Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt ein altes Soldatenwort, das heißt: „Die Hälfte seines Lebens wartet der Soldat vergebens." Das war so am Mittwoch, als wir nicht mehr dazu kamen, die Wehrdebatte zu führen, die wir heute vorhaben, und das war ein bißchen auch heute früh so. Aber heute haben wir alle für eine gute Sache gewartet. Ich freue mich, daß es gelungen ist, in so kurzer Zeit das Amt des Wehrbeauftragten wieder zu besetzen. Ich möchte namens der Fraktion der Freien Demokraten dem neuen Wehrbeauftragten Glück und Erfolg für die unabhängige Führung seines Amts wünschen.
Die Unterstützung meiner Fraktion wird er haben.
Lassen Sie mich nun zur Begründung der Großen Anfrage der Freien Demokraten übergehen.
In die Geschichte der Bundeswehr, wenn sie einmal geschrieben werden sollte, wird ohne Zweifel das Jahr 1964 als das Jahr eingehen, in dem die Politiker begannen, sich mit dem inneren Aufbau und den Details innerhalb der Bundeswehr zu beschäftigen.
Frühere Wehrdebatten in diesem Hause standen ganz unter dem Zeichen der großen strategischen Überlegungen. Es wurde gesprochen vom Schlag, vom Gegenschlag, von der massiven Vergeltung, und besonders gut klangen alle diese Worte, wenn sie in Englisch ausgesprochen wurden. Hinterher konnte man sich dann im Bundeshausrestaurant von der Schlacht in diesem Saal „relaxen".
Sich mit der inneren Verfassung der Streitkräfte zu beschäftigen, war mehr oder weniger den Debatten im Ausschuß für Verteidigung überlassen, wo wir uns recht intensiv bei der Beratung der verschiedenen Haushalte mit den internen Problemen der Bundeswehr beschäftigten. Wurden diese internen Probleme der Bundeswehr aber hier an diesem Pult der Öffentlichkeit bekanntgemacht, dann mußte man feststellen, daß das Interesse der Öffentlichkeit für diese internen Probleme nicht so groß war. Das Interesse galt mehr den großen Dingen der Strategie, über die jeder sprechen konnte. Deswegen hatten wir Freien Demokraten es nicht nötig, uns den Schuh anzuziehen, den verschiedene für uns bereitgehalten hatten, daß nämlich die für die Bundeswehr verantwortlichen Politiker in diesem Hause sich in den vergangenen Jahren nicht genügend mit den Berichten des Wehrbeauftragten beschäftigt hätten.
Unsere Große Anfrage, die wir gestellt haben, ist ein weiterer Beitrag, um die Diskussion über die internen Probleme der Bundeswehr in dieses Haus und damit auch in die Öffentlichkeit zu verlagern.
Das wesentliche Merkmal des Neuaufbaus der Streitkräfte war ohne Zweifel die Forderung nach dem Vorrang der Politik, ausgedrückt mit dem Wort „Primat der Politik". Ich glaube, wir sind uns alle klar darüber, daß Streitkräfte schon immer die Diener der Politik gewesen sind. Daß sie auch in dem neuen Staat, den wir haben, wiederum Diener der Politik sein müssen, ist wohl unbestritten. Aber der Vorrang der Politik für die Streitkräfte ist gerade in dieser unserer Zeit bei unserer Wehrgesetzgebung besonders stark betont und immer wieder herausgestellt worden. Wir sind der Auffassung, daß die politische Kontrolle, die politische Leitung auch für die Zukunft unangetastet bleiben muß, daß aber auf der anderen Seite dieser politische Auftrag und die politische Kontrolle auch den Kontrollierenden, nämlich den Politiker, verpflichten, sich zu überlegen, ob der von ihm gegebene Auftrag auch durchgeführt werden kann.
Auf dieses Problem zielt unsere Frage 3. Sie lautet:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß festgestellte Mängel und Mißstände nicht auf den Geist der Offiziere und Unteroffiziere der Truppe im allgemeinen schließen lassen, sondern vielmehr das Ergebnis eines überstürzten Aufbaus der Bundeswehr unter unseren besonderen Voraussetzungen und damit einer nicht ausreichenden Ausbildung und Anleitung in der modernen Menschenführung sind?
