Rede von
Friedhelm
Halfmeier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir von der sozialdemokratischen Fraktion begrüßen es außerordentlich, daß die Bundesregierung in der Drucksache VI /2817 nunmehr eine Umsatzsteuernovelle vorlegt, die die Erfahrungen, die in vier Jahren in der Praxis gemacht worden sind, in das Gesetz einbaut. Sie will durch all die Klarstellungen, Erleichterungen und Korrekturen erreichen, daß dieses Gesetz in der Zukunft griffiger und praktischer anwendbar wird. Ich meine, Herr Kollege Schulhoff, dazu braucht man auch einige Jahre an Erfahrung. Wir meinen, daß der Zeitpunkt, um diese Erfahrungen zu verwerten, jetzt gekommen ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Kernstück dieser Novelle ist zweifellos § 19 mit der Kleinbetriebsregelung, von der auch der Herr Kollege Schulhoff eben ausführlich gesprochen hat. Er hat bereits erwähnt, daß § 19 alt des Mehrwertsteuergesetzes seinerzeit die Bruttoumsatzbesteuerung für Unternehmen mit niedrigem Jahresumsatz beibehielt, weil man den Bedenken der Kleinunternehmer Rechnung tragen wollte, die befürchteten, daß ihre Verwaltungskraft nicht ausreiche, um mit
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 157. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Dezember 1971 9043
Halfmeier
diesem neuen Mehrwertsteuergesetz fertigzuwerden. Diese Aufgabe hat § 19 alt heute erfüllt. Die Kleinunternehmer sind mit dem Gesetz zweifellos besser fertig geworden, als sie es sich selbst zugetraut hatten. Schon im Jahr der Einführung der Mehrwertsteuer, im Jahre 1968 also, hatte mehr als die Hälfte der 650 000 Kleinunternehmer mit einem Jahresumsatz bis zu 60 000 DM von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, für die Mehrwertsteuer zu optieren. § 19 alt hat aber — das ist unbestritten — durch diese Regelung zweifellos Wettbewerbsverzerrungen mit sich gebracht. Das ist gerade von den Betrieben mit hoher Wertschöpfung sehr häufig beklagt worden. Wenn nun § 19 neu die Kleinunternehmen ebenfalls in das System der Nettobesteuerung einbezieht, so wird dieses damit ein wenig korrigiert. Die dort vorgesehenen Steuerabzugsbeträge werden gerade den Unternehmen mit hoher Wertschöpfung besser gerecht; sie haben davon einen größeren Vorteil als die übrigen. Aber die Steuerabzugsbeträge sind an der Ertragskraft der Unternehmen orientiert und auf sie abgestellt. Dies, scheint mir, ist ein ganz neues Element, das in die Mehrwertsteuer eingeführt wird. Es bringt insbesondere für die bisherigen Optanten eine Entlastung von insgesamt 110 Millionen DM jährlich. Man muß allerdings auch sagen, daß es unter den 650 000 Unternehmern andere gibt, die mehr zahlen müssen als bisher. Diese Belastung beträgt rund 25 Millionen DM. Saldiert kommt also für alle Unternehmen bis zu einem Jahresumsatz von 60 000 DM eine Entlastung von rund 85 Millionen DM heraus. Das sollte man festhalten. Ich meine, das ist ein gar nicht so kleiner Brocken.
— Früher, das ist aber schon sehr lange her.
Meine Damen und Herren, durch diese Neuregelung werden Wettbewerbsverzerrungen beseitigt. Es muß aber auch noch auf den Grundsatz hingewiesen werden, daß die Verbrauchersteuer — das ist ja die Mehrwertsteuer —, wenn man Erleichterungen und Befreiungen einführt, sich eigentlich nur an den Interessen desjenigen orientieren sollte, der die Steuer zu tragen hat. Das ist der Letztverbraucher, nicht das Unternehmen, das die Steuer zu zahlen hat; denn es soll ja die Steuer überwälzen. Das ist der Sinn der Sache.
Wenn man diesen Grundsatz durchbricht — das geschieht hier, und das muß man sehen entstehen zwangsläufig Wettbewerbsstörungen.
Aus diesem Grunde, in erster Linie aus diesem Grunde, meine ich, muß man darauf achten, daß diese Ausnahmeregelung begrenzt bleibt. Wir haben insgesamt rund 1,65 Millionen Unternehmen, und wenn wir die Grenze bei 60 000 DM Jahresumsatz lassen, Herr Kollege Schulhoff, dann werden davon immerhin bereits 650 000 Unternehmen erfaßt.
— Doch, es ist so. Wir werden uns darüber im Ausschuß unterhalten. Wenn wir diese Grenze z. B. auf 100 000 DM erhöhten, dann würden damit mehr als 900 000 Unternehmen erfaßt. Das wären schon weit mehr als die Hälfte. Dann wäre die Ausnahmeregelung bereits die Regel. Ich wollte das sagen, damit sich jeder darüber klar ist, daß die Grenze eng gehalten werden muß.
Was die übrigen Anträge auf Befreiungen oder Entlastung betrifft, meine ich, ist auch hier ein offenes Wort angebracht. Ich möchte doch alle diese Antragsteller bitten, daß sie ihre Erwartungen nicht allzu hoch spannen. Wir können ihnen zusichern, daß alle diese Anträge gewissenhaft geprüft werden. Aber man soll und darf nicht vergessen, daß sich die Verbrauchsteuerbefreiungen und Ermäßigungen an den Interessen und an der Wirtschaftskraft des Letztverbrauchers zu orientieren haben.
Weiter dürfen wir nicht vergessen, daß, wenn wir diesen Damm, der durch das Prinzip gezogen ist, durchbrechen, eine Flut von Steuerausfällen auf uns zukommt, die weit in die Milliarden geht, und daß wir damit unseren Haushalt, unsere Staatsfinanzen, gefährden. Das, glaube ich, will niemand. Deshalb hoffe und erwarte ich, daß wir bei den Beratungen im Finanzausschuß — wie bisher immer — die Probleme in aller Sachlichkeit behandeln werden.