Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen! Im Namen meiner Fraktion nehme ich zu dem vorliegenden Entwurf der Bundesregierung zur Novellierung des Umsatzsteuergesetzes Stellung.
Der Gesetzentwurf enthält zwar Klarstellungen und abrechnungstechnische Vereinfachungen, insofern sicher auch Verbesserungen des geltenden Rechts, er ist aber für meine Fraktion in mehrfacher Hinsicht enttäuschend. Die berechtigten Erwartungen, die man in die erste umfassende Novelle des Mehrwertsteuergesetzes gesetzt hatte, sind nicht erfüllt worden.
Zunächst und vorab ein kurzes Wort zum Zeitpunkt der Vorlage. Bereits die Bundesregierung der Großen Koalition das waren damals die guten alten Zeiten — hatte angekündigt, eine Novelle vorlegen zu wollen, sobald die ersten praktischen Erfahrungen mit der neuen Umsatzsteuer vorliegen würden. Dies hätte also zu Beginn der VI. Legislaturperiode der Fall sein können.
Erst auf Drängen unserer Fraktion hat dann die jetzige Bundesregierung in ihrer Antwort auf unsere Anfrage am 3. Juni 1970 mitgeteilt, daß sie noch im Jahre 1970 eine Novelle vorlegen werde. Tatsächlich wurde der Entwurf dem Bundesrat aber erst am 20. August dieses Jahres zugeleitet. Diese Verzögerung hat die Bundesregierung, die im Moment nicht anwesend ist, zu vertreten. Sie erleichtert natürlich nicht gerade die parlamentarische Beratung eines für viele Unternehmen bedeutsamen Gesetzentwurfes.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist insbesondere deshalb unbefriedigend und unzureichend, weil die Bundesregierung den großen und wichtigen Bereich jener Unternehmen mit hoher Wertschöpfung, die an den Endverbraucher liefern, ausgeklammert hat. Die Bundesregierung hat dies getan, obwohl ihr bekannt war oder hätte bekannt sein müssen, daß die Mehrwertsteuer in diesen Branchen systemwidrig wirkt. Konkret heißt dies: der lohnintensive Unternehmer — vielleicht darf ich ihn der Einfachheit halber so bezeichnen — mit hoher Wertschöpfung ist in der Regel nicht in der Lage, die Umsatzsteuerlast entsprechend der Zielsetzung des Gesetzes auf den Letztverbraucher abzuwälzen. Statistische Untersuchungen insbesondere im Friseurgewerbe haben deutlich bewiesen, daß der Unternehmer in der Praxis einen gewissen Teil, vielleicht sogar einen großen Teil der Mehrwertsteuer nicht weiterwälzen kann. Diese Weitergabe an den Endverbraucher entspricht jedoch der Zielsetzung des Gesetzes und der Steuergerechtigkeit. Ist sie praktisch nicht durchführbar, schmälert dies den Ertrag des Unternehmens, und das ist sicherlich nicht im Sinne des Erfinders.
Wir bedauern, daß die Regierung diesen wichtigen Bereich völlig unberücksichtigt läßt. Schon in unserer Kleinen Anfrage vom letzten Jahr hatten wir die Bundesregierung aufgefordert, gerade zu diesem Problem Lösungsvorschläge vorzulegen, denn auch die Mehrwertsteuer sollte doch dem Prinzip der Wettbewerbsneutralität der Steuern entsprechen.
Zu begrüßen ist — um auch einmal etwas Gutes zu sagen — lediglich, daß die Bundesregierung in einem Punkt die zwischenzeitlich gewonnenen Erkenntnisse in der Praxis berücksichtigen will. Bei den Beratungen des Umsatzsteuergesetzes 1967 wurde vom Finanzausschuß des Bundestages bekanntlich für kleine Unternehmen eine Sonderregelung geschaffen, die es ihnen möglich macht, das Bruttoumsatzsteuersystem beizubehalten, es sei denn, sie würden optieren. Damit ersparte man diesen Betrieben die verwaltungstechnisch schwierige Umstellung auf das neue Mehrwertsystem.
Diese Sonderregelung führte aber auch zu gewissen materiellen an sich gewollten Vorteilen, die sich insbesondere bei Betrieben mit hoher Wert- schöpfung auswirkten. Für diese Betriebe brachte das Verbleiben im Bruttoumsatzsteuersystem eine relativ hohe Steuerersparnis mit sich.
Obwohl ich mich hier, meine Kollegen, offen zur Vaterschaft hinsichtlich dieser geltenden Betriebsregelungen bekenne — Frau Kollegin Funcke, die jetzt präsidiert, wird in diesem Falle ihrerseits die Mutterschaft sicher nicht leugnen wollen —,
bin ich bereit, den zwischenzeitlich gewonnenen Erkenntnissen Rechnung zu tragen. Denn gerade bei diesen kleineren Betrieben führt ein Überschreiten der Umsatzgrenze von 60 000 D-Mark bereits bei einer relativ geringen Steigerung des Gesamtumsatzes zu einer erheblichen Steuermehrbelastung. Deshalb besteht u. a. die Gefahr, daß Betriebe ihren Umsatz absichtlich niedrig halten oder zu manipulieren versuchen; man nimmt das wenigstens an. Hinzu kommt, daß sich die Steuerbegünstigung nach den Umsätzen des vorangegangenen Jahres richtet. Es kann also vorkommen, daß die Leistungen von Betrieben mit vergleichbaren Umsätzen unterschiedlichen Steuerbelastungen unterliegen. Diese Wettbewerbsverzerrungen haben zu einigen Verfassungsklagen wegen angeblicher Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes geführt.
