Rede von
Hermann
Höcherl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Ich darf mich nun der Frage 4 zuwenden, in der gefragt wird, welche Formen der Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Wissenschafts- und Bildungspolitik die Bundesregierung anstrebt. Die Bundesregierung hat bereits seit Jahren in folgerichtiger Praxis zu erkennen gegeben, welche Politik sie in der Zusammenarbeit mit den Ländern im kulturellen Bereich verfolgt. Sie hat konsequent den Abschluß von Verwaltungsabkommen zur Ausfüllung des verfassungsrechtlich gesetzten, nicht sehr weiten Rahmens angestrebt.
Auf dem Gebiet der Wissenschaftsförderung ist das bereits in einem bemerkenswerten Umfang gelungen. Sie kennen das Verwaltungsabkommen über die Errichtung des Wissenschaftsrates, das im Jahre 1957 zwischen Bund und Ländern abgeschlossen wurde. I-m Juni dieses Jahres trat das seinerzeit noch von mir paraphierte Verwaltungsabkommen zur Förderung von Wissenschaft und Forschung in Kraft, mit dem die Finanzierung des Ausbaus der Hochschulen, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft und des Honnefer Modells sichergestellt und geregelt wurde. Außerdem ist auf Grund dieses Abkommens eine Ständige Kommission „zur gegenseitigen Unterrichtung und zur gegenseitigen Abstimmung" der finanziellen Förderung von Wissenschaft und Forschung zwischen Bund und Ländern eingesetzt worden. Diese Ständige Kommission ist ein Kontaktgremium auf hoher politischer Ebene, dessen Bedeutung schon dadurch gekennzeichnet wird, daß ihr auch der Herr Bundeskanzler angehören wird.
Die gleiche Zusammenarbeit wird vom Bund auch bei der Finanzierung neuer wissenschaftlicher Hochschulen angestrebt. Das im Juni dieses Jahres zunächst unter den Ländern allein abgeschlossene Abkommen sieht vor, daß der Bund dieser Vereinbarung beitreten und sich an der Finanzierung beteiligen kann. Die Bundesregierung hat wiederholt ihre Bereitschaft erklärt, den Ländern bei der Finanzierung neuer Hochschulen Hilfe zu leisten. Sie hält an dieser Bereitschaft fest und hat zur Bekräftigung einen entsprechenden Leertitel in den Haushalt 1965 eingesetzt. Ob, wann und in welcher Höhe dieser Titel mit Mitteln ausgefüllt und konkretisiert werden kann, wird einerseits von den Verhandlungen abhängen, die die Bundesregierung mit den Ländern über die Modalitäten und die Einzelheiten ihrer Hilfe führen will, andererseits aber auch davon, welche Mittel Sie der Bundesregierung für diesen Zweck zur Verfügung stellen.
Eine ähnliche Zusammenarbeit wie in der Wissenschaftspolitik strebt die Bundesregierung auch für den Bereich des gesamten Bildungswesens an. Eine brauchbare Lösung wäre nach ihren Vorstellungen ein Bildungsrat, wie er hier von allen Seiten des Hauses gefordert wird, der nach der Vorstellung der Bundesregierung und nach dem Vorbild des Wissenschaftsrates eine umfassende Konzeption für das gesamte deutsche Bildungswesens in Form von Empfehlungen zu erarbeiten und vorzulegen hätte, bei der all die Gesichtspunkte zu berücksichtigen wären, die hier vorgetragen worden sind und die in der öffentlichen Diskussion zum Vorschein kommen. Die Gliederung in eine Verwaltungs- und eine Bildungskommission, die etwa der wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrats entsprechen würde, böte nach unserer Meinung die Gewähr dafür, daß Theorie und Praxis in. gleicher Weise zu ihrem Recht kämen.
Aus diesen Erwägungen hat die Bundesregierung die Erklärungen der Kultusminister zur Zusammenarbeit mit dem Bunde auf der 100. und 102. Kultusministerkonferenz freudig begrüßt. Nach der Meinung der Bundesregierung hat sich in diesen Erklärungen die Erkenntnis durchgesetzt, daß die Selbstkoordinierung der Länder, die berühmte dritte Ebene, allenfalls zwar ausreichen kann, um möglichst einheitliche Regelungen zu erreichen, daß sie aber nicht ausreicht, wenn die Planung der wechselseitigen Abhängigkeit von Bildungs-, Sozial-, Wirtschafts-, Außen- und Entwicklungspolitik gerecht werden soll.
