nur, daß diese Fälle mit am frühesten und vollständigsten erfaßt und abgeurteilt worden sind, sondern auch, daß im vergangenen Jahrzehnt nach Auskunft des Leiters der Ludwigsburger Zentralstelle überhaupt nur drei neue Fälle zur Anklage gebracht werden konnten — das wurde Ihnen sicherlich genauso wie uns in der Fraktion vorgetragen —, sämtlich Judenmorde durch einen KZ-Kapo und zwei SS-Unterführer, alles Verbrechen also, die eindeutig schon von der Unverjährbarkeit des geltenden Völkermords erfaßt werden.



    Dr. Dr. h. c. Maihof er
    Ich finde, wir sollten nicht in einem teutonischen Furor nun auch bei einer Verjährungslösung anfangen, mit all den Kommentarproblemen — gibt es nicht doch hier oder dort noch einen Grenzfall, der nicht erfaßt ist? — uns selber Fallstricke zu legen. Wir sollten für den Kernbereich eine handhabbare Lösung schaffen, die den völkerstrafrechtlichen Verpflichtungen der Genozid-Konvention entspricht, und auf dieser gesicherten Grundlage die Lösung der. Verjährungsfrage 1969 suchen.
    Herr Kollege Vogel, Sie haben gefragt: Ist das nicht doch ein Sondergesetz? Auch Herr Kollege Wendig hat von einem Ausnahmegesetz geredet.
    Ich bin genau gegenteiliger Überzeugung. Es ist ein streng rechtsstaatlich am geltenden Strafrecht und Völkerstrafrecht orientiertes Gesetz, das nicht Ungleiches gleich behandelt, wie die Verjährungsaufhebung für Mord, sondern grundsätzlich Ungleiches, nämlich Völkermord und Mord auch tatsächlich ungleich behandelt. Denn dies ist doch die Forderung der Gerechtigkeit: Gleiches gleich, aber auch Ungleiches ungleich zu behandeln.
    Eine allerletzte Bemerkung. Nicht in den Anwendungsbereich des heutigen Völkermordtatbestands fällt, wie Sie alle wissen, die Zerstörung politischer Gruppen. Dies wird seit langem als eine erhebliche Lücke beklagt, obwohl gerade für diese politischen Gruppen, wie immer wieder betont wird, die Gefahr besteht, von Ausschreitungen und Verfolgungen betroffen zu werden.
    Ich meine, nichts hindert die Bundesrepublik Deutschland daran, diese seit langem erkannte und von vielen beklagte erhebliche Lücke des Völkermordtatbestandes, und zwar eine solche gerade in seinem juristisch wie politisch empfindlichsten Anwendungsbereich, aus Anlaß der Verjährungsdebatte 1979 zu schließen. Die Bundesrepublik Deutschland würde damit zugleich, wie ich meine, über den Tag hinaus ein Zeichen ihres unbedingten Willens zum Recht setzen, jeden, nicht nur nationalen, rassischen, religiösen und ethnischen, sondern auch gegen politische Gruppen gerichteten Völkermord nach dem Völkermordtatbestand zu ahnden und unverjährbar zu stellen. Ein solcher Gesetzesvorschlag würde — das ist meine Überzeugung — der heute gestellten Entscheidung der Verjährungsfrage 1979 eine andere juristische wie politische Dimension verschaffen, nicht nur im Hinblick auf die Ahndung der unverjährbaren Verbrechen des Völkermordes in unserer Vergangenheit, sondern für alle Zukunft.
    Ich komme zum Schluß. Ich möchte an Sie ähnlich wie Herr Kollege Vogel appellieren, an die Abgeordneten aller Fraktionen, sich durch keinerlei Festlegung auf zunächst eingenommene Standpunkte - das lasse ich auch für mich gelten — davon abhalten zu lassen, in der heute und erst heute beginnenden Sacherörterung dieses Parlaments als des einzigen Souveräns, der hier zur Entscheidung berufen ist, nach einer für eine größere Mehrheit des ganzen Hauses tragfähigen Lösung der Verjährungsfrage zu suchen. Kommt man, wie ich meine, aus Rechtsgründen unausweichlich zu einem klaren Nein gegen einen Verjährungsablauf bei NS-Morden, so werden
    wir alle, über die bisherigen Meinungsfronten hinweg, nach einer eindeutigen Rechtsgrundlage für die Unverjährbarerklärung der durch Mord begangenen Völkermorde der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft suchen müssen. Sie ist mit dem bisher vorliegenden Vorschlag der Mordverjährung überhaupt, wie ich meine, noch nicht gefunden. Deshalb sollte unser aller Arbeit zur Lösung dieser schwierigen Frage von heute an ernsthaft über alle Fraktionsgrenzen hinweg beginnen.

