Rede:
ID0814501500

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 7
    1. Das: 1
    2. Worthat: 1
    3. der: 1
    4. Herr: 1
    5. Abgeordnete: 1
    6. Dr.: 1
    7. Wendig.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 8/145 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 145. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Inhalt: Gedenkworte zum 130. Jahrestag der Verabschiedung der Frankfurter Reichsverfassung 11559 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. Schachtschabel und Dr. Gradl . . 11560 C Wahl des Abg. Müller (Nordenham) zum ordentlichen Mitglied und des Abg. Dr. Enders zum stellvertretenden Mitglied im Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt 11560 C Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . 11560 C Erweiterung der Tagesordnung 11561 C Absetzung eines Punktes von der Tagesordnung 11673 B Beratung des Antrags der- Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Hermann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord — Drucksache 8/2539 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurfs eines 18. Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksache 8/2653 (neu) — in Verbindung mit II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Beratung der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord — Drucksache 8/2616 — Dr. Gradl CDU/CSU 11561 D Dr. Emmerlich SPD 11565 C Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . . 11569 D Kleinert FDP 11575 C Schmidt, Bundeskanzler 11579 A Graf Stauffenberg CDU/CSU 11581 A Dr. Wendig FDP 11585 D Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 11590 B Waltemathe SPD 11593 B Dr. Dr. h. c. Maihofer FDP 11596 A Dr. Mikat CDU/CSU 11601 C Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU 11607 C Dr. Vogel (München) SPD 11611 C Engelhard FDP 11617 A Dr. Weber (Köln) SPD 11619 C Wissmann CDU/CSU 11622 A Oostergetelo SPD 11624 A Dr. Klein (Göttingen) CDU/CSU 11625 D Frau Matthäus-Maier FDP 11627 C Blumenfeld CDU/CSU 11631 A Hartmann CDU/CSU 11633 B Hansen SPD 11635 B Helmrich CDU/CSU 11638 A Dr. Schwencke (Nienburg) SPD 11639 C Dr. Schwarz- Schilling CDU/CSU 11642 B Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 11645 B Sieglerschmidt SPD 11647 A Josten CDU/CSU 11649 C Präsident Carstens 11575 A Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europaabgeordnetengesetz) — Drucksache 8/362 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2708 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 8/2707 — Krey CDU/CSU 11651 A Bühling SPD 11652 C Dr. Klepsch CDU/CSU 11654 D Wolfgramm (Göttingen) FDP 11656 D Luster CDU/CSU 11657 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr — Drucksache 8/2453 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2697 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 8/2696 — Hölscher FDP 11658 C, 11660 C Burger CDU/CSU 11658 D Kratz SPD 11659 D Dr. Ehrenberg, Bundesminister BMA . . 11661 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und FDP Enquete-Kommission „Zukünftige Energie-Politik" und dem Antrag der Abgeordneten Lenzer, Pfeifer, Dr. Probst, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Riesenhuber, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Laufs, Pfeffermann, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Dr. Narjes und der Fraktion der CDU/CSU Enquete-Kommission „Zukünftige Energie-Politik" — Drucksachen 8/2353, 8/2374, 8/2628 — Dr. Freiherr Spies von Büllesheim CDU/CSU 11663 B Ueberhorst SPD 11664 D Dr.-Ing. Laermann FDP 11666 A Bericht des Ausschusses für Forschung und Technologie gemäß § 60 Abs. 3 der Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Lenzer, Dr. Riesenhuber, Dr. Probst, Pfeifer, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Pfeffermann und der Fraktion der CDU/CSU Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 III Einrichtung einer Prognose- und Bewertungskapazität zur Begutachtung technologischer und forschungspolitischer Entwicklungen beim Deutschen Bundestag — Drucksachen 8/1241, 8/2629 (neu) — Dr. Riesenhuber CDU/CSU 11667 B Stockleben SPD 11669 B Dr.-Ing. Laermann FDP 11670 D Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Verträgen vom 17. November 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Bau einer Autobahnbrücke über den Rhein zwischen Steinenstadt und Ottmarsheim sowie über den Bau einer Straßenbrücke über den Rhein zwischen Weil am Rhein und Hüningen — Drucksache 8/2437 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2686 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2642 — 11672 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den gewerblichen Binnenschiffsverkehr — Drucksache 8/2366 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2640 — 11673 A Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. Februar 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über den Luftverkehr — Drucksache 8/2436 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/2669 — 11673 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Viehseuchengesetzes — Drucksache 8/2646 — 11673 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. Juli 1978 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Großherzogtums Luxemburg über verschiedene Fragen der Sozialen Sicherheit Drucksache 8/2645 — 11673 D Beratung der Sammelübersicht 43 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 8/2665 11673 D Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen Veräußerung von Teilflächen des ehemaligen Standortübungsplatzes Bad Vilbel an die Stadt Frankfurt — Drucksachen 8/2478, 8/2648 — 11674- A Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Verbilligte Veräußerung von bundeseigenen Grundstücken — Drucksachen 8/2558, 8/2649 — 11674 A Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der zustimmungsbedürftigen Verordnung der Bundesregierung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 3/79 — Zollkontingent für Walzdraht 1. Halbjahr 1979) — Drucksachen 8/2536, 8/2632 — 11674 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Anpassung der Kapazität für den gewerblichen Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten — Drucksachen 8/2357, 8/2641 — 11674 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung VI Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 816/70 zur Festlegung ergänzender Vorschriften für die gemeinsame Marktorganisation für Wein — Drucksachen 8/2513 Nr. 3, 8/2670 — . . 11674 C Beratung des Berichts der Bundesregierung über Möglichkeiten zur Umstellung des 7 b EStG auf ein anderes Förderungssystem — Drucksache 8/2554 — 11674 D Beratung des Berichts der Bundesregierung über die Auswirkungen des Gesetzes über steudrliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude auf das geltende Grunderwerbsteuerrecht und über die Überlegungen, die zur Reform des Rechts der Grunderwerbsteuer angestellt worden sind — Grunderwerbsteuerbericht — Drucksache 8/2555 — 11674 D Nächste Sitzung 11675 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 11677* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 11559 145. Sitzung Bonn, den 29. März 1979 Beginn: 9.01 Uhr
  • folderAnlagen
    Berichtigung 144. Sitzung, Seite 11 405 A: In den Zeilen 10 bis 13 ist statt „ ... an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend —, an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — mitberatend —" zu lesen: ,,... an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — federführend —, an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — mitberatend —" ; Seite 11 526 * D: In der Zeile 8 von unten ist statt „36" zu lesen: „38". Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. Aigner * 30. 3. Dr. Althammer 30.3. Dr. Bangemann* 29. 3. Dr. Becher (Pullach) 30. 3. Frau Berger (Berlin) 30. 3. Blumenfeld ** 30. 3. Dr. Corterier ** 30. 3. Frau Erler 30. 3. Fellermaier * 30. 3. Frau Fischer 30. 3. Friedrich (Würzburg) 29. 3. Genscher 30. 3. Dr. Hornhues 30. 3. Horstmeier 29. 3. Dr. Jahn (Braunschweig) * 30. 3. *) für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments *5) für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung ***) für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. h. c. Kiesinger 30. 3. Klinker 30. 3. Koblitz 30. 3. Lange * 30. 3. Leber 30.3. Lemp * 30.3. Lenzer 30.3. Dr. Müller *** 29.3. Müller (Mülheim) * 30. 3. Müller (Remscheid) 30. 3. Sauer (Salzgitter) 30. 3. Schmidt (München) * 30. 3. Schreiber* 30. 3. Dr. Schröder (Düsseldorf) 30. 3. Dr. Schwencke (Nienburg) *** 29. 3. Dr. Schwörer * 29. 3. Seefeld * 30. 3. Spitzmüller 30. 3. Stahlberg 30. 3. Dr. Starke (Franken) * 30. 3. Frau Tübler 30. 3. Dr. Vohrer *** 29. 3. Frau Dr. Walz 30. 3. Baron von Wrangel 30. 3. Wuwer 30.3. Ziegler 30. 3.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()


    Meiner Ansicht nach entspricht es nicht der Würde des Staates und des vereinten Volkes, von vornherein mit bindender Wirkung auf den Strafanspruch zu verzichten.
    Der Name dieses Staatssekretärs war Roland Freisler — ein Name, der zum Synonym für die schlimmste Perversion des Rechts unter nationalsozialistischer Herrschaft geworden ist.

