Rede von
Dr.
Wilhelm
Nölling
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Im Moment nicht, Herr Kollege Müller.
Nun ist heute morgen von der Opposition auch gesagt worden: Wir mögen nicht mehr hören, was da gesagt wird; wir sind es einfach leid und satt, immer wieder zu hören, was die Regierung gemacht hat. Ich verstehe das. Ich frage nur, warum Sie Große Anfragen induzieren, warum Sie sie haben wollen, wenn Sie dann unwillig oder nicht bereit sind, hier anzuhören, was diese Regierung geleistet hat. Ich meine, einfach deshalb, weil Sie uns herausfordern, unsere Erfolge darzustellen, müssen wir das auch immer wieder tun. Deshalb müssen Sie auch die Geduld haben, uns immer wieder zuzuhören.
Die Bevölkerung merkt doch inzwischen, meine Damen und Herren,
daß diese Regierung nicht nur verspricht, daß sie nicht nur redet, sondern daß sie auch handelt. Das ist doch inzwischen klargeworden. Es ist deutlich geworden, wie stark und eingreifend die getroffenen Maßnahmen sind.
Lassen Sie mich das einmal in einer etwas anderen Art und Weise darstellen, als das bisher geschehen ist! Die große Zäsur ist der 28. Oktober 1969.
Vor dem 28. Oktober 1969 hat es in der sozialpolitischen Landschaft der Bundesrepublik keine Dynamisierung der Kriegsopferrenten gegeben. Heute gibt es sie. Das ist ein Unterschied. Die Opposition hat sie damals nicht für möglich gehalten, hat sie anfänglich nicht gewollt und ist dann später wie so oft auf unseren Wagen aufgesprungen.
Vor dem 28. Oktober hatte in unserer Krankenversicherung der Vorsorgegedanke keinen Fuß gefaßt. Das können Sie doch nicht bestreiten; das war 20 Jahre lang in keiner gesetzlichen Regelung enthalten. Jetzt steht es im Gesetz.
Außerdem war vor diesem Zeitpunkt die Krankenversicherungspflichtgrenze ein dauernder Zankapfel
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1971 8813
Dr. Nölling
der Sozialpolitiker. Diese Grenze war sozialwidrig niedrig und starr gehalten worden.
Das ist jetzt Vergangenheit. Es ist doch heute anders, es ist eine Änderung eingetreten.
Vor dem 28. Oktober 1969 haben mehr als 4 Millionen Angestellte die Krankenversicherung selbst bezahlen müssen. Das hat sich inzwischen geändert.
Ich möchte mit aller Deutlichkeit sagen: Würden wir heute nur diese Leistungen vorweisen können, wir könnten schon stolz darauf sein, weil das ganz enorme Weiterentwicklungen und Verbesserungen unseres sozialen Leistungsrechts sind.
Aber, meine Damen und Herren, es ist noch sehr viel mehr geschehen. Vor 1970 war die gesetzliche Unfallversicherung für Schüler und Studenten unbekannt. Sie ist inzwischen in Kraft getreten. Vor dieser Zeit war eine Reform der Betriebsverfassung nicht einmal in Sicht. Das müssen wir doch auch sehen. Wir haben sie gegen die überwältigende Mehrheit der Opposition vor drei Wochen hier durchgesetzt. Ich will nur hoffen und wünschen, daß der Bundesrat ebenfalls zustimmt.
Vor dem 28. Oktober 1969 hat die heutige Opposition von der Notwendigkeit einer Steuerreform höchstens geredet, aber nie danach gehandelt.
Das hat auch der Kollege Kirst heute schon gesagt. Die Steuerreform war angekündigt für 1957 in der Regierungserklärung eines so tüchtigen Politikers wie Adenauer. Bis heute hat die CDU/CSU überhaupt keine Vorstellungen dazu entwickelt, wie denn eine Steuerreform in der Bundesrepublik sein müßte, obwohl unsere Vorstellungen schon fast ein halbes Jahr auf dem Tisch liegen.
Es mutet in der Tat sehr merkwürdig an, daß sich ein Vertreter der christlich-sozialen Arbeitnehmerschaft hier hinstellt und uns Vorwürfe macht wegen der Besteuerungsbeschlüsse auf dem Parteitag hier in Bonn.
Da darf ich nur zitieren aus der „Sozialen Ordnung". Ich mache Ihnen ja ein Kompliment, daß die Sozialausschüsse dazu Vorstellungen entwickelt haben.