    (Beifall bei der FDP, bei Abgeordneten der SPD und bei der CDU/CSU)



Rede von Liselotte Funcke
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mikat.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Paul Mikat


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Begründung, die dem Antrag, für den ich jetzt spreche, gegeben wurde, zeigt, daß dieser Antrag nicht Ausdruck einer neuen rechtspolitischen Diskussion ist, sondern daß mit ihm eine Diskussion fortgesetzt wird, die auch nach der Änderung der Verjährungsfrist für Mord, die im Jahre 1969 das Parlament beschlossen hat, niemals ganz verstummte.
    Die Tatsache, daß sich das Parlament innerhalb kurzer Zeit erneut mit der Frage der Verjährbarkeit oder Unverjährbarkeit von Mord zu beschäftigen hat, mag auch als Indiz dafür gelten, wie schwer die Rechtsgüterabwägung auf diesem Felde ist. Es ist ja keineswegs so, als ginge es hier um eine leichte Entscheidung; davon könnte nur dann die Rede sein, wenn Gründe und Gegengründe in einem krassen Mißverhältnis stünden. Das jedoch trifft nicht zu; auch )diejenigen, die den Antrag hier vorlegen, wissen sehr wohl um 'die Gewichtigkeit der Gegengründe und haben sich mit ihnen auseinandergesetzt. Sie wissen darum, daß auch diejenigen, die anderer Meinung sind, das aus hoher moralischer Überzeugung sind. Weil sie dieses wissen, haben sie die Pflicht, angesichts der zahlreichen Stimmen, 'die insbesondere aus dem interessierten Ausland zu uns dringen, immer wieder Ideutlich zu machen, 'daß der Deutsche Bundestag als Ganzes einmütig in der Ablehnung von NS-Gewalttaten ist, auch wenn in der Frage der Verjährbarkeit oder Unverjährbarkeit von Mord verschiedene Standpunkte bezogen werden.

    (Beifall bei 'der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Aber gerade weil hier nicht Moralität gegen Rechtspolitik steht, aber auch nicht rechtsstaatliches Denken gegen opportunistisches Zweckdenken, haben wir alle die Möglichkeit, in Respekt voreinander diese Debatte zu führen.
    Die Alternativen Sind klar: Entweder wir entschließen uns für 'die generelle Unverjährbarkeit des Mordes oder wir belassen es bei der derzeitigen Regelung. Eine nochmalige Verlängerung der Frist wäre nichts anderes als eine Vertagung der Problemlösung, sie würde 'den Eindruck erwecken müssen, am Recht werde manipuliert. Davon aber kann nicht 'die Rede sein, wenn die Frage nach der generellen Unverjährbarkeit des Mordes gestellt wird,



    Dr. Mikat
    denn dann geht es nicht um ein Hinausschieben der Frist, sondern um das Aufheben der Frist angesichts der Schwere eines Delikts.
    Es liegt nahe, daß, wenn die Schatten unserer Vergangenheit beschworen werden, auch Stimmen laut werden, die auf die Untaten anderer Staaten und Völker verweisen. Mehrere Zuschriften erreichten mich in den letzten Tagen, vorgefertigte Formulare, in denen es unter Hinweis auf die Untaten anderer hieß: „Wahren Sie die Interessen des deutschen Volkes und verteidigen Sie den Rechtsstaat!" Die will ich wahrlich wahren und den will ich wahrlich verteidigen, aber nicht im Sinne dieser Schreiber. In solchen Stimmen, aus welchen Motiven heraus sie auch laut werden mögen, wird eine gefährliche Geisteshaltung deutlich, nämlich die, als gelte es, Unrecht gegen Unrecht aufzuwiegen, als gelte es, die inhaltliche Ausfüllung unseres Rechtsstaates, für den man selbst Verantwortung trägt, vom Tun oder Unterlassen anderer abhängig zu machen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

    Wir würden das Unrecht nur verfestigen, würden wir so handeln. Wir sind aufgerufen, für unseren Teil und mit unseren Möglichkeiten unsere Rechtsordnung zu bestimmen. Es ist Unrecht, eigenes Unrecht mit fremdem Unrecht verrechnen zu wollen, so wie es ja auch Unrecht ist, das unrechte Tun, anderer mit eigenem unrechten Tun zu beantworten. Weder sittlich noch rechtsdogmatisch trifft das Argument zu, die Unverjährbarkeit des Mordes dürfe so lange nicht eingeführt werden, solange nicht andere Staaten vergleichbare Fälle vergleichbar behandeln würden. Hier gilt: tua res agitur. Sicherlich folgt auch daraus noch nicht, daß wir gezwungen sind, die Unverjährbarkeit des Mordes einzuführen, wohl aber folgt daraus, wenn wir die Unverjährbarkeit des Mordes für notwendig halten sollten, daß wir sie dann auch einführen müssen, ohne danach zu fragen, wie sich andere Staaten verhalten.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

    Unwürdig diejenigen, die davon reden, wer die Unverjährbarkeit des Mordes fordere, habe die Opfer des eigenen Volkes vergessen. Ganz im Gegenteil: Auch in diesen Opfern begegnet uns Mord als generelle Verneinung des Lebens. Gerade darum aber kann nicht Mord gegen Mord aufgerechnet werden. Wer uns solches ansinnt — und auch noch unter Berufung auf den Rechtsstaat —, der mutet uns die Absage an den Rechtsstaat zu.
    Zu warnen ist auch vor denen, die meinen, jetzt müsse endlich einmal ein „Schlußstrich" unter ein dunkles Kapitel unserer Geschichte gezogen werden. Die so reden, .wollen verdrängen, nicht überwinden.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

