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ID0500827200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 8. Sitzung Bonn, den 30. November 1965 Inhalt: Überweisung von Vorlagen an Ausschüsse 139 A Abwicklung der Fragestunde 174 B Fragestunde (Drucksache V/38) Fragen des Abg. Logemann: Trinkmilch für Schulkinder Höcherl, Bundesminister . . . . . 174 C Frage des Abg. Prochazka: Preisentwicklung bei Grundnahrungsmitteln Höcherl, Bundesminister . . . . . 174 D Fragen des Abg. Schmidt (Kempten) : Arbeiterrentenversicherung Katzer, Bundesminister . 175 B, 175 C Schmidt (Kempten) (FDP) . 175 B, 175 D Frage des Abg. Fritsch (Deggendorf) : Vermeidung von Nachteilen für Bezieher von Ausgleichs- und Elternrenten nach dem BVG Katzer, Bundesminister . . . . . 176 A Fritsch (Deggendorf) (SPD) . . . . 176 B Frage des Abg. Genscher: Beitragssatz für die Arbeitslosenversicherung 176 C Frage des Abg. Prochazka: Höhe der derzeitigen versicherungsrechtlichen Ansprüche der Gastarbeiter Katzer, Bundesminister 176 D Frage des Abg. Prochazka: Vorlage eines dritten Änderungsgesetzes zur Kriegsopferversorgung Katzer, Bundesminister . . . . . 176 D Fragen des Abg. Geiger: Maßnahmen auf dem ehemaligen Flugplatzgelände Malmsheim . . . . . . 177 A Frage des Abg. Felder: Dienstvorschriften der Bundeswehr für die Teilnahme an Gottesdiensten Gumbel, Staatssekretär . . . . . 177 C Frage des Abg. Fritsch (Deggendorf) : Finanzierungshilfen zum Bau von Hallenbädern Gumbel, Staatssekretär 177 C Fritsch (Deggendorf) (SPD) . . . 177 D Dr. Schäfer (SPD) . . . . . . . 178 A Dröscher (SPD) 178 B Dr. Müller (München) (SPD) . . . 17.8 C Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 178 D Dr. Rinderspacher (SPD) . . . . 179 A Dr. Klepsch (CDU/CSU) . . . . 179 B Dr. Huys (CDU/CSU) . . . . . 179 B Moersch (FDP) 179 C Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) . 179 D Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP) . 179 D II Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 30. November 1965 Frage des Abg. Ollesch: Einstellung aller Flüge mit Maschinen vom Typ „Starfighter" Gumbel, Staatssekretär 180 A Ollesch (FDP) 180 B Cramer (SPD) . . . . . . . . 180 C Dr. Müller (München) (SPD) . . . 180 D Moersch (FDP) 181 A Wächter (FDP) . . . . . . . 181 C Frage des Abg. Schultz (Gau-Bischofsheim) : Schaffung einer zentralen Kantinenorganisation Gumbel, Staatssekretär 181 C Mertes (FDP) 181 D Dr. Huys (CDU/CSU) 182 A Opitz (FDP) 182 B Frage des Abg. Felder: Einbau von Abgasfiltern in Pkw und Lkw Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 182 D Felder (SPD) 183 A Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP) . 183 C Frage des Abg. Lemper: Ausbau des Reststückes B 55, Ortsdurchfahrt Bergheim (Erft) Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 183 D Frage des Abg. Lemper: Einrichtung einer Haltestelle in Kaster (Bahnstrecke Düren–Neuß) Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 184 A Frage des Abg. Dr. Kempfler: Erhöhte Belastung des Straßenverkehrs der B 12 und der B 20 durch die Großraffinerie „Marathon" Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 184 B Dr. Kempfler (CDU/CSU) 184 C Fragen des Abg. Wiefel: Erhöhung von Verkehrstarifen im Güter- und Personenverkehr und deren Folgen Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 184 D Wiefel (SPD) 185 A Fragen des Abg. Wiefel: Attraktivere Gestaltung der öffentlichen Massenverkehrsmittel Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 185 B Wiefel (SPD) . . . . . . . . 185 C Seibert (SPD) 185 D Frage des Abg. Schonhofen: Fahrwegaufwendungen der Deutschen Bundesbahn Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 186 A Schonhofen (SPD) 186 B Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) . 186 C Frage des Abg. Schonhofen: Höhe des Regierungszuschusses an die französischen Staatsbahnen zu ihren Wegekosten Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 186 D Frage des Abg. Schonhofen: Mittelanforderung der DB im Rahmen ihrer Forderung nach „Normalisierung der Konten" Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 187 A Schonhofen (SPD) 187 C Seibert (SPD) . . . . . . . . 187 D Frage des Abg. Tönjes: Höhe der jährlich durch Straßenverkehrsunfälle entstehenden Kosten Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 187 D Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung in Verbindung mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung des Haushaltsausgleichs (Haushaltssicherungsgesetz) (Drucksache V/58) — Erste Beratung — Schmücker, Bundesminister . . . . 139 C Dr. Burgbacher (CDU/CSU) . . . . 150 C Dr. Starke (Franken) (FDP) . . . . 159 C Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller (SPD) . 167 C Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . 188 A Strauß (CDU/CSU) 195 B Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . 210 A Schmidt (Hamburg) (SPD) 210 C Dr. Barzel (CDU/CSU) 221 C Erler (SPD) 222 C Dr. Pohle (CDU/CSU) 222 D Horten (CDU/CSU) 227 C Nächste Sitzung 228 C Anlage 229 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 30. November 1965 139 8. Sitzung Bonn, den 30. November 1965 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr
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    Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Dr. Aigner 30. 11. Dr. Arndt (Berlin/Köln) 2. 12. Bading * 30. 11. Dr. Birrenbach 2. 12. Blachstein 30. 11. Dr. h. c. Güde 2. 12. Baron zu Guttenberg 30. 11. Hilbert 2. 12. Hörmann (Freiburg) 30. 11. Jaschke 2. ,12. Dr. Kliesing (Honnef) 30. 11. Klinker * 30. 11. Koenen (Lippstadt) 31. 12. Kriedemann 31. 12. Kubitza 2. 12. Lücker (München) * 30. 11. Marquardt 2. 12. Mauk * 30. 11. Memmel 30. 11. * Für die Teilnahme an einer Ausschußsitzung des Europäischen Parlaments Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Michels 30. 11. Dr. Müthling 30. 11. Neumann (Stelle) 30. 11. Rawe 8. 12. Richarts * 30. 11. Röhner 30. 11. Frau Schanzenbach 31. 12. Frau Schimschock 31. 12. Schmidt (Würgendorf) 2. 12. Schultz 2. 12. Schwabe 30. 11. Seuffert * 30. 11. Dr. Siemer 30. 11. Spillecke 2.12. Spitzmüller 2. 12. Wahl ** 3. 12. Dr. Wilhelmi 30. 11. Dr. Wörner 3. 12. Zerbe 2. 12. b) Urlaubsanträge Frau Berger-Heise 18. 2. 1966 ** Für die Teilnahme an einer Ausschußsitzung des Europarats
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Helmut Schmidt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einer der früheren bayerischen Kommentare zur Regierungserklärung hat gelautet: Erhards eigene Koalition wird darauf drängen müssen, daß die Regierung mehr Farbe bekennt. Dies ist bisher in der Debatte kaum geschehen. Professor Erhard hat selbst gesprochen, Herr Schmücker hat gesprochen, Herr Dahlgrün hat gesprochen; sie haben nicht mehr Farbe bekannt, sondern sie haben versucht, Kritik abzuwehren, was ihr gutes Recht ist. Sie haben nicht konkretisiert, sondern sie haben noch mehr verallgemeinert, als vorher schon geschehen. Die Farbe ist eigentlich eben erst von Herrn Strauß ins Spiel .gebracht worden. Auch er hat die Regierungserklärung nicht wesentlich interpretiert. Er hat allerdings den, wie ich meine, allseits unbefriedigenden Versuch gemacht, das Verhältnis des Bundeskanzlers zum Geiste zu erläutern.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Aber er hat im Übrigen und im Wesentlichenseiner
    Rede mehr an seinem eigenen politischen Profil geschnitzt. Und er hat ,das wohl ganz gut gemacht. Das war eine sehr wirkungsvolle Rede. Kompliment!

