Rede von
Hans
Katzer
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(CDU)
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat mit Beschluß vom 29. Juni 1966 die Bundesregierung aufgefordert, den Entwurf einer Novelle zum Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vorzulegen und damit das Gesetz an den technischen Fortschritt und die wirtschaftliche Entwicklung anzupassen. Ich habe mich jedoch bald nach meinem Amtsantritt davon überzeugt, daß eine bloße Novelle zum Gesetz nicht mehr ,den Anforderungen genügen würde, die heute an eine moderne Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik gestellt werden, ganz abgesehen von der Tatsache, daß das Gesetz von 1957 bis heute bereits achtmal novelliert wurde. Notwendig wurde jetzt, so glaube ich, eine Reform. Auch der Bundestagsausschuß für Arbeit stellte ausdrücklich fest, daß die Zeit reif dafür sei.
Anpassung an den technischen Fortschritt und an die wirtschaftliche Entwicklung — in diesem Auftrag liegt die ganze Fülle der Probleme beschlossen, die wir mit der Neufassung in Angriff nehmen mußten. Wer mit dieser Blickrichtung an die bisherige Gesetzesmaterie heranging, konnte nicht auf halbem Wege bei einzelnen Änderungen des alten Gesetzes stehenbleiben; er mußte die Zielsetzung des Gesetzes neu durchdenken, ,die Systematik überarbeiten und Konsequenzen in ,den Methoden und Maßnahmen bis ins einzelne hinein ziehen. Nicht zuletzt aus diesem Grunde hat ja auch die Bundestagsfraktion der SPD den Initiativentwurf eines Arbeitsmarktanpassungsgesetzes eingebracht.
Welcher Art sind nun die Gründe für ein neues Gesetz, das nach dem Vorschlag ,der Bundesregierung „Arbeitsförderungsgesetz" heißen soll und das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ablöst? Lassen Sie mich in kurzen Zügen hierauf eine Antwort geben.
Das geltende Gesetz hat eine lange Tradition. Die letzte bedeutende Neufassung stammt aus den Jahren 1955/56, einer Zeit also, in der die Wirtschaft der Bundesrepublik noch mitten in einem steilen und gradlinigen Aufschwung stand. Wir hatten eine Entwicklung zur Vollbeschäftigung, die schon bald in eine anhaltende Überbeschäftigung und Anspannung des Arbeitsmarktes überging. Seitdem sind zwölf Jahre vergangen, in denen wir viele neue wirtschaftliche und soziale Erfahrungen gesammelt haben; und wir sammeln sie noch täglich; das Jahr 1967 hat dies, so glaube ich, zur Genüge bewiesen. Erfahrungen, die wir sammelten, erlauben es uns aber auch, unsere gesellschaftspolitischen Ziele und Aufgaben besser zu sehen und zu formulieren und die Instrumente und Wege zur Lösung der Probleme treffender zu gestalten. Das gilt nicht zuletzt auch für den Bereich der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik.
Lassen Sie mich in wenigen Punkten das geltende AVAVG und den Entwurf des Arbeitsförderungsgesetzes gegenüberstellen.
Schon die bisherige Bezeichnung des Gesetzes AVAVG, zeigt, wie damals der Gesetzgeber die Schwerpunkte legte. Es waren die Vermittlung von Arbeitskräften, der jeweilige Ausgleich auf dem Arbeitsmarkt einschließlich der Berufsberatung einerseits und die Arbeitslosenversicherung mit ihrem Beitrags- und Leistungsrecht nach versicherungsrechtlichen Vorstellungen andererseits. Wenn man sich die Systematik des Gesetzes genauer ansieht, so wird einem rasch klar, daß das tragende Gerüst die Konstruktion der Arbeitslosenversicherung war, auf der alle wichtigen Leistungen und die Organisation der Bundesanstalt bis hin zur Anlagepolitik aufbauten.
Das Gesetz entsprach den damals gültigen Auffassungen im wirtschaftlichen und sozialen Leben und den damals anstehenden Problemen. Es ließ aber auch der Selbstverwaltung und der Praxis der Bundesanstalt einen gewissen Spielraum für eine flexible Politik, und ich freue mich, hier feststellen zu können, daß dieser Spielraum in den letzten Jahren in Zusammenarbeit mit meinem Hause zunehmend genutzt werden konnte.