Die Bundesregierung wird die bevorstehenden Verhandlungen über die Errichtung des Bildungsrats zügig führen. Ich 'habe bereits früher einmal gesagt, daß es dem Bund nicht so sehr auf die Zahl der Sitze und der Stimmen in den beiden Kommissionen ankommt. Selbstverständlich muß er aber im Bildungsrat angemessen vertreten sein, um seinen Vorstellungen Geltung zu verschaffen. Außerdem scheint es geboten, die Koordinierung der Arbeit des Wissenschaftsrates und des Bildungsrates — beides Institutionen mit innerer Verwandtschaft — zu sichern; denn beider Aufgaben berühren sich natürlich in vielen Punkten, z. B. bei den wichtigen Themen der Lehrerbildung und Beseitigung des Lehrermangels.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1964 7447
Bundesminister Höcherl
Das berücksichtigt zu haben war der Vorzug des Planes, den der baden-württembergische Kultusminister Professor Hahn vorgelegt hat. Aber es sind auch andere Lösungen denkbar, wenn sie nur zur Zusammenarbeit beider Gremien führen.
Sie wissen, meine Damen und Herren, daß die Herren Ministerpräsidenten der Länder eine vierköpfige Verhandlungskommission eingesetzt haben. Auch das Bundeskabinett hat schon Anfang November eine entsprechende Kommission unter der Federführung des Innenministeriums benannt. Der Herr Bundeskanzler hat am 3. Dezember zur Beschleunigung dieser Verhandlungen eine Besprechung mit den Herren Ministerpräsidenten geführt, und ich habe die Hoffnung, daß noch in diesem Monat — nämlich nach der bisherigen Terminplanung am 17. Dezember — die ersten Verhandlungen beginnen können. Ich könnte mir vorstellen, daß wir diese Verhandlungen in kurzer Zeit abschließen können, so daß der Bildungsrat schon Anfang des nächsten Jahres mit seiner Arbeit beginnen könnte.
Ich darf bei dieser Gelegenheit noch einige zusätzliche Bemerkungen zum Inhalt der Bildungsplanung machen.
Mit Recht hat die Frage nach der künftigen Zahl der Abiturienten immer im Mittelpunkt der Diskussion gestanden. Wir sollten in dieser Zahl aber nicht das Maß aller Dinge sehen. Das klassische deutsche Abitur ist eine sehr qualifizierte Prüfung, mit der wegen ihrer Eigenart auch ausländische Schulabschlüsse schwer vergleichbar sind. Sie wissen, daß man jetzt in einigen Bundesländern bereits neue Überlegungen über einen differenzierteren Abschluß unserer Gymnasien anstrebt, differenziert nach zwei Richtungen: im Hinblick auf die unterschiedliche Begabung der Schüler wie auch auf die unterschiedlichen Ansprüche der Berufe. Diese Überlegungen scheinen mir bereits ein Hinweis dafür zu sein, daß es nicht allein darauf ankommt, möglichst viele begabte Schüler zur vollen Hochschulreife im überkommenen, traditionellen Sinne zu führen. Wir müssen vielmehr neue Wege suchen, um den unterschiedlichen Begabungen eine adäquate Bildung zu sichern. Sie muß am Berufsziel orientiert sein, ohne gleichzeitig zu einer zu engen Spezialisierung zu führen.
Zu einer umfassenden Bildungsreform gehört nach Meinung der Bundesregierung deshalb auch eine mutige Überprüfung der Anforderungen, die an die Ausbildung im Hinblick auf die künftige Tätigkeit zu stellen sind. Selbst auf die Gefahr hin, bei dieser oder jener Berufsgruppe Anstoß zu erregen, halte ich es fürerforderlich, das Berechtigungswesen zu überprüfen oder dem Berechtigungsunwesen, wenn Sie so wollen, entschieden entgegenzutreten.
Ich wäre glücklich, wenn wir all diese Fragen losgelöst von Nimbus- und Prestigekomplexenerörtern könnten.