    (Abg. Majonica: Jetzt fangen Sie an zu schnitzen, Herr Schmidt! — Heiterkeit.)

    — Ich halbe ja einen Auftrag, Herr Majonica, im Gegensatz zu dem Vorredner.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Auf einige der, wie mir scheint, wichtigen Punkte in der Rede von Herrn Strauß möchte ich noch im weiteren Verlauf meiner Bemerkungen zurückkommen dürfen. Nachdem Herr Strauß eben ermahnt worden ist, sich nach der Zeit zu richten, will ich, weil ich mich später nicht denselben Vorwurf aussetzen möchte, einen Teil dessen, was ich ganz



    Schmidt (Hamburg)

    gerne angeführt hätte, gleich von vornherein beiseite legen.
    Lassen Sie mich nur ganz allgemein sagen, daß ich nach dem Verlauf ,der Debatte dieser beiden Tage nicht den Eindruck gewonnen habe, daß die Bundesregierung selbst und diejenigen, die hier für sie mit aufgetreten sind und mit gesprochen haben, von einem besonders großen und besonders überzeugenden Selbstvertrauen getragen gewesen sind. Ich habe mich gefragt, woran ,das wohl liegen mag, insbesondere wenn ich an den nervösen Auftritt des Herrn Bundeskanzlers gestern abend um die gleiche Zeit denke.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Er war doch nervös! Fanden Sie, das war in seiner besten Form?