Aber gerade dabei haben wir — wenn ich sage „wir", dann meine ich die Selbstverwaltung der Bundesanstalt, die Sozialpartner und die Bundesregierung — immer wieder die Grenzen der Gestaltungsmöglichkeiten erfahren müssen. Ich glaube sogar, daß diese oder jene Regelung, die erforderlich wurde, etwas hart an der Grenze des gesetzlich gezogenen Rahmens herankam, zum mindesten nicht mehr mit den ursprünglichen Intentionen des Gesetzes ganz in Übereinstimmung stand. Sie mögen daraus ersehen: Trotz mancher wohlgemeinter Bemühungen läuft die soziale, technische und wirtschaftliche Entwicklung der Gesetzgebung davon: Das ist der eigentliche Grund dafür, daß wir mit einem neuen Entwurf den Rahmen für eine aktive Beschäftigungspolitik, die mit vielen Instrumenten arbeiten muß, neu und erweitert spannen müssen.
Lassen Sie mich nun zur Zielsetzung des Arbeitsförderungsgesetzes einige Bemerkungen machen.
Lassen Sie mich zunächst auf die Ziele und auf die Gliederung des vorliegenden Entwurfs eingehen. Die Aufgaben der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik sind, so glaube ich, nicht isoliert zu sehen. Sie stehen mit drei anderen großen gesellschaftspolitischen Zielsetzungen in einem engen sachbezogenen Zusammenhang: erstens mit einer aktiven Konjunkturpolitik, die auf einen hohen Beschäftigungsgrad ausgerichtet ist, zweitens mit einer Strukturpolitik, die wirtschaftlichen Wandlungen gerecht zu werden versucht und Anpassungen erleichtern will, drittens mit einer modernen Bildungspolitik,
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die allen Schichten neue Chancen im gesellschaftlichen Status und Fortkommen erschließen will.
Lassen Sie mich zur ersten Zielsetzung, Ergänzung der Konjunkturpolitik, eine Bemerkung hinzufügen. Die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik kann und will selbstverständlich keine Konjunkturpolitik ersetzen. Sie kann und will sie aber sinnvoll ergänzen. In der Vergangenheit gab es kein oder nur ein sehr unzureichendes konjunkturpolitisches Instrumentarium. Man wußte sehr wenig über die richtige, der jeweiligen Konjunkturlage angemessene Verhaltensweise der öffentlichen Haushalte. So ist es zu verstehen, daß die Versicherungsträger der Arbeitslosenversicherung sich gleichsam durch hohe finanzielle Polster selbst gegen das Risiko großer Arbeitslosigkeit zu schützen suchten oder sich sogar der fehlenden konjunkturpolitischen Absicherung wegen schützen mußten. Heute sind wir bereit und imstande, eine wirksame Konjunkturpolitik zu betreiben. Niemand von uns wird dabei auf den Gedanken kommen, zu behaupten, daß wir damit die Gefahr einer größeren Arbeitslosigkeit endgültig und für alle Zeiten gebannt hätten. Aber sicher ist, daß im Falle einer stärkeren Rezession die verantwortlichen Stellen mit allen Kräften der Gefahr einer Massenarbeitslosigkeit entgegenwirken werden.
Damit bekommt aber die Ansammlung von Mitteln der Arbeitslosenversicherung eine besondere Funktion. Das Risiko der Massenarbeitslosigkeit ist durch eine Versicherung nicht abdeckbar. Darin sind sich, soweit ich sehe, die Wissenschaftler längst einig. Das Rücklagevermögen kann in einer solchen Situation nicht helfen. Darum kann der Beitrag zu den Aufgaben der Bundesanstalt stärker den jeweiligen konjunkturpolitischen Erfordernissen angepaßt werden und vor allem das Vermögen der Bundesanstalt in größerem Maße als bisher beschäftigungs- und strukturpolitischen Zwecken dienen.
Dabei ist es ganz selbstverständlich — lassen Sie mich das unterstreichen, meine Damen und Herren —, daß die Zahlung des Arbeitslosengeldes nicht gefährdet werden darf. Wie sich Arbeitsmarkt und Konjunkturpolitik sinnvoll ergänzen können, hat sich im übrigen in den letzten Monaten gezeigt. Die erreichte Zahlung des Kurzarbeitergeldes hat manche unnötige Freisetzung von Arbeitnehmern verhindern können. Damit haben wir auch noch nachträglich eine Rechtfertigung für die damals nicht ganz unumstrittene Maßnahme.
