Rede von
Helmut
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Die entscheidende dritte Aufgabe allerdings — neben dem Gesetzemachen und neben der Kontrolle — hängt in ihrer Bewältigung nicht so sehr von der technischen Apparatur ab, die wir hier haben, sondern sie hängt mehr ab von unserer eigenen Einstellung zur Aufgabe selbst, zu der Aufgabe nämlich, hier den zentralen Ort für die politische Willensbildung in unserem Volk zu bilden. Nur in dem Maße, in dem dies gelingt, werden wir die weitgehende Diffusion des politischen Meinungsbildungsprozesses und das weitgehende politische Disengagement vieler unserer Mitbürger überwinden. Ich wünschte, daß die Plenardiskussionen dieses Hauses den Bürger draußen wieder in steigendem Maße zur eigenen Urteilsbildung provozierten, und die Fernsehübertragung mag dabei ein nützliches Mittel sein. Denn schließlich wird nur das selbst geschöpfte, eigene Urteil von -zig Millionen deutscher Bürger, demokratisch gesonnener Bürger, uns jenes Mindestmaß krisenfester Homogenität der politischen Haltung, jenes Mindestmaß an gemeinsamem demokratischem Staatsbewußtsein geben, dessen wir in schwierigen Zeiten noch bedürfen werden.
Es gibt manche Anzeichen dafür, daß schwierigere Zeiten kommen könnten. Dazu gehört auch die angespannte Lage des Bündnisses, von der eben Herr Strauß am Schluß gesprochen hat.
Es ist sehr schwer, den verschiedenen Äußerungen aus dem Regierungslager zu entnehmen, was die Regierung in diesen Fragen eigentlich will. Hier hat z. B. Felix von Eckardt vor wenigen Tagen einen Aufsatz geschrieben, in dem heißt es:
Wenn es ein gemeinsames atomares Waffensystem zwischen den Vereinigten Staaten, der Bundesrepublik und Großbritannien geben sollte, so würde sich de Gaulle zweifellos mit der Sowjetunion gegen die deutsche Wiedervereinigung verbünden.
Etwas später heißt es: Trotzdem würde Präsident Johnson Ihnen, Herr Bundeskanzler, die MLF anbieten. Dann geht es weiter: Sie sollen dieses Angebot aber nur annehmen, um gegenüber den Russen ein Tauschobjekt für die Wiedervereinigung zu bekommen. Sie sollten sich sehr davor hüten, dieses Angebot zu verwirklichen; denn deutsche Atomwaffen wären für die Sowjets wie auch für die Franzosen Grund genug, die Wiedervereinigung ein für allemal zu verweigern.
Wie sollen diejenigen, die in Washington verhandeln, unsere offiziellen Gründe für die MLF noch vertreten, wenn ein Abgeordneter, der bis vor kurzem Staatssekretär dieser Regierung war, solches schreibt? Wir sollen pro forma annehmen, aber nicht wirklich wollen. Die Russen sollen glauben, es sei ernst, damit sie uns auf dem Verhandlungsweg etwas dafür geben. Die Franzosen sollen wissen, daß es nicht ernst ist, damit sie sich nicht mit den Russen gegen uns verbünden. Aber vielleicht ist Felix von Eckardt nicht der typischste Vertreter. Ich habe noch eine ganze Reihe — —