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Ich habe mich gefragt, woran es wohl gelegen haben mag.

    (Abg. Haase [Kassel] : Sie sind schlechte Verlierer, Herr Schmidt, ganz schlechte!)

    - Ich fange doch gerade erst an. Wieso soll ich denn schon verloren haben?

    (Abg. Haase [Kassel] : Ausfluß Ihrer Niederlage ist das! Schlechte Verlierer!)

    Lassen Sie uns — —

    (Abg. Erler: Sein Name ist Haase, er weiß von nichts!)

    - Ja, ja. Ich muß die Namen der Kollegen erst noch lernen. Aber Ihr Name wird mir im Gedächtnis bleiben, Herr Haase.

    (Heiterkeit.)

    Ich habe mich gefragt, meine Damen und Herren, woran es wohl liegen mag, daß manche der Redner so wenig überzeugend wirkten. Ich glaube, es liegt daran, daß die Regierungsmitglieder weitgehend dieselben sind — es ist derselbe Kanzler, es ist derselbe Wirtschaftsminister, es ist derselbe Finanzminister, es ist derselbe Verkehrsminister —, die früher schon da waren, daß sie sich doch wohl dessen bewußt sind, daß eine Reihe derjenigen Ankündigungen, die hier vor zwei Jahren in der ersten Regierungserklärung Erhards gemacht worden waren, eben tatsächlich nicht hat verwirklicht werden können.
    Auf Grund dieses Bewußtseins — trotz Ihres persönlichen großen Wahlerfolges, Herr Haase —

    (Heiterkeit — Abg. Erler: In Kassel!)

    kann ja jemand, der sich selber prüft und der sich von keiner Euphorie davontragen läßt — das sind ja alles ehrliche und gewissenhafte Männer in dieser Regierung —, nicht daran vorbeisehen, daß vieles von dem, was versprochen wurde, eben nicht gehalten werden konnte.
    Ich will gar nicht noch einmal auf dieses Verhältnis zum Geist zurückkommen. Aber ich habe hier einen Ausschnitt aus dem Protokoll der ersten
    Regierungserklärung Erhard. Da hat der Bundeskanzler gesagt:
    So sollten die Politiker
    — ich nehme an, er hat sich auch selbst mit einbezogen wissen wollen —
    auch das Gespräch mit denen suchen, deren Beruf es ist, über die Geschäfte der Menschen nachzudenken. Vielleicht wird dann der Rahmen deutlicher, in dem sich unser Handeln vollzieht, . . . Dieser Dialog scheint mir besser als eine einseitige Polemik gegen die Intellektuellen.
    Herr Erhard fand Beifall auf allen Seiten des Hauses, mit Recht auch von den Sozialdemokraten. Nur hat leider die Praxis hinterher nicht ganz mit diesem Wort Schritt gehalten.
    Es gibt mancherlei Beispiele dieser Art. Ich lasse das weg. Ich will nur sagen: Herr Bundeskanzler, wenn man die relativ konkreten Ankündigungen in Ihrer ersten Regierungserklärung — die relativ konkreten Ankündigungen — mit der Erfahrung vergleicht, die man mit ihrer Verwirklichung gemacht hat, so muß man sagen, daß das Echo der öffentlichen Meinung auf Ihre relativ vage zweite Regierungserklärung Sie persönlich nicht besonders überrascht haben kann. Was soll man davon halten, wenn in dieser Regierungserklärung zahlreiche „Reformen" — von Ihnen ausdrücklich so genannt — aufgezählt werden? Herr Kollege Strauß, Sie haben über Epitheta ornantia geredet. Ich erinnere mich, daß Sie gesagt haben: Wenn man von ihnen falschen Gebrauch macht, dann rufen sie psychologische Reaktionen hervor, die den Tatsachen nicht gerecht werden. — Jetzt will ich mal fragen, was Sie eigentlich davon denken würden, wenn man diesen selben Satz auf die Kennzeichnung von Reformen, die Sie ankündigen, Herr Bundeskanzler, anwendete. Sie reden von der Finanzreform, von der Reform des Haushaltsrechts, der Reform der Abgabenordnung, der Reform der Umsatzsteuer — wie lange eigentlich schon, frage ich —, der Reform der Krankenversicherung — wie lange schon? —, der Reform des Strafgesetzbuchs, der Reform des Strafverfahrens — alles Ihr Wortlaut —, der Reform des Strafvollzugs, der Reform der Zivilgerichtsbarkeit. Und dann kommt eine Reihe von Plänen, Plänen für die Bundesbahn, für das Gemeinschaftswerk, für den Subventionsabbau, für eine antizyklische Ausgabenpolitik. All das haben die Fachleute gestern abend und heute morgen schon behandelt. Eine unglaubliche Fülle von Ankündigungen, von Reformen und von Plänen! Ich würde sagen: ein beinahe vollständiges Inventurverzeichnis der seit Jahren ungelösten Sachprobleme; dazu noch ein halbes Dutzend sehr einschneidender, politisch hoch bedeutsamer Grundgesetzänderungen, die hier angekündigt werden.
    Niemand wird Ihnen vorwerfen, daß Sie nicht wüßten, wo etwas getan werden müßte. Das Enttäuschende ist, daß man kaum zu einem Punkt erfährt, was Sie tun wollen und wann und wie Sie es tun wollen.

