Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Hohe Haus hat am Mittwoch bis in die späten Abendstunden hinein das Erste und das Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts beraten. Die eingehenden Debatten insbesondere zu den wesentlichen Fragen der Einheitsstrafe und der kurzen Freiheitsstrafe sind noch in Ihrer aller Erinnerung, so daß ich glaube, darauf verzichten zu können, dies alles noch einmal zusammenzufassen. Ich möchte auch nicht noch einmal auf die Argumente eingehen, die Herr Abgeordneter Dr. Zimmermann hier vorgebracht hat. Ich glaube, die Argumente sind ausgetauscht. Ich kann nur hoffen, daß der neue Entwurf auch insoweit im Laufe der Zeit diejenigen überzeugen wird, die ihm heute noch nicht zustimmen zu können glauben. Ich möchte mich daher auf einige allgemeine und grundsätzliche Bemerkungen beschränken.
Schon in der zweiten Lesung hatte ich Gelegenheit, den Damen und Herren des Sonderausschusses und insbesondere dem Vorsitzenden des Ausschusses, Herrn Generalbundesanwalt a. D. Güde, sehr herzlich zu danken und auch den Dank und die Hochachtung der Bundesregierung für die geleistete Arbeit zum Ausdruck zu bringen.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch noch einmal den Dank für die drei Sprecher der Fraktionen, Frau Dr. Diemer-Nicolaus, Herrn Schlee und Herrn Dr. Müller-Emmert, wiederholen.
Ich freue mich, daß diese Arbeit von Erfolg gekrönt war. Denn wir können hier wohl feststellen, daß mit dem Ergebnis der zweiten Lesung die Arbeiten des Ausschusses in sehr eindrucksvoller Weise bestätigt worden sind.
Das wesentlichste Ergebnis dieser zweiten Lesung scheint mir zu sein, daß es gelungen ist, trotz mancher sachlicher Gegensätze in Einzelfragen in der Schlußabstimmung die gesamte Vorlage zur Reform des Strafrechts einstimmig anzunehmen. Hierfür möchte ich dem gesamten Hohen Hause von Herzen danken. Wir im Justizministerium sehen in diesem einstimmigen Votum eine starke Ermutigung, auf dem einmal begonnenen Wege fortzufahren, um unserem Volke ein modernes Strafrecht auf allen Gebieten zu geben. Gerade darin, daß auch diejenigen, die in manchen wichtigen Einzelfragen sich nicht zu den Vorschlägen des Sonderausschusses bekennen konnten, dennoch dem gesamten Werk ihre Zustimmung gegeben haben, zeigt sich deutlich, daß überall der Wille zur guten Zusammenarbeit vorhanden ist, daß alle das Ganze im Auge haben und daß sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, daß es unverantwortlich wäre, wegen Differenzen in Einzelfragen die Reform im ganzen weiter zu vertagen oder gar zu verhindern.
Überblicken wir das Ergebnis der zweiten Lesung, so sollten wir zweierlei im Auge behalten. Erstens: Die Beschlüsse des Deutschen Bundestages zum Ersten und Zweiten Reformgesetz bedeuten einen entscheidenden, ja, den entscheidenden Durchbruch zu einer modernen Konzeption des Strafrechts, zu einer rationalen, modernen Kriminalpolitik. Zweitens: Das Ergebnis darf aber keineswegs bereits als d i e Gesamtreform angesehen werden, nach der man sich nunmehr auf den Lorbeeren, die man geerntet hat, ausruhen könnte.
Lassen Sie mich beide Gedanken noch etwas näher ausführen. Es wäre ungerecht und verfehlt, das heute Erreichte allein an theoretischen, idealen Forderungen der modernen Kriminalpolitik und Strafrechtslehre zu messen. Es liegt in der Natur zukunftweisender Erkenntnisse, daß sie ihrer Zeit vorauseilen. Erst hochgesteckte Ziele geben uns den Antrieb, wenigstens das Erreichbare zu erreichen. Deshalb möchte ich nochmals mit Dank der Unter-
12846 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 232. und 233. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Mai 1969
Bundesminister Dr. Ehmke
Stützung und des Impulses gedenken, den der Alternativ-Entwurf unseren ganzen Reformarbeiten gegeben hat.