    (Frau Erler [SPD]: Wo ist da die Parallele?)

    Mit der sogenannten Strafrechtsangleichungsverordnung vom 29. Mai 1943 hob der nationalsozialistische Staat, das nationalsozialistische Regime die Verjährung für Schwerstverbrechen auf. Es ersetzte sie durch den Übergang auf das Opportunitätsprinzip; es überließ dem Staatsanwalt die Entscheidung, ob er die Verfolgung noch einleiten wollte oder nicht.
    Meine Damen und Herren, es war dann nach dem Krieg strittig, ob diese neue, seit 1943 geltende Rechtsbestimmung überhaupt weiterhin Gültigkeit habe oder ungültig geworden sei, weil sie Ausdruck nationalsozialistischer Rechtsvorstellungen war. Mit dem Dritten Strafrechtsänderungsgesetz von 1953 hat dieses Hohe Haus das Prinzip der Verjährung — auch für Mord — wieder voll zur Geltung gebracht, und dies, wie ich meine, aus guten Gründen und in voller rechtsstaatlicher Verantwortung.
    Verjährung zieht keinen Schlußstrich unter Unrecht und auch nicht unter die strafrechtliche Verfolgung von Unrecht. Nach dem 31. Dezember 1979 werden so oder so — wie unsere Entscheidung hier auch fällt — Tausende von Verfahren über NS-Verbrechen weitergeführt werden. Die Verjährung
    hat nichts mit Amnestie zu tun und schon gar nichts -- wie leider manchmal, nicht hier in diesem Haus, aber von außen, unterstellt worden ist — mit der Umwandlung von Unrecht in Recht. Mit dem Eintritt der Verjährung endet — und das bedeutet sie wirklich — die Strafverfolgung praktisch nur für Delikte, bei denen nach 30 Jahren Tat und Täter so unbekannt geblieben sind, daß es nicht einmal zu einer richterlichen Handlung mit der Folge der Verjährungsunterbrechung gereicht hat. Das bedeutet Verjährung.
    Gleichzeitig — ich möchte das noch einmal aufgreifen; die Kollegen Kleinert und Erhard haben schon darauf hingewiesen — wird auch in Zukunft eine Vielzahl von Untätern — ganz gleich, wie wir hier am Ende entscheiden — frei und rechtlich unbehelligt unter uns leben. Es sind Leute, deren Namen und Taten bekannt sind. Es sind Täter, die von den Gerichten der Alliierten nach dem Kriege verurteilt wurden und — wenn ich es richtig sehe, spätestens 1956/57, die letzten von ihnen — auf freien Fuß gesetzt wurden, ohne von der deutschen Gerichtsbarkeit belangt werden zu können.
    Dazu doch vielleicht auch ein Wort an unsere amerikanischen Kollegen: Ich weiß nicht, ob diese Teile der Nachkriegsgeschichte bei der Verfolgung von NS-Verbrechen den Abgeordneten des amerikanischen Repräsentantenhauses bekannt gewesen sind und ob sie sie berücksichtigt haben, als sie in einem Appell an uns für die Aufhebung der Verjährung eingetreten sind.
    Meine Damen und Herren, nach meiner Überzeugung und nach der vieler Kollegen hier im Hause ist das Institut der Verjährung Ausdruck der Erkenntnis, daß den Menschen Grenzen gesetzt sind — auch in ihren Möglichkeiten, schweres Unrecht zu ahnden und durch Sanktionen des Rechts den Rechtsfrieden wiederherzustellen. Es ist in diesem Hause in den früheren Debatten schon mehrmals vor der Hybris einer Illusion perfekter, lückenloser Rechtsmechanismen gewarnt worden, und diese Warnung gilt heute dringender denn je. Wir können von einer Rechtsordnung nicht mehr verlangen, als die staatlichen Organe, d. h. die in ihnen tätigen Menschen, zu leisten in der Lage sind. Schon die heute laufenden Verfahren über die Verbrechen des Nationalsozialismus zeigen, wie unendlich schwer es in der Praxis ist, Taten nach 34 und mehr Jahren gerechter Sühne zuzuführen. Es ist leicht, an den Prozessen Kritik zu üben, weil sie sich über acht, zehn und mehr Jahre hinziehen. Diese Kritik ist von vielen Seiten geübt worden. Es ist wohlfeil, heute über niedrige Verurteilungsquoten in diesen Prozessen zu klagen. Aber keine Kritik, meine Damen und Herren, entläßt Richter, Staatsanwälte und Verteidiger aus der Pflicht, in einem jeden einzelnen Fall gemäß den Regeln und Vorschriften eines ordentlichen und fairen Verfahrens konkret feststellbaren Tatvorgängen, individueller Vorwerfbarkeit und persönlich-individueller Schuld nachzugehen.
    Für jeden rechtlich denkenden und gerecht fühlenden Menschen muß es schmerzlich sein, sich mit der Begrenzbarkeit staatlicher Rechtsinstrumente