Lassen Sie mich noch etwas zur Strukturpolitik sagen. Der Zusammenhang zwischen den Aufgaben der Strukturpolitik und der Arbeitsmarktpolitik und Beschäftigungspolitik scheint mir hier noch enger zu sein. Hier liegt der entscheidende Wandel in der Zielsetzung des Entwurfs, der bei allen Maßnahmen bis in die letzten Einzelheiten deutlich wird. Es geht nicht mehr nur darum, sich für den Fall der Arbeitslosigkeit finanziell zu wappnen, sondern darum, Arbeitslosigkeit soweit wie möglich rechtzeitig zu verhüten. Jede Mark, die wir hier einsetzen, ist viel sinnvoller aufgewendet, als wenn wir sie später
in Form von Arbeitslosengeld an die Betroffenen zahlen müßten.
Lassen Sie mich nur eine Zahl in diesem Zusammenhang nennen. 10 000 Arbeitslose kosten die Bundesanstalt rund 60 Millionen DM im Jahr. Wenn es uns gelingt, diese 10 000 Arbeitslosen in Beschäftigung zu bringen, dann verdienen sie 100 Millionen DM und zahlen davon naturgemäß ihre Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, zur Rentenversicherung, zur Krankenversicherung sowie Steuern etc. Aus diesem Beispiel wird sichtbar, was gemeint ist und wo unsere Aufgabe liegt.
Wirtschaftlich und technisch bedingte Strukturwandlungen — das wissen in diesem Hohen Hause alle — prägen mehr und mehr das Bild der modernen Industriegesellschaft. Sie sind zu einem großen Teil unvermeidbar und gehören, ob man das will oder nicht, zum wirtschaftlichen Fortschritt. Gerade wenn wir ein angemessenes und dauerhaftes Wachstum der Wirtschaft wollen, müssen wir auch strukturelle Änderungen hinnehmen. Sie stellen aber — das darf nicht verkannt werden — hohe und harte Anforderungen an die Berufstätigen. Die Arbeitnehmer müssen in wachsendem Maße beruflich und geistig beweglich und damit anpassungsfähig im Wirtschaftsleben sein. Eine hohe Mobilität der Arbeitnehmer wird auch wie schon in früheren Jahren in dem neuen Jahresgutachten des volkswirtschaftlichen Sachverständigenrates gefordert. Die wachsende Wirtschaft, so sagen die Sachverständigen, kann den Arbeitnehmern hierbei helfen. Die Förderung der Mobilität der Arbeitnehmer ist aber auch die Kernaufgabe, die sich der Entwurf des Arbeitsförderungsgesetzes stellt. Sie könnte geradezu die Überschrift dieses Gesetzes sein. Diese Überschrift könnte heißen: Mobilität der Arbeitskräfte. Strukturwandlungen in einer wachsenden Wirtschaft, eine flexible Berufswahl und Grundausbildung, ständige berufliche Anpassung im Arbeitsleben und Wechsel des Arbeitsplatzes oder auch des Berufs, an diesen wirtschaftlichen und sozialen Erfordernissen hat sich der vorliegende Gesetzentwurf orientiert. Hierauf sind Arbeitsvermittlung, Berufs- und Arbeitsberatung, Statistik und Vorausschau sowie die Förderung der beruflichen Bildung auszurichten. Deshalb heißt es in § 3 des Entwurfs, daß die Bundesanstalt .insbesondere dazu beiträgt, daß die berufliche Beweglichkeit der Erwerbspersonen gesichert und verbessert wird.
Lassen Sie mich zum dritten sagen: Mobilität durch berufliche Bildung. Berufliche Mobilität ist nicht zu trennen von beruflicher Bildung. Diese schafft erst die Grundlage für das Anpassungs- und Umstellungsvermögen der Arbeitnehmer. Darum steht im Mittelpunkt des Gesetzentwurfs ein System der Förderung der beruflichen Bildung. Diese Förderungsmaßnahmen sollen dem beruflichen Bildungswesen, der Ausbildung, der Fortbildung und der Umschulung den Platz geben, der der Berufsbildung im Rahmen unseres Gesamtbildungswesens zukommt. Ich sage: zukommt, und füge hinzu, daß ich die Sorge habe, daß das noch nicht überall richtig erkannt isst. Ich glaube, wir alle freuen uns, daß der
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Bildungspolitik eine immer größere Bedeutung beigemessen wird. Aber mit etwas Sorge verfolge ich den Tatbestand, daß man in der Bundesrepublik Deutschland unter Bildungspolitik überwiegend höhere Schulen, Hochschulen, Technische Hochschulen und nicht den ganzen Bereich der beruflichen Bildung versteht.