Ich kann mir die Antwort des Herrn Ministers, die er später geben wird, ausrechnen, soweit es das Wort „überstürzt" betrifft. Aber ich möchte doch sagen, daß hier ein Denkvorgang einsetzen muß, den ich mit dem „Grundsatz der inneren Führung für den Politiker" kennzeichnen möchte. Auch Soldaten sollen keine Aufträge erteilt werden, deren Durchführung die Grenzen allgemeiner menschlicher Leistungskraft übersteigt.
Im militärischen Bereich gibt es einen Grundsatz, der heißt: „Kein Befehl ist zu geben, dessen Undurchführbarkeit von vornherein feststeht." Ebenso sollten wir es im Verhältnis vom Politiker zum Soldaten halten.
Bis 1958 hatte die noch junge Truppe eine hohe Schlagkraft. Das war eigentlich als ganz erstaunliches Ergebnis festzustellen; das hatte man sich so nicht vorgestellt. Der Rückgang dieser Schlagkraft der Truppe begann mit den forcierten Neuaufstellungen 1959, wo, um nur in Beispiel zu nennen, aus einer Division zwei weitere aufzustellen waren. Die erforderliche Anzahl an Führern und Unterführern für diese neuen Vorhaben war nicht vorhanden. So meine ich, daß sich daraus ergebende Mängel in der Ausbildung und Anleitung auch im Rahmen der inneren Führung nicht dem militärischen Führer anzulasten sind, sondern daß für die politische Führung die letzte Verantwortung tragen muß.
Die Ausfüllung vorhandener Lücken an Personal durch Betrauung Wehrpflichtiger mit Unterführeraufgaben, wie es gemacht werden mußte, bringt natürlich eine organisatorische Lösung, aber ohne daß dieser Lösung ein qualitativer Inhalt verliehen würde.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Dezember 1964 7587
Schultz
Wir können heute sagen, daß dieses Problem schon im vergangenen Jahr erkannt worden ist, als Minister von Hassel sein Amt übernommen hatte. Denn er sagte: Die Streitkräfte müssen in eine Phase der Konsolidierung eintreten. Wir haben diese Initiative des Ministers ,sehr begrüßt, und wir haben auch durch den Entschließungsantrag vom April dieses Jahres gezeigt, daß wir den Weg, den er vorgeschlagen hat, zu gehen entschlossen sind.
Ein wesentliches Moment der Abschreckung ist die Schlagkraft der Truppe, mit der der Gegner zu rechnen hat. Bin langsameres Erreichen der Endzahl der Aufstellungsvorhaben, d. h. ein langsameres Erfüllen der NATO-Forderungen wäre ein Mehr gewesen, weil dadurch erreicht worden wäre, daß das Vertrauen der Soldaten in die politische Führung gestärkt worden wäre. Sie dürfen sich nicht dem Irrtum hingeben, daß man draußen, wenn man mit den Soldaten spricht, erfährt, daß von den Soldaten die politische Führung immer als bestens in Ordnung befunden wird. Vielmehr werden gerade die kleinen Schwierigkeiten, die durch den Unterführermangel als solchen entstehen, gegenüber dem Politiker als nicht notwendige bezeichnet.
Ohne nun in diese Dinge der Vergangenheit allzu tief einzusteigen, kann man heute doch wohl sagen, daß für dieses Aufstellungstempo zwar politische, außenpolitische Gründe maßgebend gewesen sind, daß man sich aber dieser Richtung geirrt hat. Man muß bereit sein, nun die Konsequenzen daraus zu ziehen.
Die politische Führung gewinnt an Glaubwürdigkeit, wenn man auch einmal einen Irrtum zugibt, genauso wie wir im Rahmen der inneren Führung vom Soldaten verlangen, den Mut zu haben, einen von ihm begangenen Irrtum gegenüber den Untergebenen zuzugeben.
In der Frage 1 unserer Großen Anfrage haben wir gefragt:
Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um in der deutschen und ausländischen Öffentlichkeit den unberechtigten Vorwurf, in der Bundeswehr bestehe ein Trend zum Staat im Staate, nachdrücklich und überzeugend zu widerlegen?