    (Beifall bei der SPD.)




    Schmidt (Hamburg)

    Weder hier unten im Saal noch oben auf der Tribüne wird jemand bereit sein, Ihnen Kredit auf das Inventurverzeichnis zu geben. Für Ihre Regierung kann in Zukunft nicht zählen, was sie ankündigt, sondern nur das, was sie tatsächlich zustande bringt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir haben Sie viel von Sorgen reden hören. Eben hat auch Herr Dahlgrün wieder von Sorgen gesprochen. Ebenso oft hörten wir die Worte „gefährlich", „hartes Muß", „mehr arbeiten", „zurückstecken", „einschneidende Maßnahme". All das habe ich mir während der Debatte mitgeschrieben. Das mag alles nicht falsch sein. Aber wer ist es denn eigentlich gewesen, der z. B. vor Monaten in sechs Anzeigen in allen deutschen Tageszeitungen mit der Autorität der Regierung — und mit dem Geld der Regierung —

    (Beifall bei der SPD)

    den Konsumwohlstand zum politischen Leitmotiv in Deutschland hat machen wollen?!

    (Beifall bei der SPD.)

    Wie können denn eigentlich dieselben Männer heute von der — ich zitiere — „Idylle trügerischen Wohlergehens" reden? Das ist Ihr Wortlaut, Herr Bundeskanzler! Vergleichen Sie ihn mal mit dem Wortlaut dessen, was Sie vor einem halben, vor einem Jahr geredet, geschrieben und haben drucken lassen! Haben Sie eigentlich zwei Zungen?
    Wenn heute der gleiche Kanzler, der gleiche Finanz-, Verkehrs- und Wirtschaftsminister uns den sogenannten Ernst der Lage schildern, — waren sie es denn nicht, unter deren Verantwortung sich diese Lage so entwickelt hat, wie sie sie uns heute schildern?!

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich frage den Verkehrsminister, Herrn Seebohm, und den Finanzminister, Herrn Dahlgrün: Ist denn nicht das 3 1/2-Milliarden-Defizit der Bundesbahn das Ergebnis Ihrer Verkehrspolitik, oder war es höhere Gewalt, die dazu geführt hat?

    (Beifall bei der SPD.)

    War es höhere Gewalt, die in den zwei Jahren Ihrer Regierung den Kapitalzinsfuß von 6 % auf nahezu 8 % hochgetrieben hat, oder ist es Ihre Kapitalmarktpolitik gewesen? Hatten Sie, Herr Bundeskanzler, nicht Anfang Juli vor dem Wirtschaftstag der CDU, vor einem fachlichen Gremium, von einem Auftrag an den Finanzminister geredet, er solle die Summe der Wahlgeschenke ausrechnen? Ist es eigentlich höhere Gewalt gewesen, welche im Finanzministerium in den Monaten Mai und Juni die Addiermaschine stillgelegt hat? Sind nicht immer wieder Sie es gewesen, Herr Bundeskanzler, der zu jeder Gelegenheit — gerade gestern noch, vor 24 Stunden — gesagt hat, der Haushalt des Bundes dürfe nicht stärker wachsen als das Sozialprodukt im ganzen, und sind nicht Sie es, der uns einschließlich Vorschaltgesetz nun einen Haushalt 1966 ankündigt, der ein wesentlich stärkeres, beinahe doppelt so starkes Wachstum wie das Sozialprodukt enthält?

    (Abg. Dr. Mommer: Sehr wahr!)