    Graf Stauffenberg
    abfinden zu müssen. Gerade angesichts der nach wie vor unfaßlichen Scheußlichkeit der „administrierten" Unmenschlichkeit, die den Nationalsozialismus kennzeichnet, erscheint es fast unerträglich, mit der Endlichkeit und — sagen wir — Unvollkommenheit rechtsstaatlicher Sanktionen leben zu müssen, sich abfinden zu müssen. Das gilt naturgemäß für die unserer Mitbürger um so mehr, die eine andere als irdische Gerechtigkeit nicht kennen, oder far die, die an sich alles auf dieser Welt für menschlich machbar halten.
    Gleichwohl, meine Damen und Herren, dienen wir letztlich nur dann dem Recht, wenn wir ganz offen und ehrlich anerkennen, was das Recht kann und was es nicht vermag. Das Strafrecht kann niemals das geschehene Unrecht rückgängig machen. Sein Mittel, den schweren Rechtsbruch zu sühnen, ist stets begrenzt und muß begrenzt bleiben. Das gilt nicht nur für die Dauer der Verfolgung.
    Dem rücksichtslosesten Mörder, der sich um die menschliche Würde und das Leiden seines Opfers nicht kümmert, auch ihm, stehen alle Rechte der Verteidigung, der Anspruch auf ein ordnungsgemäßes Verfahren und alle Chancen des Instanzenzuges offen und, wenn er verurteilt wird, auch in vielfältiger Weise das Recht und die Ansprüche aus rechtlichen Verfahren, Beschwerdeweg und ähnliche Dinge mehr.
    Wenn ein massenmordender KZ-Scherge, meine Damen und Herren, die schwerste Strafe verbüßt, die unsere Rechtsordnung kennt, dann hält sein Schicksal keinen Vergleich mit dem aus, was er anderen angetan hat. Aber — und auch das sollten wir bedenken — selbst diese lebenslange, also härteste Strafe gilt bei vielen Kollegen in unserem Haus als zu hart und zu menschenunwürdig. Es gibt nicht wenige, die diese Strafe modifizieren, in eine zeitliche Strafe umwandeln, sie in der Härte des Vollzugs erleichtern wollen. Unter diesen Kollegen sind viele, die auch den Antrag, der die Aufhebung der Verfolgungsverjährung bei Mord zum Gegenstand hat, unterschrieben haben. Mir scheint hier ein für mich nicht überbrückbarer merkwürdiger Widerspruch zu sein.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Oder geht es - und darauf deuten bereits einige der Diskussionsbeiträge in dieser Debatte hin — vielleicht gar nicht in erster Linie um die tatsächliche Sühne, um die tatsächliche Verhängung und Verbüßung der Strafe beim Straftäter, beim Verbrecher? Geht es vielleicht doch eher um die öffentlich sichtbare Feststellung des geschehenen Unrechts, um die sichtbare Distanzierung unseres Staates und unserer Ordnung von den Verbrechen des Nazismus? Zu einer solchen Demonstration eignet sich gerade ein rechtsstaatliches Strafverfahren wenig, heute, 34 Jahre nach dem Zusammenbruch, weniger denn je. Bürdet man eine derartige politische oder — vielleicht können Sie auch sagen — geschichtlichpädagogische Aufgabe dem Strafverfahren auf, dann gefährdet man seine eigentliche Aufgabe, seinen eigentlichen Sinn: mit der Folge, wie ich fürchte,
    daß man damit in die Rechtsstaatlichkeit unserer Ordnung gefährdend einwirkt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Ich wundere mich eigentlich immer wieder, daß ein Verzicht auf Strafverfolgung nach 30 und mehr Jahren als unerträglich für das Ansehen unseres Rechts und als fortlaufende Störung des Rechtsfriedens angesehen wird. Aber gleichzeitig wird die nach so viel Jahren doch notwendig steigende Zahl ergebnisloser Verfahren, die ja nicht zuletzt Ausdruck dessen ist, daß es ordentliche, faire und rechtliche Verfahren sind, schweigend in Kauf genommen. Meinen Sie nicht, daß dies letztere die Rechtsautorität und den Rechtsfrieden ebenso berührt, ja, eigentlich noch schlimmer trifft?
    Die Aufhebung der Verfolgungsverjährung bei Mord stärkt, wie ich überzeugt bin, auf Dauer gesehen — vielleicht mögen wir es anders hoffen — weder die Autorität des Rechtes noch ist sie als Beitrag zur Sicherung des Rechtsfriedens geeignet. Die Aufhebung der Verjährung ist nach meiner Überzeugung deshalb eben auch kein geeignetes Instrument, um das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland als eines geachteten Rechtsstaates vor den Augen der Welt zu stärken.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, viele von uns haben im Fernsehen die Filmfolge „Holocaust" gesehen, und die meisten von uns waren sicherlich ebenso erschüttert wie Millionen unserer Mitbürger, unserer Mitmenschen im In- und Ausland. Es ist verständlich und, wie ich meine, weiß Gott ehrenhaft, wenn wir als Zuschauer, aufgewühlt und hilflos in der Passivität des Angesprochenen, leidenschaftlich danach drängen, etwas zu tun, wenn wir gewissermaßen ein Ventil des Tuns für das aufgestaute Entsetzen suchen.
    Meine Kolleginnen und Kollegen, muß uns aber nicht eine andere Frage viel mehr noch bewegen, eine Frage, die auch schon •angesprochen worden ist und die wir noch oft ansprechen müssen: Warum erschüttert denn gerade die „Holocaust"-Folge? Sie hat nichts Neues gebracht, nichts, was nicht seit Jahren, Jahrzehnten in ungezählten Büchern, Bildern, Zeitungsberichten, wissenschaftlichen Untersuchungen und Prozeßakten, ja, auch in Prozeßakten offen zutage lag. Warum konnte „Holocaust" bewirken, was alle Strafverfahren, öffentliche Strafverfahren mit Berichterstattungen im In- und Ausland nicht bewirkt haben? Der Grund dürfte darin liegen, daß hier am Schicksal einer Familie, weniger Menschen, am Schicksal von Menschen, die uns konkret und greifbar nahe schienen, das Schicksal von Millionen lebendig nachgezeichnet wurde, so, daß es unmittelbar nicht nur in den Verstand, sondern auch in das Herz hineinging. Ein Stück des Unbegreifbaren und des Unfaßbaren schien plötzlich greifbar und deswegen persönlich mitleidbar.
    Daß dies Tausende von Strafverfahren gegen Naziverbrecher nicht bewirkten, liegt weder an



    Graf Stauffenberg
    der Unzulänglichkeit der Rechtsordnung noch an der Unzulänglichkeit der Gerichte. Es liegt am Wesen des rechtsstaatlichen Strafverfahrens, das eine andere Aufgabe und einen anderen Sinn hat, nämlich dem Unrecht im konkreten und einzelnen Fall mit dem Recht zu begegnen, Recht zu sprechen und, wo Sühne möglich ist, Rechtsbruch zu sühnen.
    Herr Bundeskanzler, Sie haben dankenswert an die Gedenkstunde in der Synagoge zu Köln am 9. November vergangenen Jahres erinnert, als Sie um Rat für unsere Entscheidung baten: den Rat des Auslands, den Rat der Opfer, den Rat der Hinterbliebenen. Wir haben — Sie haben darauf hingewiesen — vielfachen, ernsthaften, bewegenden, eindringlichen Rat erhalten. Wir haben den gutgemeinten Rat angenommen, wir haben Argumente erwogen und mit manchem auch ebenso wie Sie, Herr Bundeskanzler, lange, ernsthaft und leidenschaftlich diskutiert. Aber alle, die sich so an uns wandten, die mit gutem und ehrlichem Rat zu uns kamen, bitte ich zu verstehen — da möchte ich auch von meiner Position her das Wort des Bundeskanzlers aufgreifen —, daß uns letztlich niemand, auch bester Rat nicht, die Entscheidung abnehmen kann. Wir müssen in der Abwägung aller Argumente vor unserem Gewissen, unserer Überzeugung und in unserer Verantwortung entscheiden. Sie werden vielleicht nicht unsere Überzeugung und das Ergebnis unserer Gewissensentscheidung teilen und billigen; aber ich bitte jeden, der diese Debatte ernsthaft verfolgt, herzlich darum, uns abzunehmen, daß wir alle hier im Haus ernsthaft, im besten und ehrlichen Bemühen vor der Geschichte unseres Landes und in der Verantwortung für unsere Zukunft ehrenhaft und ehrlich entscheiden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Wir haben aber — das kann man auch nicht einfach übergehen — leider auch andere Stimmen gehört, die mit gutem Rat gar nichts zu . tun haben. Ich meine die unerträglich heuchlerischen Belehrungen von Vertretern totalitärer Regime, die sich als Hüter des „Antifachismus" aufspielen und nichts weiter sind als Funktionäre ähnlicher administrierter Unmenschlichkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    In ihrem System dokumentieren sie — das ist in der Tat bitter —, wie wenig sich die Lehre aus den dunklen Zeiten unserer Geschichte in der Welt von heute insgesamt hat durchsetzen können. Aber diese Stimmen erinnern uns an etwas. Wenn und weil die Erinnerung an Auschwitz, Buchenwald, Treblinka unser Herz erfüllt, voll macht, gerade deshalb müssen wir doch in diesem Herzen für die ungesühnten Opfer der Ljubljanka, des Archipel GULag und des Mordstreifens an der Zonengrenze Platz finden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich glaube, nur aus der Geschichte der Jahre 1933 bis 1945 erklärt sich, daß wir immer wieder
    in den Jahren seit Bestehen dieses Hauses über das Institut der Verjährung diskutiert haben. Ohne diesen historischen Hintergrund würden wir heute sicherlich nicht über dieses Thema sprechen.
    Beobachter, die einmal aus größerer zeitlicher Distanz diese Auseinandersetzung nachverfolgen, werden insgesamt wohl auf die Befangenheit der freien Deutschen gegenüber ihrer Vergangenheit schließen, ungeachtet des hohen Niveaus vieler individueller Diskussionsbeiträge. Ich finde, diese Befangenheit ist ehrenwert, sie ist unendlich besser als beispielsweise die betrügerische Bosheit, mit der sich etwa das Ost-Berliner Regime aus den historischen Lasten unseres Landes davonschleicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Autoren der hier zu beratenden Vorlagen haben ja deutlich gemacht, daß es ihnen insbesondere, vielleicht vor allem, um den bedrückenden Nachlaß der Jahre 1933 bis 1945 und — ich glaube, ich interpretiere das richtig — um das Bild der Bundesrepublik Deutschland in der Welt geht. Es war wohl sorgsam bedacht, daß der Fraktionsvorsitzende der SPD die Initiative der Kollegen aus seiner Partei in Israel ankündigte, und es scheint uns doch das erklärte, ja vielleicht sogar das 'hauptsächliche Ziel der Vorlagen zu sein, nicht nur Konsequenzen für die Zukunft aus den historischen Erfahrungen zu ziehen; nein, es ist Sinn und mit Hauptaufgabe, wenn nicht die Hauptaufgabe, rechtzeitig vor dem Termin des 31. Dezember 1979 das Unrecht des Nationalsozialismus nochmals ohne zeitliche Limitierung zu erfassen.
    Das Bundesverfassungsgericht hat, wie Kollege Kleinert ja vorhin schon in Erinnerung gerufen hat, entschieden, daß die Veränderung von Verjährungsregeln für zurückliegende Straftaten statthaft ist. Deshalb können die Antragsteller mit gutem Grund erwarten, daß ein entsprechendes Gesetz nicht am Grundgesetz und nicht an den Richtern in Karlsruhe scheitern wird.
    Ich gestehe offen, daß ich mit jener Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1969 nur schwer zurechtkomme. Die Unterscheidung zwischen dem materiellen Recht, das Rückwirkung ausschließt, und dem Verfahrensrecht, das Rückwirkung zuläßt, scheint mir persönlich immer noch zu formal zu sein.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Da sind Sie nicht allein!)