In Frage 2 haben wir weiter gefragt:
Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um die in der Truppe vorhandene Unruhe zu beseitigen, die durch eine verallgemeinernde Darstellung und Betrachtung vorhandener Mißstände entstanden ist?
Die Antwort auf diese beiden Fragen wurden diesem Hohen Hause an sich schon erteilt, und zwar in der 133. Sitzung am 25. Juni, in der die hier zitierten Vorwürfe von dem Bundeskanzler und den Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU und der FDP zurückgewiesen worden sind. Es erübrigt sich also fast, darüber noch etwas zu sagen.
Manche Dinge sollte man aber vielleicht noch unterstreichen. Wir sind davon überzeugt, daß in der Bundeswehr, im soldatischen Bereich, nicht die Absicht besteht, einen politischen Führungsanspruch anzumelden oder ein politisches Eigenleben zu führen. Gefahren bestehen jedoch — und sie werden immer bestehen — im psychologischen und im gesellschaftspolitischen Bereich, wenn es nicht gelingt, die Bundeswehr in unser demokratisches Leben als eine Selbstverständlichkeit einzuordnen. So hat es unser Fraktionsvorsitzender von Kühlmann-Stumm in der vorhin genannten Sitzung formuliert, indem er gesagt hat: „Die Bundeswehr ist kein notwendiges Übel, sondern eine lebenswichtige Notwendigkeit."
Zu dieser Erklärung, die ich noch einmal unterstreichen möchte, erlaube ich mir, vier Feststellungen zu treffen. Die deutsche Wiederbewaffnung ist, sowohl was die Nachkriegszeit als auch was die aktuellen politischen Verhältnisse zur Zeit der grundlegenden Gesetzgebung betrifft, unter schweren psychologischen Belastungen begonnen worden. An alle, die mit den Mitteln der öffentlichen Kommunikation über die Bundeswehr berichten, ist der Appell zu richten, diese Grundsituation bei den Berichten über die Bundeswehr gebührend in Rechnung zu stellen. Manchmal scheint es mir, daß man diese psychologischen Belastungen aus den Anfängen der Bundeswehr bei der Kritik an der Bundeswehr etwas aus dem Auge verliert. Die Freiheit der Meinungsäußerung, auf die wir stolz sind und die wir auf gar keinen Fall vermissen möchten, ja, für die wir kämpfen wollen, soll nicht bedeuten, daß man das Gebot der Fairneß außer acht läßt. In den Sendungen, die gebracht werden, muß der Unterschied zwischen Nachricht und Kommentar sowie die Person desjenigen, der den Kommentar gibt, immer erkennbar sein.
Große Worte im Bereich dieser Berichterstattung, wie z. B. die Bezeichnung „Luftrowdies" und „Luftganster" für Piloten, die einen Tiefflugauftrag durchführen, sind fehl am Platze.
Eine zweite Feststellung. Dem Satz: Wir können Vertrauen zur Bundeswehr haben, d. h. zu den Soldaten, den wir glücklicherweise sehr oft von namhafter Stelle hören, muß auch die Tat folgen. Ich will hierzu ein Beispiel geben; ich kann das um so eher tun, als ich mich zu diesem Punkt schon früher einmal geäußert habe. Ich bedauere, daß die im Laufe dieses Jahres mögliche Neubesetzung der Personalchefstelle im Ministerium durch einen Soldaten nicht erfolgt ist. Damit ist kein Werturteil über den jetzigen Inhaber der Stelle ausgesprochen; das ist zwar selbstverständlich, aber ich möchte es — damit keine Mißverständnisse entstehen — doch noch einmal unterstreichen. Ich möchte damit nur das Prinzip als solches ansprechen, das Prinzip nämlich, daß die wechselseitige Besetzung wichtiger Stellen durch zivile Beamte und Soldaten als möglich angesehen werden muß. Hier wäre eine Möglichkeit dafür gewesen, ein solches Vertrauen zu den Soldaten nach außen hin öffentlich zu dokumentieren. Ich glaube, das hätte manche Sorge um die Nachwuchsprobleme von uns genommen.