    In der Geschichte wird nicht bilanziert, wird nicht
    Schuld verrechnet, wie uns die Bilanzbuchhalter
    des Unrechts oft vorgaukeln wollen. Die Fehler der
    Vergangenheit, für die ein Volk einzustehen hat, werden überwunden durch die positiven Leistungen. Wir können stolz darauf sein, nach dem Krieg die NS-Zeit durch positive Leistungen überwunden zu haben. Namen wie Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt Schumacher und Theodor Heuss mögen stellvertretend dafür stehen.
    Ich kann es mir versagen, auf die Arbeit der Ludwigsburger Zentralstelle einzugehen. Ich gehe davon aus, daß dem Hohen Hause bekannt ist, wie viele NS-Verfahren noch anhängig sind. Aber ich möchte in diesem Zusammenhang nicht versäumen, auch für die Antragsteller gemeinsam mit der CDU/CSU-Fraktion an alle Staaten zu appellieren, eventuell noch vorhandenes Belastungsmaterial nicht zurückzuhalten, sondern den deutschen Stellen zugänglich zu machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Staaten, die über belastendes Material verfügen, es aber bewußt zurückhalten, um es erst später zu einem ihrem politischen Kalkül entsprechenden Zeitpunkt vorzulegen, zeigen damit, daß sie nicht an Recht und Gerechtigkeit interessiert sind, sondern belastendes Material als Waffe gegen die Bundesrepublik Deutschland einsetzen wollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der CDU/CSU: Leider wahr!)

    Eine solche Haltung könnte nur auf sie selbst zurückschlagen, in ihr würde sich nicht die Achtung vor dem Recht, sondern die Mißachtung des Rechtes manifestieren.
    Wenngleich die von uns zu treffende Entscheidung weder ausschließlich rechtsgeschichtlich noch rechtsvergleichend begründet werden kann, so können doch Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung für die rechtspolitische Entscheidungsfindung wichtige Kriterien liefern. Allerdings: Die bloße Berufung auf die Geschichte kann Ausdruck eines durchaus ungeschichtlichen . Denkens sein, und nicht derjenige zieht Lehren aus der Geschichte, der unreflektiert tradiert, sondern derjenige, der Geschichte als lebendigen Prozeß versteht, in dessen Verlauf wir, in bewußter Anknüpfung an die Überlieferung und die Bedingungen der Gegenwart, gestaltend zu wirken haben.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Zu einer Dokumentation „Die Verjährung im Strafrecht — rechtsgeschichtliche Entwicklung und gegenwärtige Bedeutung" heißt es einleitend, daß der tiefere Sinn der Verjährung insbesondere im rechtsgeschichtlichen Rückblick offenkundig werde. Und dann wörtlich:
    Dabei zeigt sich, daß die Entwicklung der Strafverfolgungsverjährung zu einem umfassenden Rechtsinstitut eng verknüpft ist mit der Verbreitung und Verfestigung rechtsstaatlichen Gedankenguts. Diesen Kontext gilt es in der aktuellen Verjährungsdiskussion nicht aus dem Auge zu verlieren. Lehren aus der Geschichte zu ziehen, heißt auch, an bewährten Institutionen festzuhalten.



    Dr. Mikat
    Der Rechtshistoriker — und ich bin das nicht nur aus Neigung, sondern auch aus Profession — wird sich über das hier versuchte Lob seiner Disziplin freuen, aber er wird zugleich davor warnen müssen, rechtshistorische Befunde im Interesse eines gewünschten Ergebnisses zu verkürzen und somit ungeschichtlich zur Geltung zu bringen. Es ist wenig sinnvoll, auf die Geschichte zu verweisen, ohne im einzelnen darzutun, unter welchen Bedingungen und von welchen Voraussetzungen her eine rechtliche Norm zu einer bestimmten Zeit in Geltung war.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Auf die Verjährungsfrage bezogen: Wer in aller Welt gibt nun schon „eine bewährte Institution" preis, wenn er die generelle Unverjährbarkeit des Mordes postuliert? Steht und fällt dann das Institut der Verjährung mit der Verjährbarkeit oder Unverjährbarkeit eines bestimmten Deliktes? Auf die zwingende Verjährbarkeit aller Delikte wird sich wohl niemand, der die Geschichte bemüht, berufen wollen, denn dann wären die Einführung der Unverjährbarkeit des Völkermordes ja zugleich auch die Preisgabe des Rechtsinstituts der Verjährung gewesen.

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    Wer im Zusammenhang mit der Verjährungsfrage die rechtshistorische Kontinuität bemüht, muß zunächst einmal angeben, welche Zeitspanne er meint. Legt man die Zeitspanne zugrunde, die wir gewöhnlich als „deutsche Rechtsgeschichte" bezeichnen, also einen Zeitraum von mehr als tausend Jahren, so wird man schwerlich davon sprechen können, die Verjährung des Morddeliktes gehöre zur ungebrochenen rechtsgeschichtlichen Tradition. Noch das 19. Jahrhundert bietet zunächst entsprechend der territorialen Gliederung ein unterschiedliches Bild, erst mit dem Reichsstrafgesetzbuch von 1871 erfährt das strafrechtliche Verjährungsrecht für Deutschland eine Vereinheitlichung. Wer also die Rechtstradition mit 1871 beginnen läßt, kann dann von „bewährter deutscher Rechtstradition" sprechen.
    Dem differenzierten rechtshistorischen Befund entspricht der ebenfalls differenzierte rechtsvergleichende Befund. Von einer einheitlichen Praxis der Staaten kann nicht die Rede sein. Nicht einmal eine einheitliche kontinentaleuropäische Praxis läßt sich für die Strafverfolgungsverjährung bei Mord feststellen. Hier im einzelnen die verschiedenen staatlichen Regelungen darzulegen, ist nicht notwendig. Es mag genügen, wenn festgestellt wird, daß z. B. in allen Staaten des Common-lawGebietes Mord nicht verjährt. Andere Staaten wiederum kennen eine Verjährung des Morddelikts ähnlich wie die Bundesrepublik Deutschland, in der freilich Völkermord nicht verjähren kann. Wiederum andere Staaten haben nach dem letzten Kriege die Unverjährbarkeit nur für bestimmte Delikte, z. B. Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen Frieden und Menschlichkeit, gesetzlich verankert.
    Gerade weil die rechtsvergleichende Betrachtung ein so unterschiedliches Bild bietet, vermag sie deutlich zu machen, daß vom Gedanken des Rechtsstaates her verschiedene Antworten auf die Frage, ob Mord verjähren soll oder nicht, möglich sind. Aus dem Rechtsstaatsgedanken kann keineswegs zwingend gefolgert werden, Mordtaten müßten unverjährbar sein.