    Denn das tatsächliche Ergebnis bleibt doch, daß mit der Aufhebung laufender Verjährungsfristen die tatsächliche Rechtsposition des Angeschuldigten, und zwar des zu Recht wie des zu Unrecht Angeschuldigten, rückwirkend verändert wird. Selbst wenn die verfassungsrechtliche Auslegung des Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes in der Verjährungsfrage freie Hand zu geben scheint: Der Rechtsgrundsatz „nulla poena sine lege" — „keine Strafe ohne Gesetz" — muß uns doch zumindest veranlassen — und vielleicht können wir uns darauf verständigen —, mit großer Sorgfalt und mit äußerster Behutsamkeit und Bedachtsamkeit an die bestehenden Strafgesetze heranzugehen.



    Graf Stauffenberg'
    Wir stehen doch, wie ich meine, auch in der Verpflichtung der geschichtlichen Kontinuität dieses Parlaments.

    (Beifall bei Abgeordneten. der CDU/CSU und der FDP)

    Wir können nicht darüber hinweggehen, daß dieses Haus bei allen Veränderungen der Verjährungsvorschriften, obwohl es immer andere Meinungen gab, nach eingehenden Diskussionen mit großer Mehrheit an dem Prinzip der Verjährung für alle Straftaten festgehalten hat, übrigens, wie ich meine, mit gewichtigen und überzeugenden Gründen.
    Lassen Sie mich hinzufügen: Auch der Hinweis, daß es in anderen Rechtsordnungen dieses Prinzip der Verjährung für Mord nicht gibt, hilft uns nicht weiter, weil dann mit dem gesamten Verfahrensrecht anderer Länder, mit dem Beweiserhebungsrecht, mit der Tatsache, daß Geschworene einstimmig beschließen müssen usw. usf., der Vergleich gezogen werden muß. Eine Reduzierung allein auf die Frage „Gilt Verjährung oder nicht" hilft überhaupt nicht weiter. Wir müssen das dann schon komplexer machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Deswegen fürchte ich, daß die hier vorliegenden Vorlagen —. selbstverständlich nicht bewußt und nicht gewollt, aber im Ergebnis doch — mit ihren Wirkungen in keinem günstigen Verhältnis mehr zu den negativen Folgen stehen, die sich aus dem Bruch der Rechtskontinuität und vielleicht einem allgemeinen Eindrudc einer mangelnden Zuverlässigkeit und fehlenden Dauerhaftigkeit unserer Rechtsordnung ergeben. .
    Meine Damen und Herren, die feste, ja, eigentlich die einzig gültige Antwort, die die Deutschen auf das Verbrechensregime des Nationalsozialismus ha- ben geben können, war der Aufbau eines festen, eines verläßlichen, eines achtenswerten Rechtsstaats. Thomas Dehler sprach von einem „Rechtsstaat ohne Wenn und Aber". Zu einem Rechtsstaat gehört, daß er seine Reditsordnungen nach den Erfordernissen der Sache regelt, also so, daß er sein Strafverfahren unter Würdigung aller Argumente und geschichtlichen Erfahrungen, aber dann ' doch an den Erfordernissen eines gerechten, eines sinnvollen, eines durchfährbaren, eines glaubwürdigen Strafverfahrens orientiert.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, es ist offen ausgesprochen, daß die vorliegenden Anträge wenigstens zum Teil, wenn nicht zum überwiegenden Teil ihre Begründung in der drückenden Last der geschichtlichen Erfahrung und in der Sorge um das Bild des freien Deutschlands von heute finden. Diese Gründe sind natürlich ernst zu nehmende Gründe, das sind widitige Gründe. Dennoch haben diese Gründe die bewährten Prinzipien des deutschen Strafverfahrensrechts nicht widerlegt. Sie haben allenfalls die wohlerwogenen Gründe für das Institut der Verjährung in den Hintergrund gedrückt. Meine Damen und Herren, ich bitte, mich jetzt recht zu verstehen und mir hier nicht eine falsche Motivation zu unterstellen, weil das wirklich etwas ist, wovor ich Sorge habe: Für das Ansehen unseres Rechtsstaates, für das Vertrauen, das er beanspruchen muß, wäre es verhängnisvoll, wenn der Eindruck entstünde, dieser Rechtsstaat regle seine Strafverfahren nicht nach den Erfordernissen sinnvoller und' gerechter Strafverfolgung. Um der Integrität unseres Rechts willen darf und kann uns niemand ansinnen und auch niemand dazu bewegen; daß wir unser Strafrecht geschichtlicher Befangenheit oder gar außenpolitischen Erwägungen zur Disposition stellen. Wir würden damit nicht nur unserem Land und unserem Recht, sondern auch den Verbrechensopfern und den Hinterbliebenen einen schlechten Dienst erweisen:

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wir können nicht ein- fach darüber hinwegsehen: es besteht weithin der Eindruck, als ob die Welt ausgerechnet an, der Verjährungsfrage beurteilen wolle, ob sich unser Volk tatsächlich aufrichtig, dauerhaft, bedingungslos vom Nationalsozialismus abgewandt habe. Ich muß sagen, ausgerechnet an der Verjährungsfrage, die für diese Fragestellung gar nichts hergibt. Dieser Eindruck ist beklemmend Hier begegnen wir dem weltweiten Engagement, die drückende Last nationalsozialistischer Vergangenheit aufzuarbeiten, für uns alle und auch für unsere Zukunft und für die, die nach uns kommen. Das ist notwendig. Aber dieses weltweite Engagement geschieht eben manchmal auch mit untauglichen Mitteln, mit tauglichen und mit untauglichen Mitteln. Dazu steht in krassem Gegensatz die weitverbreitete Langmut, die Schicksalsergebenheit wie auch die Gleichgültigkeit, mit denen die heutige Menschheit heutigen Massenverbrechen gegenübertritt. Es ist verhängnisvolle Illusion, zu glauben, das weltpolitisch Böse sei ein für allemal im Nationalsozialismus und Faschismus dingfest gemacht worden.
    Der Ungeist Hitlerscher Menschenverachtung, meine Damen und Herren, lebt auch heute, unter anderer Flagge vielleicht, in anderen Farben, in vielen Teilen unserer Welt. Den Menschen, die heute leiden, geschunden und unterdrückt werden, zu. helfen und unerbittlich Partei für die Menschlichkeit zu ergreifen, das scheint mir das eigentliche, das überragende Vermächtnis zu sein, zu dem uns die Gemordeten verpflichten.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Beifall bei Abgeordneten der FDP)



Rede von Dr. Hermann Schmitt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort
hat der Herr Abgeordnete Dr. Wendig.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Friedrich Wendig


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident.!! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich gehöre in der FDP-Fraktion zu denjenigen, die die Auffassung vertreten, daß aus zwingenden rechtspolitischen Gründen die Unverjährbarkeit von Mord in unser Strafrecht eingeführt werden sollte.
    Die Frage nach der Verjährbarkeit oder Unverjährbarkeit von Mord verlangt eine Antwort, die wir in unserer rechtspolitischen Überzeugung und in unserem Gewissen finden müssen. Wir alle haben



    Dr. Wendig
    danach zu trachten, daß trotz gegensätzlicher Standpunkte keine Gegensätze in unserem Volk aufgerissen werden. Ob der eine oder der andere der bessere oder der schlechtere Deutsche ist, hängt nicht von der Position ab, die er in dieser Frage einnimmt. Das gilt sowohl für die Diskussion innen wie natürlich auch nach außen. Mit diesem Ziel sollten wir aber auch, unabhängig von dem Ausgang dieser Debatte, die notwendigen Gespräche mit den Bürgern unseres Landes führen.
    Gemeinsam ist uns allen der Abscheu vor der NS-Gewaltherrschaft und das Bestreben, alles zu tun, daß in unserem Lande derartiges oder ähnliches verhindert wird.
    Ich möchte zunächst im Vorfeld einige Einwendungen ausräumen, die einem hier und auch draußen entgegengehalten werden, wenn man sich für die Unverjährbarkeit von Mord einsetzt. Manche Kritiker — wir haben das auch heute gehört — verweisen auf die Tatsache, daß sich der Bundestag seit 1960 schon dreimal für die Beibehaltung des Prinzips der Verjährbarkeit von Mord ausgesprochen hat.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Schon seit 1953!)

    An diese Feststellung wird die Forderung geknüpft, das Parlament möge in einer für den Rechtsstaat so wichtigen Frage im Interesse der Kontinuität fundamentaler Rechtsnormen nicht ohne Not von der mehrfach festgeschriebenen Linie abweichen. Das ist im Prinzip ein richtiger Grundsatz. Ich will ihn auch nicht damit abtun, daß ich selbst, ohne dem Deutschen Bundestag damals anzugehören, schon 1965 und 1969 die gleiche Auffassung vertreten habe wie heute,
    Aber es sollte schon zu denken geben, daß der Tatbestand des Völkermordes bereits seit 1969 unverjährbar ist, das Prinzip der Unverjährbarkeit bestimmter, schwerster Delikte also schon heute Bestandteil des geltenden Rechts ist. Seit den Beratungen der Jahre 1965 und 1969 hat die generelle Unverjährbarkeit von Mord in einigen Fraktionen des Bundestages im übrigen immer wieder mit in Frage gestanden. Einen gänzlich neuen Gedanken enthält die Vorlage, über die wir heute diskutieren, mithin nicht. Im übrigen aber: So sehr ich eine gewisse Kontinuität in der Gesetzgebung bejahe, ja für notwendig halte, muß ich andererseits als Gesetzgeber auch in der Lage sein, aus einer, wie ich meine, Fehlentscheidung die notwendigen Konsequenzen u ziehen.
    Von einigen Gegnern der Unverjährbarkeit von Mord wird weiter ausgeführt, daß sie sich in dieser Frage einem Druck von außen ausgesetzt fühlten, dem sie allerdings zu widerstehen gedächten. Ich halte einen solchen Hinweis für keine gute Sache. Richtig ist, wie jedermann weiß, daß in einigen ausländischen Staaten bestimmte Hoffnungen, bestimmte Erwartungen gehegt werden. Was uns jetzt zur Beratung vorliegt, ist indessen eine rein deutsche Angelegenheit, die wir nach unserer Überzeugung und nach unserem rechtsstaatlichen Gewissen entscheiden müssen — so oder so, welche Entscheidung man auch außerhalb unserer Grenzen erwartet.
    Sicher lebt kein Staat in einer isolierten Welt, so daß es ihm nicht gleichgültig sein kann, was um ihn herum geschieht und gedacht wird. Das gilt — das muß man leider sagen — gerade auch für uns Deutsche. Gleichwohl sollte niemand in diesem Hause den Verdacht aufkommen lassen, in einer rein innerdeutschen Anglegenheit würde anders als nach unserer rechtspolitischen Überzeugung geurteilt.
    Wir dürfen uns bei diesem Entscheidungsprozeß auch nicht davon beeindrucken lassen, daß wir für unsere Auffassung eventuell Zustimmung mit Argumenten bekommen, die uns gar nicht passen. Es gibt da Stimmen, die beispielsweise von der Generalamnestie sprechen, die mit der Verjährungsfrage überhaupt nichts zu tun hat. Von den Aufrechnungsstrategen — um das einmal so zu bezeichnen -- will ich gar nicht reden. Das gehört nicht zum Thema. Hier geht es um eine Frage, die wir als Deutscher Bundestag, als deutsche Parlamentarier nach unserer eigenen Überzeugung entscheiden müssen, und um nichts anderes.
    Der letzte allgemeine Einwand fügt sich unmittelbar an den vorangegangenen an. Er wird immer wieder gehört, und er klang auch heute in vielen Diskussionsbeitragen durch. Es geht um den Einwand, die generelle Unverjährbarkeit von Mord sei nicht ehrlich. Manche formulieren es sogar noch schärfer: rei nicht ehrlich, weil man etwas in einen größeren rechtspolitischen Zusammenhang stelle, obwohl doch im Kern nur an Mordtaten in der NS-Zeit gedacht sei. So die Argumentation.
    Ich will gerne einräumen — das wissen wir alle -, daß dieser Komplex 1965 und 1969 sicherlich allein auf die NS-Zeit fixiert diskutiert worden ist. Ich habe das schon damals nicht für gut gehalten, und schon deshalb fühle ich mich persönlich nicht daran gehindert, auch heute zu sagen, daß wir ein allgemein rechtspolitisches Problem vor uns haben, das wir generell lösen müssen, so sehr auch ein bestimmter Zeitraum unserer jüngsten deutschen Geschichte besonders starke Anstöße für solche Überlegungen liefert. Ich will deshalb, um ganz ehrlich zu sein, den Anlaß, der uns bei einem erneuten Überdenken des Verjährungsproblems mit leitet, keineswegs verschweigen.
    Ich will das nicht wiederholen, was beinahe alle meine Vorredner über die Brutalität des Gewaltsystems der NS-Zeit gesagt haben. Es wäre zuviel, wenn ich das wiederholen wollte. Ich sage nur: Ich will den. Anlaß, der mich mit leitet, keineswegs verschweigen. Das darf uns jedoch nicht dazu führen, die Lösung dieser Frage wiederum nur mit dem verengten Blick auf den Komplex der Morde in der NS-Zeit anzugehen. Wenn uns aus der Vergangenheit — jetzt will ich sie einmal anführen — eine Erfahrung zuteil geworden ist, die noch in uns fortlebt, wie ich meine, so diese, daß der Wert des menschlichen Lebens im Zentrum unserer Überlegungen stehen muß. Mord und bestialische Grausamkeit sind auch in der Gegenwart nicht aus der Welt. Einige Redner — auch Herr Kollege Gradl — haben darauf hingewiesen: Nehmen wir die Vernichtung menschlichen Lebens als Anknüpfungs-
    Deutscher Bundestag 8. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1979 11587
    Dr. Wendig
    punkt — so bitte ich das zu verstehen —, so vermag ich zwischen Morden verschiedener Qualität oder aus verschiedener Motivation generell nicht zu unterscheiden.
    Deshalb gehe ich bei meinen Überlegungen von zwei Grunderkenntnissen aus und lasse dabei die Vergangenheit zunächst einmal ein bißchen beiseite, denn wir blicken ja auch nach vorn.
    Erstens. Das menschliche Leben stellt in unserer Rechts- und Verfassungsordnung einen höchsten Wert dar,

