Rede von
Dr.
Kurt
Schmücker
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 27. Juni 1962 hat der Deutsche Bundestag einstimmig beschlossen, die Bundesregierung solle ein Berufsausbildungsgesetz vorlegen. Die Bundesregierung hatte sich bereits seit längerer Zeit sehr intensiv mit den Problemen einer Neufassung des Berufsausbildungsrechts beschäftigt. Alle Möglichkeiten, die sich dem Gesetzgeber auf dem Gebiete der Berufsausbildung eröffnen, sind seit diesem Zeitpunkt in zahlreichen Besprechungen eingehend erörtert worden. Insbesondere haben sich die beiden hauptsächlich beteiligten Minister, der Bundesminister für Wirtschaft und der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, in gemeinsamer Arbeit um die Klarstellung und
Lösung der zahlreichen sachlich und politisch schwierigen Probleme bemüht.
Im Laufe der zahlreichen Verhandlungen und Besprechungen bis auf die Ebene der beteiligten Minister hat sich jedoch eine Fülle von offenen Fragen ergeben. Als ich das Amt des Bundesministers für Wirtschaft übernahm, habe ich mich bemüht, eine beschleunigte Vorlage des Entwurfs entsprechend dem Beschluß, an dem ich selber mitgewirkt habe, durchzusetzen. Aber wenn man in die Einzelheiten dieser Materie einsteigt, stellt sich eben die Fülle der Schwierigkeiten dar. Bei der Frage, ob man einen Entwurf, der nicht ganz durchdiskutiert ist, vorlegen soll oder ob man warten soll, bis der Entwurf ausreichend vorbereitet ist, habe ich mich im Einvernehmen mit dem Bundesarbeitsminister entschlossen, Sie zu bitten, uns noch eine weitere Zeit der Vorbereitung einzuräumen.
Herr Kollege Folger, es wäre jederzeit möglich, dem Hause eine sogenannte kleinere Lösung vorzuschlagen. Ich frage mich aber, ob das zweckmäßig ist. Sie selber haben, nachdem Sie in allgemeiner Formulierung gesagt haben, es solle gar nicht so viel geändert werden, zu einigen konkreten Punkten ausgeführt, daß Sie beispielsweise mit dem Referentenentwurf in keiner Weise einverstanden sind. Damit haben Sie den Gegensatz der Diskussion aufgezeigt, der sich in der Fraktion, der ich angehöre, aber meines Wissens auch in Ihrer Fraktion findet. Die Organisationen haben sich zu diesen Entwürfen geäußert, und Parlamentsvertreter, Angehörige aller Fraktionen, haben dazu Stellung genommen. Das ist in einer solchen Art und Weise geschehen, daß ich sagen muß: die Meinungen sind sehr, sehr geteilt.
Ich habe aber persönlich die Bitte, Herr Kollege Folger, dieses Verfahren — schließlich ist eine Kleine Anfrage beantwortet worden —, das Sie beanstanden können, daß wir bis heute zugewartet haben, nicht als Mißachtung des Parlaments auszulegen. Ich gehöre diesem Parlament selber an, und ich habe viermal in Wahlkämpfen darum gerungen, dieses Mandat zu bekommen. Es widerstrebt mir einfach, es mir bieten zu lassen, daß jemand sagt, ich mißachtete dieses Parlament, dem ich selber leidenschaftlich angehöre.
Ich bitte Sie also recht herzlich, eine solche Auslegung nicht vorzunehmen.
Was nun den Beschluß vom 27. Juni und Ihre Große Anfrage angeht, so muß ich darauf aufmerksam machen, daß der Beschluß vom 27. Juni folgenden Wortlaut hat:
Die Bundesregierung wird ersucht, dem Deutschen Bundestag bis zum 1. Februar 1963 den Entwurf eines Gesetzes über die Berufsausbildung vorzulegen,
während die erste Frage Ihrer Großen Anfrage lautet:
Wann wird die Bundesregierung ihre Vorarbeiten für ein umfassendes Berufsausbildungsge-
5174 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 112. und 113. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Februar 1964
Bundesminister Schmücker
setz abschließen, um endlich den einstimmig gefaßten Beschluß des Deutschen Bundestages vom 27. Juni 1962 zu erfüllen?
Die Frage ist inhaltlich nicht richtig; denn sie nennt einen Beschluß, der in dieser Weise nicht gefaßt worden ist. Logischerweise können Sie auch nicht die Erfüllung in dem von Ihnen vorgetragenen Sinne verlangen.