In diesem Zusammenhang muß auch die ständige Studienzeitverlängerung gesehen werden. Es ist bezeichnend, daß man heute Ischon von einer Verweildauer eines Studenten auf der Universität spricht. Ich unterstütze mit Nachdruck 'die Bemühungen unseres Kollegen Dichgans. Seine Auffassung, daß der junge Akademiker früher als bisher berufsreif und wirtschaftlich selbständig isein muß, hat breite Zustimmung gefunden, und die Bundesregierung wird alle Bemühungen in dieser Richtung unterstützen.
Ich warne sehr davor, die Bildungsreform zu sehr als ein quantitatives Problem zu sehen, obwohl auch die quantitative Betrachtungsweise — Herr Kollege Erler, das gebe ich Ihnen gern zu — ihre gute Berechtigung hat. Die Bildungsreform ist aber mindestens in dem gleichen Maße ein Problem der Qualität unseres gesamten Unterrichtssystems. Die Planung bliebe Stückwerk, würde sie nicht auch bestimmt von dem Bemühen um moderne Methoden, die den Bildungserfolg auf allen unseren Schulen erhöhen. Die Einführung einer Fremdsprache auf der Volksschule z. B. würde unsdiesem Ziel näherbringen und auch dem Integrationsprozeß im EWG-und im internationalen Bereich einen großen Impuls verleihen. Gewiß ist die Durchlässigkeit unseres Schulsystems ein wichtiges Ziel, damit die Begabungen auch in späterer zeitlicher Phase eine angemessene Förderung finden können. Aber genauso wichtig ist es, unser Augenmerk auf die Volksschule und auf den Teil der Jugend zu lenken, der in der Volksschule verbleibt und trotzdem in einer gewandelten und sich ständig verwandelnden Welt mit ihren erhöhten Anforderungen bestehen muß.
Schon ist gefragt worden, ob die überkommene Form des bisherigen Klassenunterrichts nicht überprüft werden und einem anderen System weichen muß. Wir alle wissen aus den neuesten Forschungen, wie sehr sich die Entwicklung des körperlichen und des geistigen Bereichs verschoben hat. Es ist eine große Frage, ob die bisherigen psychologischen Gesetzlichkeiten für die gegenseitige Abhängigkeit des Somatischen und des Geistigen in der überlieferten Form noch gültig sind und ob wir nicht neue Gesetze formulieren und anwenden müssen. Es ist nicht damit getan, den obligatorischen Unterricht um ein oder zwei Jahre zu verlängern, von der ökonomischen Seite ganz abgesehen, wenn nicht die Bemühungen um eine optimale Ausfüllung dieser Schulzeit damit Hand in Hand gehen. Hier kann nur eine Gleichzeitigkeit eine Ausdehnung der Schulzeit rechtfertigen.
Sie werden Verständnis haben, meine Damen und Herren, wenn ich als der innerhalb der Bundesregierung für den Sport zuständige Minister auch der Sporterziehung einen wichtigen Platz in der Bildungsplanung zuweise. Die Sporterziehung ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie sich in unserer neuen, modernen Welt plötzlich ganz neue Bildungsaspekte eröffnen. Was sich früher an körperlicher Bewegung im Tagesablauf gleichsam von selbst ergab und vollzog, muß jetzt wegen der geänderten Lebensgewohnheiten dem Menschen zusätzlich angeboten werden. Auch hier werden im Einvernehmen mit den Ländern und den Spitzengremien des Sports neue Wege beschritten werden müssen, für die die ersten Gespräche bereits begonnen haben.
744R Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1964
Bundesminister Höcherl
Ich würde meiner Aufgabe nicht gerecht werden, wenn ich nicht an dieser Stelle den Mitgliedern des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen den Dank der Bundesregierung für seine langjährige Arbeit ausspräche. Auch er war bereits ein Organ, das im Auftrage von Bund u n d Ländern für eine Verbesserung des deutschen Erziehungs- und Bildungswesens wirkte. Er war ein Planungsorgan ersten Ranges. Seine Empfehlungen und Gutachten haben die Diskussion um die Bildungsfragen befruchtet und unerhörtes neues Gedankengut beigetragen. Es heißt seine Verdienste nicht schmälern, wenn an seiner Stelle jetzt ein Bildungsrat errichtet werden soll, an dessen Empfehlungen die Exekutive beteiligt ist. Die guten Erfahrungen mit dem Wissenschaftsrat sprechen für eine solche Lösung. Aber die Gutachten des Deutschen Ausschusses sowie die Vorschläge vieler anderer Gremien sind dankenswerte Vorarbeiten, auf denen der Bildungsrat aufbauen kann und, wie ich hoffe, sehr bald zu praktischen Vorschlägen wird kommen können.