    Und warum schweigt eigentlich Ihre Regierungserklärung zu dem Problem des Defizits 1965 — das ist ja auch noch eine Hürde, vor der Sie stehen —, als ob es bloß um 1966 ginge, Herr Dahlgrün.
    Man kann bei diesen vagen Bemerkungen, die wir gehört haben, in die Haushaltspolitik dieser Regierung kein Vertrauen haben. Und so, wie mangelndes poltisches Vertrauen sich in der Ablehnung des Haushaltsgesetzes niederschlagen muß, sich niederzuschlagen pflegt in jedem Landesparlament und eben auch hier im Bundesparlament, so gilt das gleiche natürlich für das Vorschaltgesetz zum eigentlichen Haushalt. Es steht nirgendwo geschrieben, daß die Opposition dabei helfen soll, eine Regierung aus einer Zwickmühle herauszuholen, in die sie sich selber hineinmanövriert hat.

    (Beifall bei der SPD.)

    Herr Dahlgrün, bei der Kritik am Sparprogramm, die Sie vielfältig hören, nicht nur hier im Haus, mögen Sie sich vielleicht, so denke ich, damit trösten, daß anderen Völkern und auch unserem eigenen schon Schlimmeres widerfahren ist. Im 80. Psalm sagt der Psalmist im sechsten Vers: „Du speisest sie mit Tränenbrot und tränkest sie mit einem großen Maß voll Tränen." Es ist nicht das erstemal, daß solches also geschieht.

    (Oh-Rufe von den Regierungsparteien.)

    Tränenreich — und selbst Herr Strauß, der ja sonst hier einen ganz vitalen Eindruck machte, hat sich angeschlossen — waren die Klagen über die Verbände, die ja ständig wiederkehren. Was den Bundeskanzler angeht, so meine ich, daß Ihre Klagen, Herr Bundeskanzler, über die Interessenverbände ein persönliches Trauma enthüllen. Dieses Trauma hat seinen Ursprung in dem Wissen darum, daß Sie selber gegen starke Gruppeninteressen im Laufe dieser ganzen Jahre, wo Sie Wirtschaftsminister und wo Sie Kanzler waren, sich in allzuviel Fällen nicht haben wehren und nicht haben durchsetzen können.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das lag vielleicht nicht nur an Ihnen, das lag vielleicht an dem damaligen Bundeskanzler. Einer der Köpfe im zweiten Glied der CDU, Rüdiger Altmann, hat geschrieben, Herr Dr. Adenauer habe die Verbände zur Erpressung der Regierung erzogen. Das mag richtig oder falsch sein, ich will das nicht bewerten. Tatsache ist, daß z. B. der Bundesverband der Industrie — von dem muß ja auch einmal die Rede sein, Herr Strauß, Sie haben wiederum nur von einer Gewerkschaft geredet — von sich selbst schriftlich berichtet hat, 85 % seiner Interventionen gingen an die Regierung oder an deren Bürokratie, das Parlament käme nur mit 15 % in Betracht. Parlament und Öffentlichkeit erfahren von den Verhandlungen zwischen Regierungsbürokratie und Verbandsbürokratie ja nur im Ausnahmefall, nämlich dann, wenn die Verbände bei den Ministerien nicht genug erreicht zu haben glauben. Im übrigen



    Schmidt (Hamburg)

    sichert die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesregierung, Herr Bundeskanzler, den Verbänden, die Sie immer wieder so ermahnen, ein Privileg zu, nämlich das Privileg der Zuziehung bei der Erarbeitung von Regierungsentwürfen, während Parlament und Öffentlichkeit nachdrücklich davon ausgesperrt werden. Kein Abgeordneter kann dem Entwurf der Regierung ansehen, was daran eigentlich ursprüngliche Auffassung der Regierung ist und was Kompromiß mit den Interessenten ist. Keiner kennt die Argumente oder gar die Motive der Interessenten, die dabei eine Rolle gespielt haben. Und wenn Sie, Herr Bundeskanzler, so voller Soupçon auf die Verbände schauen, so sollten Sie sich überlegen, ob Sie nicht vielleicht noch eine dreizehnte oder vierzehnte Reform ankündigen, nämlich eine Reform der gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien. Es wäre vielleicht wünschenswert, sich das dort institutionell verankerte Privileg der Interessenverbände sorgfältig anzuschauen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der Bundestag selbst, meine Damen und Herren, muß wissen, daß die Schwäche der Position des Bundestages gegenüber den Verbänden wesentlich daher kommt, daß der Bundestag und seine Ausschüsse das Verhandeln mit den Interessengruppen, das Verhandeln mit den Verbänden der Regierung und ihrer Bürokratie überlassen. Der Bundestag kann in dieser Frage seine eigene Position ganz wesentlich stärken, wenn er die Verbände, wenn er die Gruppen ihre Interessen, ihre Motive, ihre Notwendigkeiten in öffentlicher Anhörsitzung in seinen Fachausschüssen vortragen läßt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Im übrigen will uns scheinen, daß die Klage über die Verbände auch mißverständlich sein kann; sie kann irreführen. Wir jedenfalls bejahen grundsätzlich die Verbände nicht nur in ihrer Existenz, auch in ihrer Aufgabenstellung. Ohne Sie könnte man Interessen und Interessengegensätze, könnte man Probleme und Möglichkeiten der Lösung, könnte man Notwendigkeiten, Entwicklungen in den verschiedenen Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft kaum richtig erkennen.
    Auch Ihr sogenanntes Zauberwort, Herr Bundeskanzler Erhard — Sie selber haben es ja so genannt — kann die Verbände nicht überflüssig machen. Woraus sollte denn sonst „formiert" werden, wenn nicht aus den Gruppen und aus den Verbänden? Die Verbände sind geradezu eine Lebensnotwendigkeit für ihre Mitglieder, die sonst als einzelne allzu leicht unter den Schlitten kommen könnten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Schlitten?)