Ich möchte mit diesem Unterschied zwischen dem tatsächlich gefaßten Beschluß und dem Beschluß, wie Sie ihn in Ihrer Großen Anfrage anführen, nur noch einmal deutlich machen, wie hier die Meinungen noch auseinandergehen, was durchaus nicht politisch begründet zu sein braucht, sondern nur im Sachlichen, so will ich einmal sagen, seine Gründe hat. Bei eingehender Überprüfung — ich habe mir die Dinge von meinen Mitarbeitern wirklich ausführlich darstellen lassen — komme ich zu der Auffassung, daß zur Zeit — und damit beantworte ich Ihre Frage — eine umfassende Vorlage noch nicht möglich ist. Wenn ich aber die Möglichkeit einer umfassenden Vorlage immerhin offenlassen will, dann wäre es innerlich unwahr, wenn ich jetzt mit einer kleinen Vorlage in dieses Haus käme. Ich bitte, das freundlichst bedenken zu wollen.
Ich bestreite gar nicht, meine Damen und Herren, daß das gegenwärtige Berufsausbildungsrecht nicht befriedigend ist. Aber so schlecht, daß von heute auf morgen in aller Eile etwas, an dem schon viele Jahre gearbeitet wird, geändert werden muß, ist es auch nicht.
Die gegenwärtige Form der Berufsausbildung muß hingenommen werden, bis die Grundlagen einer Lösung erarbeitet sind, die der Sache gerecht wird. Dabei — ich sage es noch einmal, Herr Kollege Folger — müssen Sie natürlich ungeduldig mahnen, daß wir weiterkommen. Aber die Bundesregierung muß ebenso sorgfältig alle Bestrebungen und alle Gesichtspunkte prüfen, die von allen Seiten, nicht nur von den Gewerkschaften, sondern auch von den Kammern, aus dem politischen Raum und von den Jugendverbänden, an uns herangetragen werden.
Im einzelnen — um Ihnen darzutun, daß das nicht allgemeine Reden sind, um zu später Vormittagsstunde am Freitag schnell über die Hürden zu kommen — sind es folgende Fragen, in denen — ich sage noch einmal: aus guten Gründen — gegensätzliche Auffassungen vertreten werden können. Offengeblieben ist erstens hinsichtlich ides sachlichen Umfanges der Regelungen, welche Ausbildungsbereiche einzubeziehen sind. Sie selber haben darin einige Unterscheidungen gemacht. Es bieten sich an: Industrie, Handel, Handwerk, Banken, Versicherungen, Verkehr, Bergbau, Seeverkehr, Hochseefischerei, Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Hauswirtschaft, Ausbildung für die Laufbahnen im öffentlichen Dienst einschließlich Bundesbahn, Bundespost und Bundeswehr, Gehilfen der im freien Beruf Tätigen, z. B. Gehilfen- bei Notaren und Rechtsanwälten, Gehilfen in wirtschafts- und steuerberatenden Berufen, ärztliche und zahnärztliche Helferinnen.
Dann die Frage: Welche Ausbildungsverhältnisse sind einzubeziehen: Lehrlinge, Anlernlinge, Praktikanten, Volontäre? Soll die Ausbildung jugendlicher Hilfsarbeiter und die Fort- und Weiterbildung Erwachsener mit einbezogen werden?
Das Gewicht, das dem sachlichen Umfang der Regelung zukommt, darf nicht unterschätzt werden. Es handelt sich um mehr als 500 Ausbildungsberufe, die auf mehr als 20 000 verschiedene Erwerbstätigkeiten vorbereiten sollen. Allein die Zahl der Jugendlichen, die in anerkannten Ausbildungsberufen ausgebildet werden, beträgt jährlich über 1,2 Millionen.
Nun die Frage: Welche Bedeutung haben für eine Gesamtregelung die unterschiedlichen organisatorischen Voraussetzungen der vielfältigen, in sich aber organisch gewachsenen Ausbildungsbereiche? Ich darf hierzu darauf hinweisen, daß in einzelnen Ländern keine Landwirtschaftskammern vorhanden sind und daß für andere Ausbildungsbereiche — wie z. B. die Hauswirtschaft — die institutionellen Voraussetzungen fehlen.
