Das denke ich auch. Ich werde ja zuhören. Das habe ich ausdrücklich gesagt. Aber es scheint nicht bequem zu sein, dem zuzuhören, was ich hier sage.
Meine Damen und Herren, ich wiederhole: ich halte das für eine ungewöhnliche und auch für eine unbequeme Art, zu prozedieren. Aber hier muß die Gelegenheit geschaffen werden, daß man sich über dieses Thema ausspricht. Diese Gelegenheit will ich herbeiführen. Ich halte das auch nicht für einen schlechten demokratischen Stil. Ich habe dargestellt, wie die Entwicklung verlaufen wird, wenn wir uns
so, so oder so entscheiden. Wer sich für die Lösung 1 entscheidet — und ich bitte darum, daß der Deutsche Bundestag und der einzelne Abgeordnete jetzt nach meiner Rede in der Debatte sagt, ob er für die Lösung 1, 2 oder 3 ist; das möchte ich gerne hören —,
wer sich für die Lösung 1 entscheidet, darf sich nicht beklagen, wenn wir in wenigen Jahren im Chaos eines wachsenden Verkehrs zu erstarren beginnen. Bei der Entscheidung für die Lösung 2 brauchen wir mehr Mittel und erreichen trotzdem für diese Generation keine Ordnung, die befriedigend ist. Wer sich für die Lösung 2 entscheidet, muß aber auch sagen, was er im Rahmen des Bundeshaushalts vernachlässigen und zurückgestellt haben will.
Die Entscheidung für die Lösung 3 führt meiner Auffassung nach zu einer befriedigenden Lösung, auch wenn sie unbequem ist. Davon, wie wir uns miteinander entscheiden werden, hängen das Gesicht unseres Landes, die Gestalt und die Kraft unseres Landes für das Ende dieses Jahrhunderts in einem sehr hohen Maße ab.
In einem römischen Edikt aus dem Jahre 395 nach Christus heißt es über die Instandsetzung von Landstraßen und Brücken:
Deshalb muß jeder ordentliche Bürger Straßen und Brücken bauen und sie unterhalten.
Der römische Straßenbau, dessen großartige Leistungen wir noch heute bewundern, kann uns auch heute noch Vorbild sein.
Meine Damen und Herren, ich habe bisher nur vom reinen Straßenbau gesprochen. Wie das Salz zur Suppe so gehört zum Straßenbau eine Vielzahl von Einrichtungen, die mit dem Straßenbau zusammengenommen erst den Wert unserer Straßeninfrastruktur ausmachen. Die Skala dieser Maßnahmen reicht von einer Ausrüstung der Straße mit Leit- und Schutzeinrichtungen über die Beleuchtung einzelner Straßenabschnitte und besonders gefährlicher Knotenpunkte bis hin zu den Möglichkeiten einer zentralen Steuerung des Verkehrsablaufs und zu Forschungsarbeiten im Zusammenhang mit der starken Straßenabnutzung durch Spikes-Reifen. Sie werden diese Fragen ausführlich im Verkehrsbericht behandelt finden.
Ich möchte hier lediglich noch auf einen Punkt näher eingehen, der mir wegen seiner Bedeutung für den Verkehrsnutzer besonders am Herzen liegt. Es ist die Verbesserung des Service an unseren Autobahnen. Darüber werden viele Klagen geführt. Ich wollte hier mitteilen, welche Lösung wir uns vorstellen. Wir haben uns etwas einfallen lassen, was wir „Bundesautobahn-Dreipunkt-Service-System" nennen. Das heißt, an den Autobahnen sollen errichtet werden erstens alle 10 bis 15 km ein Kiosk und eine hygienisch einwandfreie Toilettenanlage.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1970 4537
Bundesminister Leber
Wir können nicht über bessere Umweltbedingungen reden, wenn wir allmählich die Rastplätze neben unseren Autobahnen in übelriechende Plätze verwandeln.
Das war aber auch vor meiner Zeit schon so.
Damit wird das „in den Wald gehen müssen" sein Ende finden. Die Umwelt der Autobahn wird nicht mehr verunreinigt werden.
Zweitens. Alle 25 bis 30 km wird eine Tankstelle errichtet werden, gegebenenfalls mit einem Erfrischungsdienst.
Drittens. Alle 50 bis 60 km soll an landschaftlich schönen und verkehrstechnisch geeigneten Punkten eine Raststätte gebaut werden. Bisher errichtete Automatenbetriebe, die ich für schlecht halte, werden durch moderne Cafeteria-Betriebe mit sauberem Service ersetzt werden.
Um aber auch dem Spitzenbedarf, etwa in den Ferienmonaten, gerecht zu werden, soll als ergänzende Maßnahme die Möglichkeit geschaffen werden, an besonderen Verkaufsstellen bei den Raststätten einfache Schnellgerichte zu mäßigen Preisen einnehmen zu können.
Ich komme nun von den Autobahnen, von den Fernstraßen zu den Verdichtungsräumen. Die Verkehrsverhältnisse in diesen Verdichtungsräumen haben sich durch die sprunghafte Zunahme des Individualverkehrs in beinahe revolutionärer Weise verändert.