Messen wir nun das Erreichte an dem, was in anderen kriminalpolitisch als fortschrittlich geltenden Ländern verwirklicht ist, so ist festzustellen, daß die Bundesrepublik nach Inkrafttreten dieses neuen Gesetzes wieder in der vordersten Reihe stehen wird. Die Einheitsstrafe wird verwirklicht, die Strafaussetzung zur Bewährung bedeutend ausgebaut, die kurze Freiheitsstrafe entscheidend eingeschränkt und ein zukunftsträchtiges Maßregelsystem geschaffen. Weiter ist wenigstens der Beginn damit gemacht, die Straftatbestände einzuschränken auf solche Verhaltensweisen, die echtes kriminelles Unrecht sind. Das sind durchaus Dinge, meine Damen und Herren, die sich sehen lassen können, die das Gesicht unseres bisherigen Strafrechts entscheidend wandeln, so daß diese Gesetze mit Recht nicht mehr als Strafrechtsänderungsgesetze, sondern als Reformgesetze bezeichnet worden sind.
Wenn nun aber auch dieser Durchbruch erreicht worden ist, so ist damit bei weitem noch nicht alles getan. Das gilt sogar für den schon komplett verabschiedeten Allgemeinen Teil. Nehmen Sie etwa Dinge wie die sozialtherapeutische Anstalt oder auch die Einschränkung der kurzen Freiheitsstrafe. Hier werden wir offen sein müssen für künftige Erkenntnisse, vor allem aber auch für die künftigen Erfahrungen der Praxis. Ich hoffe zuversichtlich, daß unsere Gerichte das neue Recht in dem Geiste anwenden werden, aus dem heraus es geschaffen worden ist. Vor allem wünsche ich, daß auch der Straf- und Maßregelvollzug recht bald in die Lage versetzt wird, die Chancen zu ergreifen, die ihm mit diesem Gesetz geboten werden, insbesondere wenn wir in der nächsten Legislaturperiode . ein modernes Strafvollzugsgesetz verwirklicht haben werden, was unsere feste Absicht ist. Nur wenn die Gerichts- und Vollzugspraxis den Geist des modernen Strafrechts aufnimmt, wird unser Reformwerk lebendig sein. Sonst bleiben die Gesetzesbeschlüsse dieses Hohen Hauses totes Papier.
Und vor noch einem Mißverständnis möchte ich warnen. In einigen Pressemeldungen über die zweite Lesung war zu lesen, der Bundestag habe außer dem Allgemeinen Teil des Strafrechts vor allem auch das Sittenstrafrecht reformiert. Das klingt so, als sei dieses ganze Kapitel bereits abgeschlossen. Davon kann keine Rede sein. Es sind, wie im Ausschußbericht auch deutlich zum Ausdruck kommt, nur einige wenige Probleme, die vordringlich waren und zu deren Behandlung die Zeit noch reichte, gelöst worden. Wichtige Dinge sind offengeblieben und werden in der nächsten Legislaturperiode vordringlich behandelt werden müssen. Das muß man für eine gerechte Würdigung der Reformarbeiten auf diesem Teilgebiet im Auge behalten.
Damit bin ich bereits bei dem, was noch vor uns liegt: Die ersten und wichtigsten Etappen der Strafrechtsreform sind zwar erreicht, aber zahlreiche bedeutende müssen noch verwirklicht werden. Ich nannte bereits das Strafvollzugsgesetz. Weiter wird ein umfangreiches Einführungsgesetz bewältigt werden müssen. Vor allem aber wird der gesamte Besondere Teil des Strafgesetzbuches, aus dem erst wenige Bruchstücke erledigt sind, so zeitig reformiert werden müssen, daß bei Inkrafttreten des von Ihnen bereits beschlossenen Allgemeinen Teils im Jahre 1973 nicht nur ein Torso, sondern ein einheitliches komplettes Strafgesetzbuch mit allen seinen Teilen in Kraft treten kann.
Dieses Ziel ist sicherlich hoch gesteckt. Wir halten es aber nicht für utopisch. Der Verlauf der Plenarberatungen hat uns ermutigt, dieses Ziel in Angriff zu nehmen. Helfen Sie alle uns dabei, auf dem so verheißungsvoll begonnenen Wege fortzufahren. Dann kann es nicht fehlen, daß wir endlich ein Strafrecht schaffen, das unseren eigenen Ansprüchen gerecht wird und das unseres demokratischen Staates würdig ist.