Wir müssen uns in dieser Frage mehr Unbefangenheit angewöhnen und mehr Vertrauen in die
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demokratische Struktur unserer Gesellschaft haben. Der Vorrang der Politik wird dadurch nicht angetastet. Es wird vielmehr gezeigt, daß wir Vertrauen zum Soldaten haben. Meiner Auffassung nach besteht die Gefahr, daß die von den Soldaten als zu Recht bestehend empfundene politische Kontrolle von diesen als politisches Mißtrauen gedeutet wird, und das ist es ja nicht, was wir wollen. Ich glaube, keiner hier im Hause will das. Das kann sonst nämlich zur Resignation, zur Abkapselung und zur inneren Emigration führen..
„Am Anfang des Aufbaus der Bundeswehr stand ein Maximum an juristischen und politischen Sicherheiten." Dieser Satz stammt nicht von mir, sondern von Adalbert Weinstein. Ich teile seine Auffassung, die er jetzt äußert, daß wir hier wieder das rechteMaß finden müssen.
Weiter muß, so scheint mir, deutlich gemacht werden, daß Verteidigung Sache des ganzen Volkes ist. Es gibt heute keine Trennung zwischen Kampfzone und Heimatgebiet mehr. Soldat und Zivilist sitzen in einem Boot. Zur militärischen Gesetzgebung gehört daher die Notstandsgesetzgebung. Die militärische Verteidigung ist nur sinnvoll bei einer gleichzeitig vorhandenen zivilen Verteidigung. Man kann sagen, diese beiden Dinge sind die beiden Seiten der gleichen Medaille. Der Gedanke, daß nur ein Teil des Volkes Opfer für die Allgemeinheit bringt, ist auf die Dauer unerträglich. Wenn. die Notstandsgesetzgebung auch erst im 4. Bundestag in ein akutes Stadium getreten ist und Gestalt gewonnen hat, so meine ich doch, daß dieser Bundestag es als seine Aufgabe ansehen muß, dieses Gesetzgebungswerk zu vollenden.
An meine drei bisherigen Feststellungen möchte ich schließlich noch eine vierte anschließen. Sie richtet sich an die Bundeswehr. Ich habe so etwas den Eindruck, daß bei der Bundeswehr in manchen Orten eine gewisse Überempfindlichkeit festzustellen ist. Diese Überempfindlichkeit hat gerade im. Laufe dieses Jahres zu Reaktionen auf die Diskussion in der .Öffentlichkeit über interne Probleme der Bundeswehr geführt, die vielleicht besser unterblieben wären. Auch die Soldaten müssen sich daran gewöhnen, daß an ihnen — wie an allen Organisationen, die wir in unserem Staatsleben haben — in der Öffentlichkeit Kritik geübt wird. Auch die Landwirte, die Beamten usw. werden ja kritisiert, und es warnicht notwendig, daß sich nun jede Einheit den Schuh, der in der „Quick" fabriziert worden war, angezogen hat. Also etwas mehr Selbstsicherheit sollten wir auch auf dieser Seite wünschen.
Kritik am Soldaten gab es auch schon vor 1914, also in den, wie wir Jüngeren sagen, goldenen, seligen Zeiten, die nie mehr wiederkehren. Ich erinnere nur an das, was über den Leutnant mit Monokel und über den Kasinoton im „Simplicissimus" veröffentlicht worden ist.
Unsere Frage 4 lautet:
Ist die Bundesregierung bereit, den Truppen-
und Einheitsführern, insbesondere den mit der
Awsbildung unmittelbar Betrauten, die Selbständigkeit des Handelns und die Vertiefung der menschlichen Kontakte mit den auszubildenden Wehrpflichtigen durch eine Entbürokratisierung und eine übersichtliche, klare, einfache und gestraffte Verwaltung zu erleichtern und daraus die notwendigen gesetzgeberischen Konsequenzen zu ziehen?
Über die Entbürokratisierung hat Herr Minister von Hassel ja schon im Februar 1964 hier berichtet. Er sagte damals, der Papierkrieg sei um 60 % auf 40% vermindert worden, und er bat das Haus, es möge bei der weiteren Verminderung helfen. Diese Frage muß in der Tat immer wieder geprüft werden. Wir sind der Auffassung, daß die Beanspruchung der Truppe durch die zivile Verwaltung, durch eigene, militärische Stellen und vielleicht auch durch dieses Haus, also durch uns selber, reduziert werden muß. Wir sollten auch hier eine Faustzahl anstreben: der Kompaniechef nicht länger als zwei Stunden täglich am Schreibtisch.