Es gibt ein Buch, dessen Titel lautet: „Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung". Dieses Buch ist ein Bestseller geworden. Kein Verkehrspolitiker könnte ein solches Buch schreiben; er würde es vermutlich nicht einmal zu einem Schulaufsatz bringen. So wenig ist morgens um 7 oder abends um 5 in unseren Städten in Ordnung.
Die Erfahrungen in Deutschland, in anderen europäischen Staaten und besonders in den USA zeigen, daß eine „autogerechte Stadt" eine Utopie ist. Es gibt sie nicht, und es wird sie nicht geben.
Die Auswirkungen dieser Entwicklung, insbesondere die verschlechterten Umweltbedingungen, Verkehrsstauungen und Parkraumnot sind für viele Städter seit langem täglich spürbar. In Staaten mit hoher Besiedelungsdichte, wie z. B. in unserem Lande, sind nicht einmal räumliche Voraussetzungen für die Entwicklung von autogerechten Städten vorhanden, ganz abgesehen von den finanziellen Aufwendungen, die jedes Maß übersteigen würden, und auch abgesehen von der Gefahr einer Zerstörung historisch gewachsener Stadtbilder.
Wir müssen uns aber auch vor der gegenteiligen Philosophie hüten. Es gibt das Auto, und es wird noch mehr Autos geben, und wir dürfen deshalb auch keine autofeindliche Gesinnung bei unseren Versuchen aufkommen lassen. Zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Städten müssen wir daher zwangsläufig beidem entsprechen: neben städtebaulichen Maßnahmen für den Individualverkehr müssen die öffentlichen Verkehrsmittel in bezug auf Schnelligkeit, Preis und Komfort weiterentwickelt werden. Sie müssen so attraktiv werden, daß sie weite Bevölkerungskreise dazu bewegen, auf die tägliche Benutzung eines Personenkraftwagens, insbesondere im Berufsverkehr, zu verzichten und statt dessen öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.
Ich weiß, dazu gehört noch mehr. Dazu gehört beispielsweise die Frage, ob ein Kraftfahrzeug nur ein Verkehrsmittel ist oder ob nicht der Besitz eines Personenkraftwagens auch so etwas wie ein Statussymbol in der Gesellschaft ist. Vielleicht kann nach einer gewissen Zeit derjenige, von dem seine Nachbarn wissen, daß er ein Auto, unter Umständen sogar ein schönes Auto hat, ohne sein Sozialprestige zu riskieren, wieder einmal mit einem öffentlichen Verkehrsmittel fahren. Ich hoffe, daß uns da die Entwicklung zu Hilfe kommt.
Ich habe dem Hohen Hause bei der ersten Beratung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes am 23. September über den kommunalen Straßenbau und die Investitionsvorhaben des öffentlichen Personennahverkehrs berichtet. Ich habe berichtet, wie die zweckgebundenen Mineralölsteuermittel verwendet, für welche Aufgaben sie angelegt worden sind. Wir alle wissen, wie wohltuend diese Hilfe für die Gemeinden gewesen ist. Wir wissen aber auch ebenso deutlich, daß diese Finanzierungshilfen an die Adresse der Gemeinden nicht ausreichen. Die Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs fordern insbesondere eine Entlastung von der Mineralölsteuer. Diese Möglichkeit wird von der Bundesregierung erneut geprüft. Ich stelle mir vor, daß die Bereitschaft der Bundesregierung zu einer solchen Maßnahme desto größer sein könnte, je eher die Länder und Gemeinden zu erkennen geben, daß sie selber auch einen Beitrag zur Lösung des Problems zu leisten geneigt sind, z. B. durch eine Regelung der notwendigen Abgeltungsleistungen für diese Verkehre.
Außerdem bemühen sich die Unternehmen um einen Ausgleich für die Mehrbelastung, die ihnen aus der Einführung der Mehrwertsteuer erwachsen ist. Diese Frage stößt auf große steuersystematische Schwierigkeiten; auch sie wird jedoch in eine erneute Überprüfung des Gesamtkomplexes einbezogen werden.
In diesem Zusammenhang muß ich darauf zu sprechen kommen, daß von verschiedenen Seiten die Ein. führung des sogenannten „Null-Tarifs" immer wie. der diskutiert und als eine Art Generalkur zur Hei. lung der Probleme des Stadtverkehrs gefordert
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Bundesminister Leber
wird. Ich halte mit meiner Meinung nicht hinter dem Berg.
— Sie dürfen nicht nur „Jusos" sagen; Sie haben die gleichen Probleme auch bei sich zu Haus. Aber Sie reden immer nur von den anderen.
Der Null-Tarif ist kein geeignetes Mittel — —
— Meine Damen und Herren, ich halte doch nun wirklich hier einen Vortrag, der keine Spitzen gegen Sie enthält. Ich würde es doch für dem Ernst der Sache angemessen halten, wenn man nicht dauernd in dieser Weise Zwischenrufe machte; die sind völlig unsachlich.
Der Null-Tarif ist kein geeignetes Mittel, die Verkehrsprobleme der Städte zu lösen, auch wenn darüber gehaltene Reden Beifall bringen. Mit NullTarifen löst man die Verkehrsprobleme so wenig, wie man mit kaltem Wasser Tuberkulose oder Krebs heilen kann.
Der Null-Tarif würde die öffentlichen Haushalte mit jährlich mindestens 3,5 Milliarden DM zusätzlich belasten, die von niemand aufgebracht werden können.