Die dritte Frage entsteht hinsichtlich verfassungsrechtlicher Probleme: Wie weit reicht die Zuständigkeit des Bundes insbesondere mit Rücksicht auf die Kulturhoheit der Länder in Fragen des berufsbildenden Schulwesens? Auf welche Rechtsgrundlagen kann die Bundeskompetenz für Regelungen der betrieblichen Berufsausbildung in Landwirtschaft und Hauswirtschaft und anderen Bereichen gestützt werden? Wie ist eine gesetzliche Regelung der betrieblichen Berufsausbildung mit den noch nicht ausdiskutierten Reformbestrebungen im gesamten Bildungswesen in Einklang zu bringen? Welchen Anteil an einer Gesamtkonzeption sollen wirtschaftspolitische, welchen Anteil sollen sozialpolitische Überlegungen haben?
In welchem Umfange kann und soll die Selbstverwaltung der Wirtschaft und der sonst beteiligten Kreise durch eine gesetzliche Regelung der Berufsausbildung betroffen werden? Man sollte anerkennen, welche positiven Leistungen die Wirtschaft auf dem Gebiete der Berufsausbildung in Selbstverwaltung und unter Aufbringung erheblicher Mittel erbracht hat. Es wäre nicht ratsam, hier über Gebühr durch Gesetze in organisch gewachsene und gut funktionierende Ordnungen einzugreifen. Ein solches Vorgehen würde die Ausbildungsfreudigkeit hemmen und sich letztlich zum Nachteil für die Jugend auswirken.
Welche Möglichkeiten bestehen für eine Gesamtregelung, wenn etwa die Berufsausbildung im Handwerk nicht mit einbezogen werden kann? Ich möchte hier einfügen: Es erscheint mir persönlich unzweckmäßig, daß die Berufsausbildungsvorschriften aus der Handwerksordnung herausgelöst werden, da sie ein wesentlicher Bestandteil des handwerklichen Berufsrechtes sind und eng mit den übrigen Bestimmungen des Handwerksrechtes verzahnt
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 112. und 113. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Februar 1964 5175
Bundesminister Schmücker
sind. Im übrigen sind abwertende Pauschalurteile über die Berufsausbildung im Handwerk nicht gerechtfertigt. Ich folge damit ausdrücklich den Bemerkungen, die Sie, Kollege Folger, gemacht haben. Sicherlich ist auch im Handwerk manches verbesserungsfähig; wo ist das nicht der Fall? Daher wird eine Novelle zur Handwerksordnung vorbereitet, durch die eine Modernisierung der Berufsausbildungsvorschriften erreicht werden soll. Aber ich möchte ausdrücklich das unterstreichen, was der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung gesagt hat: Das gewerbliche Ausbildungswesen in Deutschland ist vorbildlich.
Wir sollten nicht ohne Not von diesem System und von dieser Art abgehen. Wenn wir etwas ändern oder auf gesetzliche Grundlage stellen wollen, wenn wir Berufe, die noch nicht ausreichend betreut werden, einbeziehen wollen, dann muß das so behutsam geschehen, daß der hohe Rang der deutschen gewerblichen Berufsausbildung — „vorbildlich" nicht nur als allgemeines Prädikat, sondern: von den anderen als Vorbild anerkannt! — nicht gefährdet wird.
Bei allen bisherigen Verhandlungen ergab sich, daß über diese offenen Fragen nicht nur in der Öffentlichkeit und in den interessierten und betroffenen Kreisen, sondern, wie ich vorhin schon sagte, auch innerhalb der Fraktionen dieses Hauses recht unterschiedliche Meinungen bestehen.
Nun könnten wir ja so verfahren, daß wir eine Vorlage machen, und das Raufen geht hier los. Meine verehrten Kollegen, ich selber habe einen Ausschuß dieses Hauses zwei Jahre geführt; ich erinnere daran, daß ich Abgeordneter dieses Hauses bin. Ich richte mich in meiner Arbeit daher auch nach der Geschäftslage des Hauses. Ich habe nichts davon, wenn ich voreilig einen Gesetzentwurf vorlege, der nicht mehr verabschiedet werden kann; und ich weiß, wie es im Wirtschaftsausschuß und in den anderen Ausschüssen aussieht. Daher ist es zweckmäßiger, die vorbereitenden Beratungen, bei denen ich auch Ihre Beteiligung wünsche — und diese Aussprache kann ja Hinweise geben —, werden so sorgfältig geführt, daß wir nachher in den Ausschüssen zügig beraten können.