    (Zustimmung des Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD])

    Die derzeit geltende Regelung unseres Strafrechts, wonach die Verjährungsfrist bei Mord 30 Jahre beträgt, steht also nicht im Widerspruch zum Rechtsstaatsprinzip. Aber andererseits gilt ebenso, daß aus dem Rechtsstaatsgebot nicht zwingend folgt, daß alle Straftaten verjähren müssen. Wäre dem so, dann hätte die Regierung Kiesinger im Jahre 1969 einen Antrag eingebracht, der dem Rechtsstaatsgedanken zuwiderlief, ja, dann wäre schließlich sogar die Unverjährbarkeit des Völkermordes, die in der Bundesrepublik Deutschland Bestandteil des geltenden Rechts ist, mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar. — Der Rekurs auf den Rechtsstaat entfällt.
    Wenngleich der Forderung nach Unverjährbarkeit des Mordes nicht jene rechtsstaatliche Notwendigkeit eignet, wie z. B. dem Gebot des rechtlichen Gehörs oder dem Grundsatz „Nulla poena sine lege" — keine Strafe ohne Gesetz —, so eignet ihr doch eine von der Wertordnung unserer Verfassung her sinnvolle Angemessenheit, die sich aus der Tatsache ergibt, daß das Rechtsgut „Leben" so elementar ist, daß es von der Rechtsordnung umfassend geschützt werden muß.
    Im Rahmen eines umfassenden Schutzes kommt auch der Unverjährbarkeit des Morddeliktes eine nicht geringe Bedeutung zu. Mit der Unverjährbarkeit des Morddeliktes unterstreicht dann die staatliche Rechtsordnung den hohen Rang des Wertes Leben, den der Mörder mit seiner Tat bewußt verneint.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Sollte der Deutsche Bundestag die Abschaffung der Mordverjährung beschließen, dann mag es durchaus sein, daß in Zukunft einmal Kinder ihre Eltern, Schüler ihre Lehrer oder Studenten ihre Professoren fragen, warum nach deutschem Recht Mord nicht verjährt. Ich hoffe, ihnen wird dann als Antwort nicht nur der Hinweis auf die Schwere des Morddeliktes gegeben, sondern es wird ihnen auch gesagt, daß die Unverjährbarkeit des Mordes im deutschen Strafrecht zugleich eine bleibende Erinnerung daran ist, daß es in Deutschland einmal eine Zeit gab, in der Mord und Mordlust, Rassenwahn und Herrenmenschentum zu den Maximen eines Staates gehörten, der Recht in Unrecht verkehrt hatte.

    (Lebhafter Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

    Die Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord soll auch das Bewußtsein im Volke dafür wachhalten, daß es schwerste Schuld gibt.
    Nun könnten aber diejenigen, denen solche Antwort gegeben wird, fragen: Warum gibt es denn für die schwerste Schuld nicht auch die schwerste Strafe, die Todesstrafe, warum hat man zu einer Zeit, als



    Dr. Mikat
    die Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord beschlossen wurde, in der Verfassung festgeschrieben: „Die Todesstrafe ist abgeschafft", warum hat man damit eine Strafe verneint, die als Ausdruck schwerster Schuld in unserem Strafrecht geschichtlich tief verankert war?
    Und ich hoffe, in der Antwort auf diese Frage wird dann nicht nur auf die Fehlbarkeit menschlichen Richteng und die Irreversibilität der Todesstrafe hingewiesen, sondern auch gesagt, daß die Aufhebung der Todesstrafe im deutschen Strafrecht zugleich eine bleibende Erinnerung daran ist, daß es in Deutschland einmal eine Zeit gab, in der die staatlichen Mörder die Todesstrafe verhängten, in der die Todesstrafe selbst zum Mord wurde.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

