Nein, im Moment noch nicht.
Ich möchte noch einen weiteren Punkt herausstellen. Selbstverständlich ist es das gute Recht der Opposition, sich die Passagen aus dem Sachverständigengutachten herauszusuchen, die sie für richtig hält. Sie werden aber gestatten, daß auch wir das tun.
— Das gestatten Sie also. Dann sind wir uns wieder einig.
Ich muß doch darauf hinweisen, daß Sie völlig ignorieren, daß von dieser Regierung in der Frage der Stabilität — —
— Das ist wieder Ihr vorlautes Verhalten; dafür kann ich nicht.
— Sie sind so gescheit und lesen so viel, daß ich Ihnen das gar nicht vorzulesen, sondern nur die Ziffer aus dem Sachverständigengutachten zu nennen brauche. Dann wissen Sie, worum es sich handelt. Es ist die Ziffer 318.
— Ach, Sie bringen mich doch hier nicht aus der Ruhe!
Sie kennen mich ja lange genug.
Hinsichtlich der Preispolitik und der Stabilitätspolitik der Regierung können Sie doch nicht bestreiten, daß der Sachverständigenrat nachweist und begrüßt —
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1971 8785
Parlamentarischer Staatssekretär Hermsdorf
— Verzeihung, Sie können doch nicht erwarten, daß ich die Behauptungen, die Herr Müller-Hermann aufgestellt hat, hier unwidersprochen im Raum stehenlasse.
Wenn Sie über Wirtschaftspolitik reden, muß ich zu dem, was er hier fälschlicherweise behauptet hat, eine Richtigstellung bringen können.
Im Sachverständigenrat ist ganz klar gesagt worden, daß die Stabilitätspolitik sowohl in der Währungspolitik als in der Konjunkturpolitik zu greifen beginnt. Daß das in dem Gutachten steht, können Sie wohl nicht bestreiten.
Und da will ich Ihnen nun auch noch ein paar Fakten nennen, die Sie nicht bestreiten können.
Erstens. Sie können nicht bestreiten, daß das Auftragspolster sich inzwischen normalisiert hat, daß die Überbeschäftigung zurückgegangen ist, ohne daß wir es zu einer Gefährdung eines hohen Beschäftigungsstandes kommen lassen werden.
Zweitens. Sie können nicht bestreiten, daß auch in der Preisentwicklung unleugbar erste Erfolge sichtbar werden.
Der Anstieg der industriellen Erzeugerpreise ist praktisch zum Stillstand gekommen. Der Anstieg beträgt von Juli bis Oktober 0,1 %.
Hier wirken sich zweifellos die Maßnahmen der Regierung aus. Der seit der Freigabe des Wechselkurses zu beobachtende Rückgang der Importpreise von 6,4 % wirkt sich zweifellos auch auf die Kostenstabilisierung der Industrie aus.
Auch bei den Großhandelspreisen zeigen sich Stabilisierungstendenzen. Der einzige Punkt, wo wir noch große Sorgen haben, ist die Frage der Verbraucherpreise.
— Dies bestreiten wir gar nicht; hier haben wir noch Sorgen. Aber es ist doch keine Frage, daß uns durch den Sachverständigenrat bestätigt wird, daß wir hier mit unserer Politik auf dem richtigen Wege sind.
Dies ändert sich auch dadurch nicht, daß Sie laufend in Panikmache und Schwarzmalerei verfallen.
Und nun komme ich zum eigentlichen Thema unserer Tagesordnung, nämlich zum Arbeitsprogramm der Bundesregierung, zu dem Sie, Herr Kollege Müller-Hermann, überhaupt nichts gesagt haben. Da wir uns in der Mitte dieser Legislaturperiode befinden, können wir über das Arbeitsprogramm der Bundesregierung nicht sprechen, ohne auf die inzwischen realisierten Teile unseres Programms einzugehen. Die Bundesregierung hat in ihrer bisherigen Tätigkeit bereits Entscheidendes durchgeführt. Ich will hier keinen umfassenden Zwischenbericht vorlegen, aber ich halte es für notwendig, einige Gebiete herauszugreifen.
— Jawohl, damit fange ich an. Ich finde es großartig, daß Sie mir das wenigstens zugestehen.
— Ich will Ihnen mal sagen; Sie leiern seit 20 Jahren. Da dürfen wir doch wenigstens etwas über zwei Jahre sagen!
Erstens. Im Bereich der Kriegsopferversorgung haben wir die Dynamisierung der Renten gesetzlich verankert.
Nach wesentlichen linearen und strukturellen Verbesserungen zu Beginn der Arbeit dieser Bundesregierung werden die laufenden Rentenleistungen zum 1. Januar 1972 nun schon zum drittenmal in dieser Legislaturperiode erhöht.
Zweitens. Das System der Alterssicherung der Landwirte wurde weiter gefestigt. Neben der Verbesserung der Landabgaberente zum 1. Januar wurde vor allem die Möglichkeit eröffnet, daß diejenigen, die ihr Land aufgeben und eine andere Tätigkeit aufnehmen, Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichten. Dabei gewährt der Bund einen Zuschuß bis zu 70 % für die Nachversicherung.
Drittens. Auch was wir bisher geleistet haben, um insbesondere den kinderreichen und jungen Familien sowie den Alten und Körperbehinderten ein angemessenes Wohnen zu tragbaren Bedingungen zu ermöglichen, kann sich sehen lassen.
Wir haben den Mieterschutz verbessert und das Wohngeld erhöht. Mit dem langfristigen Wohnbauprogramm steigern wir das Angebot preiswerter Wohnungen. Mit dem Städtebauförderungsgesetz, an dem frühere Regierungen bekanntlich gescheitert sind, haben wir jetzt die Voraussetzungen geschaffen, um die künftige Entwicklung unserer Städte und Gemeinden entscheidend zu verbessern.
— Ich weiß, daß Ihnen das nicht gefällt, aber das sind Fakten, die ich Ihnen ins Gedächtnis rufen werde, weil Sie so kurzfristig in Ihrem Gedächtnis sind.
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Viertens. Im Gesundheitswesen sind hervorzuheben die Leistungen — —
— Entschuldigen Sie, was Sie darunter verstehen, ist eine andere Sache. Ich will dazu nur eine Bemerkung machen: Wenn Sie in der Regierung wären und in zwei Jahren das gemacht hätten, was diese Regierung in zwei Jahren durchgeführt hat, würden Sie acht Jahre davon leben und 20 Jahre damit Propaganda machen.
Sie würden damit 20 Jahre Propaganda machen.
Im Gesundheitswesen sind hervorzuheben: die Einführung von kostenlosen Vorsorgeuntersuchungen, das Aktionsprogramm zur Rauschgiftbekämpfung, das aus der Gesetzgebung gebrachte Krankenhausfinanzierungsgesetz. Dadurch verbessern wir die Vorsorge zum Schutz der Gesundheit. Aber nicht nur das: auch hier schaffen wir zur Wiederherstellung der Gesundheit beträchtliche Voraussetzungen.
Fünftens. Auf dem Gebiete der Bildung erweitern wir zusammen mit den Ländern in beträchtlichem Maße die Kapazitäten unserer Hochschulen. Mit dem Ausbildungsförderungsgesetz und dem Graduiertenförderungsgesetz unterstützen wir Schüler und Studenten und fördern den wissenschaftlichen Nachwuchs. Das alles ist im Laufe von nur zwei Jahren geschehen.
Mir ist keine Bundesregierung der letzten Jahrzehnte bekannt, die jemals ein derartiges Programm in zwei Jahren realisiert hätte.
Im übrigen ist ein großer Teil der Vorhaben — und das wird immer wieder verdrängt — finanziell überhaupt nicht ins Gewicht gefallen, hat aber ebenso entscheidende reformerische Bedeutung. Es erfordert allerdings politischen Mut. Hier denke ich in erster Linie an die Reform des Strafrechts, an die Reform des Ehe- und Familienrechts, an den Ausbau der Mitbestimmung und des Betriebsverfassungsgesetzes, an die Verbesserung der Wettbewerbsordnung.