Ich meine, da könnte man noch manches tun. Fehlmeldungen könnten auch durchs Telefon abgegeben und brauchten nicht formularmäßig weitergeleitet zu werden. Wir werden uns überlegen müssen, ob wir nicht das Disziplinarrecht vereinfachen können. In diesem Bereich hat es ja schon einmal eine Novelle gegeben; aber mir scheint, daß es damit noch nicht getan ist. Wir sind bereit — das darf ich hier erklären —, in diesem Hause und im Ausschuß für Verteidigung Wünsche des Ministeriums und Möglichkeiten in dieser Beziehung wohlwollend zu diskutieren und die entsprechenden Folgerungen zu ziehen.
Ich stimme hier wahrscheinlich mit Ihnen überein, wenn ich sage, der Verteidigungsausschuß kann das nicht allein machen, sondern wird hier mit anderen Ausschüssen zusammenwirken müssen.
In den Fragen 5 und 6 fragen wir:
Was beabsichtigt die Bundseregierung zu tun, um den Mangel an Offizieren und Unteroffizieren schnell und wirksam zu beheben?
Ist die Bundesregierung bereit, die Laufbahnrichtlinien für Offiziere und Unteroffiziere sowie die Fürsorgemaßnahmen durchgreifend zu verbessern und Vorschläge für die Besoldung vorzulegen, die der Verantwortung, der Funktion und den Spezialkenntnissen des einzelnen Offiziers und Unterofifziers mehr als bisher Rechnung tragen?
Ein wesentlicher Punkt in dieser Frage ist das Problem des Mitdenkens und der Mitverantwortung. Wir wissen, daß ein wesentlicher Ausdruck der Inneren Führung die Forderung ist, den Soldaten zum mitdenkenden und mitverantwortlichen Mitkämpfer zu erziehen. Ich darf hierbei allerdings auf die für den Soldaten gegebene Einschränkung des Art. 17 a des Grundgesetzes hinweisen und daran die Bemerkung knüpfen, daß ich manchmal den Eindruck gewinne, daß das Mitdenken nicht so ganz erwünscht ist, insbesondere wenn es sich um Überlegungen handelt, die nicht ganz konform mit der Meinung des Hauses sind. Wir sollten hier als
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Politiker den Mut haben, diese Dinge etwas leichter zu nehmen und zu sagen, daß auch in Verteidigungsfragen Diskussion nur von Nutzen sein kann. Demokratisches Leben, demokratisches Regieren kann sowieso nur gestaltet werden, wenn man diskutieren kann, und das brauchen wir auch im Verteidigungsbereich.
Das Ansehen der Offiziere und Unteroffiziere in der Öffentlichkeit hängt von ihrer Leistung ab. Eine höhere Leistung kann aber nur durch eine längere und intensivere Ausbildung erzielt werden. Die Ansätze dazu sind in der Phase der Konsolidierung gesetzt; wir müssen uns aber überlegen, was wir für die weitere Entwicklung dieser Ansätze noch tun können.
Ich möchte auch dazu ein Beispiel geben. Ich bin nicht sicher, daß die Laufbahnrichtlinien nicht bald überprüft werden müssen. Ich weiß nicht, ob in den Laufbahnrichtlinien für Offiziere und Unteroffiziere dem Übergewicht der Technik in den Streitkräften entsprechend Rechnung getragen wird. Wir denken immer noch in dem Bilde des Einheitsoffiziers, d. h. des Rundum-Offiziers, der alles beherrschen muß, und dasselbe gilt auch für den Unteroffizier. Ich glaube, daß wir damit nicht den Problemen gerecht werden, sondern daß wir uns eine frühere Differenzierung, eine frühere Spezialisierung, die aber trotzdem die Möglichkeit des Aufsteigens in der Stufenleiter enthält, überlegen müssen. Das sind keine Dinge, für die wir sehr lange Zeit haben, sondern sind Dinge, die kurzfristig angegangen werden müssen.