    Die Abschaffung der Verjährung von Völkermord und Mord sowie die Abschaffung der Todesstrafe schließen einander nicht aus, in rechtsgeschichtlicher Sicht korrespondieren sie miteinander, drückt sich in ihnen auch das Fortwirken, das notwendige Fortwirken der Vergangenheit in Gegenwart und Zukunft aus.
    Auch wenn für die Rechtsprechung die Auswirkungen der Aufhebung der Mordverjährung in der Gegenwart gering und in der Zukunft noch geringer sein sollten, so wird doch die Aufhebung der Mordverjährung in Gegenwart und Zukunft von großer Bedeutung sein können, wenn sie von unserem Volke nicht nur im Hinblick auf Zahl und Durchführung einzelner Verfahren gesehen wird.
    Schon nach geltendem Recht verjährt Völkermord nicht, und es wird niemand unter uns sein, der diese Bestimmung unseres Strafrechts nur unter dem Gesichtspunkt künftig möglicher Verfahren würdigt. Unerträglich die Vorstellung, daß es einmal notwendig werden sollte, vor einem deutschen Gericht ein Verfahren wegen Völkermord durchführen zu müssen. Ist der Straftatbestand des Völkermordes aber darum in unserem Strafgesetzbuch überflüssig? Ist die Bestimmung überflüssig, daß das Verbrechen des Völkermordes nicht verjährt' Keineswegs! Im Straftatbestand eines unverjährbaren Völkermordes drückt sich der Abscheu vor einem grausigen Verbrechen aus, das die Gerichte in unserem Volke hoffentlich niemals beschäftigen wird, das es aber in der Geschichte unseres Volkes als grausige Realität gegeben hat, als Realität der, Vergangenheit, die wir niemals vergessen dürfen, soll sie nicht doch wieder einmal unfaßbare, aber mögliche Realität der Zukunft werden, eine Realität, die wir nicht vergessen dürfen, damit uns bewußt bleibt, welche furchtbaren Möglichkeiten des Bösen es geben kann.
    Daß wir in der Gegenwart bestimmte NS-Verbrechenskomplexe nicht wegen Völkermord ahnden können, ist durch das im Grundgesetz verankerte Rückwirkungsverbot bedingt, wonach eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbestimmung gesetzlich normiert war, bevor die Tat begangen wurde.
    Gegen die Unverjährbarkeit von Mord wird insbesondere geltend gemacht, das Interesse der Rechtssicherheit gebiete den Eintritt der Verjährung; Beweisschwierigkeiten in bezug auf persönliche Beweismittel wie Zeugenaussagen und möglicherweise auch in bezug auf sachliche Beweismittel erschwerten eine reibungslose Prozeßführung, ja machten sie teilweise sogar unmöglich.
    Der Einwand ist in der Tat schwerwiegend. So hat auch der Deutsche Richterbund erst kürzlich zu Recht noch einmal darauf hingewiesen, daß die Beweisschwierigkeiten, insbesondere bei NS-Verfahren, in Zukunft noch erheblich größer würden. Aber diese Schwierigkeiten — es ist schon darauf aufmerksam gemacht worden — bestehen bereits nach geltendem Recht. Denn in dem Fall, daß die Verjährung einer Mordtat nach 29 Jahren unterbrochen wird, müssen unter Umständen weitere 29 Jahre in Kauf genommen werden, und' das Verfahren müßte auch noch nach 58 oder 59 Jahren durchgeführt werden. Wer also auf den Beweisnotstand hinweist, müßte sich zunächst einmal Gedanken über die Probleme der Verjährungsunterbrechung machen. Darüber hinaus muß auch gesehen werden, daß der Angeklagte in zahlreichen Fällen lange Zeit nach seiner Straftat — sei es aus körperlichen oder geistigen Gründen — gar nicht mehr verhandlungsfähig ist. Gegen diese Angeklagten darf dann ohnehin kein Verfahren durchgeführt werden. Denn die Verhandlungsfähigkeit ist ja eine Prozeßvoraussetzung. Infolgedessen fällt auch das nicht unter den Problemkreis Verjährung.
    Durch die Abschaffung der Todesstrafe als zwingende staatliche Reaktion auf die Begehung von Mord hat die Frage, ob Mord der Verjährung unterliegen soll, eine andere Bedeutung erhalten. Eine Rechtsordnung, die bei dem Morddelikt die Verhängung der Todesstrafe zwingend vorsieht, benötigt das Rechtsinstitut der Verjährung als Korrektiv zur Verhinderung irreversibler Entscheidungen.
    Wir haben die Todesstrafe abgeschafft, und ich bejahe das. Wir werden uns auf Grund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts demnächst mit der Frage beschäftigen müssen, wie und wann lebenslängliche Freiheitsstrafen in faktisch begrenzte Zeitstrafen umzuwandeln sind. Auch das bejahe ich dem Grunde nach. Aber dann taucht doch die Frage auf Welcher Stellenwert kommt dann noch dem Morddelikt als dem schwersten Delikt unter allen Delikten zu?

    (Katzer [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

    Der Wegfall der Todesstrafe und die faktisch begrenzte Zeitstrafe werden dann dazu führen, daß Mord innerhalb der Delikte „eingeebnet" wird. Die rechtsgeschichtliche und auch die ethisch begründete Sonderstellung, die Mord unter den verschiedenen Delikten immer gehabt hat, wird, wie gesagt, „eingeebnet". Es darf nicht übersehen werden, daß die Strafe innerhalb der Rechtsordnung eines Volkes auch einen zeichenhaften Charakter besitzt. Das halte ich im Hinblick auf die strafrechtliche Bewußtseinsbildung in unserem Volk für wichtig.



