Rede von
Rudolf
Opitz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Regierungserklärung heißt es, daß sie darauf verzichtet, in der bisher üblichen Weise die ganze Breite der politischen Aufgaben aufzufächern. Sie wollte Neues sagen, wo jetzt Neues zu sagen und zu wagen ist.
Ich frage: soll das heißen, daß im Bereich der mittelständischen Industrie, der mittelständischen Wirtschaft, daß im Bereich von Handwerk und Handel alles beim alten bleibt, daß also hier nichts Neues zu sagen und zu wagen ist? Soll das heißen, daß die Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit auch diesmal nicht korrigiert werden?
Gerade diese Kreise, denen durch Entwertung der Lebensversicherungen, zum Teil durch das Lastenausgleichsgesetz die Altersversorgung zerstört wurde, die aber trotzdem einen gewaltigen Anteil am Wiederaufbau der Bundesrepublik haben, die aus Dankbarkeit dafür dann Investitionshilfe für die Großindustrie zahlen durften — gerade diese Kreise sind in eine wirtschaftlich sehr bedenkliche Situation geraten. Zum Teil bestimmt Mutlosigkeit und Verzweiflung das Denken und das Handeln gerade dieser Kreise unseres Mittelstandes.
Sie sollten sich einmal in Ruhe die Analysen der letzten Wahlergebnisse anschauen und verfolgen, in welche politische Richtung gerade diese Stimmen zum Teil abgewandert sind.
3790 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966
Opitz
Und nun zu dem, was Herr Finanzminister Strauß heute angesprochen hat. Sie sollten und Sie können uns nicht den Vorwurf machen, daß wir nun in der Opposition anders redeten als in der Regierungsverantwortung. In den letzten Jahren haben wir von dieser Stelle aus immer wieder auf die Gefahren einer verfehlten Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik für die mittelständischen Wirtschaftskreise hingewiesen.
Noch am 14. Juni dieses Jahres, bei der Diskussion zum 2. Jahresgutachten des Sachverständigenrates, habe ich davor gewarnt, alle Probleme nur gesamtwirtschaftlich zu sehen, und habe die Frage gestellt, ob es nicht unsere Aufgabe ist, festzustellen, wo und wodurch ganze Wirtschaftszweige nachteilige Entwicklungen hinzunehmen haben. Ich habe versucht, Ihnen darzustellen, wie unterschiedlich sich die Lohnkosten und die damit verbundenen Sozialleistungen auf die verschiedenen Wirtschaftszweige auswirken müssen, und ich habe Ihnen an Hand von Zahlen aus der Konzentrationsenquete den immer bedenklicher werdenden Trend zur Konzentration aufgezeigt.
Wenn Sie nun eine Entlastung des Mittelstandes, nämlich die 1964 beschlossene Übernahme des Kindergeldes auf den Staatshaushalt, offensichtlich wieder rückgängig machen wollen, dann ist das für mich unverantwortlich. In der Regierungserklärung heißt es dazu, daß sich 1965 die 1964 beschlossene Übernahme des Kindergeldes auf den Bundeshaushalt erstmals voll auswirkte und daß die Unzulänglichkeit des Art. 113 des Grundgesetzes und auch die unbegründete Furcht vor dem Unmut der Wähler eine Korrektur dieser Entscheidung vor den Bundestagswahlen verhindert habe.
Meine Damen und Herren, Sie werden sich bei dieser Frage in der Zukunft klar entscheiden müssen, ebenso bei der Krankenkassenreform, bei der Lohnfortzahlung, bei der Mehrwertsteuer und bei vielen politischen Tagesfragen. Sie werden beweisen müssen, ob die Entscheidungen und Veröffentlichungen Ihrer Mittelstandskreise und Mittelstandsausschüsse nur deklamatorischer Stimmenfang sind, oder ob Sie bereit sind, den Weg der Vernunft und der Gerechtigkeit in der Mittelstandspolitik wieder einzuschlagen.