    — Wir sind im Winter; deswegen der Schlitten!
    Ich gebe allerdings Herrn Strauß recht, der soeben gesagt hat — jedenfalls habe ich ihn so verstanden —, daß wegen der Divergenzen der Verbandsinteressen der Bundestag und seine Fraktionen und auch die Bundesregierung die Aufgabe haben, diese Interessen zu integrieren. Zeitlich gesehen steht die Regierung immer an erster Stelle. Sie wird diese Integrationsaufgabe gegenüber den divergierenden
    Interessen nicht nur durch den Appell an die Einsicht und nicht nur durch psychologische Massage lösen können, sondern dazu gehört eben auch der Wille, durchzusetzen, daß Anreize geschaffen werden, daß auf Interessentenverbände Druck ausgeübt wird und daß notfalls Sanktionen angewandt werden.

    (Abg. Windelen: Großartig!)

    — Keine einzige der heute und gestern so viel beklagten Subventionen, Herr Zwischenrufer, hat gegen den Willen dieser Bundesregierung hier Gesetz werden können. Was soll dann anschließend das Lamento dieser Regierung?

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich kann es allerdings verstehen, daß diese allgemeine Klage über die Subventionen an keiner Stelle substantiiert worden ist. Man hat niemals genannt, welche man wirklich meint.

    (Abg. Windelen: Ich bitte um Aufklärung!)

    Dann müßte man sich auch selber mit kritisieren, und solche Konkretisierung zwingt dann eben auch den Bundeskanzler zur Auseinandersetzung, sogar zur Auseinandersetzung mit den Lobbyisten in seiner eigenen Fraktion.

    (Abg. Windelen: Können Sie uns da nicht aufklären?)

    Zu dieser Auseinandersetzung in der eigenen Fraktion scheint es nicht ganz zu langen. Allerdings haben wir gestern abend aus seinem eigenen Munde gehört, daß es uns nichts angehe, was in seiner I Fraktion geschieht. Wir können nur mit Betrübnis anhören, daß uns etwas nichts angeht, was von dem Bundeskanzler selbst als eines der wichtigsten Geschäfte seiner Regierung in den nächsten vier Jahren hier herausgestellt worden ist.

    (Abg. Windelen: Man beachte die Feinheiten!)

    Solange diese Regierung nicht konkretisiert, was sie meint, so lange muß man die Verbände gegen sie in Schutz nehmen und muß insbesondere aufpassen, wenn, wie eben bei Herrn Strauß, ein einzelner Verband herausgesucht wird und gegen diesen besonders geschossen wird. Ich möchte davor warnen, daß die Bundesregierung in unserer Gesellschaft zusätzliche Frontstellungen schafft. Ich glaube, daß wir zusätzliche Vertiefungen unserer gesellschaftlichen, unserer sozialen Frontstellungen nicht gut brauchen können.
    Ich glaube, daß die neue Patentideologie und auch das Schlagwort, das sie geprägt hat, weder der Regierung noch uns hier im Parlament die Aufgabe dieses Interessenausgleichs abnehmen kann, die Aufgabe der Strukturpolitik, die Aufgabe der Gesellschaftspolitik im ganzen. Hier werden immer wieder politische Entscheidungen notwendig sein, hier im Bundestag, aber auch in den Fraktionen. Auch die Entscheidungen in den Fraktionen werden Kraft kosten und werden Zivilcourage verlangen.
    Lassen Sie mich bitte ein Wort an die Kolleginnen und Kollegen hier im Hause sagen, ein Wort, das