Deshalb glaube ich, daß wir unseren Beitrag, diese Gesamtschau zu fördern, auch von dieser Debatte aus leisten können und leisten müssen. Wir müssen dafür Sorge tragen, daß mehr davon Notiz genommen wird, daß der weitaus größte Teil der Jugendlichen nach dem Abschluß der Volksschule oder einer Realschule unmittelbar in das Berufs- und Wirtschaftsleben eintritt und sich damit auf diesem Felde die Aufgabe der Weiter- und Aufstiegsbildung stellt. Ich glaube, daß mit dem Arbeitsförderungsgesetz hier andere Akzente gesetzt werden und vor allem auch wirksame Instrumente mit dem nötigen finanziellen Rückhalt zur Bildungsförderung geschaffen werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich im zweiten Teil nun einige Schwerpunkte der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Reform ansprechen.
Zunächst eine Bemerkung zur Förderung der beruflichen Bildung. Eine Erhebung des Statistischen Bundesamtes zeigt, daß 1964 fast ein Drittel aller Erwerbstätigen nicht mehr im erlernten Beruf beschäftigt war. Eine neuere Untersuchung, die fast 7 Millionen Erwerbspersonen erfaßte, zeigt, daß jetzt fast 50% nicht mehr unmittelbar im erlernten Beruf beschäftigt sind. Das heißt — und hier scheint mir ein Umdenkungsprozeß für die Zukunft notwendig —, 50 Jahre Arbeitsleben bedeuten für die Zukunft nicht nur drei Jahre Lehrzeit und dann eine Einbahnstraße auf das 65. Lebensjahr hin, sondern sie bedeuten, daß man sich auf 47 Jahre beruflicher Fortbildung, beruflicher Anpassung, Berufswechsel und Umschulung einrichten muß und sich schon innerlich, geistig — anders als früher — damit abfinden muß, daß man nicht einen Beruf erlernt, um ihn im ganzen Leben zu erfüllen, sondern sich darauf einstellt, daß man ihn erlernt, um dadurch in die Lage versetzt zu sein, ihn im Leben einmal und vielleicht auch mehrmals wechseln zu müssen. Deshalb steht im Mittelpunkt dieses Entwurfs des Arbeitsförderungsgesetzes ein Programm zur systematischen Förderung dieses lebenslangen Lernprozesses. Die wichtigste Bestimmung ist dabei die Gewährung eines Unterhaltsgeldes in Höhe von 120'0/o des in Frage kommenden Arbeitslosengeldes, und zwar in der Regel für einen Zeitraum bis zu zwei Jahren. Jedem, der an einem weiterbildenden Lehrgang oder an einer Umschulung teilnimmt, ist damit sein Unterhalt und der Unterhalt seiner Familie gesichert. Für einen Teil haben wir dies, wie Sie wissen, bereits in der 7. Novelle vorweggenommen.
Lassen Sie mich noch darauf hinweisen, meine Damen und Herren, daß die Bundesanstalt die Lehrgangskosten, die Kosten für Lernmittel, Fahrkosten,
Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie die Kranken- und Unfallversicherung mit trägt.
Zur Größenordnung kann ich sagen, daß bereits auf Grund der 7. Novelle und der damit gegebenen Möglichkeiten die Umschulungsmaßnahmen wesentlich zugenommen haben. So haben wir vorgestern in Düsseldorf eine Arbeitsmarktkonferenz gehabt, auf der bekanntgegeben wurde, daß wir allein im Bereich des Landesarbeitsamts Nordrhein-Westfalen im Zeitraum vom 1. Januar 1966 bis zum Oktober 1966 1000 Personen in Umschulungsmaßnahmen hatten, für den gleichen Zeitraum im Jahre 1967 mittlerweile mehr als 4280 Personen.