Damit komme ich zur Beantwortung der Frage 5:
Wie sollen im Rahmen der Bundesregierung die Förderung der wissenschaftlichen Forschung, die Ausbildungsförderung und die Bildungsplanung koordiniert werden?
Ich darf an die wenigen Bemerkungen erinnern, die ich zu dem Begriff Planung, zu dem Begriff Koordinierung und zu den beschränkten Funktionen eines solchen Instruments gemacht habe. Ich darf dazu feststellen, daß eine Koordinierung der Bundesressorts nicht erst erfolgen soll, sondern daß sie längst praktiziert wird. Wegen der zunehmenden Bedeutung, die kulturpolitische Fragen für den Bundesbereich gewonnen haben und noch weiter gewinnen werden, sind jetzt weitere organisatorische Maßnahmen vorgesehen, über die ich Sie kurz informieren darf.
Schon in der März-Debatte ist in diesem Hohen Hause dargelegt worden, in welch engem Zusammenhang wissenschaftliche Forschung, Bildungsplanung und Ausbildungsförderung stehen und wie Entscheidungen in einem Bereich sich in dem anderen auswirken. Andererseits sind diese drei Aufgabengebiete aber so sehr in verschiedene Bereiche eingeordnet, daß begriffliche Trennung geboten erscheint, aus der sich dann auch bestimmte organisatorische Folgerungen ergeben.
Nehmen Sie als Beispiel das Verhältnis der Bildungsfragen zu denen der wissenschaftlichen Forschung. Sicherlich ist die Intaktheit unserer Bildungseinrichtungen wichtigste Voraussetzung für Leistungen in der Forschung. Aber es wäre falsch, die Bildungspolitik lediglich im Hinblick auf Forschungsförderung zu betreiben. Unser Bildungssystem muß alle Stufen und alle Bereiche der gesellschaftlichen Existenz im Auge haben und ihnen gerecht werden.
Wichtig war deshalb zunächst einmal, innerhalb der Bundesregierung so zu koordinieren, daß eine einheitliche Willensbildung auf jedem der drei genannten Gebiete möglich war. In dieser Richtung ist nun in der Tat einiges geschehen.
Es besteht zur Koordinierung der Wissenschaftspolitik der Bundesregierung bereits seit Jahren ein Interministerieller Ausschuß, seit 1963 unter der Federführung des Bundesministers für wissenschaftliche Forschung. Ihm gehören alle Ministerien an, die neben dem Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung aus ihrem Aufgabenbereich heraus mit Forschungsfragen beschäftigt sind.
Auf dem Gebiet der Ausbildungsförderung besteht auch schon seit Jahren ein Arbeitskreis der für diese Materie zuständigen Bundesressorts, nämlich der Bundesministerien für Arbeit und Sozialordnung, für Familie und Jugend und des Innern. In diesem Arbeitskreis wurde der Entwurf eines Ausbildungsbeihilfegesetzes erarbeitet, für den jetzt das Bundesministerium für Familie und Jugend federführend ist.
Neu gegründet wird für die Zusammenarbeit mit dem Bildungsrat ein Interministerieller Ausschuß für Bildungsplanung. Ihm werden alle Ministerien angehören, die an Bildungsfragen aus ihren Sachaufgaben heraus interessiert sind. Seine Aufgabe wird es sein, die Erfahrungen und die Anregungen aller beteiligten Ressorts für die Mitarbeit der Bundesregierung im Bildungsrat fruchtbar zu machen. Die organisatorischen und personellen Voraussetzungen für diese neue Aufgabe werden im Bundesministerium des Innern geschaffen werden; dafür erbitte ich jetzt schon Ihre Unterstützung.
Zur Abstimmung der Grundsatzfragen zwischen den Bereichen der Förderung der wissenschaftlichen Forschung, der Bildungsplanung und der Ausbildungsförderung erwägt die Bundesregierung die Einsetzung eines Kabinettausschusses, der meines Erachtens unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers selbst stehen müßte.