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Ein en höchsten Wert!)

    der deshalb gegenüber allen strafrechtlich relevanten Eingriffen in Rechtsgüter eines besonderen Schutzes bedarf. Recht auf Leben und Menschenwürde, die wiederum menschliches Leben voraussetzt, sind die ersten Grundrechte unserer Verfassung — Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 unseres Grundgesetzes —. Mord ist deshalb die größte Störung des Rechtsfriedens, die es in der menschlichen Gemeinschaft, die schließlich auch eine Rechtsgemeinschaft ist, geben kann. Ich bin mir nicht im Zweifel darüber, daß dies auch von der Mehrheit der Bürger so empfunden wird.
    Mit der Erkenntnis, die sich vielleicht durch gewisse Geschehnisse in der letzten Zeit aktualisiert hat, taucht auch die Frage auf, ob nicht das, was wir als liberale Rechtstradition der Verjährung bezeichnen — mit Recht oder Unrecht —, gerade aus der neuen Erkenntnis vom Wert des menschlichen Lebens in unserer Verfassung Anlaß gibt, diese sogenannte Rechtstradition in Frage zu stellen.
    Dies leitet über zu der zweiten Feststellung, nämlich daß Rechtsfrieden auch im Bewußtsein unserer Rechtsgemeinschaft bei so schweren Angriffen gegen das menschliche Leben nicht lediglich durch Zeitablauf bewirkt werden kann.
    Diese Erwägungen veranlassen mich, das Problem der Mordverjährung rechtsgrundsätzlich anzugehen. Es stellt sich damit für mich die grundsätzliche Frage, ob kriminalpolitische, ob rechtspolitische, ob ethische Gesichtspunkte es gebieten und rechtfertigen — man muß beides sehen —, die bereits bei Völkermord bestehende Unverjährbarkeit der Strafverfolgung generell auf Mord auszudehnen. Deshalb halte ich den Versuch, die Unverjährbarkeit von Mord auf bestimmte Komplexe der NS-Zeit einzugrenzen, rechtspolitisch für unvertretbar, selbst wenn ich unterstelle, daß dies verfassungsrechtlich zulässig und rechtssystematisch hinreichend bestimmbar wäre.
    Bei allen früheren Debatten bestand in diesem Hause trotz Meinungsverschiedenheiten in den wichtigen Fragen bei allen Abgeordneten jedenfalls Einigkeit darüber, daß kein Sondergesetz und damit kein Ausnahmerecht geschaffen werden darf. Ich meine, an diesem Prinzip sollten wir auch heute festhalten. Das gilt nach meinem Dafürhalten auch für den Vorschlag meines Kollegen Maihofer, der Ihnen heute nachmittag noch näher begründet werden wird. Dieser Vorschlag beinhaltet, die Unverjährbarkeit des Mordes auf die besonderen Voraussetzungen des Völkermords einzugrenzen. Ich sehe hier keine verfassungsrechtlichen und rechtssystematischen Bedenken. Aber dieser Vorschlag engt den Tatbestand zu sehr ein, so daß gewichtige Tatbereiche — nehmen wir die Euthanasie, nehmen wir die Morde an Deutschen nicht aus politischen Gründen und anderes mehr — einfach vor der Tür bleiben. Es würde so innerhalb vergleichbarer Täterkreise unterschiedliches Recht geschaffen.
    Ich habe darüber hinaus auch Zweifel, ob es in sehr vielen Fällen gelingen wird, dem Täter Absicht, Völkermord zu begehen, nachzuweisen. Es wäre ein schlimmes Ergebnis, könnte bei einem nachgewiesenen Mord eine Strafverfolgung nur deswegen nicht Platz greifen, weil die Absicht, Völkermord zu begehen, dem Täter nicht nachgewiesen werden konnte.
    Wir müssen uns schon zu einer rechtsgrundsätzlichen Grundsatzentscheidung durchringen, die nach meiner Überzeugung nur darin bestehen kann, anstelle der Verjährungsvorschriften für die Strafverfolgung von Mord die generelle Unverjährbarkeit von Mord vorzusehen. Die Gründe, die hiergegen vorgebracht werden, nehme ich sehr ernst. Nach gründlichem Überdenken eines jeden Für und Wider verbleibe ich bei der Auffassung, daß alle Gegenargumente — ich will einige davon aufführen — nicht durchschlagen können.
    Der entscheidende Grund liegt für mich im Ansatzpunkt, nämlich darin, daß die Gegenargumente gemessen werden müssen nach dem Stellenwert, den der Schutz des menschlichen Lebens in unserer Rechtsordnung einnimmt. Da kommen die Fragen: Ist es richtig, daß lediglich der Zeitablauf den Täter in einem solchen Maße verändert, daß der Zweck der Strafe ihn überhaupt nicht mehr erreicht, weil die Strafe dann einen innerlich verwandelten Menschen trifft? Dies mag sicher bei einzelnen — je nach den Umständen — der Fall sein, ohne daß ich auf die Verwandlung der menschlichen Identität hier näher eingehen möchte. Es ist aber sehr die Frage, ob schon eine jeweils individuell verschieden verlaufende Entwicklung es bei Mord rechtfertigt — nur gestützt auf die Tatsache des Zeitablaufs —, von Strafverfolgung abzusehen. Es ist ferner nicht unbedenklich, bei einer Strafverfolgung nach 30 Jahren zwangsläufig eine Störung des Rechtsfriedens unterstellen zu wollen. Kann nicht vielmehr bei Mord der Rechtsfrieden sehr viel empfindlicher dadurch gestört werden, daß ein erkannter Täter in aller Öffentlichkeit außerhalb der Strafverfolgung bleibt? Kann nicht eine Ungleichbehandlung gleicher Täter etwa dergestalt, daß bei dem einen eine Unterbrechung der Verjährung eingetreten war, bei dem anderen aber nicht, den Rechtsfrieden empfindlicher stören?
    Dies, meine Damen und Herren, ist nach meiner Überzeugung nicht mit dem Hinweis aus der Welt zu schaffen, daß die Strafzwecke Resozialisierung und Spezialprävention nach 30 Jahren nichts mehr bewirken können. Wer so argumentiert, bewertet den Gedanken der Resozialisierung bei der Abwägung der einzelnen Strafzwecke zueinander nicht



