Rede von
Dr.
Berthold
Martin
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß Herr Kollege Meinecke die Fragen richtig gestellt und auch alle Probleme richtig angesprochen hat. Ich möchte etwas von den Detailfragen abgehen und wieder zu dem Ursprung zurückkehren. Die Tatsache, daß in diesem Sommersemester mehr als 3000 Mediziner nicht zugelassen werden konnten, ist nur ein Indiz für die ungenügende Ausbildungskapazität der deutschen Universitäten; denn die Existenz von Massenfächern ist ja, mutatis mutandis, ebenfalls ein solches Indiz. Man braucht dort den Numerus clausus nur deshalb nicht, weil man keine Laborplätze nötig hat. Deshalb muß man seine Frage auf dieses Problem konzentrieren.
Die Bundesregierung und die Länder haben große Anstrengungen gemacht, mit dem Wissenschaftsrat dieser Sache zu begegnen. Die Empfehlungen sahen den Ausbau auf eine Kapazität von 210 000 Studenten vor. Aber Tatsache ist, daß die Zahl der Studenten viel rascher wächst und wir jetzt ein Defizit von mindestens 50 000 Plätzen haben. Wenn die neuen Universitäten ausgebaut sein werden, werden wir ein noch höheres Defizit haben, weil die Plätze, die dort geschaffen werden, in keiner Relation zum Wachstum der Studentenzahl stehen.
Mit anderen Worten: Es besteht ein Wettlauf zwischen dem Ausbau der Hochschulen und einem sich in nächster Zeit wieder von Jahr zu Jahr verstärkenden Zustrom von Abiturienten zu den Hochschulen. Meine Damen und Herren, man kann viele Einzelabhilfen schaffen, aber man darf das Grundproblem nicht aus den Augen verlieren. Hier muß eine kulturpolitisch sinnvolle Entscheidung getroffen werden. Ich stimme mit Herrn Meinecke überein, daß der Schlüssel in der Abstimmung der Abiturientenzahlen mit dem Bedarf, den Wirtschaft und Gesellschaft haben, besteht. Da ist eine wirkliche Entscheidung zu fällen. Diese heißt für uns und mich, daß das Problem nur durch qualifiziertere Abiturienten, also eine Intensivierung der Oberstufenreform an den Gymnasien gelöst werden kann.
Ich möchte mit Deutlichkeit sagen: Für einen Nachhilfeunterricht gibt es an den Universitäten keine sachlichen und personellen Voraussetzungen. Man muß sich darüber klar werden, daß der Schlüssel in der Reform der Oberstufe der Gymnasien und in einer qualitativen Steigerung liegt. Eine ungezügelte, unkontrollierte Abiturientenschwemme würde zu Qualitätsverlusten führen und die Universitäten letzten Endes zum Numerus clausus zwingen. Das ist der eine Punkt.
Der zweite Punkt ist von Herrn Moersch angeschnitten worden. Die Tatsache, daß mehr als 3000 Planstellen an den Universitäten nicht besetzt sind und daß dieses Defizit noch wachsen wird, zeigt eine weitere Schwäche an, die behoben werden muß. Diesen fast 4000 nicht besetzten Stellen stehen in den Jahren 1960 bis 1965 nur 2500 Habilitationen gegenüber. Ich stimme Herrn Moersch völlig zu, daß hier der entscheidende Hebel dafür liegt, die Zustände zu beseitigen.
Meine Damen und Herren, was ist in diesem Wettlauf zwischen Abiturientenzahlen und Kapazität zu tun? Zunächst muß man sich einmal klar werden, was geschehen ist. Ich glaube, die Bundesregierung und der Bundesminister hatten diese Situation im Auge, als sie zusagten, die Aufwendungen des Bundes Jahr für Jahr um 100 Millionen DM zu vermehren, als sie darangingen, die medizinischen Akademien in Hannover und Lübeck zu unterstützen. Aber ich bin der festen Überzeugung, daß dieses Problem finanziell und personell nur mit einem neuen Anlauf von Bund und Ländern gelöst werden kann. Die politische Situation, in der wir uns befinden, zwingt uns dazu, das, was wir vor Jahren in der Planung einmal für genügend gehalten haben, zu revidieren und neue Anstrengungen zu machen.