Ich bin weiter der Auffassung, daß wir ähnliche besondere Richtlinien, wie wir sie für die Ausbildung der Sanitätsoffiziere haben, auch im technischen Bereich anwenden müssen. Wie soll das Pensioniertwerden der Offiziere in höheren technischen Stellen, die neben dem Offiziersdienstgrad auch den Grad des Diplomingenieurs haben, sonst ausgeglichen werden? Ich will damit nicht ein Wort aufgreifen, das vorgestern in der kulturpolitischen Debatte gefallen ist, nämlich das Wort vom „Fachidioten". So ist es nicht. Aber wir haben doch sehr gewichtige Gründe dafür, eine bessere Berücksichtigung der Technik in den Streitkräften zu fordern.
Ich bin des weiteren der Meinung, daß wir uns neue Gedanken auch über das Zulagenwesen in der Bundeswehr machen müssen. Hier sind sowohl das Haus und seine verschiedenen Ausschüsse aufgerufen wie natürlich auch die verschiedenen Ressorts in der Regierung, die mit den Fragen ja alle etwas befaßt sind. In der Fragestunde ist vor einiger Zeit insbesondere über den Mangel an Sanitätsoffizieren gesprochen worden. Ich habe mich inzwischen belehren lassen, daß z. B. Militärpfarrer bestimmte Zulagen bekommen — das hat, glaube ich, der Haushaltsausschuß beschlossen —, damit der Unterschied zwischen dem Dienst in der Bundeswehr und dem Dienst in den Landeskirchen ausgeglichen wird. Ich glaube, wir müssen den entsprechenden Unterschied auch bei den Ärzten in Rechnung stellen, insbesondere nachdem jetzt die PREUGO-Sätze erhöht worden sind, wodurch sich die Diskrepanz zwischen dem
Sanitätsoffizier und dem draußen praktizierenden Arzt noch sehr verstärkt.
Wir fragen dann in den Ziffern 7 und 8:
Wie will die Bundesregierung in Zukunft vermeiden, daß die Familien von Berufssoldaten, insbesondere aber die schulpflichtigen Kinder, durch zu häufige Versetzungen der Ehegatten und Väter Schaden nehmen?
Was will die Bundesregierung tun, um den Offizieren und Unteroffizieren in den Bereichen, in denen sie stationiert sind, einen engeren und dauernden Kontakt mit den Angehörigen aller anderen Berufe zu ermöglichen?
Die Häufigkeit von Versetzungen ist in diesem Hause von Sprechern aller Fraktionen immer wieder beklagt worden, und es ist immer wieder eine Änderung gewünscht worden. Als Zeugen dafür darf ich besonders Herrn Kollegen Kliesing benennen, der dieses Kapitel immer wieder als ein Zentralproblem angesprochen hat. Es ist zwar sicher, daß in diesen Dingen eine gewisse Beruhigung eingetreten ist. Wir müssen aber immer wieder fordern, daß in dieser Hinsicht noch mehr als bisher geschieht. Wir wissen, daß eine Versetzung einen Schwanz von Versetzungen nach sich zieht; denn durch jede Versetzung wird ein Loch aufgerissen, das natürlich wieder gefüllt werden muß, und das pflanzt sich weiter fort.
Ein wirksames Gegenmittel gegen allzu häufige Versetzungen wäre eine Regelung dahin gehend, daß die Planstellen auch mit einem höheren Dienstgrad als dem, für den die Planstelle als solche ausgewiesen ist, besetzt werden können, daß also auch auf diesen Planstellen befördert werden kann. Ein Beispiel: Besetzung einer Bataillonskommandeurstelle, die im allgemeinen eine M-Stelle, also eine Majorsstelle ist, durch Major, Oberstleutnant oder Oberst; einer Kompaniechefstelle z. B. durch Hauptmann oder Major. Dadurch würden Versetzungen wegfallen, die sonst notwendig werden, weil anders eine Beförderung des betreffenden Offiziers — oder auch Unteroffiziers; bei den Unteroffizieren ist es ähnlich — nicht möglich ist.
Das sind natürlich Probleme, die auch dieses Haus beschäftigen müssen, die den Innenausschuß und den Haushaltsausschuß insbesondere angehen, und ich möchte an unsere Kollegen dort appellieren, wenn sie sich mit diesen Fragen befassen, unvoreingenommen an diese Dinge heranzugehen und entsprechende Wünsche, die vom Verteidigungsausschuß oder von Kollegen aus dem Verteidigungsausschuß vorgebracht werden, ernsthaft zu prüfen.