Abschließend kann ich ganz allgemein zu diesem Thema der Koordinierung sagen, daß sich nach meinen Beobachtungen die Institution des Interministeriellen Ausschusses gut bewährt hat. Sie gewährleistet Berücksichtigung aller Gesichtspunkte sowie einen regen Erfahrungsaustausch der Ministerien untereinander; sie verhütet unnütze Doppelarbeit und ermöglicht eine einheitliche Konzeption der Bundesregierung in den politisch wichtigen Fragen.
Ich darf in diesem Zusammenhang vielleicht noch auf einen Gesichtspunkt hinweisen. Es ist interessant, daß in einem Lande wie Berlin die Kulturdezernate geteilt und nicht in einer Hand zusammengefaßt sind: das Wissenschaftsdezernat auf der einen und das Schuldezernat auf der anderen Seite. Das spricht keineswegs für die Vereinigung und Zusammenfassung in einer Hand im Bereich des Bundes.
In der Frage 6 fragt die Opposition, wie die Bundesregierung eine wissenschaftliche Beratung in der Bildungsplanung gewährleisten will. Dazu darf ich folgendes antworten. Die Bundesregierung hat seit ihrem Bestehen den Rat der Wissenschaft gesucht. Sie arbeitet auf allen Bereichen der Verwal-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Dezember 1964 7449
Bundesminister Höcherl
tung eng mit Wissenschaftlern der einzelnen Fachgebiete — auch mit ausländischen Gelehrten —zusamlmen, und sie wird das auch in der Bildungsplanung tun. Sie wird aber die Wissenschaftler und Professoren vorher um ihre Zustimmung fragen.
Die Bildungskommission des Bildungsrates soll nach den Vorstellungen der Bundesregierung Pädagogen und Wissenschaftler aus den verschiedenen Bereichen dies weiten Bildungswesens umfassen. Für Einzelfragen werden ähnlich wie beim Wissenschaftsrat Unterkommission gebildet werden, die sich in ihrer Arbeit auf Sachverständige werden stützen können.
Darüber hinaus ist zu hoffen, daß auch das Berliner Institut für Bildungsforschung bei der MaxPlanck-Gesellschaft und das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung in Frankfurt die Arbeiten des Bildungsrates mit ihren Untersuchungsergebnissen fördern. Vorsorglich hat das Bundesministeriums des Innern seinerzeit gegen mancherlei Widerstände mit dahin gewirkt, daß das Berliner Institut für Bildungsforschung bei der MaxPlanck-Gesellschaft errichtet werden konnte.
Es ist hierzu noch allgemein zu bemerken, daß sich erfreulicherweise zunehmend Wissenschaftler den Bildungsfragen und den pädagogischen Problemen zugewandt haben. Ich habe deshalb nicht die Sorge, daß es uns bei der Planung der tätigen Mitthilfe qualifizierter und ausgewiesener Gelehrter ermangeln wird. Vor einem aber möchte ich gerade im Interesse der Wissenschaft warnen. Es darf niemals und zu keinem Zeitpunkt der Eindruck entstehen, als ob der Politiker auch nur einen heil seiner Verantwortung dem Wissenschaftler aufbürden könnte. In unserer wissenschaftsgläubigen Zeit unterliegen wir leicht der Versuchung, dem Gelehrten mehr abzuverlangen, als billigerweise von ihm erwartet werden kann.
Forschungsinstitute ermitteln entsprechend ihrer grundsätzlichen -Aufgabe langfristig differenzierte Unterlagen, die den politischen Instanzen ein besseres Erkennen der Probleme ermöglichen. Die politische Entscheidung kann und soll durch sein Votum vorbereitet und fundiert, niemals aber ersetzt werden.
Mit der Frage 7 wünscht die SPD zu wissen, wann die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung vorzulegen gedenkt. Der Zeitpunkt der Einbringung des Gesetzentwurfs steht aus den Gründen noch nicht fest, die ich im folgenden darlegen werde. Der Herr Bundesminister für wissenschaftliche Forschung hat wiederholt darauf hingewiesen, daß die Förderung der Forschung eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern ist. Die Bundesregierung strebt an, die Modalitäten dieser gemeinsamen Aufgabe durch Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern zu regeln, wie ich das bereits bei Beantwortung der Frage 4 ausgeführt habe.
