Rede von
Hildegard
Schimschok
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich in meinen Ausführungen zu dem Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts im wesentlichen auf das Recht der Ehewirkungen, das Kindeswohl und das Unterhaltsrecht beschränken. Es wäre in diesem Zusammenhang interessant, auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der letzten 100 Jahre, durch welche die Familie stark tangiert wurde, einzugehen. Aber das würde den Rahmen meiner Rede sprengen.
Der Entwicklung in der Gesellschaft und somit auch in der Ehe haben wir als Gesetzgeber Rechnung zu tragen. Die Familie ist nichts Statisches, für alle Zeiten Unwandelbares, sondern unterliegt wie alle Organisationsformen menschlichen Zusammenlebens einem immerwährenden Wandel. Selbstverständlich wollen wir Sozialdemokraten, daß eine Ehe auf Lebenszeit geschlossen wird. Wenn dies auch anfangs nicht ausdrücklich im Entwurf stand, so kam doch das Ziel der Gemeinschaft für das ganze Leben in der Formulierung „Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet" zum Ausdruck.
Um Mißverständnissen, ja Mißdeutungen vorzubeugen, sahen wir uns gezwungen, mit dem Passus „Die Ehe wird auf Lebenszeit geschlossen" das Recht der Ehewirkungen einzuleiten. Darüber hinaus ist in § 13 Abs. 2 des Ehegesetzes festgelegt, daß die Verlobten ihre Erklärung, die Ehe miteinander schließen zu wollen, nicht unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung abgeben können. Dies ist übrigens die im Familienrecht allgemein verwandte Formel zur Bezeichnung einer grundsätzlich lebenslangen Bindung.
Da zwischen öffentlicher Meinung und Gesetzgebung eine Wechselwirkung besteht, bin ich sicher, daß das hier zur Verabschiedung anstehende Gesetz den Prozeß der Bewußtseinsumbildung betreffend Partnerschaft in der Ehe und somit auch Partnerschaft in der Familie fördern wird. Ein Indiz hierfür ist schon der Unterschied in der Diskussion um diesen Themenbereich in der Öffentlichkeit vor ein paar Jahren und gegenwärtig.
Es wächst in verstärktem Maße die Einsicht und Bereitschaft zur Partnerschaft in der Ehe. Dadurch wird der Freiheitsraum der Frau erweitert, und es kommt zu mehr Gerechtigkeit. Meine Damen und Herren, gerade das soll durch die Reform des Ehe-und Familienrechts erreicht werden.
Das neue Gesetz wird nicht im luftleeren Raum
stehen, sondern — und dafür spricht vieles — von
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1975 14465
Frau Schimschok
den Menschen angenommen werden; ja, unsagbar viele warten auf diese Reform.
Wenn ich von der Bewußtseinsumbildung der Ehegatten zugunsten echter Partnerschaft sprach, die durch dieses Gesetz gefördert werden soll, so verspreche ich mir davon auch Wirkungen auf die Kinder und darüber hinaus auf die größere Gemeinschaft. Wenn Kinder durch das Vorbild der Eltern lernen, daheim Partnerschaft zu üben, sind sie eher bereit, anderen Menschen partnerschaftliches Verhalten entgegenzubringen.
Die Opposition wollte in § 1353 die Verpflichtung zu Treue und Beistand einfügen. Meine Damen und Herren, Treue ist eine edle menschliche Eigenschaft. Entweder hat man sie, oder man hat sie nicht; sie ist eine Eigenschaft, die leider nicht vom Gesetzgeber erzwingbar ist. Zu einer guten Ehe gehört noch weit mehr als Treue und Beistand, meiner Meinung nach z. B. auch absolute Ehrlichkeit. Beistand wird schon durch die eheliche Lebensgemeinschaft gefordert. Was bedeutet letzten Endes eine Gemeinschaft im kleinen wie im großen, von der Ehe bis hin zu weltumfassenden Institutionen, wenn der eine dem anderen nicht beisteht? Ich stelle mir ernsthaft die Frage, was ein derartiges Postulat in einem Gesetz soll.