9042 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 157. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Dezember 1971
Schulhoff
Vielfach sind die kleinen Unternehmer in der Frage der Zweckmäßigkeit des Verbleibs im Bruttoumsatzsteuersystem oder der Option für die Regelbesteuerung auch überfordert gewesen; sie konnten das nicht von Anfang an übersehen. Dies ist wohl auch einer der entscheidenden Gründe für die Regierungsvorlage.
Dieser Entwurf, meine Damen und Herren, wird von uns zwar begrüßt, aber nur im Prinzip, da die Umsatzgrenze von 60 000 DM objektiv zu niedrig ist. Diese Grenze war bekanntlich schon bei der Beratung im Jahre 1967 zu niedrig angesetzt. Ich wünschte damals eine höhere Grenze, Frau Funcke aber eine niedrigere. Man hat sich schließlich auf 60 000 DM geeinigt, ohne sich jedoch für alle Zeiten — das ist ausdrücklich gesagt worden — festlegen zu wollen.
Zwischenzeitlich haben sich — das ist unbestreitbar — die gesamten ökonomischen Daten geändert. Grob gesagt: ein Umsatz von 60 000 DM im Jahre 1967 entspricht heute mindestens einem solchen von 80 000 DM. Die vorgesehene Begrenzung auf 60 000 DM könnte daher ihren eigentlichen Zweck nur noch zum Teil erfüllen. Die Motivation aber, die damals für die Kleinbetriebsregelung sprach, nämlich die Erhaltung der Existenz kleiner und mittlerer Unternehmen, hat bei dem allgemeinen Trend zur Konzentration heute mehr denn je ihre Gültigkeit. So mußten z. B. im Jahre 1970 allein 47 296 Handwerksbetriebe aufgeben.
Unsere Fraktion wird daher im Finanzausschuß den Antrag stellen, die Kleinbetriebsregelung auf einen Betrag anzuheben, der von der Sache her gerechtfertigt erscheint. Konkret heißt dies, daß die Grenze auf mindestens 80 000 DM erhöht werden müßte. Unter dem Gesichtspunkt der Leistungsgerechtigkeit und der Wettbewerbsneutralität wäre allerdings eine Anhebung noch über diese Grenze hinaus erforderlich. Vielleicht hilft dabei die Frau Präsidentin im Finanzausschuß mit. Die Kosten einer solchen Ausweitung halten sich durchaus in tragbaren Grenzen. Wir werden entsprechende Deckungsvorschläge vorlegen. Der Ausfall beträgt bei einer Ausweitung auf 80 000 DM nur — ich sage bewußt: n u r ; warum, werden Sie gleich sehen — 90 Millionen DM mehr gegenüber dem Regierungsentwurf. Die Steuermindereinnahme durch die Kleinbetriebsregelung würde dann alles in allem 360 Millionen DM erreichen. Bei einem vom Bundesfinanzministerium geschätzten Umsatzsteueraufkommen von 47,6 Milliarden DM im Jahre 1973 würde dieser Gesamtausfall 0,72 %, also noch nicht einmal 1 % des Aufkommens, ausmachen.
Früher, meine Damen und Herren -- ich bitte, das zu vermerken —, waren wir einmal bereit, viel mehr zur Förderung kleiner Unternehmen auszugeben. Im Jahre 1967 nämlich betrug der Steuerausfall durch die Freibetragsregelung des damals geltenden § 7 a des Umsatzsteuergesetzes noch 520 Millionen DM oder 2,08 % des gesamten Umsatzsteueraufkommens. Bei der Verabschiedung des Mehrwertsteuergesetzes im selben Jahr, also 1967, wurde dann für die neue Kleinbetriebsregelung im § 19 des Umsatzsteuergesetzes leider ein viel geringerer Ausfall zugestanden, nämlich 290 Millionen DM, aber immerhin noch 1,16 % des damaligen Umsatzsteueraufkommens. Die tatsächliche Haushaltsbelastung blieb aber im Jahre 1968, wie Sie wissen oder was zumindest diejenigen wissen, die sich mit diesen Dingen überhaupt beschäftigen —, mit nur 180 Millionen DM oder 0,69 % des Aufkommens noch weit hinter den Schätzungen zurück, weil über die Hälfte der betroffenen Betriebe aus den verschiedensten Gründen für den normalen Steuersatz optieren mußte. Sie hatten also nichts von dieser Kleinbetriebsregelung. Wenn wir heute eine Mindereinnahme von insgesamt 360 Millionen DM in Kauf nehmen, ist das immer noch weit weniger, als wir früher gemeinsam — alle Parteien waren damit einverstanden für notwendig angesehen haben.
Ich sagte Ihnen bereits, meine Damen und Herren — damit komme ich schon zum Schluß —, daß wir eine Deckungsmöglichkeit suchen. Ich persönlich könnte mir folgenden Deckungsvorschlag denken. Die Bundesregierung beabsichtigt Verbrauchsteuererhöhungen bei der Mineralölsteuer, der Branntweinsteuer und der Tabaksteuer. Allein das durch die Erhöhung der Mineralölsteuer anfallende zusätzliche Aufkommen bei der Mehrwertsteuer würde bei weitem ausreichen, die zwischen unserem Vorschlag und der Regierungsvorlage bestehende Differenz von 95 Millionen DM zu decken. Nach meinen authentischen Informationen ist dieses Mehrwertsteueraufkommen bis heute noch nicht verplant.
Mit den Überweisungsvorschlägen des Altestenrates sind wir einverstanden.