Sie haben völlig recht, Herr Erler. Ich wäre noch dazu gekommen und hätte
— nicht gerade auf die Frage von Herrn Kollegen Moersch — Überhaupt dargelegt, daß man desto klüger ist, je weniger man sich dabei auf drei Buchstaben festlegt und verbeißt — z. B. war die Sozialdemokratie relativ klug in ihrer Formulierung —, nicht weil man hinterher hereingelegt werden könnte, sondern einfach deshalb, weil es sich hier um eine Materie handelt, in die von vielen Seiten, von Rußland genauso wie von vielen westlichen Seiten, Faktoren und Kräfte hineinwirken und von wo wieder Kräfte ausgehen, ein Spiel mit vielerlei Komponenten, von dem niemand in seinem Kopf allein im voraus sagen kann, wie es ausgeht und wie es am besten gelöst werden kann. Ich würde meinen, die deutsche Bundesregierung wäre klug beraten, wenn wir mit unseren Ansprüchen uns auf solche Punkte konzentrierten, wie ich sie genannt habe, ohne uns in eine ganz bestimmte Lösung zu verbeißen, die noch dazu physische Mitbestimmung einschließt. Wir sollten insbesondere aufpassen, daß wir bei einer solchen Fixierung nicht unversehens zu einem Instrument gemacht werden z. B. franko-amerikanischen Tauziehens oder Fingerhakelns oder Pokerns. Ich glaube, wir alle bedauern
— ich nehme an, daß auch Herr Kollege Strauß und Herr Kollege Guttenberg dazu gezählt werden können — die desintegrierenden Wirkungen, die seit geraumer Zeit von Paris aus in das Bündnis hineinwirken. Wir müssen wahrscheinlich lernen, das in Gelassenheit zu ertragen und zu begreifen, daß wenigstens bei uns hier in Bonn keine Möglichkeit besteht, durch eigene nuklear-organisatorische oder eigene nuklear-strategische Vorschläge sowohl Frankreich zu befriedigen als auch die Vereinigten Staaten von Amerika zu befriedigen als auch drittens unsere eigene Sicherheit zu befriedigen. Das liegt nicht in unserer Möglichkeit. Wir sollten vorsichtig sein, damit wir nicht eines Tages auch unter unseren Freunden völlig isoliert dastehen.
Es ist nicht unsere Sache, direkt oder indirekt Initiativen zur Änderung des Atlantikpaktes zur Erörterung zu stellen oder direkt oder indirekt Initiativen zur Änderung der NATO-Organisation zur Debatte zu stellen oder zu provozieren. Wir Deutschen sind doch bisher gut gefahren mit dem Bündnis, so wie es ist, und mit der Organisation, so wie sie ist. Sollen doch diejenigen, die das Bestehende seit Jahr und Tag dauernd kritisieren, sollen doch die Regierungen, die das tun, zunächst einmal Änderungsvorschläge auf den Tisch legen, ehe wir das tun, ehe wir unsererseits Initiativen zur Änderung herbeiführen. Es hat doch erst Sinn, über Änderungen zu reden, wenn diejenigen, die bisher kritisiert haben, durch ihre eigenen Vorschläge klarmachen, wohin sie eigentlich wollen.
Auf der anderen Seite möchte ich gern ein Wort von Fritz Erler noch einmal unterstreichen, das hier bisher kein Echo gefunden hat, wenn ich richtig aufgepaßt habe, das Wort nämlich, ungeachtet dieser bündnispolitischen Schwierigkeiten mit Frankreich eine möglichst enge zweiseitige Verzahnung mit Frankreich herbeizuführen durch Zusammenarbeit bei der Entwicklung und Produktion von militärischen Waffensystemen. Dafür braucht man gar keinen Vertrag. Herr Strauß hat vorhin von Kybernetik und Elektronik im weitesten Sinne geredet. Das bietet sich geradezu an für die Verzahnung mit den Franzosen, und zwar nicht durch Staatsvertrag oder völkerrechtliche Geschichten, sondern einfach durch privatwirtschaftliche Verflechtungen und Verbindungen, die die beiden Regierungen fördern sollten.
— Herr Martin, das militärische Geheimnis hat damit gar nichts zu tun. Das sind Dinge des gesunden Menschenverstandes und nicht des militärischen Geheimnisses.
Lassen Sie mich einmal etwas sagen, wenn Sie hier über militärische Geheimnisse reden! Ich finde, es ist eine bedenkliche Sache, die wir alle miteinander prüfen müssen, daß wir weiterhin erlauben, daß so viele schrecklich wichtige Fragen mit einem Geheim-Stempel, der zum Teil voreilig und zum Teil leichtfertig darauf gesetzt wird, aus der öffentlichen Erörterung fortgebracht werden und daß sie ihr nicht gestellt werden.
Ich meine, wenn Herr Strauß — völlig zu Recht
— und wenn ich — wie ich meine, auch zu Recht
— davon sprechen, daß wir teilhaben müssen an diesen modernen kybernetischen Techniken, die da entwickelt werden, und an der Elektronik im weitesten Sinne, dann ist es doch schon ein schlimmes Zeichen für den Prozeß, der hier stattgefunden hat, wenn ein Abgeordneter sagt: Das hier ist ein militärisches Geheimnis.
— Wenn ich Sie mißverstanden habe, machen Sie bitte durch Zwischenruf klar, wie ich Sie verstehen soll. Ich habe Sie nicht mißverstanden, Herr Martin. Ich möchte es wiederholen, wir sollten uns überlegen, ob wir nicht dafür sorgen müssen und ob z. B. eine Regierung, die über vier Jahre eine Schau dessen gibt, was sie tun will, nicht dafür sorgen muß, daß z. B. an unseren Universitäten so wie in England, so wie in Amerika über alle diese Probleme offen geforscht, untersucht und auch gelehrt wird.