    Dr. Wendig
    richtig. Nebenbei gesagt: Eine Resozialisierung des Täters mit der Folge, daß weitere Straftaten nicht zu erwarten sind, kann gerade bei Mord schon nach sehr viel kürzerer Zeit eingetreten sein, ohne daß uns dies auch in unserer inneren Motivation daran hindert, die Strafverfolgung weiter zu betreiben. Der Denkfehler — ich möchte von einem Denkfehler sprechen — liegt nach meiner Ansicht darin, daß der Resozialisierungsgedanke unter den Strafzwekken zeitlich zu weit nach vorn gerückt ist und an dieser Stelle zu stark gewichtet wird. Während er bei der Strafverfolgung voll zur Wirkung kommt, muß er bei der Strafverfolgung gegenüber der abschreckenden und damit vorbeugenden Funktion der Strafe zurücktreten. Dies bedeutet aber, daß dem Täter bei einem Mord bewußt sein muß, daß er von einer Strafverfolgung durch Zeitablauf nicht freigestellt sein kann. Erst indem ich die Strafverfolgung für Mord unverjährbar stelle, lasse ich unter dem Gesichtspunkt der Generalprävention dem menschlichen Leben denjenigen Schutz zukommen, den die Strafrechtsordnung ihm überhaupt gewähren kann.
    Es besteht auch, wie ich meine, kein Widerspruch zu den Bestrebungen, die prüfen, unter welchen zeitlichen und anderen Voraussetzungen bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe Strafaussetzung auf Bewährung gewährt werden kann. Neben Verbüßung eines erheblichen Teils der Strafe nach Urteil wird hier nämlich individuell geprüft, ob eine Resozialisierung des Täters auch unter Berücksichtigung der Schwere der Tat und Schuld angenommen werden kann. Meine Damen und Herren, wir erkennen also: Selbst nach einem richterlichen Urteil reicht der objektive Tatbestand Zeitablauf für sich nicht aus. Ich meine: Um so weniger kann bei Mord der Resozialisierungsgedanke allein schon die Nichtverfolgung von Straftaten begründen.
    Ich vermag weiter der rechtspolitischen Erwägung — jedenfalls bei Mord — nicht zu folgen — das ist eine sehr wichtige Erwägung; das gebe ich zu —, daß der Lauf der Zeit das staatliche Strafbedürfnis zum Erlöschen bringen müsse mit der Schlußfolgerung, der Staat müsse im Interesse des Rechtsfriedens auf eine letzte Gerechtigkeit verzichten, die ohnehin nie erreichbar sei. Dieser Grundsatz ist richtig. Nur: wie ist er anzuwenden? Wir haben gerade in jüngster Zeit erlebt, wie sehr die Rechtsgemeinschaft bei Völkermord und Mord Rechtsfrieden noch nicht als eingetreten ansieht. Im übrigen ist eines, meine Damen und Herren, sicher richtig: Staatliche Gesetze sind ebenso Menschenwerk wie Urteile unabhängiger Richter. Niemand von uns ist so vermessen, anzunehmen, mit dem, was wir hier beschließen, Ansprüchen letzter Gerechtigkeit gerecht werden zu können. Nur in dieser Beschränkung und Selbstbescheidung können wir im Parlament Rechtspolitik betreiben. Diese Erkenntnis schließt aber nicht unsere Verpflichtung aus, immer nach einem Höchstmaß an Gerechtigkeit zu streben, um ein Höchstmaß an Gerechtigkeit bemüht zu sein.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und bei der SPD — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/ CSU]: Das sind wir ja wohl alle!)

    Sicher gibt es Fälle, bei denen es der Gegenstand der Rechtsverletzung gestattet, die verbindlichen Maßstäbe niedrig anzulegen. Diese Erwägung rechtfertigt die abgestuften Verjährungsfristen bei den einzelnen Delikten. Bei Mord indessen bin ich nach meiner Überzeugung als Gesetzgeber gehalten, die Entscheidungskriterien so hoch wie möglich anzusetzen.
    Bei allen Gegenargumenten wird schließlich das Element der schwersten Schuld, die bei Mord mehr als anderswo Gewicht hat, zu sehr außer Betracht gelassen. Wenn auch Resozialisierung und Sozialprävention die obersten Strafzwecke sind, so können doch Sühne des verletzten Rechts und Gerechtigkeit bei Mord nicht unberücksichtigt bleiben. Erste Voraussetzung für den Eintritt des Rechtsfriedens ist bei Mord das richterliche Urteil. Voraussetzung für Maßnahmen der Strafaussetzung und Gnade sind danach Einsicht in eigene Schuld und Reue.
    Erst an letzter Stelle nenne ich die ohne Zweifel wichtige Frage, in welchem Umfang nach größeren Zeitabläufen gerichtliche Verfahren noch zuverlässig nach rechtsstaatlichen Grundsätzen durchgeführt werden können. Dieses Argument wiegt gerade bei den Massenverfahren aus der NS-Zeit besonders schwer. Auch ich verkenne die Schwierigkeiten dieses Problems keineswegs.
    Wenn ich zunächst einmal von den Massenverfahren absehe, so muß ich allerdings sagen: Heute sind Kriminalistik und Kriminaltechnik weit eher in der Lage, Täterspuren und Beweismittel über Jahrzehnte zu sichern. Dies unterscheidet uns z. B. von dem Jahr 1851, in dem die Verjährbarkeit von Mord in das preußische Strafgesetzbuch eingeführt worden ist.
    Wie ich meine, können Unzulänglichkeiten in der Beweislage, die wir alle sehen — damit komme ich zu den Massenverfahren zurück —, keine ausreichende Grundlage dafür bieten, die Strafverfolgung von Mord nach Ablauf einer bestimmten Frist überhaupt aufzugeben. Sicher mag Einstellung des Verfahrens oder Freispruch kein Ergebnis sein, das uns gerade bei den noch laufenden und künftigen Mordprozessen aus der NS-Zeit befriedigt. Dies berührt die Erwägung, inwieweit überhaupt Handlungen oder Unterlassungen des Gesetzgebers für sich geeignet sind, kriminelle Restbestände aus der NS-Zeit historisch aufzuarbeiten; das ist eine andere Frage, auf die ich gleich noch zu sprechen kommen werde.
    Vor allem aber gilt hier wie für alle anderen Einwendungen, die ich gegen die Unverjährbarkeit aufgeführt habe, eines: Solange das Instrument der Unterbrechung der Verjährbarkeit gilt, läßt sich kein einziges überzeugendes Argument gegen die Unverjährbarkeit von Mord vorbringen. Wie soll ich mit dem Problem fertig werden, daß beispielsweise im 29. Jahr — es ist ein extremes Beispiel — die Verjährung unterbrochen wird und danach weitere 30 Jahre laufen kann, wenn ich nicht bereit bin, die Unterbrechung der Verjährung abzuschaffen, was im Sinne der Verjährungsanhänger, wie ich meine, nur konsequent wäre?



