Rede von
Herbert
Wehner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident, ich möchte auf die Fragen des Herrn Kollegen Müller antworten: Bei den beiden hier angeführten Pressedarstellungen handelt es sich um journalistisch freie Bearbeitungen von Meinungen, die ich auf Fragen geäußert habe, deren Gegenstand die Entscheidung des Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages über die Einberufung der Bundesversammlung nach Berlin war. In der Augsburger Zeitung ist die Form der Äußerungen, die ich in einem Gespräch mit Journalisten gemacht hatte, als Interview, am folgenden Tag sogar als Exklusivinterview bezeichnet worden,
während die andere Zeitung, die Sie genannt haben, die „Welt", sich auf ein Gespräch mit mir bezieht.
Im Fall der „Welt" gibt es wohl — da ich nicht annehme, daß sie gelöscht worden ist — eine Bandaufnahme, die mit meinem Wissen angefertigt worden ist, und stenographische Teile. Aber beide befinden sich im Besitz der Fragesteller, nicht in meinem Besitz. Allerdings hat diese Zeitung auch nicht behauptet, sie veröffentliche ein Interview mit mir.
Im ersten Fall, dem der Augsburger Zeitung, kann es meines Wissens lediglich Notizen der Journalisten geben. Es mag unterschiedliche Auffassungen darüber geben — und es gibt sie natürlich —, wann von einem Interview gesprochen werden kann. Ich kann hier nur meine eigene Auffassung darlegen. Sie besteht darin, daß ein Interview dem Interviewten im Text vorgelegen haben muß, ehe es als Interview veröffentlicht wird. Dem Journalisten ist es im übrigen unbenommen, zu schreiben, was er von den Auffassungen jemandes hört, der ihm Fragen beantwortet hat. Aber ein Interview ist das nicht. Das ist hier nicht geschehen.
So muß ich Sie, Herr Kollege Müller, weil Sie präzis gefragt haben, was denn nun eigentlich stimme oder welche Pressemeldung den Tatsachen entspreche — Sie nannten eine vom 14. und eine vom 13. —; auf eine vom 15. Januar verweisen; ich bitte Sie um Entschuldigung. Dort habe ich in einer Harburger Zeitung über diesen Vorgang geschrieben und dann präzis folgendes zur Veröffentlichung gebracht:
Es ist meine Auffassung, daß wir nicht weniger Recht dazu haben, die Bundesversammlung in Berlin abzuhalten, als die Volkskammer, die regelmäßig in Berlin tagt, für sich in Anspruch nimmt.
Wenn der Bundestagspräsident, zu dessen Pflichten es gehört, den Ort und die Zeit für den Zusammentritt der Bundesversammlung zu bestimmen, die Bundesversammlung zum 5. März nach Berlin einberufen hat, so respektiere ich diese Entscheidung. Ich bestreite oder bezweifle nicht die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundestagspräsidenten; ich wünsche und bemühe mich, dazu nach meinen Kräften beizutragen, daß diese Entscheidungsfreiheit uneingeschränkt bleibt.
Die Gegenseite in Ost-Berlin nimmt die Bundesversammlung zum Vorwand für die Androhung von Pressionen. Meine Mahnung richtet sich an alle, die etwas dazu beitragen können, daß solche Pressionen nicht die Einwohner Berlins treffen oder zu ihren Lasten gehen.
Wenn im Streit um den Tagungsort der Bundesversammlung auf beiden Seiten Prestige-Gesichtspunkte maßgebend werden sollten, würde die Situation für die Berliner zu Unrecht zusätzlich belastet.
Das ist der Sachverhalt, um den es geht. Darüber muß sachlich gesprochen werden können. Es handelt sich nicht darum, die Erörterungen über die Bundesversammlung noch einmal von vorn zu beginnen, sondern darum, mit Umsicht zu tun, was möglich ist, damit nicht die an den Haaren herbeigezogenen Scheinargumente der Gegenseite zu einem Strick gedreht werden können.
Das ist das, was ich am 15. Januar formuliert habe, und das ist genau das, was ich, jener Meldung — sie bezeichnen sie als Meldung, ich sage „Darstellung" — zugrunde liegend, am Samstag, dem 11., in einem Gespräch mit Journalisten gesagt habe, wobei ich mich dagegen wehren mußte, daß wir in einer Situation stünden, in der man noch einmal von vorn beginnen und entscheiden könnte. Ich habe gesagt, die Entscheidung ist getroffen. Jetzt geht es um das, was zu tun ist, und zwar von allen beteiligten Seiten. Es sind sehr viele. Einige davon habe ich kürzlich in einer großen öffentlichen Diskussion angesprochen. Ich setze darauf manche Hoffnung. Das ist die neu ihr Amt antretende amerikanische Administration, die in diesen Fragen vor schwierigen Dingen, über die Gras gewachsen ist, steht. Das ist es, was den Tatbestand ausmacht.