Das gleiche gilt für den Bereich der Leistungsförderung. Wir haben das Leistungsförderungsgesetz in der letzten Legislaturperiode im Schatzausschuß gemeinsam initiativ gestaltet. Obwohl wir aus finanziellen Gründen den Fonds aus dem VW-Vermögen leider nicht mehr beibehalten konnten und eine Verlagerung auf die Bundesanstalt in Nürnberg vornehmen mußten, ergeben sich für die Leistungsförderung folgende Zahlen. — Herr Kollege Lange, Sie waren damals an diesen Dingen beteiligt. — Von Januar bis Oktober 1966 hatten wir nach dem Leistungsförderungsgesetz 1206 Bewilligungen mit einer Summe von 814 000 DM, im gleichen Zeitraum des Jahres 1967 2764 Bewilligungen mit einer Summe von 1,7 Millionen DM.
Ich möchte die Gelegenheit benutzen, um gerade auch an dieser Stelle der Selbstverwaltung der Bundesanstalt, dem Präsidenten und allen seinen Mitarbeitern in sehr herzliches Wort des Dankes für die Arbeit zu sagen, die sie hier geleistet haben.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch darauf hinweisen, daß all diese Maßnahmen der Umschulung, .der Fortbildung und insbesondere des Leistungsförderungsprogramms mit dem up-to-dateProgramm wesentliche Voraussetzung für eine verstärkte Bildungsarbeit unserer Frauen sind. Wir ziehen damit auch zum erstenmal eine Konsequenz aus der Frauenenquete, die wir dem Hohen Hause im vergangenen Jahr vorgelegt haben. Was war denn, in einem Globalsatz zusammengefaßt, das Ergebnis dieser Frauenenquete? Im wesentlichen die Feststellung, daß hier der größte Nachholbedarf liegt, wenn ich das einmal so nennen darf, und daß wir für eine bessere Ausbildung unserer Frauen sorgen müssen.
Weil das nicht der Fall gewesen ist, sind die schlimmsten Schädigungen entstanden. Deswegen freue ich mich, daß das Leistungsförderungsprogramm gerade für unsere Frauen Möglichkeiten gibt, und zwar nicht nur für eine Frauenerwerbstätigkeit im allgemeinen Sinne, sondern gerade für die qualifizierte Mitarbeit der Frau, gerade auch für die Frauen, die in der dritten Phase sind, die eine Berufsausbildung hinter sich haben, einen qualifizierten Beruf ergriffen und dort wirklich tüchtige Arbeit geleistet haben und dann ,geheiratet und ihre Kinder großgezogen haben, aber noch jung genug sind, um — nicht etwa nur aus materiellen
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Gründen, sondern sehr wohl aus ideellen Gründen, weil sie Freude am Schaffen, an der Leistungsmöglichkeit haben — noch einen Beruf zu ergreifen. Ihnen müssen wir die Chance geben, die Kenntnisse wieder aufzufrischen, die sie im Lauf ihrer Hausfrauentätigkeit verlernt haben, und Kenntnisse neu zu erwerben, die die technische Entwicklung heute verlangt. Ich glaube, das ist ein wesentlicher Punkt, und wir werden diese Möglichkeiten — davon bin ich überzeugt — auch in den Ausschußberatungen noch mehr in den Vordergrund rücken können.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein weiteres Problem ansprechen. Ich glaube, wir müssen in Zukunft mehr als bisher davon ausgehen, daß niemand — und da spielt ja Selbständig- und Unselbständigsein keine große Rolle — von dem wirtschaftlichen Wandlungsprozeß, von dem Wandel in der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsstruktur unberührt bleibt. Deshalb beschränkt das Arbeitsförderungsgesetz die Förderung der Fortbildung und Umschulung nicht auf Bezieher von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe. Voraussetzung ist im allgemeinen nur, daß die Fortsetzung oder Aufnahme einer Arbeitnehmertätigkeit angestrebt wird.
Auch diejenigen, die selbständig tätig sind und diese Tätigkeit beibehalten, sich aber weiterbilden wollen, können in Zukunft gefördert werden, wenn sie früher eine angemessene Zeit als Arbeitnehmer Beiträge an die Bundesanstalt entrichtet haben.