Durch den geltenden § 1356 wird die Tätigkeit der Frau im wesentlichen auf den Haushalt fixiert. Abs. 1 dieses Paragraphen lautet:
Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.
Dem zur Verabschiedung anstehenden Gesetz nach sollen beide Ehegatten das Recht haben, erwerbstätig sein zu können. Beide, nicht nur die Frau, haben bei der Wahl und Ausübung einer Erwerbstätigkeit auf die Belange des anderen Ehegatten und der Familie, wozu vor allem die Kinder gehören, die gebotene Rücksicht zu nehmen. Die Haushaltsführung sollen sie im gegenseitigen Einvernehmen regeln. Die Kompetenz des Gesetzgebers würde bei weitem überschritten, wenn er glaubte, den Ehegatten vorschreiben zu können, wer welche Aufgaben in der Ehe übernimmt. Dies soll einzig und allein der Entscheidung der Partner überlassen bleiben. Vor allem kann die Frau nach der Reform des Eherechts vom Manne nicht mehr gezwungen werden, im Hause zu bleiben, weil für ihn das Nichterwerbstätig-sein-Müssen zu einer Prestigefrage wird. Es gibt leider noch zu viele Männer, die den Standpunkt vertreten: „Meine Frau hat es nicht nötig, mitzuverdienen; ich kann meine Familie allein ernähren", ohne daran zu denken, daß eine Erwerbstätigkeit der Frau oft die fehlende Befriedigung bringt und mit zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit beiträgt.
Ein eklatanter Widerspruch besteht zur Zeit zwischen dem § 1356 und dem § 1360. § 1356 fixiert die Tätigkeit der Ehefrau auf den Haushalt, aber § 1360 verpflichtet die Ehefrau, erwerbstätig zu sein, wenn
das Einkommen für die Existenz der Familie nicht ausreicht. Einmal darf sie nicht, ein andermal muß sie erwerbstätig sein. Man merkt, daß dieses Gesetz von Männern geschaffen worden ist, denn von einer Verpflichtung des Mannes, im Hause mitzuwirken, steht in ihm nichts.
Wenn man uns Sozialdemokraten vorwirft, wir wollten das Leitbild der „Hausfrauenehe" beseitigen und das der berufstätigen Ehefrau einführen, so ist das purer Unsinn.
Wir wollen in dieser Hinsicht gar kein Leitbild, weil es in einer pluralistischen Gesellschaft unmöglich ist, ein für alle mehr oder weniger verbindliches Leitbild zu schaffen. Die Ehepartner sollen — ich betone es noch einmal — über die Gestaltung ihrer Ehe selbst entscheiden können. Wenn eine Frau glaubt, im Hause bleiben zu müssen, um ihre Kinder nach besten Kräften zu fördern, dann haben wir vor dieser Entscheidung größte Achtung. Wesentlich ist letzten Endes, daß jeder dazu beiträgt, alle Mitglieder der Familie so weit wie eben möglich glücklich zu machen und jedem ein Höchstmaß an Selbstverwirklichung zu gewähren.
Meine Damen und Herren, in der Öffentlichkeit hat man kein Verständnis für den Antrag der CDU im Rechtsausschuß, daß eine Ehe, obwohl sie unheilbar zerrüttet ist, nicht geschieden werden soll — diese Forderung ist auch heute morgen wieder erhoben worden —, wenn die Aufrechterhaltung der Ehe im Interesse der aus der Ehe hervorgegangenen minderjährigen Kinder notwendig ist. Ich wiederhole: unheilbar zerrüttet. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, sind Sie sich dessen bewußt, daß ein Elternhaus, in dem sich Vater und Mutter ständig streiten, ja sogar schlagen, für Kinder zu einer Hölle werden kann?