    Schmidt (Hamburg)

    gar nicht an die Regierung gerichtet ist. Wenn man vier Jahre lang einmal eine ganz andere Arbeit gemacht hat und dann in dieses Haus zurückkehrt, dann merkt man mit einiger Überraschung, wie viele freundschaftliche Verhältnisse nach allen Seiten man in diesem Haus damals zurückgelassen hatte; eine beglückende Erfahrung. Auf der anderen Seite gibt einem der räumliche Abstand — und wenn der zeitliche Abstand hinzukommt, noch mehr — manches neu, anders und besser zu erkennen.
    Was mich persönlich angeht, gehört zu diesen Erkenntnissen aus der Distanz auch die sich aufdrängende Fragestellung, ob denn eigentlich der Bundestag seine Rolle ganz richtig spielt, nicht nur gegenüber den Verbänden, nicht nur gegenüber der Lobby, sondern auch gegenüber den anderen Verfassungsorganen, gegenüber der öffentlichen Meinung und gegenüber dem Volk schlechthin. Ein großer Teil der politischen Diskussion hat sich aus dem Plenum des Bundestages heraus in andere Bereiche verlagert, in die Fraktionen z. B., auch in das Fernsehen — viele von uns debattieren häufiger im Fernsehen als hier in diesem Saal — und in die Illustrierten. Das hat sicherlich seine Ursachen. Meine Frage ist, ob sich diese Entwicklung eigentlich fortsetzen darf.
    Viele von uns werden vielleicht kürzlich in der „Zeit" einen sehr pessimistischen Aufsatz von Paul Sethe über die Zukunft des parlamentarischen Systems gelesen haben, und vielleicht hat man vorher die Vorschläge gelesen, die ein um eine Generation Jüngerer dort gemacht hatte. Da gibt es wichtige Details zum Thema Parlamentsreform. Ich will sie hier nicht behandeln. Ich muß auch offenlassen, ob z. B. der Bundestag eher ein Arbeitsparlament sein sollte oder ein Redeparlament oder etwas, was in der Mitte zwischen diesen beiden liegt.
    Ich will nur einen einzigen, wie mir scheint, zentralen Punkt berühren. Ich tue dies, indem ich zunächst Professor Erhards Rede vor dem CDU-Parteitag vom März in Erinnerung bringe. Dort sagte der Bundeskanzler, wir könnten es uns nicht leisten, auf eine Reform der deutschen Demokratie zu verzichten. Unsere politischen Institutionen — das das gelte für Parlament und Regierung, für Bund und Länder — müßten in die Lage versetzt werden, der Dynamik des politischen und öffentlichen Lebens gerecht zu werden. Ich habe aus dem Vortrag damals nicht erkennen können und auch jetzt nicht, wie das eigentlich gemeint war. Die gegenwärtige Regierungserklärung läßt die Richtung dieses Denkens auch nicht deutlich werden. Die Absichten bleiben unklar.
    Aber eine Regierungserklärung am Anfang einer Regierungsperiode ist doch eine Art Absichtserklärung an die Adresse des Bundestages, und der Bundestag könnte auch eine Art Absichtserklärung an die Adresse der Regierung und an die Öffentlichkeit zugleich richten. Zumindest, meine ich, sollte sich der Bundestag bewußt sein, daß nicht nur sein Ansehen, sondern vor allen Dingen sein Gewicht in der Balance der Kräfte, sein Gewicht in dem System der Machtbalance der grundgesetzlichen, der staatlichen und der gesellschaftlichen Institutionen, sein
    Gewicht in der öffentlichen Meinung in den letzten zwei oder drei Legislaturperioden erheblich abgenommen hat. Die überzeugten Anhänger der parlamentarischen Demokratie kann das nur mit Besorgnis erfüllen, ob hier im Hause oder ob außerhalb des Hauses.
    Insbesondere in unserem Land kann auf die Dauer Demokratie nur dann existieren, wenn das Parlament sein Gewicht bewahrt, seine Kompetenz, seine Fähigkeit, seine Kapazität, zu ,sachlich richtigen Entscheidungen zu kommen. Ich sehe mit einer gewissen Sorge, wie sich manche mit einem besonderen Fleiß in die perfektionistische Detailarbeit der Ausschüsse vergraben. Ich meine, wir sollten das nicht ausschließlich tun. Ich halte es für nötig, daß die politische und die geistige Auseinandersetzung in Deutschland in stärkerem Maße als in den letzten Jahren wieder hier in das Plenum, in die öffentliche parlamentarische Auseinandersetzung hereingeholt wird.

    (Beifall.)