Die berufliche Anpassung des einzelnen kann, so glaube ich, dabei um so reibungsloser vollzogen werden, je mehr Maßnahmen der beruflichen Fortbildung und Umschulung auf einer möglichst breiten beruflichen Grundausbildung aufbauen. Im Bundestagsausschuß für Arbeit liegen noch die Entwürfe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und der FDP-Bundestagsfraktion aus der letzten Regierung für ein Berufsausbildungsgesetz. Daraus ergibt sich schon naturgemäß ein Sachzusammenhang mit der parlamentarischen Beratung des Arbeitsförderungsgesetzes. Damit ist, glaube ich, auch sichergestellt, daß der notwendige Zusammenhang aller Fragen der beruflichen Bildung gesehen wird.
Lassen Sie mich zu dem Punkt, der heute hier nicht zur Erörterung steht, nur so viel sagen: Grundausbildung, anschließende Fortbildung und daraus unter Umständen wieder in einer dritten Phase eine neue Grundausbildung sind so eng miteinander verbunden, daß wir sie nicht trennen können. Auch wenn wir getrennte Gesetzgebungsvorgänge haben, sollten wir sie einheitlich als Ganzes sehen.
Die Durchführung eines solchen umfassenden Programms beruflicher Bildung und Fortbildung erfordert unter Umständen auch neue Einrichtungen, vor allem als Zentren in Gebieten, die in besonderer Weise durch strukturelle Wandlungsprozesse betroffen sind. So sollen vor allem bestehende Bildungsstätten erneuert und modernisiert werden, so soll auch die Möglichkeit gegeben werden, überbetriebliche Lehrlingswerkstätten zu fördern, vor allem Institutionen, die Lehrprogramme entwickeln oder nach neuen pädagogischen, psychologischen und arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen Ausbilder für alle Zweige eines modernen beruflichen Bildungswesens ausbilden. In all diesen Fällen kann die Bundesanstalt Zuschüsse und Darlehen mit langer Laufzeit gewähren.
Lassen Sie mich dabei aber folgendes ausdrücklich betonen. Es geht nicht darum, daß die Bundesanstalt etwa den Ehrgeiz entwickelte, hier in eigener Regie möglichst zahlreiche Bildungseinrichtungen selbst zu schaffen und zu unterhalten. Sie sollte vielmehr den Ehrgeiz darin sehen, den Organisationen der Wirtschaft, der Sozialpartner, den Gebietskörperschaften, den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege, die solche Einrichtungen haben, wirksame Unterstützung zuteil werden zu lassen.
Lassen Sie mich damit einen dritten Punkt ansprechen: die Arbeitsmarkt- und Berufsförderung. Mit der Aufgabe einer systematischen Förderung der beruflichen Mobilität ergibt sich für die Bundesanstalt eine Erweiterung der Grundlagen ihrer Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik. Die Bundesanstalt soll in Zukunft regelmäßig statistische Erhebungen über die Beschäftigten durchführen und die Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ausbauen, um zu längerfristigen Voraussagen zu kommen, Denn gerade auch derjenige, der schon länger im Berufsleben steht, soll die Möglichkeit haben, sich in Zukunft laufend Rat zu holen.
Unter dem Stichwort „Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen" sind eine Anzahl wichtiger Verbesserungen, die dieses Gesetz bringt, zusammengefaßt:
1. Das Kurzarbeitergeld soll in Zukunft nicht nur bei Auftragsmangel, sondern auch zur Überbrückung einer strukturellen Anpassung dier Betriebe oder auch bei der vorübergehenden Stilllegung gewährt werden. Der Bemessung soll in Zukunft das volle Arbeitsentgelt zugrunde gelegt werden.
2. Die in dem Gesetzentwurf vorgesehene Neuregelung des Schlechtwettergeldes sah einen Zuschlag in Höhe von 5 % des Eckstundenlohns für Maurer vor. Diese Regelung wurde durch einen Beschluß des Hohen Hauses vorgezogen und tritt nunmehr bereits am 1. Januar 1968 in Kraft.
3. Eine entscheidende Neuerung wird in der produktiven Winterbauförderung eingeführt. Da sich die Gewährung von Zuschüssen an die Bauherren bisher nicht bewährt hat, sollen sie durch Zuschüsse an die Unternehmen des Baugewerbes ersetzt werden. Dabei gehen wir davon aus, daß die Baustelle so geschützt wird, daß die Bauarbeiten bei Winterwetter ohne Unterbrechung fortgeführt werden können. Ich habe die Hoffnung und die Zuversicht, daß wir damit dem Ziel einer ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft einen erheblichen Schritt näherkommen.