Unser Arbeitsprogramm zu den innenpolitischen Vorhaben wird auch künftig dazu beitragen, daß wir unsere Ziele sicher und ohne Verzettelung erreichen. Nach der Einbringung des Haushaltsentwurfs 1972 und der Vorlage des Finanzplans bis 1975 kann ich folgendes feststellen:
Erstens. Keinem Vorhaben unseres Arbeitsprogramms wurde die finanzielle Basis entzogen.
Es kann mithin keine Rede davon sein, daß das Arbeitsprogramm zu den inneren Reformen durch die finanzpolitischen Entscheidungen zusammengestrichen wurde.
Zweitens. Einige Vorhaben wurden mit der Finanzplanung bis 1975 erstmals finanziell gesichert. Dabei handelt es sich vor allem um Maßnahmen auf dem Gebiete des Umweltschutzes, der Krankenversicherung für Landwirte, um die einzelbetriebliche Investitionsförderung in der Landwirtschaft, die jährliche Anpassung des Schadensausgleichs in der im übrigen schon vor einigen Jahren dynamisierten Kriegsopferversorgung, die Stiftung „Behindertes Kind", die verstärkte Wehrgerechtigkeit.
Fazit: Das Arbeitsprogramm der Bundesregierung wurde durch die Finanzplanung nicht zusammengestrichen, sondern im Gegenteil trotz der finanziellen Enge um bedeutende Vorhaben erweitert.
Diejenigen Vorhaben, die auf Grund der jetzt erfolgten finanziellen Absicherungen neu in das Arbeitsprogramm aufgenommen worden sind, führen gegenüber der alten Haushaltsplanung bis 1974 zu erheblichen Mehrbelastungen: 1,5 Milliarden DM im Jahre 1972, ansteigend auf gut 2,2 Milliarden DM pro Jahr bis 1974.
Damit das auch im Detail klar wird — und um auch hier Ihr Gedächtnis aufzufrischen —, möchte ich folgendes sagen. Davon entfallen beispielsweise auf Reformen in der Soldatenversorgung hinsichtlich Wehrsold, Wehrgerechtigkeit etc. 750 Millionen DM jährlich. Auf Reformen im sozialen Bereich — Altershilfe für Landwirte, Krankenversicherung für Landwirte, Hilfswerk „Behindertes Kind", Kriegsopferversorgung — entfallen 1972 rund 400 Millionen DM und bis 1974 jährlich rund 1 Milliarde DM. Reformen im Bereich der Strukturpolitik und der Raumordnung — einzelbetriebliche Investitionsförderung der Landwirtschaft, Förderung des Zonenrandgebietes, Umweltschutz — nehmen im Jahre 1972 300 Millionen DM und ab 1974 jährlich 450 Millionen DM in Anspruch.
Meine Damen und Herren! Diese Mehrbelastungen sind um so bedeutender, als der Gesamtausgabeplafond gegenüber dem vorigen Finanzplan ja im wesentlichen unverändert geblieben ist. Ich halte dies für einen entscheidenden Erfolg unserer gewiß schwierigen Arbeit in der Finanzplanung.
Natürlich berührt die Reformpolitik des Bundes in einzelnen Bereichen auch die Haushalte anderer Gebietskörperschaften; denn in einem föderativen Gemeinwesen sind die Aufgaben der einzelnen Ebenen eng miteinander verwoben. Planung und Durch-
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führung vieler Vorhaben vollziehen sich in enger Abstimmung zwischen Bund und Ländern. Selbstverständlich erfordert dies eine angemessene finanzielle Ausstattung der Länder und Gemeinden, und ebenso selbstverständlich trägt der Bund hierfür eine hohe Verantwortung. Wir haben dies mehrmals ausdrücklich hervorgehoben, und wir werden dieser Veranwortung gerecht.
— Herr Stücklen, ich komme noch darauf. Ich habe inzwischen gehört, daß Ihr Ministerpräsident mit 5 °/o einverstanden ist. Damit sind wir uns schon ein ganzes Stück nähergekommen. Ich beziehe mich auf sein Interview im „Spiegel".
— Ah so! Ich hoffe, daß der berichtigt wird.