Nur hat es bisher nicht in Ihre Partei hineingewirkt und sich nicht durchsetzen können — wie so oft.
Ich lese Ihnen nur vor, was hier steht. Herr Kollege Katzer, Sie sehen doch, wie wichtig das Thema ist; sonst hätten Sie sich doch nicht damit beschäftigt.
Hier heißt es:
Die Sozialausschüsse fordern eine große Steuerreform und befürworten dazu die Berücksichtigung folgender Teilaspekte:
Die Steuerlasten sind so zu verteilen, daß durch eine ausgewogene Einkommensverteilung eine gerechtere Vermögensbildung bewirkt wird; ... Der Tarif wird so gestaltet, daß die unteren und mittleren Einkommen entlastet werden.
Unter Einbeziehung der Ergänzungsabgabe wird der Spitzensteuersatz angehoben.
Weiter wird dort gefordert, das Ehegatten-Splitting zu kappen, zu ändern. Das sind aber doch die Entscheidungen unseres Parteitags, die gesellschaftspolitisch am meisten umstritten sind, EhegattenSplitting, Tarifspitze und einige andere Dinge, die Sie, wie Sie hier schreiben, selbst durchsetzen wollen.
Ich kann nur hoffen, daß es Ihnen gelingt, innerhalb Ihrer Partei dem Kollegen Höcherl zu helfen, herauszufinden, was er denn nun eigentlich gemeint hat, als er vor ein paar Tagen in einer Betrachtung der Ergebnisse unseres Parteitags schrieb: „Steuerbelastung und Steuertarife sind gewiß keine Heiligtümer". Und dann: Ende der Fahnenstange, wie wir in Hamburg manchmal sagen. Nichts mehr, was denn nun die Opposition gerade unter sozialpolitischen Gesichtspunkten an Steuerreformideen in diesem Staate verwirklicht sehen möchte, nichts mehr, Fehlanzeige, keine weiteren Beiträge mehr. Wie gesagt, ich kann nur hoffen und wünschen, daß es den Sozialausschüssen gelingt, die CDU auf diesen Kurs zu bringen.
Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, was sich in unserer Landschaft verändert hat. Ich könnte fortfahren. Ich habe über die Steuerreform gesprochen. Man könnte weiter davon sprechen, daß es noch im Sommer 1969 für die Opposition unvorstellbar war, daß in der jetzigen Legislaturperiode Möglichkeiten entstehen könnten, unser Rentenversicherungssystem wirklich weiterzuentwickeln, völlig unvorstellbar, wie Ihre Äußerungen aus dem Jahre 1969 zeigen. Inzwischen haben wir die Gesetze auf dem Tisch, und wir werden sie machen. Darüber gibt es überhaupt keine Diskussion mehr.
Vor dem 28. Oktober 1969 war das Vermögensbildungsgesetz, das unter CDU-Führungen entstanden ist, eine Farce. Es war ein Instrument, das bewußt stumpf bleiben sollte, wie alle Zahlen über die Inanspruchnahme in der Zwischenzeit zeigen.
Es ist doch diese Regierung gewesen, die dieses Instrument zum erstenmal in einer Weise umgeformt und umgeschmiedet hat, daß es tatsächlich einen vermögenspolitischen Effekt hat und haben kann.
Ich könnte Ihnen dazu die Zahlen nennen. 1969 waren es 5,7 Millionen Teilnehmer. Die Zahl ist seit
8814 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1971
Dr. Nölling
1961 nur sehr langsam geklettert, wie wir alle wissen.
1971 waren es bereits 14,5 Millionen. — Das hängt doch mit der Konstruktion des Gesetzes zusammen, Kollege Franke. Das haben wir doch in einer sozialvernünftigen Weise geändert.
— Das stimmt ja nicht.
Ich nenne Ihnen eine Summe: 1969 1,6 Milliarden DM angelegt, 1971 41/2 Milliarden DM. Wir rechnen damit, bis 1975 18 Millionen Arbeitnehmer zu beteiligen. Über 600 Tarifverträge sind inzwischen in Kraft. Erst der dritte Anlauf seit 1961 hat unter dieser Regierung, deren Leistungskatalog wir hier darstellen und verteidigen, auf diesem Gebiet ein funktionierendes Gesetz gebracht; vorher nichts.