4. Die Voraussetzungen zur Eingliederung schwer zu vermittelnder Personen, insbesondere älterer Arbeitnehmer, in dien Arbeitsprozeß werden wesentlich verbessert. Die vom AVAVG gezogenen Rah-
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men der „Wertschaffenden Arbeitslosenhilfe" ermöglichten nur noch in geringem Umfang die Arbeitsbeschaffung für ältere Arbeitslose. Erweiterte Vorschriften sollen nunmehr die Möglichkeiten einer wirkungsvolleren Hilfe geben.
Auch in Zukunft werden Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe ihre wichtigen Funktionen behalten. Nach Vorwegnahme der Leistungsverbesserung am 1. April dieses Jahres soll jetzt die materielle Voraussetzung verbessert und die Leistungsbemessungsgrenze jährlich an die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung angepaßt werden.
Lassen Sie mich schließlich noch eine Bemerkung zur Anlagepolitik und zur Liquidität der Bundesanstalt machen. Nur in geringem Maße war es bisher möglich, die Rücklagen der Bundesanstalt für Maßnahmen einer produktiven Beschäftigungspolitik einzusetzen. Es bestand die Gefahr, daß die Liquidität bei zu starker Bindung der Mittel im Falle größerer Arbeitslosigkeit nicht genügend gesichert erschien. Die Finanzierungs- und Anlagepolitik soll nunmehr auf eine neue Grundlage gestellt werden. In Zukunft soll zwischen einer Schwankungsreserve, die eine sehr hohe Liquidität der Anstalt sichern soll, und einer Rücklage, die für längerfristige strukturpolitische Aufgaben eingesetzt werden kann, unterschieden werden.
Die Schwankungsreserve soll kurzfristig angelegt werden, und zwar zu zwei Drittel im Einvernehmen mit der Deutschen Bundesbank in Geldmarktpapieren. Diese Art der konjunkturneutralen Anlage macht es möglich, im Falle einer größeren Arbeitslosigkeit auf die Rücklage zurückzugreifen, ohne damit die wirtschaftliche Rezession zu verschärfen. Die Schwankungsreserve soll im allgemeinen mindestens 2 % der Arbeitsentgelte betragen, von denen im letzten Kalenderjahr Beiträge erhoben wurden. Das sind zur Zeit rund 3,3 Milliarden DM. Sollte die Schwankungsreserve nicht ausreichen, so soll der Bund mit Darlehen bis zur Höhe der gesamten Rücklage einspringen. Darüber hinaus muß der Bund Zuschüsse nach Art. 120 des Grundgesetzes gewähren.
Diese Regelung ist in enger Verbindung mit der Bundesbank erarbeitet worden. In ihrem soeben herausgekommenen neuesten Monatsbericht hat die Bundesbank die Schwankungsreserve ausdrücklich begrüßt und als eine Lösung bezeichnet, die sich mit stabilisierender Wirkung in die derzeitige Konjunkturpolitik einfügt. Auf diese Weise wird Raum geschaffen für langfristige Investitionskredite an Wirtschaft und Gemeinden, und zwar zur Schaffung neuer Arbeitsplätze und zur Verbesserung der Infrastruktur. Diese strukturpolitisch wichtigen Finanzierungsaufgaben können auf diese Weise unabhängig von Konjunktur- und Liquiditätsbedürfnissen durchgeführt werden. In dieser Woche haben wir auf der Arbeitsmarktkonferenz in Düsseldorf für den Bereich des Landes Nordrhein-Westfalen diesen Problemkreis eingehend erörtert. Alle Beteiligten, der Ministerpräsident des Landes und die beteiligten Herren der Wirtschaft und der Gewerkschaften, hoffen, daß wir auf diesem Wege einen Beitrag leisten können
zur Meisterung der Strukturprobleme an Rhein und Ruhr.
Zusammenfassend darf ich feststellen: Durch diese neue kombinierte Anlagepolitik können die Mittel der Beitragszahler zu einem erheblichen Umfang produktiv in der Wirtschaft eingesetzt werden und arbeiten, ohne daß es zu einer Einschränkung der Liquidität der Bundesanstalt kommt; im Gegenteil, sie wird gegenüber dem geltenden Recht sogar erheblich verbessert.
