Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich jetzt noch das Wort ergreife, so sind Sie jedenfalls zur Kritik nicht befugt, denn Ihr Sprecher, Herr Dr. Barzel, hat hier in einer für die deutsche Außenpolitik wichtigen Frage vom zuständigen Ressortminister eine Klarstellung verlangt. Diese werde ich geben.
Ich möchte mich nicht in die Lage bringen lassen, daß hinterher gesagt werden kann, ich hätte geschwiegen, obwohl es notwendig gewesen wäre, zu sprechen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es kann doch gar kein Zweifel bestehen, daß die MBFR-Verhandlungen von ganz entscheidender Bedeutung für die künftige Entwicklung in Europa und in der Welt sind, auch wenn sie sich nur auf Mitteleuropa beziehen. Ich meine, daß man sie nicht isoliert sehen darf, sondern vor dem Hintergrund der Gesamtentwicklung östlich und westlich von uns. Es hat
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Bundesminister Genscher
mich tief erschüttert, daß bei der Bemerkung des Kollegen Brandt, man könne doch nicht davon sprechen, daß die Demokratie in Europa auf dem Rückzug sei, aus den Reihen der Opposition ein mißbilligendes Geraune kam. Meine Damen und Herren, haben Sie denn kein Gefühl dafür, was es für die Rahmenbedingungen unserer Sicherheit bedeutet, daß in zwei wichtigen uns verbündeten Staaten, nämlich in Portugal und Griechenland, und in einem uns nahestehenden Land wie Spanien endlich der Weg zur Demokratie angetreten worden ist?
Es ist ein Unterschied, ob ein verbündeter Staat, gegen den Willen des Volkes von Obristen regiert, in das Bündnis integriert ist oder ob es freie Demokraten in diesem Lande sind, die sich zur NATO und zur Mitwirkung im Bündnis bekennen.
Ich wollte an dieser Stelle keine Parteiwerbung betreiben, aber ich denke, das verdient hervorgehoben zu werden.
Und es sollte niemanden wundern, daß die Demokraten in diesen drei Ländern in besonderer Weise auf die Bundesrepublik Deutschland blicken. Das hat zwei Gründe. Sie tun es einmal, weil es in diesem Lande gelungen ist — ich nehme hier die Mitwirkung keiner Partei aus —, ein Modell der Freiheit für Europa zu zeigen. Sie tun es allerdings zweitens auch deshalb, weil es in diesem Lande verantwortliche Politiker gegeben hat, die frühzeitig mit denen, die verfolgt waren und heute Verantwortung tragen, Verbindungen gehalten haben, häufig unter Kritik aus Ihren Reihen.
Es ist eben nicht so, meine Damen und Herren, daß der Westen ohne Konzeption dasteht. Über Konzeptionen, über mangelnde Vorausschau — wir werden darüber ja in der außenpolitischen Debatte noch zu reden haben — könnte man eine Menge sagen. Ich frage mich zum Beispiel, warum nicht im Zeichen des wirtschaftlichen Aufschwungs der 50er und 60er Jahre in der Europäischen Gemeinschaft die notwendigen Strukturinvestitionen in den wenig entwickelten Gebieten vorgenommen worden sind, um die Gleichheit der Lebensverhältnisse zu schaffen, so daß wir nicht heute unter schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen gezwungen wären, das nachzuholen, um dort die Grundlagen für den Eurokommunismus zu beseitigen.