    Dr. Mikat
    Hermann Lübbe hat sich in einem Beitrag „Gründe, über die man nicht spricht — wohlgemeinte Unglaubwürdigkeiten" in der ihm eigenen konsequenten Art mit den Gründen auseinandergesetzt, die für die Aufhebung der Mordverjährung angeführt werden. Lübbes Stimme, die Stimme eines politisch engagierten und problembewußten Philosophen, der zu den scharfsinnigen Kritikern unserer Zeit gehört, verdient Beachtung und hat Anspruch auf Auseinandersetzung.
    Lübbe geht es um Ehrlichkeit. Sein Kampf gilt Scheinbegründungen. Er will juristische Finessen entlarven, will die Diskussion auf den Kern zurückführen und auf ihn begrenzen: auf die Behandlung der NS-Morde.
    „Glaubwürdig" sind für Lübbe in der Verjährungsfrage „allein nicht-opportunistische Gründe, die sagen, warum wir, mit welchen allenfalls akzeptablen generellen gesetzlichen Folgen auch immer, speziell die Verjährung der NS-Morde verhindern sollten". Als einziger glaubwürdig vertretbarer Grund gilt für Lübbe die Berufung auf den durch die NS-Morde gestörten Rechtsfrieden. Er meint:
    Das Rechtsinstitut der Verjährung setzt voraus, daß durch den Ablauf langer Zeit der durch ungesühnte Verbrechen gestörte Rechtsfriede auch ohne Bestrafung nicht greifbarer Schuldiger schließlich sich wiederherstellt, und eben diese Voraussetzung ist speziell bei den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen nicht erfüllt.
    Dem stimme ich ohne Einschränkung zu, und ich will auch seine nähere Begründung, der ich ebenfalls noch zustimme, ausdrücklich zitieren. Um zu erkennen, daß im Hinblick auf die NS-Gewalttaten der Rechtsfrieden noch nicht wiederhergestellt ist, darf man nach Lübbe nicht auf die Kräfte und Gruppierungen hören, die in dieser Frage ganz andere Interessen als die der Wiederherstellung des Reditsfriedens haben und denen zu folgen tatsächlich Opportunismus wäre.
    Wohl aber hält Lübbe es für notwendig, im In-und Ausland auf die Betroffenen, die Hinterbliebenen der Opfer, die Entkommenen zu hören. Es heißt bei ihm:
    Dann weiß man, daß von der Einkehr eines Rechtsfriedens, in den die Verfolgten auch noch ihre unentdeckten Verfolger eingeschlossen wissen könnten, nicht die Rede sein kann. Das liegt nicht an der herrschenden Rachsucht, sondern an der ununterdrückbaren Gegenwart einer Vergangenheit, deren besondere Verbrechen eben längere Zeit als Verbrechen der gewöhnlichen Art die Wiederkehr eines Zustands hindern, in welchem die straflosen Täter als Rechtsfriedensgenossen von jedermann anerkannt zu werden vermöchten.
    Die Folgerung, die Lübbe dann zieht, liegt auf der Hand, auch wenn er sie nicht mehr so unmittelbar ausspricht: Entweder wird die Mordverjährung nur für NS-Morde aufgehoben, weil. hier und nur hier der Rechtsfrieden noch nicht wiederhergestellt ist, oder man verzichtet, da es gesetzlich verwehrt ist,
    ein Sonderrecht für die Aufhebung der Verjährung von NS-Mord zu schaffen, auf die Aufhebung der Mordverjährung überhaupt. Ein anderer Weg ist nach ihm nicht gangbar, nicht ehrlich, und es bleibt, um die NS-Mörder zu strafen, „wirklich nichts als ihre Schuld".
    Abschließend fügt er den Satz hinzu:
    Das mag einigen orientierungslosen Progressisten unter unseren Strafrechtspolitikern zu denken geben.
    Alle anderen Gründe für die Abschaffung der Mordverjährung verwirft er als Scheingründe, bestenfalls als „wohlgemeinte Unglaubwürdigkeiten". Besonders suspekt ist ihm der Hinweis darauf, daß Mord die Vernichtung des menschlichen Lebens aus besonders verabscheuungswürdigen Motiven sei und deshalb die Rechtsordnung auf diese schwerste Rechtsgutverletzung entsprechend reagieren müsse, indem sie die Verjährung ausschließe.
    Um nicht mißverstanden zu werden: Lübbe will keineswegs die Schwere des Morddelikts relativieren. Aber er hält die Berufung darauf im Zusammenhang mit der Verjährungsfrage für eine Hilfskonstruktion, für unehrlich, da doch allein die Absicht, die NS-Mordtaten auch künftig verfolgen zu können, der eigentliche, wenngleich verschleierte Grund für diese Argumentation sei. Hier aber setzt mein Widerspruch ein.
    Lübbe bedient sich zur Stützung seines Beweisgangs einer zunächst — aber eben doch nur zunächst — bestechenden Fiktion. Er stellt die Frage, wie es denn wohl um die Mordverjährung bestellt wäre, hätte es die nationalsozialistische Unrechtszeit nicht gegeben.
    Es genügt, zu fingieren, — so heißt es bei ihm —
    die politische Erbschaft nationalsozialistischer Verbrechen wäre nicht unsere Erbschaft. Keine Partei, keine Fraktion, kein Abgeordneter käme alsdann auf den Gedanken, in der zitierten Weise generell gegen Mordverjährung zu argumentieren.
    Er fährt fort:
    Im Gegenteil: Hätten wir diese Verjährung nicht, würde man eher fordern, sie endlich einzuführen. Man würde geltend machen, daß die Verjährung ein Institut aus der Tradition aufgeklärter Rechtspolitik ist. Man würde in Erinnerung rufen, daß gerade die Nationalsozialisten, und zwar auf dem Höhepunkt ihrer Gewaltherr schaft, die Verfolgbarkeit gesetzlich verjährter Verbrechen wiederhergestellt haben.
    Sieht man einmal davon ab, daß hier einem ansonsten so streng logisch argumentierenden Denker der fundamentale Fehler unterläuft, seine Fiktion selbst dadurch aufzuheben, daß er bei der Frage, wie Wir uns wohl ohne vorausgegangene nationalsozialistische Erbschaft verhielten, just den Hinweis auf die NS-Praxis wieder einführt, wo doch gerade gedanklich von der NS-Zeit einmal abgese-



    Dr. Mikat
    hen wenden soll, sieht man also von diesem Lapsus des Philosophen einmal ab und kehrt zu seiner gedanklichen Strenge zurück, dann erweist sich doch seine Argumentation als ungeschichtlich — erstaunlich bei einem so geschichtsbewußten Denker.
    Ist denn 'die Fiktion, die er voranstellt, überhaupt zulässig? Unterstellen wir einmal, es hätte die NS-Zeit nicht gegeben, so könnte auch nicht ausgeschlossen werden, daß es heute bei uns noch die Todesstrafe gäbe, deren Abschaffung ja auch auf dem Hintergrund der NS-Zeit zu sehen ist. Lübbes Fiktion hilft nicht weiter. Sie schärft nicht den Blick, sie verstellt ihn. Niemand wird bestreiten, daß die Verjährungsfrage mit der Frage der NS-Mordtaten in einem besonderen Zusammenhang steht. Das war 1965 so, 1969 so, und es ist auch 1979 so. Aber ist deshalb eine Ausweitung der Problemstellung unglaubwürdig? Darf deshalb nicht generell nach der Angemessenheit der Abschaffung der Mordverjährung gefragt werden?
    Lübbe übersieht, daß ein geschichtlicher Anlaß sehr wohl dazu führen kann, über den eigentlichen Anlaß hinaus rechtspolitische Überlegungen grundsätzlicher Art anzustellen. Es mag durchaus sein, daß uns ohne die NS-Zeit und dieschrecklichen Erfahrungen dieser Zeit die Problematik der Verjährung von Morddelikten nicht so scharf bewußt wäre, wie sie es heute ist. Aber es kann auch nicht ausgeschlossen werden, daß gerade im Zuge einer Liberalisierung des Strafrechts auch ohne die NS-Erbschaft die Frage nach der Stellung .des Morddelikts im Kanon der Delikte aufgetaucht wäre, und damit die Frage, was die Rechtsordnung tun muß, damit auch vom Strafrecht her deutlich bleibt, 'daß es sich beim Morddelikt nicht um irgendein Delikt handelt, sondern um den schwersten Angriff auf das Rechtsgut Leben. Diese Frage stellt sich besonders dann, wenn die Todesstrafe generell abgeschafft worden ist und wenn die lebenslange 'Freiheitsstrafe auch bei Morddelikten faktisch in eine begrenzte Zeitstrafe gewandelt werden sollte.
    Wer die Frage der Verjährbarkeit oder Unverjährbarkeit des Mordes nur im Zusammenhang mit der Strafverfolgung von NS-Verbrechen sieht, der richtet .den Blick ausschließlich in 'die Vergangenheit — sicherlich eine höchst gegenwärtige Vergangenheit —, aber er übersieht dann zugleich die Tatsache, daß, Mord auch in unseren Tagen als Ausdruck einer radikalen Lebensverneinung ein Delikt von besonderer Aktualität und gemeinwohlgefährdender Kriminalität ist, wie es die Terrormorde zeigen.
    Will jemand 'ausschließen, daß 'bei diesen Mordfällen der Rechtsfriede in 30 Jahren nicht mehr als gestört empfunden werden kann? Gilt nicht auch hier, daß von der Einkehr eines Rechtsfriedens, in den die Verfolgten auch noch ihre unentdeckten Verfolger eingeschlossen wissen könnten, keine Rede sein 'kann? Gilt nicht auch hier, daß die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann, daß nach Fristablauf der Täter sich seiner Tat rühmt?

    (Katzer [CDU/CSU] : Leider wahr!)

    Gilt nicht auch hier, daß wir mit einer ununterdrückbaren Gegenwart einer Vergangenheit rechnen müssen, deren besondere Verbrechen eben längere Zeit als Verbrechen der gewöhnlichen Art die Wiederkehr eines Zustandes hindern, in welchem die straflosen Täter als Rechtsfriedensgenossen von jedermann anerkannt zu werden vermöchten? Wird das Rechtsfriedensargument nicht nur auf die NS-Mordtaten bezogen, sondern auch auf die Mordtaten der Gegenwart, 'so erweist es sich als wichtige Mahnung an den Gesetzgeber, die Verjährbarkeit von Mord generell aufzuheben.
    Im Gegensatz zu Lübbe gelange ich zu folgendem Schluß: Selbst wenn es nach unserer Rechtsordnung möglich wäre, mit einem Sondergesetz nur die Unverjährbarkeit von NS-Mordtaten zu dekretieren, so sollte doch die Verjährbarkeit von Mord generell aufgehoben werden — wegen einer neuen Dimension.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Zum Schluß: Es wird nun eingewandt, die Aufhebung der Mordverjährung vergrößere nicht „die Gerechtigkeit", und eine Aufhebung der Verfolgungsverjährung für Mord wäre nur dann sinnvoll, wenn sie auf Dauer ein Mehr an Gerechtigkeit böte, dafür aber seien Anhaltspunkte nicht zu erkennen.
    Ich will diesem Einwand nicht dadurch begegnen, daß ich mich mit 'der Feststellung begnüge, die Aufhebung der Mordverjährung werde aber wohl auch die Gerechtigkeit nicht verringern. Ich will vielmehr zurückfragen, in welchem Sinne hier von „der Gerechtigkeit" gesprochen wind. Wird unter „Gerechtigkeit" die gerechte Entscheidung in Strafverfahren wegen Mordes verstanden, so will ich nicht lange rechten, ob die Aufhebung der Mordverjährung „die Gerechtigkeit" nun vergrößert oder nicht. Aber geht es nur um gerechte Fallentscheidungen, wenn wir von „der Gerechtigkeit" sprechen? Die Hinordnung des Strafrechts auf die Gerechtigkeit erschöpft sich ja keineswegs in den gerechten Urteilen. Die Strafrechtsordnung als Ganzes soll auf Gerechtigkeit hin angelegt sein, und dazu gehört auch, daß sie auf entsprechend schwere Delikte adäquat reagiert. Im staatlichen Gesetz selbst muß sich die staatliche Gemeinschaft zur Gerechtigkeit bekennen, und die Aufhebung der Mordverjährung kann durchaus geeignet sein, in der staatlichen Gemeinschaft die Gewissen zu schärfen und insofern zu einem Mehr an Gerechtigkeit zu führen. In einer Zeit, in der das Rechtsgut „Leben" besonders bedroht ist, bedarf es gerade auch unter dem Gesichtspunkt 'des Gerechtigkeitsgedankens einer Überprüfung und Fortentwicklung überkommener Strafrechtsnormen.
    Wer also unter „Mehr an Gerechtigkeit" nur die — ohne Zweifel wichtige — Gerechtigkeit des Richters versteht, nicht aber auch die Gerechtigkeit des Gesetzes, verfehlt letzten Endes das Wesen der Gerechtigkeit. Der Strafrichter wendet das Recht an, das über das Gerechte entscheidet. Wer im Zusammenhang mit unserem Thema von Gerechtigkeit spricht, sei an die Weisheit des Aristoteles erinnert, für den die Gerechtigkeit die gesam-



