Es ist alles schwierig, Herr Kollege Starke; es gibt heute überhaupt nichts mehr, was nicht schwierig wäre.
Ich stimme ja vollkommen der Äußerung des Kollegen Stein zu, daß man sich hüten soll, dieses Krisen- und Katastrophengerede fortzusetzen, weil man damit nur negative psychologische Wirkungen erzeugt
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Bundesminister Dr. h. c. Strauß
und den Mut zu einem normalen rationalen Disponieren bremst.
Man kann natürlich die Frage stellen: wie geht es unserer Wirtschaft? Ich spreche hier sozusagen nur stellvertretend, ohne bisher in der Geschäftsordnung des Bundeskabinetts damit beauftragt zu sein; aber Kollege Schiller fehlt heute, muß heute fehlen, weil er im Zentralbankrat in Frankfurt trotz allem noch dringender benötigt wurde als hier. Ich weigere mich aber, die Frage: geht es unserer Wirtschaft gut oder schlecht, zu beantworten. Es gibt eben Fragen, die man nicht einfach so oder so beantworten kann. Die moderne wissenschaftlich-technische Entwicklung hat in ihren industriellen Auswirkungen so verschiedenartige Konsequenzen, Wachstumsmöglichkeiten und Bewegungsmöglichkeiten geschaffen, daß es in gewissen Branchen unserer Wirtschaft heute noch ohne Zweifel gut steht, daß aber in anderen Branchen unserer Wirtschaft die Verhältnisse ganz anders liegen. Ich brauche nur Kohle, Stahl, stahlverarbeitende Industrie, andere metallverarbeitende Industrien, Werftindustrie, Textilindustrie, Steine- und ErdenIndustrie zu nennen, um anzudeuten, daß hier der finanzielle Bewegungsspielraum unserer Wirtschaft, ihre Fähigkeit, zu investieren, heute nicht mehr einfach mit gut oder schlecht oder mittelschlecht bezeichnet werden kann. Die Dinge sind sehr differenziert. Darum kommt ja heute den Tarifpartnern eine noch höhere Verantwortung zu, als ihnen bisher schon zugekommen ist.
Ich kann aber auch nicht einfach einer Finanzpolitik das Wort reden, die auf eine völlige Restriktion schaltet, wenn die Folgen der Restriktion dann einen verhängnisvollen automatischen Kausaleffekt heraufbeschwören, nämlich zu einer weiteren Verknappung der finanziellen Mittel des Staates führen würden.
Ich darf Ihnen sagen, Herr Kollege Starke, es zeichnet sich heute bereits ab, daß ich die neulich genannten Zahlen für die Bundeseinnahmen nicht mehr aufrechterhalten kann. Wir hatten ursprünglich für 1966 im Haushalt eine bestimmte Summe für die Bundeseinnahmen festgesetzt. Ich habe neulich schon bekanntgegeben, daß diese Summe um 700 Millionen DM gesenkt werden mußte, und ich habe hinzugefügt, daß sie voraussichtlich um weitere 300 Millionen DM gesenkt werden muß, daß also das Defizit 1966 durch Mindereinnahmen, ohne daß das in einem Nachtrags- oder Ergänzungshaushalt bisher berücksichtigt werden konnte, 1 Milliarde DM beträgt. Mir ist gestern ein letzter Bericht auf den Tisch gelegt worden, daß sich infolge der stark rückläufigen Entwicklung des Ertrags der Umsatzsteuer das Defizit für 1966 durch Mindereinnahmen voraussichtlich nicht auf 1 Milliarde DM, sondern auf 1,25 Milliarden DM belaufen werde.
All dem muß heute doch die Finanzpolitik Rechnung tragen, deren wahrlich nicht genialer Vertreter ich bin; aber ich bemühe mich, redlich und ehrlich mein Amt zu erfüllen und noch einiges hinzuzulernen, ohne behaupten zu wollen, daß ich dabei immer recht gehabt hätte. Die Finanzpolitik muß sich aber heute auf das sorgfältigste mit der Wirtschaftspolitik abstimmen,
damit in einer Aufgabe, die beinahe der Stabilisierung des Flugzeugs in der Luft gleichkommt — Antriebskräfte, bremsende Kräfte, trimmende Kräfte, Seitenruder, Höhenruder, Querruder, was immer man braucht —, beide zusammen zu einer Stabilität mit Vorwärtsentwicklung führen können. Aus dem Grunde bemühe ich mich — nicht nur aus Gründen der Koalitionstreue, sondern auch aus innerer Überzeugung —, mit dein Kollegen Schiller so zusammenzuarbeiten, daß eine wieder expansive Wirtschaft der Finanzpolitik die Möglichkeit bietet, die dringenden, nach vernünftigen Prioritäten geordneten Staatsaufgaben zu erfüllen.
Wegen der Steuererhöhungen möchte ich nicht rechten, Herr Kollege Starke. Hinsichtlich des Steueränderungsgesetzes 1964 — Senkung der Einkommensteuer — teile ich mit Ihnen die Auffassung: wenn der Staat diese Mittel behalten hätte, wären sie bestimmt nicht als Konjunkturrücklage in den großen Topf gegangen, sondern selbstverständlich einem der großen Anliegen zum Opfer gefallen.
Da gebe ich Ihnen völlig recht.
Wenn aber heute immer wieder die Frage der Steuererhöhung gestellt wird, kann ich nur sagen, daß es für die nächsten Wochen und Monate in erster Linie darum gehen wird, die Ausgaben und ihre automatischen Zuwachsraten zu beschneiden.
Das ist eine schwere politische Aufgabe.
Zweitens geht es darum, die Einnahmeseite zu verbessern, und zwar in erster Linie durch Beseitigung von Steuerprivilegien und Steuervorteilen, die entweder nicht mehr gerechtfertigt sind oder der Natur der Sache nach heute gar nicht mehr notwendig sind. Daß die Betroffenen sich darüber beklagen werden, darüber besteht gar kein Zweifel.
Erst in dritter Linie kommen dann Steuererhöhungen. Kollege Schiller und ich vertreten gemeinsam die Auffassung, daß heute eine Erhöhung der Ertragsteuer überhaupt nicht in Betracht kommt, weil eine Ertragsteuererhöhung den negativen prozyklischen Effekt verstärken würde.
Ich muß sagen, daß unsere Kollegen von der Sozialdemokratie, wenn ich an ihre früheren Vorstellungen vom Steuerplafond denke, einen weiten Weg zurückgelegt haben bis zu einem marktwirtschaftkonformen Denken, wenn sie heute auch gegenüber ihren Wählern und Anhängern sagen: Wir können die Ertragsteuer nicht erhöhen, wir können auch die Reichen nicht höher besteuern, und zwar deshalb nicht, weil eine solche Besteuerung wirtschaftspolitische Effekte auslösen würde, die zum Schluß den Arbeitsplatz gefährden würden.
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Das ist meine Deutung Ihrer Haltung. Sie mögen mich ruhig korrigieren, aber so habe ich Professor Schiller verstanden. Es gab ja auf Ihrer und auch auf unserer Seite einmal andere Vorstellungen.
Herr Kollege Dr. Starke, Sie wissen doch genauso wie ich, was die eigentliche Problematik ist. In den 50er Jahren, Anfang der 60er Jahre waren wir an große Wachstumsraten gewöhnt. Wir können sogar — und das gibt ja Ihnen wie mir doch hoffentlich zu denken — feststellen, daß damals trotz großer Wachstumsraten der Unterschied zwischen dem Zuwachs des realen und nominalen Bruttosozialprodukts kleiner war als die Differenz bei wesentlich geringeren Wachstumsraten. Warum? In den 50er Jahren, Anfang der 60er Jahre hatten wir noch beträchtliche Reserven. Wir hatten Reserven an Arbeitskräften — Heimatvertriebene, Flüchtlinge, Zuzug aus der Zone —, wir hatten noch die Möglichkeit, im Rahmen des vorhandenen Kapitals einen großen technischen Rückstand aufzuholen und damit die Produktivität zu verbessern. Wir haben das Mögliche erreicht und können nunmehr langsam weitere Fortschritte erzielen. Wir hatten auch noch die Reserve des ständigen Zuzugs von Arbeitskräften aus der Zone. Diese Arbeitskräfte sind bis zum letzten Mann in Arbeit und Brot gebracht worden. Heute haben wir keine Reserven mehr.
Zur gleichen Zeit haben wir eine Arbeitszeitverkürzung von 48 auf 42, zum Teil auf 40 Stunden gehabt. Das ist menschlich verständlich und entspricht einem großen sozialpolitischen Anliegen unserer Zeit. Ich bin nicht der Meinung, daß der Mensch nur lebt, um zu arbeiten, sondern ich meine, daß er manchmal auch arbeiten will, um besser leben zu können. Wir sollten hier also gar keine moralische Betrachtungsweise anwenden. Aber wenn alle Reserven ausgeschöpft sind, wenn die Arbeitszeit verkürzt worden ist und wenn die Kostenbelastung der Wirtschaft erheblich über das normale Maß hinaus gestiegen ist, dann müssen wir uns eben daran gewöhnen, daß wir uns von den Möglichkeiten eines schnelleren Wirtschaftswachstums auf die unvermeidbaren Konsequenzen eines langsameren Wirtschaftswachstums umzustellen haben, sowohl was den Anstieg der individuellen Einkommen als auch was das Ansteigen der finanzpolitischen Möglichkeiten, der Ausgabemöglichkeiten des Staates anlangt. Da befinden wir uns zur Zeit mitten in der Umschaltung, und diese Umschaltung erfordert Abstriche, die uns allen nicht sehr leicht fallen werden.
Eines habe ich nicht verstanden, Herr Kollege Starke. — Ich will gern eine Frage beantworten. — In dem Pressedienst Ihrer Partei, „fdk — tagesdienst", steht folgendes:
Im Gegensatz zur Regierungserklärung sehen die Freien Demokraten im Haushaltssicherungsgesetz 1965 sowie im Finanzplanungs- und Steueränderungsgesetz 1966 den richtigen Weg, um die sprunghaft steigenden Ausgaben des Bundeshaushalts einzudämmen; ...
Da darf ich nur fragen: Warum haben Sie dann
gegen diese Gesetze gestimmt, wenn Sie in ihnen
den richtigen Weg sehen, um die Ausgabenflut einzudämmen?