Auch die Differenzierung der Laufbahnen in den Laufbahnrichtlinien, von der ich vorhin gesprochen habe, würde, glaube ich, die Versetzungshäufigkeit vermindern.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen.
Wir sollten im Jahre 1964, im Jahre 8 der Bundeswehr, so viel Erfahrung angesammelt haben, um zu wissen, daß die Bundeswehr — hier meine ich nicht nur die Soldaten, sondern den Begriff, die Organisation als Ganzes — eine Einrichtung in un-
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serem Staat ist von eigener Art und Prägung von der Aufgabenstellung her. Sie ist mit den anderen Bundesverwaltungen nicht ohne weiteres zu vergleichen. Es werden immer wieder Vergleiche gebracht, und es wird gesagt: Wenn wir hier im Besoldungsgefüge oder in anderen Dingen — Zulagenwesen — etwas ändern, dann lösen wir eine Lawine in anderen Bundesverwaltungen aus. Dieser Satz ist einfach nicht richtig. Es liegen andere Voraussetzungen für den Dienst in den Streitkräften vor als für den Dienst bei Bundesbahn und Bundespost. Alle sind wichtig, alle haben eine Aufgabe, aber man muß sie vom einzelnen, von der Art der Aufgabe her sehen. Wir als Politiker haben die Aufgabe, diesen Gesichtspunkt, wenn wir ihn für richtig erkannt haben — ich weiß nicht, wie sehr Sie sich ihm anschließen —, dann auch gegenüber unseren Freunden und den anderen Berufen zu vertreten.
Weiter bin ich der Meinung, daß die Bundeswehr nicht ein gesellschaftspolitisches Exerzierfeld sein darf. Allzu oft wird vergessen, daß die Bundeswehr mit ihren Menschen, mit ihren Männern, die in ihr Dienst tun, das Spiegelbild unserer Gesellschaft ist. Allzu leicht wird versucht - weil man hier so ein schönes Modell an der Hand hat, das überschaubar ist, das klar gegliedert ist —, bestimmte gesellschaftspolitische Vorstellungen — nämlich die von der klassenlosen Gesellschaft — zu verwirklichen. Ich möchte davor warnen, auf diesem Wege weiterzuschreiten. Ich sage das bewußt deswegen, weil ich in vielen Diskussionen, auch in Forumsdiskussionen aus dem Zuhörerkreis, immer wieder die Frage gehört habe: „Warum ist eigentlich der Offizier und der Unteroffizier gesellschaftlich, warum sind Offiziersheime und Unteroffiziersheime getrennt, warum nimmt man das nicht zusammen? Sie müssen doch im Dienst zusammenarbeiten!" Ich möchte warnen, hier etwas ausprobieren zu wollen, nämlich die Überwindung der Klassen innerhalb einer Gesellschaft. Das würde, glaube ich, der Aufgabe schlecht bekommen. Die Soldaten sind in drei großen Gruppen unterteilt: Mannschaften, Unteroffiziere und Offiziere. Es muß klar gesehen werden, daß alle drei verschiedene Aufgaben haben und daß sie zunächst einmal in einem in sich geschlossenen Lebenskreis leben und dort ihre Aufgabe erfüllen. Das muß man respektieren, und man soll nicht versuchen, hier nun eine Gruppe daraus zu machen. Ich bin deswegen mit vielen Vorschlägen nicht einverstanden, die der zurückgetretene Wehrbeauftragte Admiral Heye seinerzeit gerade in dieser Richtung gemacht hat. Wo von der Sache her ein enger Kontakt, der im Dienst vorhanden ist, im Persönlichen in der Zeit nach dem Dienst fortgesetzt wird, ist das zu begrüßen. Man soll das aber nicht von oben her steuern wollen.
Abschließend darf ich sagen, daß wir unsere Vorstellung von einer dem ganzen Volk verpflichteten Bundeswehr nur verwirklichen können, wenn wir im achten Jahr der Streitkräfte beginnen, noch vorhandene Ressentiments zwischen Soldaten und Zivilisten, zwischen der Bundeswehr und dem gesamten Volk abzubauen.