Verkehrsleistungen sind nicht zuerst karitative Leistungen. Die Bundesregierung ist vielmehr der Auffassung, daß von dem Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel ein angemessenes und tragbares Entgelt erhoben werden muß. Das kann bei steigendem Einkommen billigerweise auch erwartet werden. Außerdem ist es sehr zweifelhaft, ob ein Null-Tarif bei allmählich verrottenden öffentlichen Verkehrsmitteln tatsächlich in größerem Umfange Leute veranlassen würde, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen, die fast nicht mehr so aussehen, daß man noch mit ihnen fahren kann.
Verbesserte Leistungsangebote im öffentlichen Personenverkehr, also größere Schnelligkeit, Pünktlichkeit, Komfort und Netzdichte, sind ein wirksamer Beitrag zur Lösung der Nahverkehrsprobleme. Wir wissen, meine Damen und Herren, das kostet Geld für neue Einrichtungen, die diesen Ansprüchen genügen sollen. Dieses Geld kann man nicht von den sowieso zu schmalen Mitteln nehmen, die dem Fernstraßenbau gegenwärtig zur Verfügung stehen.
Für den Fall, daß eine Lösung möglich ist, wie ich sie mit meiner Lösung Nr. 3 hypothetisch aufgezeigt habe, ergibt sich auch die Möglichkeit, von diesen zusätzlichen Mitteln so viel abzuzweigen, wie an Hilfe für die Gemeinden zum Zwecke ihres Verkehrsbaues mindestens geboten ist.
Im übrigen werde ich das Hohe Haus zu gegebener Zeit über den Inhalt eines Gesamtprogramms über gemeinsame Grundsätze des Bundes und der Länder zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der öffentlichen Personennahverkehrsbetriebe unterrichten, das auf Anregung der Länderverkehrsministerkonferenz in meinem Hause gegenwärtig erörtert wird.
So viel möchte ich hier aber anmerken, damit keine Mißverständnisse entstehen: Wenn der Bund den Gemeinden hilft, Investitionen zu finanzieren, und wenn es schon nicht möglich ist, diese Investitionen über Tarife und Fahrpreise zu amortisieren, dann muß für den laufenden Betrieb dieser Verkehrsmittel ein möglichst hoher Kostendeckungsgrad angestrebt werden. Es wird keiner Bundesregierung möglich sein, kommunale Verkehrsträger zu subventionieren.
Ich habe zu Beginn meiner Ausführungen davon gesprochen, daß der Verkehrsbericht 1970 darzulegen versucht, wie die Gewinne unseres Verkehrssystems vergrößert und wie seine Verluste gemindert werden können. Ein für uns alle beklemmender Negativposten ist die Sicherheit im Straßenverkehr. Die Toten und die Verletzten des Verkehrs — vom reinen Sachschaden ganz abgesehen — klagen die heutige Gesellschaft an. Im vergangenen Jahr hatten wir fast 17 000 Tote und fast eine halbe Million Verletzte zu beklagen. Dieses Jahr werden die Verluste leider noch höher sein.
Ich hoffe dabei, daß diejenigen, die von 20 000 Toten in diesem Jahr sprechen, nicht recht behalten. Aber ich gebe zu: die Entwicklung ist besorgniserregend. Sie kann nur aufgehalten und zum Besseren gewendet werden, wenn wir den vielerlei Gründen hierfür weiterhin energisch nachspüren und gezielt gegen die Unfallursachen ankämpfen. Die Ursache für diese Misere sind wir in großem Umfange selbst, und zwar als Verkehrsteilnehmer, als Kraftfahrer, als Radfahrer, als Fußgänger, als Kind und als Greis. Die Gründe für dieses Fehlverhalten sind so zahlreich, wie die Menschen verschieden sind: Unkenntnis und Leichtsinn, Ungeduld und Egoismus, Überschätzung der eigenen Fähigkeiten und vieles andere sind nur einige der Gründe, die man dafür aufzeigen müßte. Wenn wir uns als Kraftfahrer auf die Couch des Psychiaters legten, könnten wir sicher noch eine ganze Reihe weiterer Gründe erfahren, die wir so abstreiten.
Wenn man aber weiß, daß der Mensch — hier sehr zu seinem Schaden — zuerst das Maß aller Dinge ist, so muß man bei ihm ansetzen.
Wir leben in einer Welt, in der die Menschen sich mit dem Motor bewaffnet in der Gesellschaft begegnen. Das erfordert ein entsprechendes Verhalten in der motorisierten Gesellschaft. Für Individualismus ist in dieser motorisierten Gesellschaft kein Platz auf unseren Straßen. Der Straßenverkehr verlangt Einordnung in sein System und ein höheres Maß an Selbstbeherrschung und Selbstbeschränkung, als viele zu üben bereit sind.
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Bundesminister Leber
Wir würden jedoch unserer Verantwortung nicht gerecht werden, wollten wir uns darauf beschränken, nur auf die Bewußtseinsänderung der Verkehrsteilnehmer zu warten. Wir werden eingreifen müssen, wo wir Unsicherheit beseitigen und mehr Sicherheit schaffen oder sozialschädliches Verhalten verhindern können. Kurz: Wir müssen uns zu einer Abwehrgemeinschaft zusammenschließen mit einer Art Rundum-Verteidigung gegen jedwede Art von Unsicherheit auf unseren Straßen.
Mit der neuen Straßenverkehrs-Ordnung ist es gelungen, das jahrelange Ringen um ein modernes Verkehrsrecht abzuschließen. Die Bundesrepublik Deutschland ist das erste Land in Europa, das diese neuen, international abgestimmten Verkehrsregeln beschlossen hat und sie in Kraft setzen wird. Damit haben wir jetzt ein für jedermann verständliches und lesbares Verkehrsverhaltensrecht, dessen Ziel es auch ist, Unfälle zu verhindern.
Eine Aufklärungsaktion des von der Bundesregierung und von anderen Spendern, Automobilverbänden usw. finanzierten Deutschen Verkehrssicherheitsrats wird dafür sorgen, daß jeder Bundesbürger mit dem Inhalt der neuen Straßenverkehrs-Ordnung und den Änderungen gegenüber der seitherigen Regelung rechtzeitig und ausreichend vertraut gemacht wird.
Ich kann nicht ausschließen, daß wir noch weitere Schritte zu bedenken haben. Ich kann z. B. keinen Zweifel haben an dem, was mir seit langer Zeit verantwortungsbewußte Mediziner, vor allem auch Augenärzte sagen. Sie sagen mir, daß es nicht wenige unter uns gibt, die schon als Fußgänger unsicher sind, weil sie wegen der schlechter gewordenen Sehkraft ihrer Augen kaum den Boden unter ihren Füßen sehen können. Sie fahren aber trotzdem mit dem Auto. Sie gefährden sich und ihre Mitbürger, weil sie oft zu eitel sind, eine Brille aufzusetzen, die sie längst vom Arzt verordnet bekommen haben. Wer eine Brille nötig hat und keine Brille trägt, der riskiert nicht nur sein Augenlicht, sondern sein und seiner Mitmenschen Leben.
Ein anderes Kapitel. Im Jahre 1969 war bei jedem vierten Unfall mit Todesfolge Alkohol im Spiel. Das sind mehr als 4000 Tote durch Alkohol im Jahr. Diese Unfallursache hat in diesem Jahr gegenüber dem Vorjahr noch erheblich zugenommen. Im Februar 1970 gab es fast 50 % mehr tödliche Unfälle mit Alkohol als gerichtlich nachgewiesener Ursache als im Februar 1969.
Die überwiegende Zahl in- und ausländischer Wissenschaftler sagt uns, daß man mit 0,8 Promille Alkohol im Blut nur noch ein Viertel der Fahrtüchtigkeit besitzt, über die man als Nüchterner verfügt. Wer mit soviel Alkohol fährt, fühlt sich mutig und hat Courage. Ich kenne fast alle Gegenargumente und alle Gegenkräfte. Sie beginnen mit Zweifeln an der exakten Bestimmbarkeit der Alkoholmengen und führen über den Vorwurf des Eingriffs in die Freiheitssphäre bis zu Anwälten, die deswegen, weil es dieses Delikt gibt, gerne Prozesse führen, oder zu Syndizis, die Schnapsbrenner und andere Alkoholerzeuger und Händler vertreten.
Alles das gibt es aber nicht nur bei uns, das gibt es auch in anderen Ländern. Fast alle Länder um uns her in Europa haben heute einschneidende Gesetze gegen Alkohol am Steuer. Hier in unserem Lande ist es zweimal versucht worden. Die Bundesrepublik Deutschland ist eine einsame motorisierte Alkoholoase mit aus diesem Grunde größer werdenden Friedhöfen geworden. Dieses Massensterben von täglich 15 Menschen und mehr durch Alkohol kann niemand mehr verantworten, und das kann jemand, der politisch verantwortlich ist, nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren.
Ich bin kein Freund davon, allzuviel und alles in Gesetzen zu regeln. Wir haben in mancher Beziehung zuviel Gesetze und müssen uns dagegen wehren, daß von der individuellen Freiheit immer noch mehr verstaatlicht wird. Ich habe es aber noch nicht aufgegeben, auf die Vernunft und die Einsicht der Menschen im Lande zu bauen, und wir wollen in den nächsten Monaten noch einen großen Versuch machen, in dieser Frage vielleicht ohne ein Gesetz auszukommen. Wir haben vor, in den nächsten Monaten eine große Kampagne gegen Alkohol am Steuer ins Leben zu rufen und alle verantwortlichen Kräfte im Lande, von den Automobilklubs bis zu den Priestern auf den Kanzeln zu bitten, in diesen Kampf einzugreifen, damit der Friede auf unseren Straßen besser wird. Ich hoffe, daß wir damit die Schwelle des Grauens senken werden. Wenn das nicht geschieht, wenn dieses von mir erhoffte Ergebnis nicht eintritt, bleibt kein anderer Weg, als im kommenden Jahr zu einem geeigneten Zeitpunkt dem Parlament einen Gesetzentwurf zur Beschlußfassung vorzulegen.
Dazu kommt eine Reihe weiterer Aufgaben.
Die ausländischen Erfahrungen mit Geschwindigkeitsbeschränkungen außerhalb geschlossener Ortschaften werden wir auf ihre unfallverhindernde Wirkung hin genau beobachten.
Die begonnenen Arbeiten zur Verbesserung vor allem der Sicherheit des Fahrzeuginnern werden fortgeführt. Sicherheit im Kraftfahrzeug verkauft sich heute besser als Chrom und Lack. Diese Tatsache wird die Industrie, so hoffe ich, dazu bringen, sich nicht durch Vorschriften drängen zu lassen, sondern in Sachen Sicherheit dem Gesetzgeber vorauszueilen. Die Bereitschaft der deutschen Automobilindustrie, die technischen Anforderungen an ein experimentelles Sicherheitsfahrzeug zu erarbeiten, begrüße ich deshalb außerordentlich. Ich begrüße auch die Bereitschaft der Automobilindustrie, solche experimentellen Sicherheitsautos zu bauen. Ich bin froh, daß es möglich war, mit der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika ein Abkommen über gemeinsames Vorgehen und eine enge Kooperation abzuschließen, um gemeinsam zu forschen und gewonnene Erfahrungen auszutauschen.
Das Unfallrettungswesen muß verbessert werden. Mit den angestrebten Maßnahmen im Bereich der Unfallrettung erhöhen wir die Überlebenschance der Unfallopfer und mildern die Unfallfolgen. Als wichtigen Schritt haben wir auch die Verbesserung des Unfallmeldesystems durch Einführung einer gemeinsamen Notrufnummer 110 im ganzen Bundes-
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gebiet vorgesehen. Jeder Notruf soll zu einer ständig besetzten Notrufzentrale führen. Wir haben Versuche mit dem Einsatz von Hubschraubern begonnen, die besonders für die Rettung von Unfallverletzten entwickelt wurden.
Die erst in jüngster Zeit wieder erhobenen Forderungen nach mehr Verkehrserziehung in Kindergärten und Schulen kann ich nur unterstreichen und unterstützen. Die Ausbildung der intellektuellen und musischen Fähigkeiten des jungen Menschen genügt heute nicht mehr. Er muß auch lernen, wie er die Gefahren des Straßenverkehrs bestehen kann. Wir müssen erreichen, daß die Zahlenkolonnen der Statistik über Schulwegunfälle, die mit Recht als die traurigste Statistik Deutschlands bezeichnet wird, auf ein Minimum reduziert werden.
Meine Damen und Herren! Nach diesem Kapitel über den Straßenverkehr komme ich zu den Eisenbahnen. Erlauben Sie mir ein paar kurze Worte zur gegenwärtigen Situation!
Die Eisenbahnen haben erhebliche Verkehrszuwächse zu verzeichnen. Im ersten Halbjahr 1970 beförderte die Deutsche Bundesbahn 10 % mehr Güter als im ersten Halbjahr 1969; die geleisteten Tariftonnenkilometer erhöhten sich im gleichen Zeitraum um 13 %. Auch die Leistungen im Personenverkehr sind gestiegen. Bemerkenswert ist hierbei vor allem die Zunahme im Fernverkehr.
Von vielen Seiten war die Befürchtung geäußert worden, daß die Deutsche Bundesbahn bei dieser starken Zunahme ihres Güterverkehrs in diesem Jahr den Herbstverkehr nicht bewältigen könnte. Ich kann berichten, daß der Verkehr bisher gut gelaufen ist und daß der Wagenbedarf der Wirtschaft fast vollständig gedeckt worden ist. Durch die Bereitstellung neuer und die Anmietung fremder Güterwagen ist der Wagenpark rechtzeitig ausgeweitet worden. Für 1970 stehen über 7000 neue Waggons, die die Eisenbahn braucht, auf dem Anschaffungsprogramm. Sie sollen dazu beitragen, den zusätzlichen Verkehr zu bewältigen und damit auch Belastungen von der Straße fernzuhalten.
Sehr sorgfältig ist auch der Verkehr für die Weihnachtszeit 1970 vorbereitet worden, der wegen der hohen Zahl ausländischer Arbeitnehmer voraussichtlich eine neue Rekordhöhe erreichen und eine starke Überbeanspruchung mit sich bringen wird. Die Bundesbahn rechnet damit, daß die Zahl der mit der Eisenbahn reisenden ausländischen Arbeitnehmer in diesem Jahr vor Weihnachten auf 560 000 ansteigen wird. Das ist viel mehr als im vergangenen Jahr. Verspätungen, überfüllte Züge und die damit verbundenen unerfreulichen Auswirkungen werden sich jedoch nur dann vermeiden lassen, wenn auch die Wirtschaft mitzieht und ihren Beschäftigten aus dem Ausland zum Teil möglichst schon vor dem 17. Dezember die Möglichkeit zur Reise in die Heimatländer gibt.
Insgesamt ist es der Eisenbahn unbestreitbar gelungen, sowohl ihr Leistungsangebot als auch ihre
innere Struktur durch Rationalisierung, Modernisierung und Konzentration erheblich zu verbessern und den Forderungen ihrer Kunden näherzukommen.
Im Bewußtsein der Öffentlichkeit haben wir es heute mit einem Unternehmen zu tun, das sich mehr und mehr von obrigkeitlichem Denken befreit hat und das sich auf den Verkehrsmärkten als Wirtschaftsunternehmen einen festen Platz erobert. Die Bundesregierung wird diesen erfreulichen Trend, diese Bewegung, die in die Eisenbahn gekommen ist, nach Kräften weiter fördern. Das wiedergewonnene Vertrauen der Eisenbahner halte ich dabei für den größten Aktivposten auf dem Wege der Eisenbahnen in eine gute Zukunft. Wir sind allen Eisenbahnern - vom Vorstand der Deutschen Bundesbahn bis zum Arbeiter im Oberbau — für die Leistungen, die sie in den letzten Jahren vollbracht haben, zu Dank verpflichtet.
Die Maßnahmen des verkehrspolitischen Programms hatten zum Ziel, den negativen Trend der Deutschen Bundesbahn zu stoppen. Sie bilden gleichzeitig die Basis, von der aus die Unternehmenskonzeption für die Zukunft in Angriff genommen werden kann. Wir haben die Vorarbeiten für eine längerfristige Konzeption des Unternehmens eingeleitet. Sie werden verstehen, daß sich die Konzeption einer Eisenbahn der 80er Jahre schon im Interesse der davon betroffenen Bediensteten und der bestehenden internationalen Verflechtungen nicht von heute auf morgen verwirklichen läßt.
Nach dem bisherigen Ergebnis der Arbeiten zeichnen sich folgende drei Problemkreise ab, die sorgfältig untersucht werden müssen.
Erstens. Die Deutsche Bundesbahn unterhält im Gegensatz zu ihren Konkurrenten ihren Fahrweg selbst. Bei Überlegungen zur Wegekostenfrage, aber auch bei den Arbeiten an einem integrierten Bundesverkehrswegeprogramm wird zu prüfen sein, inwieweit der Fahrweg auch weiterhin ein integrierter Bestandteil des Unternehmens sein soll.
Zweitens. Der Güterverkehr der Deutschen Bundesbahn ist — wie bei den anderen Verkehrsträgern — nicht von den Problemen der übrigen Wirtschaft zu lösen. Es bietet sich daher an, diesen Zweig des Verkehrs entsprechend der marktwirtschaftlichen Ordnung unserer Wirtschaft nach kaufmännischen Grundsätzen zu gestalten.
Drittens. Insbesondere auch im Personennahverkehr erfüllt die Eisenbahn Aufgaben der Daseinsvorsorge. Dies bedingt, daß hier nicht allein kaufmännische Gesichtspunkte maßgebend sein können, sondern daß der Staat seine Unterstützung geben muß.
Auf der Grundlage dieser Überlegungen werden konkrete Maßnahmen einzuleiten sein. Die dazu notwendigen Vorschläge werden vorgelegt, sobald sie abschließend erarbeitet worden sind.
Als einen Schritt auf dem Wege zur Gesundung der Deutschen Bundesbahn sieht die Regierungserklärung vor, daß das Unternehmen von einem
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Teil der Verschuldung, die ihm vor allen Dingen nach dem zweiten Weltkrieg aufgelastet worden ist, befreit werden soll. Es handelt sich hierbei um eine einmalige Operation, die zur Klärung des Eigentümerverhältnisses zwischen dem Bund und seinem Sondervermögen beitragen soll.
Nach eingehenden Untersuchungen ist es verkehrspolitisch und betriebswirtschaftlich vertretbar, den Kapitaldienst für Schulden der Bundesbahn in Höhe von 10,5 Milliarden DM auf den Bund als Eigentümer zu übernehmen. Als erste Maßnahme sollte der entsprechende Zinsendienst von jährlich etwa 700 Millionen DM vom Bund übernommen werden. Dies ist ein Buchungsvorgang, der nicht zu einer haushaltsmäßigen Mehrbelastung führt.
Das, was hinter uns liegt, sind einige Jahre erfolgreicher Eisenbahnpolitik. Der Erfolg besteht darrin, daß die Bahn seit 1968 wieder voll ausgelastet ist. Das war in den Jahren 1963 bis 1965 bei ebenfalls hoher Konjunktur nicht der Fall. Dies ist auch heute in anderen Ländern mit hoher Konjunktur nicht der Fall. Die Tatsache, daß die Bundesbahn in anderen Ländern, die auch eine hohe Konjunktur haben, Waggons leihen kann, weil sie dort nicht gebraucht werden, ist ein Beweis dafür, daß sie einen Weg gegangen ist, den bisher keine Eisenbahn in einem so industrialisierten Land, wie es die Bundesrepublik ist, gegangen ist. Das ist auch der wichtigste Beweis für den Erfolg unserer Eisenbahnpolitik.
Meine Damen und Herren, wir sind dabei, mit alten Mängeln fertig zu werden. Wir sehen aber in dem Maße, in dem wir mit alten Problemen fertig werden, neue vor uns stehen. Ich will hier auch ganz offen und redlich und unter Verzicht auf alle Rhetorik sagen, welche Probleme ich auf uns zukommen sehe. Wir werden die Eisenbahn nicht in die Nähe der Eigenwirtschaftlichkeit bringen — niemand wird sie dahin bringen —, wenn die künftigen Probleme, die sich hier neu stellen, nicht mit bedacht werden. Ein Unternehmen kann in bezug auf die Hergabe seiner vollen Leistungen noch so erfolgreich geführt werden, es wird nicht allein deshalb, weil es sich unternehmerisch erfolgreich verhält, seine Eigenwirtschaftlichkeit gewinnen können. Das wird aus zwei Gründen nicht möglich sein, und hier unterscheidet sich die Eisenbahn nicht mit einer Nuance von irgendeinem anderen Unternehmen der Wirtschaft:
Kein Unternehmen kann auf einen grünen Zweig kommen, das bei steigenden Kosten, denen es nicht ausweichen kann, davon abgehalten wird, seine Preise entsprechend den gestiegenen Kosten anzupassen. Bei schwacher Konjunktur wird das verweigert, weil man die Konjunktur beleben will, bei hoher Konjunktur wird es verweigert, weil man sie dämpfen will, und bei normaler Konjunktur wird es verweigert, weil es aus politischen Gründen nicht richtig ist.
— Die kennen Sie doch aus jahrlangem Miterleben,
Herr Kollege Müller-Hermann. Sie haben doch mitgeholfen, die Eisenbahn in diese Sackgasse zu bringen, aus der wir sie wieder herausführen mußten.
Ihr Hauptanteil dabei ist größer als der irgendeines anderen in diesem Hause, auch größer als der meines Vorgängers, Herrn Seebohm.
Wenn dieses Kapital einmal aufgemacht wird, kommen Sie gar nicht gut davon. Ich kann Sie nur warnen, mich mit Zwischenrufen zu animieren, Ihnen Ihr Schuldkonto aufzumachen.
Wer ein marktgerechtes Preisverhalten nicht will und ebenso aus politischen oder konjunkturpolitischen Gründen selbstkostengerechtes Verhalten der Eisenbahn will, der muß sich darauf einrichten, daß er mit kranken und finanziell ausgezehrten Großunternehmen leben und jährlich von Staats wegen wachsende Milliarden für den Ausgleich ihrer Rechnungen auf den Tisch legen muß.
Zu dem, was ich Unfreiheit zu einer halbwegs markt- und unternehmensgerechten Preispolitik nenne, die jeden Unternehmer in der Welt davon abhalten würde, ein solches Unternehmen auch nur eine Stunde zu betreiben, kommt aber in der Gegenwart noch etwas hinzu, das besonders jetzt wieder aktuelle Bedeutung hat, gerade heute. Das sind die ungewöhnlich steigenden Personalkosten, die kein Unternehmen dieser Art verkraften kann, die ihm jede gesunde eigenwirtschaftliche Basis unter den Füßen wegziehen müssen, besonders wenn es auf der Preisseite angebunden ist.
Ich rede hier offen darüber, nicht weil ich jemand schelten will, sondern weil ich nicht hinnnehmen kann, daß unsere im übrigen hocherfolgreiche Eisenbahnpolitik, die sich von jedem anderen Land abhebt, ins falsche Licht gebracht und als erfolglos verdächtigt wird, weil sie mit diesen ungewöhnlich wachsenden Personalkosten aus eigener Kraft nicht fertig wird und nie fertig werden kann. Das kann auch keine Verkehrspolitik erreichen.
Damit es keine Mißverständnisse gibt, möchte ich Ihnen das in Zahlen darstellen. Wenn man die Ausgleichszahlungen des Bundes, die das Bild nur verschleiern, wegläßt, dann hatte die Deutsche Bundesbahn in den konjunkturell guten Jahren 1963 bis 1965 eine Verminderung ihrer Erträge um 80 Millionen DM zu verzeichnen. Das Defizit stieg gewaltig. In den Jahren 1968 bis 1970, die auch Jahre guter Konjunktur sind, haben sich die Erträge der Eisenbahn um 1921 Millionen DM erhöht. Das ist unser Erfolg. Die Personalkosten zu Lasten der Deutschen Bundesbahn sind aber in diesen drei Jahren um 1808 Millionen DM gestiegen.
Niemand wird dem Personal der Eisenbahn verweigern wollen, angemessen an den allgemeinen Lohn- und Gehaltsverbesserungen beteiligt zu sein. Aber ich muß hier die Frage stellen, wieviel mehr wir im allgemeinen und in Auswirkung dessen, was allgemein geschieht, auch in solchen öffentlichen Unternehmen aus eigener Kraft dieser Unternehmen verkraften können.
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Dazu kommt, daß der Personalkostenanteil bei der Bundesbahn höher liegt als in manchem Unternehmen der Wirtschaft, das die Lohnerhöhungen sofort in die Preise weitergibt. Das haben wir in den letzten Monaten verschiedentlich gehört. Dieser Lohnkostenanteil beträgt bei der Eisenbahn 70 %. Bei linearen Lohn- und Gehaltssteigerungen bedeutet gegenwärtig jeweils 1 % einen jährlichen Mehraufwand von 96 Millionen DM. 1 % gleich 96 Millionen DM!
Ich habe in der Regierung der Großen Koalition im August 1969 davor gewarnt, als ein paar Tage vor den Wahlen 1969 eine Gehaltsaufbesserung von dreimal 100 DM für die letzten drei Monate des Jahres 1969 beschlossen wurde, weil damit die Margen für die Erhöhungen des Jahres 1970 festgelegt wurden, ohne daß gleichzeitig ein Tarifvertrag abgeschlossen wurde, der die Bedingungen für das ganze Jahr geregelt hätte. Das, was fast zwangsläufig kommen mußte, kam dann 1970 mit Gesetzen und Tarifverträgen in der Größenordnung von alles in allem rund 10 % über unsere öffentlichen Unternehmen. Der Opposition hat das damals noch nicht genügt. Sie hat mehr als die 10 % gefordert, die die Bundesregierung in Anbetracht der allgemeinen Entwicklung vorgeschlagen hatte. Die Opposition hat damals einen Gesetzentwurf eingebracht, der die Forderung erhob, eine Erhöhung um 12 % statt um 10 % vorzunehmen.