    Ich meine, das ist eine Aufgabe sowohl der Opposition als auch derjenigen, die die Auffassung der Regierung zu vertreten wünschen. Natürlich soll der Bundestag Gesetze machen, gewiß; aber ich kann Ihnen aus der Verwaltungserfahrung heraus versichern: er tut ,das in viel zu großem Umfange. Nach vier Jahren Tätigkeit an der Spitze einer zwanzigtausendköpfigen Verwaltung kann ich Ihnen sagen, daß Komplikation und Perfektion der Gesetze, die hier gemacht werden, die ausführende Verwaltung in den Kommunen — auch in den großen Städten
    — vor Schwierigkeiten stellen, die sie auf manchen Gebieten personell vollends überfordern. Da gibt es Bürger, die darauf warten, daß ihnen ein Recht zuteil wird, das ihnen das Gesetz verbrieft hat; sie müssen darauf drei, vier, fünf Jahre warten, weil die Verwaltung das nicht mehr schaffen kann. Unsere Gesetze sind zu kompliziert, und wir machen zu viele Gesetze.
    Zweitens. Der Bundestag soll die Regierung kontrollieren. Er ist dafür nicht viel besser ausgestattet als für das Gesetzemachen. Die technische Apparatur
    — das merkt man, wenn man wieder hierher-kommt —, die technischen Arbeitsbedingungen für Abgeordnete sind nicht gerade sehr einladend für diese Arbeit; sie erleichtern die Arbeit nicht.

    (Beifall bei der SPD und Abgeordneten der CDU/CSU.)

    — Ich freue mich. Ich kann nur sagen, daß wir die technischen Arbeitsbedingungen, die ich hier vorgefunden habe, einem jungen Verwaltungsoberinspektor in unserer Vaterstadt nicht zumuten würden.

    (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Der Präsident des Hawses bedankt sich ausnahmsweise. Er nimmt sich die Freiheit, auch für den Beifall von dieser Seite des Hauses zu danken. Ich danke vielmals, meine Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD.)





  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Helmut Schmidt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Die entscheidende dritte Aufgabe allerdings — neben dem Gesetzemachen und neben der Kontrolle — hängt in ihrer Bewältigung nicht so sehr von der technischen Apparatur ab, die wir hier haben, sondern sie hängt mehr ab von unserer eigenen Einstellung zur Aufgabe selbst, zu der Aufgabe nämlich, hier den zentralen Ort für die politische Willensbildung in unserem Volk zu bilden. Nur in dem Maße, in dem dies gelingt, werden wir die weitgehende Diffusion des politischen Meinungsbildungsprozesses und das weitgehende politische Disengagement vieler unserer Mitbürger überwinden. Ich wünschte, daß die Plenardiskussionen dieses Hauses den Bürger draußen wieder in steigendem Maße zur eigenen Urteilsbildung provozierten, und die Fernsehübertragung mag dabei ein nützliches Mittel sein. Denn schließlich wird nur das selbst geschöpfte, eigene Urteil von -zig Millionen deutscher Bürger, demokratisch gesonnener Bürger, uns jenes Mindestmaß krisenfester Homogenität der politischen Haltung, jenes Mindestmaß an gemeinsamem demokratischem Staatsbewußtsein geben, dessen wir in schwierigen Zeiten noch bedürfen werden.
    Es gibt manche Anzeichen dafür, daß schwierigere Zeiten kommen könnten. Dazu gehört auch die angespannte Lage des Bündnisses, von der eben Herr Strauß am Schluß gesprochen hat.
    Es ist sehr schwer, den verschiedenen Äußerungen aus dem Regierungslager zu entnehmen, was die Regierung in diesen Fragen eigentlich will. Hier hat z. B. Felix von Eckardt vor wenigen Tagen einen Aufsatz geschrieben, in dem heißt es:
    Wenn es ein gemeinsames atomares Waffensystem zwischen den Vereinigten Staaten, der Bundesrepublik und Großbritannien geben sollte, so würde sich de Gaulle zweifellos mit der Sowjetunion gegen die deutsche Wiedervereinigung verbünden.
    Etwas später heißt es: Trotzdem würde Präsident Johnson Ihnen, Herr Bundeskanzler, die MLF anbieten. Dann geht es weiter: Sie sollen dieses Angebot aber nur annehmen, um gegenüber den Russen ein Tauschobjekt für die Wiedervereinigung zu bekommen. Sie sollten sich sehr davor hüten, dieses Angebot zu verwirklichen; denn deutsche Atomwaffen wären für die Sowjets wie auch für die Franzosen Grund genug, die Wiedervereinigung ein für allemal zu verweigern.
    Wie sollen diejenigen, die in Washington verhandeln, unsere offiziellen Gründe für die MLF noch vertreten, wenn ein Abgeordneter, der bis vor kurzem Staatssekretär dieser Regierung war, solches schreibt? Wir sollen pro forma annehmen, aber nicht wirklich wollen. Die Russen sollen glauben, es sei ernst, damit sie uns auf dem Verhandlungsweg etwas dafür geben. Die Franzosen sollen wissen, daß es nicht ernst ist, damit sie sich nicht mit den Russen gegen uns verbünden. Aber vielleicht ist Felix von Eckardt nicht der typischste Vertreter. Ich habe noch eine ganze Reihe — —