Was die Haltung der Bundesrepublik Deutschland zu den MBFR-Verhandlungen angeht, darf ich — —
— Meine sehr verehrten Damen und Herren, dann möchte ich etwas aufnehmen, was Kollege Barzel gesagt hat: Wenn eine solche Debatte ihren Sinn haben soll, wenn sie am Beginn einer Legislaturperiode mit dem Ziel geführt wird, auch ein Stück von dem beiseite zu räumen, was uns belastet hat, müssen wir auch die Kraft haben, kritisch über Zei-
ten zu sprechen, in denen wir zum Teil — oder manchmal auch nicht — Regierungsverantwortung mitgetragen haben. Er hat gesagt: das richtet sich an alle, auch an uns. Ich sage das auch für unsere Seite. Niemand ist doch unfehlbar. Ich kann das jetzt nur noch einmal feststellen. Wenn wir aber jetzt die Erkenntnis mitnähmen, daß es notwendig ist, den Bürgern in unserem Lande zu sagen, daß wir vier Dinge gleichzeitig leisten müssen — in diesem Lande den Wohlstand zu erhalten, der Dritten Welt zu helfen, ihre Probleme zu lösen, die Demokratie in Europa durch bessere wirtschaftliche Bedingungen in den anderen Ländern zu festigen und gleichzeitig in unseren Verteidigungsanstrengungen nicht nachzulassen — und daß dafür Opfer notwendig sind, wenn das die gemeinsame Erkenntnis aller Parteien aus dieser Debatte wäre, hätten wir gemeinsam etwas gewonnen, ob wir Regierung oder ob wir Opposition sind.
Lassen Sie mich nun, weil ich Ihre Geduld wirklich nicht unnötig strapazieren will, auf das zurückkommen, was die NATO-Außenminister in diesem Monat festgestellt haben:
Die Minister betonten — so heißt es hier; und da nehme ich Bezug auf das, was Herr Kollege Brandt gesagt hat —, daß die Zustimmung zum Ziel einer übereinstimmenden, kollektiven Gesamthöchststärke und Reduzierungen amerikanischer und sowjetischer Landstreitkräfte in der ersten Phase einen bedeutsamen und praktischen ersten Schritt in Richtung auf die übereinstimmende, kollektive Gesamthöchststärke darstellen würde,
die durch weitere Reduzierungen in der zweiten Phase erreicht werden würde.
Hier sind die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion vorweggenommen erwähnt.
Nun noch einmal unsere Position: Es ist unser Ziel, mit den MBFR-Verhandlungen die Herstellung der Personalparität zu erreichen. Und wir haben zusammen mit unseren Verbündeten ausdrücklich festgestellt, daß die Disparität bei den Kampfpanzern verringert werden muß. Es besteht in der Regierungskoalition überhaupt kein Zweifel, daß sich das nach den Gesichtspunkten der Kollektivität vollziehen muß, weil wir eben keine Sondervereinbarung über die Bundesrepublik Deutschland und über die Bundeswehr haben wollen.
Das hat auch Herr Brandt nicht verlangt.
Schließlich, damit wir es nicht vergessen: Es ist genauso notwendig, daß wir auch über europäische Waffen und Geräte keine Sonderabsprachen treffen. Wir müssen den Weg auch für eine Annäherung unserer Verteidigungspolitik unter den europäischen Partnern innerhalb der NATO freihalten.
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Bundesminister Genscher
Unsere Position, die ich hier noch einmal dargelegt habe, ist völlig klar. Ich denke, es besteht kein Anlaß, diese unsere Position in Zweifel zu ziehen.
Ein Wort zum Schluß. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung einen Satz gesagt, der eigentlich die Zustimmung aller Fraktionen verdient, nämlich den Satz, der da lautet: Das Wahlergebnis ist zugleich eine Bestätigung für die Stabilität unserer demokratischen Ordnung. Damit haben wir doch nicht gemeint, daß die FDP und die Sozialdemokraten die Mehrheit bekommen haben, sondern damit haben wir gemeint, daß in diesem Land die demokratischen Parteien gemeinsam einen überzeugenden Sieg erreicht haben. Das könnten wir doch gemeinsam unterstreichen.
Erlauben Sie mir noch zu sagen, daß wir ein wenig stolz auch darauf sind, daß wir durch unsere Politik daran mitgewirkt haben, daß die Extremisten in diesem Land keine Chance haben. So meinen wir es, wenn wir sagen, daß wir anderen Ländern helfen wollen, ihre Probleme zu lösen, damit auch in ihren Ländern die demokratischen Strukturen gestärkt werden. — Ich danke Ihnen.