    Dr. Wendig
    Manche argumentieren gegen die Unverjährbarkeit sogar mit dem Hinweis — wir haben ihn auch heute gehört -, bei den vermutlich noch ausstehenden Verfahren wegen Verbrechen in der NS-Zeit sei durch Akte der Verjährungsunterbrechung eine Strafverfolgung bis über das Jahr 2000 hinaus möglich. Diese Kritiker meinen, mit diesem Hinweis eine Regelung über die Unverjährbarkeit praktisch überflüssig gemacht zu haben. Sie merken, wie ich meine, indessen nicht, daß sie gerade hierdurch ihren eigenen Argumenten — Beweisschwierigkeiten, Änderungen der Täterpersönlichkeit, Erlöschen des Strafanspruchs — praktisch den Boden entzogen haben.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Ich halte daher meine Entscheidung für die generelle Unverjährbarkeit bei Abwägung aller Argumente für geboten. Sie widerspricht auch nicht unserem liberalen Verständnis von Strafrecht und von Sinn und Zweck menschlicher Gerechtigkeit.
    Ich weiß, daß man es hier als liberaler Politiker auf den ersten Blick, so möchte ich sagen, besonders schwer hat, weil jedes Argument für die Unverjährbarkeit an dem hohen rechtsstaatlichen Rang der Argumente gemessen wird, die Thomas Dehler in der Verjährungsdebatte des Jahres 1965 an dieser Stelle sehr eindrucksvoll vorgetragen hat. Nur bin ich nach gründlichen Überlegungen zu dem Ergebnis gelangt, daß im Hinblick auf den Wert des menschlichen Lebens — darauf baue ich meine ganze Argumentation auf — die Frage einer Unverjährbarkeit der Strafverfolgung bei Mord für die Entwicklung liberaler Vorstellungen im Strafrecht nicht im Wege steht.
    Ich betrachte die Rechtsposition meiner politischen Freunde, die an der Verjährbarkeit festhalten wollen, mit großem Respekt. Nur vermag ich ihren Argumenten nicht zu folgen, ohne daß ich — das möchte ich hier sagen — darin einen Bruch mit unserer liberalen Rechtstradition erblicke.
    Ganz gleich, meine Damen und Herren, wie wir uns im Ergebnis entscheiden — über eines dürfen wir uns nicht täuschen. Das berührt einen Komplex, den gerade auch Kollege Graf Stauffenberg sehr ausführlich und eindrucksvoll angesprochen hat: Weder die eine noch die andere Entscheidung wird in der Lage sein, alle kriminellen Restbestände aus der NS-Zeit sozusagen historisch aufzuarbeiten — wenn ich mich einmal dieses saloppen Ausdrucks bedienen darf. Weder Täter, die sich nach Ablauf der Verjährungsfrist in unserem Lande ungestört bewegen können, noch Freisprüche mangels Erweislichkeit sind erfreuliche Perspektiven für die Zukunft. Wir Deutsche müssen noch lange mit der Erkenntnis leben, daß Gesetze auf diesem Feld nur wenig ausrichten können. Auch die Justiz kann die politische Aufgabe, die dahintersteht, sicherlich nicht lösen. Dieser Auffassung bin ich ganz uneingeschränkt, wie die anderen auch.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Aber das entbindet uns doch nicht von der politischen Frage, die — ganz gleich, wie wir die Frage
    der Verjährung lösen — vor uns allen, gerade auch vor dem Parlament und seinen Parteien steht. Die politische Aufgabe besteht darin, mehr als bisher dazu beizutragen, daß die Zeit der NS-Gewaltherrschaft in unserem historischen und politischen Bewußtsein besser selbstkritisch verarbeitet wird. Es ist zwar richtig, daß das Volk, unser deutsches Volk, sich längst von den Morden und von den Untaten der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft distanziert hat. Aber es gibt hier noch Lücken. Das will ich ganz offen sagen. Dabei spreche ich nicht von Kollektivschuld, wohl aber davon, den Fragen, die unsere jüngste Geschichte auch noch heute uns aufgibt, sich offener zu stellen, als das bisher manchmal in unserem Lande der Fall war.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Eigene, persönliche höchste Not, Verlust der Heimat, Verlust naher Angehöriger, Zerstörung der wirtschaftlichen Existenz und vieles andere mehr haben nach 1945 bei vielen den Blick zu sehr auf den eigenen, den persönlichen Bereich verengt. Das ist menschlich verständlich, aber es hat für die Entwicklung unseres politischen Denkens und für die geschichtliche Kontinuität unseres Verständnisses von staatlicher Gemeinschaft nicht immer Früchte getragen. Ich wage die Frage, ob nicht die große Distanz zwischen den Generationen hierzulande auch darauf zurückzuführen ist, daß nicht rechtzeitig kritisch nachgedacht und Erkenntnisse uneingeschränkt an die jüngere Generation übermittelt worden sind.

    (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Vielleicht ist es auch heute noch nicht zu spät. Erst wenn diese Aufarbeitung geleistet ist, sind wir als Volk, sind wir als deutsches Volk — Jüngere wie Ältere — wahrhaft frei. Erst das Bekenntnis auch zu den dunkelsten Perioden unserer Geschichte macht uns frei, auf andere Punkte in der Welt hinzuweisen, wo ebenfalls menschliches Unrecht geschieht.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Dieses Bekenntnis macht uns ferner frei, sich der eigenen Geschichte in ihren besseren Perioden voll Stolz bewußt zu sein. Es eröffnet schließlich für die junge Generation, die in unser Volk hineingeboren ist, den Weg in eine Zukunft, in der sie dann die Last unserer Vergangenheit nicht mehr zu tragen haben wird. Dies ist eine Aufgabe, an der uns allen, vor allen Dingen den Älteren in unserem Lande, gelegen sein. muß.
    Gestatten Sie, daß ich zum Schluß auch noch einmal Carl-Friedrich von Weizsäcker zitiere, der in seinen Ausführungen zur Woche der Brüderlichkeit für unsere Debatte mit einigen Zitaten sehr ergiebig gewesen ist. Ich muß auf das zurückkommen, was auch schon Herr Emmerlich gesagt hat, auf die Worte, mit denen Herr von Weizsäcker davon sprach, daß Gerechtigkeit ohne Gnade nicht bestehen kann. Ich glaube, niemand ist in diesem Haus, der diesem Satz seine Zustimmung versagen wollte. Gnade, menschliche Gnade, setzt aber Einsicht in eigene Schuld voraus. Die Stunde der Gnade



    Dr. Wendig
    kann erst dann gekommen sein, nachdem der irdische Richter seinen Schuldspruch gefällt hat.
    Niemand spricht heute zu diesem Thema für seine Fraktion. Jeder spricht für sich selbst oder für eine Gruppe von Kollegen. Wir erleben eine Debatte, die wahrhaft offen ist und, wie ich sehe, auch in vollem Respekt vor der Meinung des anderen geführt wird.

    (Josten [CDU/CSU] : Sehr wahr!)

    Dennoch gestatten Sie mir den Ausdruck meiner Zuversicht, daß es im Laufe der Beratung gelingen wird, Kollegen, die bisher anderer Meinung sind, davon zu überzeugen, daß ihre Stimme für die Unverjährbarkeit von Mord am Ende dann doch die richtige Entscheidung ist.

    (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)