Die Bundesregierung hat die Erwägung angestellt, ob angesichts dieser Situation eine Novelle zur Gewerbeordnung vorgeschlagen werden kann, durch die wenigstens dringliche rechtliche Fragen für einen wesentlichen Teilbereich gesetzlich geregelt werden können. Sie hat aber vorerst davon Abstand genommen, weil sie es für richtiger hält, das Gesamtproblem in seiner ganzen Breite weiter zu behandeln. Es liegen mehrere Entwürfe vor, die im einzelnen zunächst weiterverfolgt werden können. Ich bin gern bereit, Ihnen diese einzelnen Entwürfe — die ja mehr oder weniger bekannt sind, Sie haben sie auch schon zitiert — zur Kenntnisnahme zur Verfügung zu stellen.
Ich möchte es noch einmal ausdrücklich begrüßen, daß diese Große Anfrage Ihnen und der Bundesregierung die Gelegenheit gibt, die Problematik zu behandeln. Ich begrüße es, daß sich aus den Gesprächen vielleicht neue Möglichkeiten ergeben, hier zu einer Gesamtregelung zu gelangen.
Die Bundesregierung glaubt, ein für die Zukunft der Wirtschaft und der Gesellschaft, insbesondere für das berufliche Fortkommen der heranwachsenden Jugend, so bedeutsames Gesetz, wie es hier gewünscht wird, dem Parlament baldigst vorlegen zu sollen. Sie haben hier — ich bestreite gar nicht: recht eindrucksvoll — an Daten dargestellt, wie die Zusagen immer schwächer geworden sind. Das liegt aber nicht etwa an bösem Willen, wie man so schnell unterstellen könnte, sondern es liegt an der unerhörten Schwierigkeit der Materie. Glauben Sie mir bitte, daß ich mich bemüht habe, möglichst rasch nach meiner Amtsübernahme einen Entwurf vorzulegen. Aber die Vielfalt der Probleme ließ es mir doch geraten erscheinen, den Vorschlägen zu folgen, hier noch eine gründliche Vorbereitung durchzuführen.
Die zweite Frage lautet:
In welcher Weise legt die Bundesregierung die „Allgemeinen Grundsätze zur Durchführung einer gemeinsamen Politik der Berufsausbildung", die für die Mitgliedstaaten der EWG verpflichtend sind, dem verlangten Entwurf zugrunde?
Ich antworte darauf namens der Bundesregierung:
Die in der zweiten Frage erwähnten Allgemeinen Grundsätze sind vom Ministerrat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft am 2. April 1963 in Ausführung des Artikels 128 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beschlossen worden. Diese Vorschrift ermächtigt und verpflichtet den Rat, in bezug auf die Berufsausbildung solche allgemeinen Grundsätze zur Durchführung einer gemeinsamen Politik aufzustellen, die zu einer harmonischen Entwicklung sowohl der einzelnen Volkswirtschaften als auch des Gemeinsamen Marktes beitragen können.
Der Ratsbeschluß enthält im wesentlichen allgemeine Zielsetzungen, die darauf ausgerichtet sind, die Berufsausbildungspolitik in den einzelnen Mitgliedstaaten aufeinander abzustimmen. Die Bundesregierung hat diese Ziele stets bejaht. Das ist ihr um so leichter gefallen, als die deutschen Vorstellungen vom Sinn und Zweck der Berufsausbildung im wesentlichen hiermit übereinstimmen.
Die Bundesregierung legt die angeführten Allgemeinen Grundsätze ihren Überlegungen für die gesetzliche Regelung der Berufsausbildung mit zugrunde.
Meine Damen und Herren, darf ich zum Schluß noch einmal in Erwiderung auf Ihr — ich wiederhole: verständliches — Drängen folgenden Satz sagen: Jeder, der über Berufsausbildung eine fertige Meinung hat und die Argumente des anderen ablehnt, ist natürlich in der Lage, hier einen Vorschlag zu machen. Einen Gesamtentwurf, für den alle Argumente geprüft sind, kann heute niemand machen. Ich würde Ihnen lieber eine andere Antwort geben.
5176 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 112, und 113. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Februar 1964
Bundesminister Schmücker
Aber die Tatsachen sind stärker als die Wünsche. Ich bitte dafür um Ihr Verständnis.