Kennen Sie die Ängste der Kinder, wenn sie aus der Schule kommen und nicht wissen, was mal wieder zu Hause los ist? Wissen Sie auch, daß sich Kinder zu gern mit ihren Eltern identifizieren möchten? Haben Sie erlebt, daß Kinder seelisch geschädigt, ja unheilbar geschädigt wurden, daß sie voller Komplexe steckten, weil sie ihre Eltern nicht für gut halten konnten, was sie doch so gern möchten, ja, daß sie sich ihrer Eltern wegen schämten? Gehen Sie bitte zu den Jugendämtern und lesen Sie dort die traurigen Berichte über Kinder aus zerrütteten Ehen, die infolge der Spannungen geprügelt und mißhandelt wurden! Wo bleibt da das Kindeswohl? Auf Grund meiner beruflichen Erfahrung möchte ich sagen, daß eine unheilbar — ich betone: unheilbar zerrüttete Ehe im Interesse der Kinder geschieden werden muß,
14466 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1975
Frau Schimschok
um irreparable Schäden bei den Kindern zu verhindern und sie bei einem Elternteil in Ruhe leben zu lassen.
Außerdem, meine Damen und Herren, hat der Richter gemäß § 614 der Zivilprozeßordnung die Möglichkeit, übereilte Scheidungen zu verhindern, indem er das Verfahren auf Scheidung aussetzt, wenn nach seiner freien Überzeugung Aussicht auf Fortsetzung der Ehe besteht. Bei einer Trennung von drei Jahren soll die Aussetzung des Verfahrens sechs Monate nicht überschreiten. Damit soll den Ehepartnern Gelegenheit gegeben werden, das Scheidungsbegehren noch einmal in Ruhe zu überdenken. Sollten sie — ich weiß nicht, ob Herr Kollege Mikat da ist; ich sehe ihn nicht — im Interesse der Kinder zu dem Entschluß kommen, mit einem Partner, den sie nicht mehr lieben, äußerlich harmonisch zusammenleben zu wollen, so bedarf diese Entscheidung einer menschlichen Größe. Aber wenn sie diese menschliche Größe haben, brauchen sie den gesetzlichen Zwang nicht. Ich stelle mir wirklich die Frage: Warum soll hier der gesetzliche Zwang sein?
Wir haben uns bemüht, den Kindern aus geschiedenen Ehen immateriell und materiell so weit wie eben möglich zu helfen. Durch den § 1610 im Unterhaltsrecht soll das eheliche Kind, welches im Haushalt eines geschiedenen Elternteils lebt, mindestens den Unterhalt in Höhe des für ein nichteheliches Kind der entsprechenden Altersgruppe festgesetzten Regelbedarfs erhalten.
Hierdurch soll erreicht werden, daß die geschiedenen Frauen nicht immer wieder um den Unterhalt für das Kind kämpfen müssen, sondern sie, wie die Mütter nichtehelicher Kinder, an der alle zwei Jahre erfolgenden Erhöhung des Unterhaltsgeldes teilhaben.
Unsere Bemühungen, durch die Reform des Ehe- und Familienrechts mehr Gerechtigkeit in der Ehe und als Konsequenz auch bei den Scheidungsfolgen zu realisieren, finden ihren Niederschlag in dem gesamten Unterhaltsrecht nach der Scheidung. Das geltende Unterhaltsrecht für geschiedene Ehegatten weist große Ungerechtigkeiten auf, weil die Gewährung oder Nichtgewährung von Unterhalt von der Schuldfrage abhängt. Wie fragwürdig der Nachweis der Schuld am Scheitern der Ehe ist, brauche ich kaum näher zu begründen. Es ist nicht feststellbar, ob eine schwere Eheverfehlung des einen Ehegatten ursächlich die Ehe zerrüttet hat oder ob die Zerrüttung eine Folge vieler kleiner Eheverfehlungen des anderen ist. Meine Damen und Herren, kann man beim Scheitern einer Ehe so oft von Schuld sprechen? Ist es nicht menschlicher, wenn man dieses Scheitern auch als etwas Schicksalbedingtes betrachtet, worunter beide Ehegatten leiden?
Das entscheidende Kriterium für einen Unterhaltsspruch soll die ehebedingte Unterhaltsbedürftigkeit sein. Der wirtschaftlich schwächere Ehegatte — das ist gegenwärtig noch in der Regel die Frau — soll von dem geschiedenen Ehegatten Unterhalt be-