Zum Schluß lassen Sie mich noch auf einen Einwand eingehen, der in der bisherigen Diskussion, die mehr als ein Jahr in der Öffentlichkeit geführt wird, immer wieder gegen die ausschließliche Finanzierung der neuen Aufgaben der Bundesanstalt aus Beiträgen der Arbeitgeber und der Versicherten erhoben wird. Es wird gesagt, Arbeitsvermittlung, Berufsberatung, Förderung der beruflichen Bildung seien Aufgaben der Allgemeinheit, die aus Steuermitteln und nicht aus Beitragsgeldern zu finanzieren seien. Nun, ich bin sicherlich der letzte, der bestreitet, daß diese Betrachtungsweise eine Berechtigung hat. Aber ich möchte jenen, die so argumentieren, zu bedenken geben: das Arbeitsförderungsgesetz ermöglicht die Lösung zahlreicher Aufgaben, deren Dringlichkeit angesichts des Strukturwandels an Rhein, Ruhr und Saar wohl von niemandem mehr bestritten werden kann. Hier stellt sich für uns einfach zwingend und gebieterisch die Frage: Wollen wir diese Aufgaben, die wir als dringend ansehen, anpacken, oder verzichten wir so lange darauf, bis der Bundeshaushalt eine Finanzierung aus öffentlichen Mitteln gestattet, nur weil uns die jetzige Finanzierung nicht befriedigt? Das ist die Fragestellung, vor der wir stehen, und deshalb habe ich mich für diese Art der Finanzierung ausgesprochen.
Dennoch nimmt die Bundesregierung die Einwendungen, die erhoben werden, nicht leicht. In § 233 ist vorgesehen, daß die Bundesregierung bis zum Ende des Jahres 1974 einen Erfahrungsbericht über die Förderung der beruflichen Bildung erstattet und gegebenenfalls Vorschläge für die Neuregelung der Finanzierung vorlegt. Bis dahin wird sich übersehen lassen, ob die Zahl der Personen, die nicht zu dem beitragspflichtigen Personenkreis gehören, so groß ist, daß eine andere Finanzierung, also eine Finanzierung durch die öffentliche Hand, notwendig ist.
Lassen Sie mich aber hier mit allem Freimut sagen: ich habe die sehr große Sorge, daß wir ein Instrumentarium schaffen, das für diejenigen, an die wir uns wenden, eine so große Herausforderung bedeutet, daß wir alle mit dazu beitragen müssen, die Menschen dazu zu bringen, von den Möglichkeiten, die wir ihnen schaffen, Gebrauch zu machen. Die Finanzsorgen sollten uns erst in zweiter Linie bedrücken.
Mit diesem Entwurf legt die Bundesregierung das Konzept einer Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik vor, die auf lange Sicht den Folgen des wirtschaftlichen Strukturwandels für unsere Menschen begegnen und einen Beitrag leisten will zur Anpassung unserer gesellschaftlichen Struktur an die Erfordernisse des technischen Fortschritts.
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Von diesem Gesetzentwurf — ich wiederhole das nachdrücklich — sind keine Wunderdinge auf dem Verordnungswege zu erwarten. Er erzwingt und reglementiert keinen Fortschritt. Er bietet jedoch einen breiten Fächer von neuen Möglichkeiten für alle Leistungswilligen, Aufstiegswilligen, für alle privaten und öffentlichen Einrichtungen, die mitarbeiten an der Aufgabe, dafür zu sorgen, daß der technische Fortschritt in jeder Phase auch ein Fortschritt für unsere Gesellschaft, ein Fortschritt für den Menschen ist.
Somit ist dieser Gesetzentwurf der Entwurf eines praktischen Stücks Gemeinschaftswerk, das Anregungen und Mittel bereithält für die gemeinsame Lösung großer Aufgaben der Gesellschaft. Davon ist in den letzten Jahren viel gesprochen worden. Ich meine, hier liegt ein guter Ansatz und vielleicht ein Modell für gleichartige Bemühungen auf anderen Gebieten vor.
Lassen Sie mich schließen mit der sehr herzlichen Bitte, den Entwurf in den Ausschüssen zügig zu beraten. Denn die Aufgaben werden dringender. Wir brauchen ein höheres Maß an Mobilität, wir brauchen Produktivität und Wirtschaftswachstum, wir brauchen Hilfsmittel, um auf diesem Gebiete weiterzukommen, Hilfsmittel, um den arbeitenden Menschen zu dienen. Dazu dient dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung.