Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich da if die Große Anfrage der Opposition und die Anträge der Koalitionsparteien gemeinsam behandeln und zunächst einige Vorbemerkungen vortragen.
Am 4. März dieses Jahres hat in diesem Hause eine große Kulturdebatte zu dem Thema Wissenschaftsförderung stattgefunden. Damals hat der Kollege Lenz bereits die Prinzipien dargelegt, die die Bundesregierung in allen Fragen der Kulturpolitik eiten; diese Prinzipien kamen auch bei der Begründung der Großen Anfrage und des Antrages zum Ausdruck. Ich brauche sie deshalb nicht zu wiederholen. Diese Prinzipien sind nach wie vor die Basis für die kulturpolitische Arbeit und die kulturpolitischen Initiativen der Bundesregierung.
Das Thema, das heute gestellt ist, greift weiter aus. Der Begriff Bildungsnotstand ist zum Schlagwort geworden. Dabei läuft man Gefahr, Urteile vorwegzunehmen, bevor ihre Grundlagen genau geprüft sind. Ich möchte deshalb den Begriff Bildungsnotstand in dieser allgemeinen Form nicht unbesehen übernehmen; ich halte ihn tatsächlich für eine Übertreibung, und zwar für eine nicht ungefährliche Übertreibung.
Es gibt in unserem gemeinsamen Erleben eine geschichtliche Phase, in der mit Recht von einem nationalen Bildungsnotstand die Rede sein konnte. Das war im Jahre 1945, als unsere Bildungsgüter durch den Nationalsozialismus in ihrer Substanz entwertet, die meisten Schulgebäude durch den Krieg zerstört, und der Lehrerstand dezimiert war. Kaum ein anderes Land in Europa war in seinem Bildungswesen derart getroffen wie das unsere.
Was hier an Wiederaufbauarbeit von Ländern und Gemeinden, von privaten Schulträgern und der Wirtschaft, der Gesellschaft insgesamt materiell wie ideell geleistet worden ist, verdient höchste Anerkennung, und die sollte hier auch einmal ausgesprochen werden.
Ich will nur eine einzige Zahl nennen, und zwar aus dem Bereich des Landes, in dem wir uns befinden. Allein in Nordrhein-Westfalen ist in den letzten 15 Jahren fast in jeder 7. Woche — statistisch Bemittelt — ein neues Gymnasium entstanden.
Diese Leistung ist nicht so selbstverständlich, wie manche moderne Kassandra vermutet und es wahrhaben möchte.
Nun eine andere Seite des Schlagwortes Bildungsnotstand. Liegt darin nicht ein unerhörter Vorwurf gegen die Lehrkräfte, die sich in allen Bereichen, von der Volksschule bis zur Universität und den Hochschulen, um unsere Jugend bemüht haben?
Ist nicht in dieser Zeit unter den ungünstigsten Voraussetzungen und allerschwierigsten Verhältnissen an Improvisation und an Bildungsleistung so Einmaliges dargeboten worden, wie es kaum — unter so erschwerten Umständen — in unserer Geschichte zu finden ist? Auch dafür sollten wir einmal von diesem Platz aus den Lehrern aller Grade die verdiente Anerkennung aussprechen.
Es gibt aber einen Bereich, in dem sehr wohl von einem Bildungsnotstand gesprochen werden kann. Sie haben ihn mit Recht bezeichnet, Herr Kollege Erler. Es handelt sich um die Phase der zweiten industriellen Revolution, die sich mit atemberauben-
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der Schnelligkeit in allen Lebensbereichen vollzieht. Sie ist geprägt von einer Bevölkerungsexplosion, die sich auf dem ganzen Erdball darbietet, von technischem Fortschritt, von fortgesetzt zunehmender Arbeitsteilung, von Automation und Verkürzung der Arbeitszeit, von Verlängerung der mittleren Lebenserwartung, von der Überwindung der Entfernungen in zwei oder drei Dimensionen und von einer völligen sozialen Umschichtung. Hier werden tatsächlich Bildungsaufgaben gestellt, die alle Begriffe und Maßstäbe, wie wir sie kennen, sprengen. Es gibt keinen einzigen Industriestaat, es gibt keinen Staat mit einer ähnlichen Struktur wie die Bundesrepublik, der in der Lage wäre, mit der unglaublichen Beschleunigung in allen Lebensbereichen bildungsmäßig Schritt zu halten. Wir werden uns immer in einer gewissen Phasenverschiebung befinden, in einem gewissen zeitlichen Abstand, der nur annäherungsweise überwunden werden kann. Von einem Bildungsnotstand in dieser aufgeklärten, geläuterten Form zu sprechen, halte ich für berechtigt.
Es gibt auch noch einen anderen Bildungsnotstand im internationalen Bereich: in dem großen Gefälle zwischen den Entwicklungsländern und den Industrieländern. Auch dort gibt es Erscheinungen, die die Vergangenheit nicht gekannt hat und die, in ihrer Problematik kaum erkannt, viel weniger noch zu praktischen Umsetzungsergebnissen hätten führen können.
Wir müssen uns, meine sehr verehrten Damen und Herren, zunächst einmal mit den Grundlagen dieser Entwicklung befassen. Die Wissenschaft muß in der Grundlagenforschung die Kausalitäten und die Finalitäten offen- und klarlegen. Wir haben dann die Ergebnisse konkret zu verwerten und in praktische Arbeit, und zwar in einem langwierigen, umständlichen Prozeß, umzusetzen, bei dem uns finanziell und personell Grenzen gesetzt sind wie bei allen Bemühungen, die wir unternehmen.
Auch diese Epoche, die andauern wird, wird unter Schmerzen geboren. Die Anpassung unseres Bildungswesens an diese neuen Aufgaben stellt uns Probleme, die die ganzen geschichtlichen Erfahrungen sprengen.
Es geht auch nicht an, meine Damen und Herren, einfach nur auf den Staat zu zeigen. Der Staat ist nicht alleine der Faktor, der im Erziehungs- und Bildungsbereich die Verantwortung trägt. Es ist die Gesellschaft insgesamt, die Wirtschaft und alle anderen Bereiche. So ist vor allem das Elternhaus der erste Faktor, der von der Natur her und von der Schöpfung her berufen ist, Bildungsaufgaben ernstester Art wahrzunehmen. Erinnern wir uns daran, daß nach gültiger und gesicherter pädagogischer Erkenntnis die entscheidenden Impulse und die entscheidenden charakterlichen Beeinflussungen in einem sehr jungen Lebensalter bereits abschließend gelegt und gesetzt werden.
An den Beispielen, die ich angeführt habe, sehen Sie das internationale Ausmaß dieses Problems. Kein einziger Industriestaat — auch nicht die viel vermögenderen — ist mit dieser Aufgabe fertig geworden. Es gab kein Land, in dem die Startvoraussetzungen so schwer zu erfüllen und die Startbedingungen so schwierig gewesen wären, wie das in unserem geteilten Lande der Fall war, das eine Bevölkerungsbewegung von 12 bis 13 Millionen Menschen zu bewältigen hatte.
Auch im Ausland sind Planziffern noch keine Realitäten, und Finanzprobleme und Personalprobleme werden mit Plänen nicht gelöst, sondern allenfalls in eine Ordnung gebracht. Selbst der in Amerika so bekannte und auch in unserem räumlichen Bereich nicht unbekannte Bildungsexperte Professor Conant hat kürzlich in einem Artikel der „New York Times" zum Ausdruck gebracht, daß eine überregionale Erziehungsplanung in Amerika nötig sei, um dem „Chaos" zu begegnen. So hat er die Situation gekennzeichnet.
Nun verkenne ich keineswegs die besondere Funktion, die auch vielleicht eine gewisse zugespitzte Formulierung und Begriffsfindung wie Bildungsnotstand haben kann und auch gehabt hat. Ich möchte auch denen den Dank nicht versagen, die in der letzten Zeit als unbequeme Mahner aufgetreten sind und dadurch einen heilsamen Schock und eine produktive Unruhe ausgelöst haben. Es ist ihr Verdienst, daß Entscheidungen in der Bildungspolitik, die ihrem Wesen nach sich erst langfristig entwickeln, schon heute politisch aktualisiert sind. Die Bildungspolitik hat einen neuen und angemessenen Stellenwert in dem Bewußtsein der Offentlichkeit erhalten, die nun auch zu den Opfern aufgerufen wird, die notwendig sind, um diese Pläne Wirklichkeit werden zu lassen. Sie wird von nun an, daran habe ich keinen Zweifel, immer wieder zu den großen nationalen Gesprächsthemen gehören.
Damit glaube ich umrissen zu haben, was die Bundesregierung unter Bildungsnotstand versteht, nämlich mehr als nur einen akuten pathologischen Zustand in diesem Lebensbereich von begrenzter Dauer. Für mich ist dieser Begriff der Ausdruck der bleibenden Notwendigkeit, Möglichkeiten zu schaffen, mit deren Hilfe wir den sich steigernden Herausforderungen einer rapid sich wandelnden Umwelt auch mit bildungspolitischen Mitteln begegnen. Bildungsplanung als .dynamisches und nicht als statisches Prinzip, 'Bildungsplanung als Aufgabe von Dauer, diese Erkenntnis sollte das Ergebnis unserer Debatte sein. Auch wenn Gesagtes wiederholt wird, hat das seinen Nutzen und seinen guten Zweck. Wir müssen selber immer wieder Kraft fassen in vertiefter Erkenntnis und in Wiederholung von Zusammenhängen, deren Schwierigkeiten noch kaum bis zum Ende ausgedeutet sind.
Nach dieser Vorbemerkung darf ich mich nun den einzelnen Fragen zuwenden. Ich bleibe bei der Reihenfolge, in der die Fragen ausgedruckt sind, obwohl ich aus logischen Gründen und Gründen der Konsequenz sehr gern eine andere Reihenfolge gesehen hätte.
In der Frage Nummer 1 fragt die Opposition, ob die Bundesregierung bereit sei, bei der Erarbeitung
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eines nationalen Bildungsplanes mitzuwirken. Ich darf darauf folgendes erwidern:
Die Bundesregierung ist nicht nur bereit mitzuwirken, sondern sie ist in dieser Frage der Initiator der Bestrebungen. Ich möchte hinsichtlich der. Bildungsplanung nicht mißverstanden werden. Darum einige Bemerkungen zu dem Begriff Planung insgesamt. Es gibt Menschen, die schon bei dem Begriff Man eine innerliche Sättigung erfahren und glauben, finanzielle und personelle Probleme werden allein schon durch Begriffe gelöst. Planung, Koordinierung, und wie all diese Methoden heißen, sind nichts anderes als gewisse Ordnungsinstrumente mit beschränkten Funktionen. Ich möchte aber nicht den Begriff Planung abwerten. Im Gegenteil. Ich bin der Auffassung, daß im privaten und im öffentlichen Bereich fortgesetzt eine Planung stattfindet. Man muß sich aber bewußt sein, daß die Planung kein statisches Element ist, sondern daß sie nur berechtigt sein kann, wenn sie einer laufenden Anpassung unterworfen wird, wenn sie sich vor allem in dem Rahmen, den sie setzt, sich bewußt bleibt, daß sie — jetzt im kulturpolitischen Bereich — die Freiheit der Länder, der Gruppen und auch die Freiheit des einzelnen nicht beeinträchtigen darf. Nur bei Vorausschau — das ist ja Planung in ihrem Wesen — auf die vorhersehbaren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen kann das Spektrum der Bildungsmöglichkeiten und Bildungsangebote in der erforderlichen Breite zur Verfügung gestellt werden.
Aber die Vorausschau ist ihrer Natur nach und der Begrenzung der menschlichen Erkenntnis entsprechend eine sehr schwierige und eine sehr dubiose Sache. Wer nicht den Mut aufbringt, Fehler zuzugeben, wer nicht den Mut aufbringt, fortgesetzt Anpassungen zu vollziehen, der wird niemals Planungen im guten und im berechtigten Sinne machen können.
Vom ersten Tage meiner Amtsübernahme an habe ich das Gespräch mit den Kultusministern der Länder über eine gemeinsame Bildungsplanung gesucht. Ich habe immer wieder darauf hingewiesen, daß es notwendig sei, die sehr verdienstvolle und fruchtbare Arbeit des 'Deutschen Ausschusses für Bildungsfragen, der nur aus Fachleuten zusammengesetzt ist, nach dem Muster des Wissenschaftsrates zu ergänzen und den Verwaltungsmann und den Fachmann an einen Tisch zu 'bringen, um Praxis und Theorie aufeinander abzustimmen und so schnell wie möglich zu praktischen Ergebnissen zu kommen.
Ich darf dabei erneut auf die Regierungserklärung vom Oktober 1963 verweisen. Der Bundeskanzler hat damals die Bedeutung, die die Bundesregierung den Aufgaben der Bildung beimißt, herausgestellt und diese gültig definiert. Er hat dabei einen Appell an die Länder gerichtet, bei diesen weittragenden und schwerwiegenden Fragen mit dem Bund zum Wohle des Ganzen zusammenzuwirken. Dieser Appell wurde dann in der Kulturdebatte dieses Jahres wiederholt. Die erste Resonanz gab es bei der Erklärung des Präsidenten der Kultusministerkonferenz auf der 100. Plenarsitzung dieser Konferenz in Berlin.
An der Planungsverantwortung den Bund maßgeblich zu beteiligen, ist nämlich nicht nur eine Forderung der Zweckmäßigkeit, sondern auch ein Gebot unserer bundesstaatlichen Ordnung. Dafür gibt es ganz entscheidende Gründe. Zum Teil wurden sie schon angeführt. Einige darf ich ergänzend nennen.
Eine Planung der Bildungsförderung kann sinnvoll nur gestaltet werden, wenn sie nicht mit der Konzeption unserer Sozial- und Wirtschaftspolitik in Widerspruch gerät und wenn sie die internationalen Zusammenhänge berücksichtigt. Ich denke dabei keineswegs allein und ausschließlich an die Fördederung der beruflichen Fortbildung. Ist z. B. eine Planung des allgemeinen Bildungswesens vorstellbar, die nicht auch die völlige Strukturänderung der Landwirtschaft — um ein sehr aktuelles Beispiel zu nennen — einbezieht, die Landwirtschaft, die in einer einzigen Generation eine Rationalisierung und revolutionäre Umstellung unvorstellbaren Ausmaßes vollziehen mußte? Daß auch andere Wirtschaftskreise heute vor Problemen stehen, die mit den Bildungsmitteln der Vergangenheit, auch denen der Gegenwart, nicht mehr gelöst werden können, ist eine tägliche Erfahrung für jedermann.
In all diesen Bereichen aber hat der Bund entscheidende Impulse zu geben, hat er entscheidende Zuständigkeiten, und die Bundesregierung hat die Weichen der politischen Entwicklung zu stellen. Die sozialen und wirtschaftspolitischen Zielsetzungen des Bundes müssen deswegen ein elementarer Bestandteil bei Aufstellung einer umfassenden Bildungsplanung sein.
Die Beteiligung des Bundes ist aber nicht nur aus diesen Gründen erforderlich, sondern auch deswegen, weil eine durchgreifende Verwirklichung der bildungspolitischen Aufgaben unserer hektischen Gegenwart ohne überregionale Planung und Koordinierung, ja ohne einen gewissen institutionellen Rahmen, der diese Planung konkretisiert, nicht möglich wäre. Die aus der gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundes und aus der ihm obliegenden internationalen und übernationalen Zusammenarbeit gewonnenen Einsichten lassen sich auch nicht durch die Addition von Erfahrungen der elf Länder ersetzen.
Ich glaube deshalb, daß nur in einer vernünftigen Partnerschaft zwischen Bund und Ländern eine gesamtstaatliche Verbindung der Kräfte von Bund und Ländern, eine vernünftige und moderne Bildungsplanung möglich ist. Der Bund muß im übrigen vor allem das Interesse an einer gewissen Gleichmäßigkeit des Angebots an Bildungseinrichtungen in der Bundesrepublik zur Geltung bringen können. Nicht die Vereinheitlichung um jeden Preis und als Selbstzweck ist dabei das Ziel, wohl aber die Schaffung gleicher Bildungschancen in allen Teilen unseres Staates und auch für die Schüler. Hier berühre ich ein sehr empfindliches Gebiet, das uns große Sorgen bis in die Gegenwart bereitet. Mit der Einführung eines einheitlichen Schulanfangs wird ja ein wesentlicher Teil bereinigt werden, nämlich Sorgen darüber, daß ein Schulwechsel die Schüler in arge Bedrängnis bringt.
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Andererseits wäre der Bund natürlich nicht imstande, eine sinnvolle Planung ohne die Länder zu beginnen. Die Länder sind nun einmal die Träger des Schulwesens und der meisten sonstigen Bildungseinrichtungen und damit auch ganz zwangsläufig im Besitz der für jede Planung unentbehrlichen praktischen Erfahrungen, ohne die jeder Plan in ein unverbindliches, theoretisches Gedankenspiel absinken müßte.
Die Erarbeitung eines nationalen Bildungsplanes setzt also nach der Meinung , der Bundesregierung eine Kooperation zwischen Bund und Ländern voraus. Instrument dieser Zusammenarbeit soll der Bildungsrat sein, auf den ich bei der Beantwortung dei Frage 4 noch einmal zurückkommen werde.
In der Frage 2 will die SPD wissen, wie nach den Vorstellungen der Bundesregierung das starke Bildungsgefälle zwischen den elf Ländern der Bundesrepublik überwunden werden kann.
Ich möchte mir die Vorwürfe gegen die Länder, die in einer solchen Fragestellung liegen, nicht zu eigen machen. Es ist durch die unterschiedliche Struktur der Länder und auch historisch begründet, daß sich das Bildungswesen nicht einheitlich entwickelt hat und sich auch in der Zukunft nicht einheitlich entwickeln kann. Ob man aber wirklich und mit Recht von einem „starken Bildungsgefälle" innerhalb der Bundesrepublik — mit diesem inneren Vorwurf, der in dieser Fragestellung liegt — sprechen kann, das können meines Erachtens erst ganz gründliche und nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ ausgewertete Erfahrungen ergeben, die auszuwerten der Bildungsart vielleicht veranlassen kann.
— Ja, das ist in überzeugenden Beispielen bereits durch die Ausführungen des Kollegen Martin dargelegt worden.
Jedenfalls ist es falsch, etwa die Stadtstaaten mit den Flächenstaaten zu vergleichen, wie das so häufig geschieht. Die Bildungssituation in einer Großstadt ist unvergleichlich anders als in dünn besiedelten und verkehrsungünstigen ländlichen Gebieten. Ein Vergleich von Hamburg und Bremen etwa mit München und Köln würde zu ganz anderen Ergebnissen führen als der Vergleich der beiden Hansestädte mit Bayern und Nordrhein-Westfalen. Ich bin überhaupt der Meinung, daß die Unterschiede innerhalb der einzelnen Länder stärker sind als zwischen den Ländern selbst. Gerade dieser Umstand zeigt wieder, wie eng auch die ganze Bildungspolitik und die ganze Bildungssituation mit der Wirtschafts- und Sozialstruktur verbunden sind.
Solche Bildungsunterschiede gibt es im übrigen auch in zentralistisch regierten Ländern, wie uns ein Blick zu unserem Nachbarn Frankreich zeigt. Dort ist man ebenfalls verzweifelt bemüht, dieser Entwicklungen und dieser Probleme Herr zu werden.
Nun wissen Sie, daß das Bildungswesen primär Sache der Länder ist. Ich glaube, daß bei der ganzen
Fragestellung der Gesichtspunkt der verfassungsmäßigen Zuständigkeit zu kurz gekommen ist. Es wird immer wieder in der breiten Offentlichkeit der Eindruck erweckt, daß es Sache des Bundes sei und daß er hier Entscheidendes allein vermöchte. Diesem Eindruck muß widersprochen werden. Die Dinge liegen im verfassungsmäßigen Bereich auf einer sehr mageren Basis. Diese Probleme sind nur durch Kooperation lösbar. Ich werde noch wiederholt Gelegenheit haben, dem Hohen Hause fruchtbare Beispiele von Kooperation auch gerade aus der jüngsten Entwicklung vorzulegen.
Das wesentliche Interesse der Bundesregierung besteht daran, daß in der Bundesrepublik ein möglichst gleichmäßiges, aber reich gegliedertes Bildungsangebot zustande kommt. Das scheint mir überhaupt das entscheidende Problem zu sein. Die Bildungsstatistik ist, wie Sie wissen, erst ein sehr junges Kind unserer Statistik, und wir werden mit Ihrer Hilfe alles unternehmen, auch die personellen Voraussetzungen im Statistischen Bundesamt zu verbessern, um zu besseren und weiterreichenden Zahlen zu kommen. Bei aller vorsichtigen Auswertung der bisherigen statistischen Ergebnisse ergeben sich Anhaltspunkte dafür, daß wohl in allen Ländern ohne Unterschied, bei dem einen im Grundschulbereich, bei dem anderen im Bereich der höheren Schule, ein Nachholbedarf besteht und, wie ich glaube, in aller Zukunft bestehen wird. Dabei ist erkennbar, daß die Höhe des Bildungsstandes in den einzelnen Ländern keineswegs allein von deren Finanzkraft abhängt. Es sind also Schwerpunkte entstanden. Da ist nach Ursachen und Wurzeln zu suchen, sie müssen erst bloßgelegt werden, damit auch der zukünftigen Bildungspolitik verifizierte und kausal erforschte Richtungsangaben und „guidelines" gegeben werden können.
Das muß im übrigen auch keineswegs immer in dem Maße bedauert und .als Fehler angesprochen werden, wie das so gelegentlich zu lesen ist. Ich bin sogar der Meinung, daß jetzt auf Grund der Vielzahl der Modelle, ,die sich historisch entwickelt haben, und auf Grund der in den einzelnen Ländern gewonnenen Erfahrungen diejenigen Lösungen mit praktischen Ergebnissen schon herausgesucht werden können, die sich für die jeweiligen Lebensbereiche als vorbildlich anbieten. Ich sehe ,es als eine der vornehmsten Aufgaben des kommenden Bildungsrates an, an Hand der bisher gemachten erfolgreichen Versuche, auch an Hand der mißlungenen Experimente, allmählich und behutsameine alle Sparten umgreifende Konzeption zu entwickeln, nicht eine Konzeption, die zementiert wird, sondern eine Konzeption, die einen Anfang ermöglicht. Diese Konzeption wird in dem Maße Allgemeinverbindlichkeit erhalten und allgemeine Anerkennung finden, wie sie sich durch Qualität der Vorschläge und durch eine realistische Einschätzung der Verwirklichungsmöglichkeiten auszeichnet. Ich glaube, es wäre auch ein großer Erfolg für den Röderalismus und eine Selbstbestätigung dieser Staatsstruktur, wenn auf diese Weise gerade in diesem Bereich gezeigt werden könnte, wie sich aus der Vielfalt, aus der Mannigfaltigkeit und der Reichhaltigkeit durch das Mittel ,der Kooperation eine allgemein gültige
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Regelung finden läßt, die sich !an guten, erprobten und bewährten Vorbildern orientiert.
Ich 'darf in diesem Zusammenhang auf die Sofortprogramme zweier Länder verweisen, über die bereits gesprochen worden ist. Man sieht angesichts der geradezu geometrischen Zunahme der Länderausgaben für Kulturleistungen in den letzten Jahren, wie ernst dort das Thema 'aufgenommen worden ist und wie sehr es zum Gegenstand eines sich über alle politischen und gesellschaftlichen Gruppen hinziehenden gemeinsamen Interesses geworden ist.
Auf dem Gebiete der Wissenschaftsförderung hat der Wissenschaftsrat eine vorbildliche Bewährungsprobe abgelegt. Die vom Bund seit 1956 gegebenen Zuschüsse zum Ausbau der Hochschulen haben ebenfalls dazu beigetragen, daß das Hochschulwesen in den finanzschwächeren Ländern nicht Not zu leiden braucht. Hier wird der Bund im Sinne seiner gesamtstaatlichen Ausgleichsfunktion weiter wirken müssen. Der sehr große, fortgesetzt im Steigen begriffene Finanzbedarf für Forschung und Hochschulen würde sonst eine Konzentration in wenigen finanzstarken Ländern zur Folge haben, also vielleicht ein neues Gefälle von finanzstarken zu finanzschwachen Ländern einleiten. Das muß unter allen Umständen verhindert werden.
Mit der Frage 3 verlangen die Fragesteller Aufschluß darüber, welche Aufwendungen des Bundes für den Ausbau der bestehenden und der neuen Universitäten und Hochschulen, für die Förderung der wissenschaftlichen Forschung und für die Ausbildungs- und Studentenförderung in den nächsten fünf Jahren voraussichtlich erforderlich sein werden.