In vielen Fällen beteiligt sich der Bund direkt an der Finanzierung wichtiger Staatsaufgaben, die Länder und Gemeinden durchführen. Ich erinnere hier an die drei Gemeinschaftsaufgaben Hochschule, regionale Wirtschaftsstruktur und Agrarstruktur, an die Ausbildungsförderung, die Wissenschaftsförderung, den kommunalen Nahverkehr, den Wohnungsbau und die Städtesanierung.
Darüber hinaus ist es die erklärte Absicht der Bundesregierung, die Ausstattung von Ländern und Gemeinden mit Steuermitteln angemessen zu erhöhen.
— Sehr hübsch! Ich habe genau darauf gewartet. Ich finde es großartig, daß von der Opposition, die ja früher auch einmal die Regierung gestellt hat, gefragt wird: Wann und wie? Dazu stelle ich folgendes fest:
Es hat in den ganzen 20 Jahren Regierungszeit der CDU/CSU
und teilweise der FDP folgenden Tatbestand gegeben: Nur ein einziges Mal, nämlich 1969, ist fristgerecht eine Einigung hinsichtlich der Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern zustande gekommen. Damals kam sie auch nur zustande, weil wir umstellten von der Einkommen- und Körperschaftsteuerbeteiligung auf die Umsatzsteuer und weil das ein entscheidender Grundsatz und ein entscheidender Punkt überhaupt in der gesamten Finanzreform war. In allen übrigen Fällen ist eine Einigung erst zustande gekommen einmal 18 Monate, einmal 15 Monate, dann 13 Monate nach Antrag der Länder und in keinem einzigen Fall ohne Anrufung des Vermittlungsausschusses. Dies ist der Tatbestand der Vergangenheit.
Und jetzt weiter: Wenn Sie uns jetzt vorwerfen, es gebe da keine Einigung und das sei ja ganz schlimm, wie diese Bundesregierung mit den Ländern verfahre,
kann ich auch nur sagen: dies ist die erste Bundesregierung, die schon einen Prozentsatz eingesetzt hat, bevor überhaupt geredet worden ist, die den Belangen der Länder und Gemeinden entgegengekommen ist, die 3 Pf Mineralölsteuer für die Gemeinden eingesetzt hat und die 3 % noch als Anteil für die Länder hat.
Dies hat es vorher nie gegeben. Und da sehe ich gerade Herrn Schneider sitzen: Der Städtetag hat uns einen Brief geschrieben und verlangt, daß die Mineralölsteuer um 3 Pf für die Gemeinden erhöht würde. Da wußten Sie noch nicht, daß wir das gemacht haben. Und als wir es gemacht hatten, haben Sie nicht danke schön gesagt, sondern Sie haben gesagt: Das ist aber nun nicht genug, jetzt muß auch noch eine Erhöhung des Prozentsatzes an der Einkommensteuer kommen. — So geht es nun auch nicht. Man kann nicht erst Forderungen aufstellen und dann, wenn sie erfüllt werden, das nicht mehr zur Kenntnis nehmen, sondern gleich neue Forderungen erheben. Ich bin überzeugt, daß bei der Verantwortung und bei der Einstellung dieser sozialliberalen Koalition und Regierung zu den Ländern und zu den Aufgaben der Länder wir einen Weg finden werden, auf den wir uns einigen. Und ich füge hinzu: Dies wird schneller gehen, als es bei früheren Regierungen — außer 1969 — gegangen ist.
Ich habe hier versucht, einmal darzustellen, a) was diese Bundesregierung geleistet hat, b) was sie sich im Arbetsprogramm noch vorgenommen hat und was finanziell abgesichert worden ist; c) habe ich weiter festgestellt, daß wir hinsichtlich unserer Aufgaben und unseres Arbeitsprogramms nichts einsetzen werden, was nicht finanziell abgesichert ist. Sie können uns die Solidität, mit der wir versuchen, die Bundesfinanzen zusammenzuhalten, und die Solidarität, mit der wir versuchen, unser Arbeitsprogramm durchzuführen, nicht absprechen. Sie können uns weiter nicht absprechen, daß wir in zwei Jahren bereits mehr getan haben als andere Bundesregierungen in einer ganzen Legislaturperiode.
Wir werden unsere Arbeit in gewohnter Weise fortsetzen und uns durch Panikmache und Schwarzmalerei der Opposition nicht irremachen lassen.