Das Grundgesetz eröffnet zwar dem Bund in Art. 74 Nr. 13 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 die Competenz, die Förderung der wissenschaftlichen
Forschung zu regeln. Die Bundesregierung hat den Erlaß eines solchen Gesetzes auch bereits erwogen; aus früheren Debatten ist es Ihnen bekannt, daß der Entwurf seinerzeit noch in meinem Hause erarbeitet wurde. Solange aber die Bundesregierung die begründete Aussicht hat, die Aufgabenbereiche von Bund und Ländern in der Forschungsförderung mittels eines oder mehrerer Verwaltungsabkommen näher abzugrenzen, möchte sie diesen Weg einem Gesetz vorziehen. Verwaltungsabkommen setzen Einverständnis zwischen Bund und Ländern über die zu treffende Regelung voraus, und das scheint gerade in der Forschungsförderung dringendes Gebot. Auch ist die Regelung durch Verwaltungsabkommen flexibler als die durch Gesetz.
Im übrigen unternimmt zur Zeit die von Bund und Ländern eingesetzte „Sachkommission für die Finanzreform" den Versuch, im Rahmen von Überlegungen zur Reform der Finanzverfassung Vorschläge auszuarbeiten für eine Abgrenzung der Aufgaben, die von Bund und Ländern jeweils allein oder von beiden gemeinsam zu erfüllen sind. Es ist ratsam, dieses Gutachten abzuwarten und ihm nicht durch ein Forschungsförderungsgesetz vorzugreifen.
Schließlich will die SPD in der Frage 8 wissen, wann die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Ausbildungsförderung vorzulegen gedenkt. Die Bundesregierung sieht in der Förderung der Ausbildung einen der wichtigsten und elementaren Bestandteile eines nationalen Bildungsprogramms. Sie wird auch nicht zögern, zu gegebener Zeit die geeigneten gesetzgeberischen Maßnahmen in die Wege zu leiten. Die Bundesregierung hat es daher sehr begrüßt, daß durch die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP am 21. Oktober 1964 der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundeskindergeldgesetzes vorgelegt wurde. Dieser Gesetzgebungsschritt wäre auch eine sinnvolle Fortführung des bisher erreichten Familienlastenausgleichs für das spezielle Gebiet der Ausbildungshilfen.
Die Bundesregierung ist sich darüber im klaren, daß daneben die vom Deutschen Bundestag gewünschte Vereinheitlichung des bestehenden Ausbildungsbeihilfenrechts ihre große Bedeutung behält. Dies gilt für all die Personenkreise, für die eine Beihilfe von monatlich 40 DM nicht genügt, um den finanziellen Bedarf einer wünschenswerten Ausbildung ihrer Kinder zu decken.
Es ist diesem Hohen Hause durch die Bundesregierung mehrfach erklärt worden, daß sie den Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Ausbildungsbeihilfen innerhalb der zuständigen Bundesressorts erarbeitet hat. Es ist bekannt, daß gegen diesen Entwurf von einigen Ländern, insbesondere von dem Lande Hessen, verfassungsrechtliche Bedenken erhoben worden sind.
Trotz Kenntnis dieser verfassungsrechtlichen Lage hat die SPD-Fraktion ihren eigenen Initiativgesetzentwurf über Ausbildungsförderung eingebracht. Der Entwurf baut offensichtlich auf den Vorarbeiten der Bundesregierung auf. Er enthält allerdings einige Erweiterungen, die vor allem die bildungspolitische Seite der Ausbildungsförderung noch be-
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Bundesminister Höcherl
tonen und damit die verfassungsrechtliche Problematik noch verschärfen. Wiederum waren sofort verschiedene Länder, unter ihnen mit besonders ausführlicher Begründung das Land Hessen, auf dem Plan und erhoben auch gegen diesen Entwurf verfassungsrechtliche Bedenken. Deshalb prüft zur Zeit der Rechtsausschuß des Bundestages — und das ist der ordnungsgemäße Weg —, ob und inwieweit eine Zuständigkeit des Bundes zur Regelung der Ausbildungsförderung besteht. Vom Ausgang dieser Prüfung wie der Klärung aller verfassungsrechtlichen Fragen, die mit der Ausbildungsförderung zusammenhängen, wird die Bundesregierung ihre weiteren Maßnahmen abhängig machen.
Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen hinzufügen. Wir müssen uns bewußt sein, daß eine angemessene finanzielle Ausbildungsförderung allein noch keinen Fortschritt garantiert. Die Mehrzahl der Kinder — das ist erfreulicherweise hier auch vorgetragen worden —, die trotz ihrer unbestreitbaren Eignung nicht die weiterführenden Schulen besuchen, wird offenbar nicht behindert durch zu lange Schulwege oder wirtschaftliches Unvermögen des Elternhauses. Das Haupthindernis ist nach den bisherigen Erkenntnissen vielmehr — wie es auch die Untersuchung des bayerischen Kultusministeriums über Begabungsreserven bestätigt — die Einstellung zahlreicher Familien, die einer qualifizierten Schulbildung entgegensteht.
Besonders in der Arbeiterschaft gibt es immer noch die Scheu vor der weiterführenden Schule. Nehmen Sie als Beispiel den Vergleich der Abiturientenzahlen von zwei etwa gleich großen Städten, von Münster und Solingen. In Münster kommen auf 1000 Jugendliche 83 Abiturienten, und in Solingen sind es nur 27. Es ist ganz unwahrscheinlich, daß sich diese Differenz allein mit der wirtschaftlichen Lage des Elternhauses erklären läßt. Vielleicht ist sogar das Gegenteil der Fall. Jeder von uns kennt die Bedeutung, die eine wirksame Werbung heute auf allen Lebensgebieten hat. Ich bin der Auffasung, daß hier der geometrische Ort wäre, wo eine intensive, konzentrierte Werbung erfolgen sollte. Die Lehrerschaft, die Gewerkschaften, die Frauenverbände und alle Parteien sollten ihre Kräfte in einer gemeinsamen Aktion zusammenfassen und dahin wirken, daß alle begabten Kinder den Übergang zu einem höheren Bildungsweg finden. Ich glaube, daß durch Aufklärung einiges zu erreichen und zu verbessern wäre. Es ist bedauerlich, daß in diesem Zusammenhang immer wieder klassenkämpferische Parolen über Arbeiterschaft und Bildungswesen usw. laut werden. Sie sind der modernen Zeit fremd und haben nur demagogischen Charakter.
Ich habe versucht, die Große Anfrage in ihren einzelnen Teilen und der mir vorgegebenen Reihenfolge, die zwangsweise Wiederholungen mit sich brachte, so vollständig wie möglich zu beantworten.. Ich habe dabei Gelegenheit gehabt, Ihnen über die Fortschritte zu berichten, die seit der letzten Debatte in diesem Hohen Hause erzielt worden sind, vor allem durch die Kooperation von Bund und Ländern im kulturpolitischen Bereich.
Noch ein Wort zur politischen Bildung, die Herr Kollege Erler angesprochen hat und die einen ganz besonderen Platz verdient, weil es eine gelebte Demokratie ohne angemessene Bildungsmöglichkeiten, ohne ein angemessenes Bildungsangebot und ohne einen entsprechenden Gebrauch überhaupt nicht geben kann. Wir erleben im internationalen Bereich die heftige Spannung, die darauf beruht, daß auf der einen Seite die Bildungsmöglichkeiten fehlen und auf der anderen Seite die demokratischen Staatsformen gewollt werden. Beides kann nur zusammen existieren. Darum ist die politische Bildung auch immer ein besonderes Anliegen dieses Hohen Hauses gewesen. Der Bund hat dafür genauso wie die Länder besondere Einrichtungen geschaffen, die von allen Parteien gemeinsam zu tragen sind. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn diese Debatte auch dazu führte, die Mittel für die zentrale politische Bildung zu verstärken.
Noch ein Wort zum Schluß. Wir werden diese schwierige Aufgabe immer nur schrittweise und annäherungsweise erfüllen können. Wir werden ihr nicht gerecht, wenn wir uns nicht einen Grundsatz zu eigen machen, der unserer modernen Entwicklung und unserem wissenschaftlichen Zeitalter angemessen ist. Dieser Grundsatz muß sein, daß wir uns als Vollstrecker der Erkenntnisse der Wissenschaft und der Erfahrung im politischen Bereich fühlen und die Kräfte zusammenfassen, daß wir die Aufgabe aus dem Streit der Parteien herausnehmen und sie zu einer großen, vielleicht zu der größten nationalen Angelegenheit machen, die wir zu bewältigen haben.