Ich darf darauf zunächst einmal in einem Satze antworten: Die Höhe der Gesamtaufwendungen hängt von politischen Entscheidungen ab; sie sind noch nicht gefallen und fallen zu einem sehr großen Teile in diesem Hause. Soweit heute schon eine Übersicht möglich ist, kann es sich nur um Annäherungswerte handeln.
Die Bundesregierung arbeitet zur Zeit unter der Federführung des verehrten Kollegen Lenz einen „Bericht über Stand und Zusammenhang aller Maßnahmen des Bundes zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung" aus. Dieser Bericht wird auch eine Vorausschau auf den Bedarf an Bundesmitteln bis zum Jahre 1968 geben, eine Vorausschau, die nur durch geschätzte Fortschreibung des gegenwärtigen Bedarfs möglich ist. Der Bericht wird zur Zeit mit den beteiligten Stellen, vor allem mit den Ländern und den großen wissenschaftlichen Organisationen, abgestimmt, insbesondere mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der das erste Wort in allen diesen Fragen gebührt.
Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich nicht im Vorgriff Zahlen nenne; sie müssen erst noch verifiziert und abgestimmt werden, damit Sie die Information bekommen, auf die Sie Anspruch haben.
Die Aufwendungen für Ausbildungsförderung sind sehr schwer abzuschätzen, da es neben der allgemeinen Ausbildungsförderung die kriegsbedingte sogenannte Kategorienförderung gibt, die ihrer Natur nach laufender Änderung unterliegt.
Natürlich hängt die Höhe der künftig benötigten Mittel auch vom Inhalt des Gesetzes über Ausbildungsbeihilfen ab, auf das ich noch im einzelnen zu sprechen kommen werde. Im Rechnungsjahr 1963 wurden für Ausbildungsbeihilfen vom Bund rund 300 Millionen DM aufgewendet, eine Position, die in ihrem Gewicht und in ihrer Bedeutung nicht die öffentliche Anerkennung gefunden hat, die sie eigentlich verdient.
Die Maßnahmen der Bundesregierung für die berufliche Fortbildung habe ich hierbei noch nicht berücksichtigt. Ich möchte aber betonen, daß die Bundesregierung diesen Fortbildungsmaßnahmen seit Jahren ihr besonderes Interesse schenkt und bereits seit 1962 hierfür Mittel in Höhe von 55 Millionen DM aufgewandt hat. Diese Maßnahmen werden fortgeführt. Ich erinnere dabei an den Entwurf eines Leistungsförderungsgesetzes, der dem Hohen Hause zur Beratung vorliegt. Hervorheben möchte ich schließlich, daß auch aus dem Berufsleben ausgeschiedenen Frauen durch Fortbildungsmaßnahmen die Rückkehr in ihren Beruf verstärkt ermöglicht werden soll.
Genaue Anhaltspunkte gibt es dagegen für die Entwicklung der Studentenförderung. Hier kann man zunächst davon ausgehen, daß das Verwaltungsabkommen vom 4. Juni 1964 in den nächsten Jahren Grundlage der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern bleiben wird. Die Anhebung der Bemessungsgrundlage im Honnefer Modell im Jahre 1964 hat bereits dazu geführt, daß die Zahl der geförderten Studenten von 33 000 im Wintersemester 1963/64 um rund 8000 auf 41 000 im Sommersemester 1964 angestiegen ist. Im Regierungsentwurf des Haushaltsplans 1965 sind 50 Millionen DM als Anteil des Bundes vorgesehen.
Um die Werkarbeit zu beseitigen und damit die Studienzeit zu verkürzen, ist an Bund und Länder der Wunsch herangetragen worden, den Förderungsmeßbetrag auf 320 DM anzuheben. Die Verhandlungen darüber sind noch im Gange. Das Bundesministerium des Innern hat sich für eine Anhebung ausgesprochen. Wird dieser Meßbetrag angehoben, so werden die Aufwendungen aus dem Bundeshaushalt 1965 für das Honnefer Modell künftig ungefähr 80 Millionen DM betragen müssen.