    Dr. Mikat
    te staatliche Rechtsordnung umgreift und der in seiner „Politik" schreibt:
    Die Gerechtigkeit aber, der Inbegriff aller Moralität, ist ein staatliches Ding. Denn das Recht ist nichts anderes als die in der staatlichen Gemeinschaft herrschende Ordnung, und eben dieses Recht ist es auch, das über das Gerechte entscheidet.
    Meine Damen und Herren, eine höchst persönliche Bemerkung sei mir am Schluß nun noch gestattet. Ich 'bin in den letzten Tagen gefragt worden, ob ich idenn nicht als Christ verpflichtet sei, für die Verjährbarkeit selbst der schlimmsten Mordtat einzutreten, seien doch Vergebung und Versöhnung dem Christen aufgegeben.
    Die Frage läßt sich nicht mit einer Handbewegung abtun; sie hat Anspruch auf Antwort, die sich am Neuen Testament muß messen lassen. Das Ethos des Neuen Testamentes wird nicht von dem Grundsatz „Auge um Auge, Zahn um Zahn" bestimmt, es verweist vielmehr den einzelnen auf das Gebot der Liebe, auf die schöpferische Kraft der Liebe, auf die Agape des Neuen Testamentes. Da gilt es, alles zu vergeben, alles zu verzeihen, aber nicht vergeben und verzeihen in 20 oder 30 Jahren, sondern: sofort. Da gilt für den einzelnen die Mahnung des Römerbriefes: „Schafft euch nicht selbst Recht." Und auf die Frage, wie oft dem schuldig gewordenen Bruder zu vergeben ist, ergeht die Antwort: „Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal."
    Gilt das aber auch für die staatliche Rechtsordnung? Paulus selbst gibt im Römerbrief die überzeugende Antwort, wenn er die staatliche Rechtsordnung eben nicht auf den Weg der den einzelnen verpflichtenden Liebe verweist, sondern sie als Ordnung der Gerechtigkeit bejaht. Da die staatliche Rechtsordnung den Schutz des Nächsten und die Verwirklichung der Gerechtigkeit zum Ziele hat, kann sie nicht dem Satz unterstellt werden: „Schafft euch nicht selbst Recht."
    Eindrucksvoll hat der Bonner Moraltheologe Werner Schöllgen gezeigt, daß das Neue Testament, wenn es den einzelnen auf die Macht überwindender Liebe hinweist, das staatliche Strafrecht nicht verwirft, sondern daß gerade vom christlichen Liebesgebot her das staatliche Strafrecht als Element der Mitverantwortung gegenüber dem Nächsten verpflichtend gefordert ist. Zutreffend meint er:
    Insofern staatliche Gerichtsgewalt den Schutz des Nächsten gegen Verbrechen verantwortlich trägt, wird auch sie von dieser Solidarität wirksamer und nicht etwa bloß sentimentaler Liebe legitimiert.
    Ichglaube, meine Damen und Herren, das noch gesagt zu haben, war ich Ihnen schuldig. Und es hier an dieser Stelle gesagt zu haben, halte ich nicht für unpolitisch, sondern ganz im Gegenteil für sehr politisch, gilt es doch, anderen — aber auch sich selbst —, Klarheit zu verschaffen über den eigenen Standpunkt, also über jenes Fundament von ,dem her ich denke.
    Ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist, jemanden zu überzeugen. Aber ich bin der Meinung, es ist schon viel gewonnen, einigen die Entscheidung nicht leichter, sondern schwerer gemacht zu haben, selbst wenn dann letztendlich ihre Entscheidung anders ausfällt als meine Entscheidung. Machen wir uns jedenfalls die Entscheidung nicht leicht. Dafür wiegt die Sache, um die es geht, zu schwer.

    (Beifall bei allen Fraktionen)