Meine Damen und Herren, ich denke nicht daran, hier Kritik zu üben. Ich erlaube mir aber die Frage, ob diejenigen, die jetzt die Regierung kritisieren und zitieren, damals nicht von vornherein gewußt haben, wieviel das kostet, was sie vorgeschlagen und für noch zu wenig gehalten haben.
Ich sage das auch noch aus einem anderen Grund. Die Debatten über die Besoldung im öffentlichen Dienst sind angelaufen. Ich habe auch die Äußerungen, die es dazu von Damen und Herren des Hohen Hauses schon gibt, gehört. Ich erlaube mir, Ihnen vorzurechnen, wie die Lage ist, damit Sie wissen, woran wir sind.
Erstens. Die Deutsche Bundesbahn geht mit einem haushaltsmäßig nicht gedeckten Verlust von 700 Millionen DM in das Jahr 1971. Dieser ungedeckte Verlust ergibt sich zu 85 %, das sind gut 600 Millionen DM, aus gesetzlich oder tariflich bereits im Jahre 1970 festgelegten Mehrleistungen, die erst am 1. Januar 1971 in Kraft treten.
Zweitens. Wegen der unterschiedlichen Struktur von öffentlicher Verwaltung und Bundesbahn kostet jede Erhöhung der Bezüge bei Bahn und Post etwa 20 % mehr als im öffentlichen Dienst des Bundes.
Drittens. Das bedeutet, daß eine Erhöhung von 8 % im öffentlichen Dienst mit rund 10 % bei der Eisenbahn durchschlägt. Es gibt aber Leute — ich habe entsprechende Stimmen auch aus diesem Hohen Hause gehört —, die der Auffassung sind, diese 8 % reichten nicht aus, man müsse mit 10 % im öffentlichen Dienst rechnen. Das wären bei der Eisenbahn 12 bis 12 1/2 %, d. h. wenn das hier beschlossen würde, hätte es die Eisenbahn 1971 mit
einem haushaltsmäßig nicht gedeckten Aufwand von rund 1,7 Milliarden DM zu tun. Bis jetzt hat die Bahn ihre Kosten ziemlich gedeckt, aber das, was neu auf sie zukommt, kann sie nicht mehr durch Mehrverkehr verkraften, weil es keine leeren Kapazitäten mehr gibt.
Unter solchen Prämissen lassen sich die Tarife und Frachtsätze eines derartigen Unternehmens nicht halten. Darüber wird diskutiert, und ich lese auch, was die Zeitungen darüber schreiben. Ich habe auch gesehen, daß beispielsweise die „BildZeitung" — wie in vielen Fällen — das alles schon mit kritisch erhobenem Finger vorausgesagt hat. Die „Bild-Zeitung" hat sogar schon vorausgesagt, welche Frachten und Tarife erhöht werden. Das weiß nicht einmal ich genau.
Das war zum Teil unscharf. Da ich weiß, daß die „Bild-Zeitung", zu deren regelmäßigen Lesern auch ich gehöre
— irgendwoher muß man seine Bildung ja nehmen —,
einen Sinn für plastische und bildhafte Darstellung hat, erlaube ich mir einen kleinen Vergleich. Die „Bild-Zeitung" nannte sich einmal „Zehn-PfennigBild", d. h. sie kostete damals in Wirklichkeit nicht mehr als 10 Pf. Das war noch im Jahre 1965 der Fall. Die „Bild-Zeitung" hat ihren Preis bis zum Sommer dieses Jahres auf 20 Pf, d. h. um 100 %, erhöht.
In der Zeit, in der die „Bild-Zeitung" um 100 % teurer wurde, sind die Tarife im Personenverkehr der Deutschen Bundesbahn um 6 1/4 %, im Gepäckverkehr um 10 % und beim Expreßgut um 22 % gestiegen.
Wenn sich die Deutsche Bundesbahn auch so marktkonform verhalten könnte wie ein Wirtschafts- oder Verlagsunternehmen, hätte sie sicher kein Defizit, sondern würde Gewinne abwerfen.
Wenn die „Bild-Zeitung" mit ihrer Preispolitik politisch so angebunden wäre, wie Bahn und Post angebunden sind, wäre sie trotz der unbestreitbar hohen Qualität ihrer Redakteure wahrscheinlich auch defizitär;
denn es stehen fast immer irgendwo Wahlen vor der Tür, und man könnte eine so weit verbreitete Zeitung deshalb doch nicht teurer machen, auch wenn ihre Kosten gestiegen wären.
— Meine Damen und Herren, dieses Geschäft haben
Sie doch 17 Jahre lang so betrieben! Deshalb ist es
nicht leicht, das alles in wenigen Jahren zu ändern.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1970 4543
Bundesminister Leber
Wir sind jetzt dabei; Sie müssen nur etwas Geduld haben.