Rede von
Werner
Jacobi
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die einzige Überraschung der bisherigen Aussprache besteht nach meiner Auffassung in dem Hinweis des Kollegen Dr. Dittrich, daß die Herren Dr. Hesberg und Bodelschwingh noch zu speziellen Fragen, nämlich zu Fragen des Wohnungsbaus und der Landwirtschaft, heute und hier Stellung nehmen wollen. Meine Fraktion war der Meinung, wir würden uns heute bei der ersten Lesung auf eine Generaldebatte beschränken. Aber selbstverständlich haben wir keine 'Einwendungen gegen Ihre Absichten zu erheben, noch über Spezialfragen zu sprechen. Nur werden wir dann gegebenenfalls gezwungen sein, zu diesen Fragen erneut Stellung zu nehmen.
Hier ist sonst manches gesagt worden, dem man voll zustimmen kann. Wenn man hört, was heute sowohl von Herrn Dr. Schmidt als auch von Herrn Minister Lücke und soeben von Herrn Dr. Dittrich ausgeführt worden ist, dann wundert man sich, daß soviel Zeit ins Land gehen mußte, um einen Minimalkatalog aufzustellen, auf Grund dessen man sich eigentlich auch mit den Ländern, wenn ich es richtig sehe, verständigen könnte.
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Jacobi
Für die einen ein Schreckgespenst, für die anderen eine Art Wunderwaffe, geistert die Vokabel von der Raumordnung seit einiger Zeit umher. Der Herr Kollege Dr. Schmidt hat hierzu soeben bereits Bemerkungen gemacht, die derartige Verzerrungen und Mißdeutungen eines wichtigen staatspolitischen Aufgabenbereichs auf das rechte Maß zurückführen. Er hat dabei einen dankenswerten Überblick über die unerfreulichen Verzögerungen gegeben, die die Raumordnungsberatungen in diesem Hause seit mehr als zehn Jahren — wie wir meinen, völlig unnötig — erfahren haben. Das ist ein Punkt, auf den ich nachher noch einmal um der Klärung der Verantwortlichkeiten willen zurückkommen muß.
In diesen zehn Jahren sind ganze Bibliotheken mit Raumordnungs-Literatur gefüllt worden. Ein hier in Bonn und darüber hinaus sehr bekannter Journalist hat in einer angesehenen Zeitung vor einiger Zeit einmal geschrieben: „Über kaum ein Gebiet ist in den letzten Jahren so viel und so gescheit geredet und geschrieben worden wie über die Raumordnung." Aber er hat mit dieser Feststellung ein paar kritische Bemerkungen verbunden. Eine lautet in lapidarer Kürze: Aber geschehen ist wenig.
Soeben hat der Kollege Dr. Dittrich gemeint, in seinem Land, in Bayern, sei doch eigentlich sehr viel geschehen. Ich habe daraufhin einmal kurz überlegt, was unsere Betrachtung gewisser entwicklungspolitischer Arbeiten in den Ländern, z. B. in bezug auf Bayern, ergeben könnte. Dabei ist mir in Erinnerung gekommen, daß wir vor wenigen Tagen, ) nämlich am 2. Dezember, aus Presse, Rundfunk und Fernsehen erfahren haben, daß im Ingolstädter Raum die erste von vier geplanten Erdölraffinerien in Betrieb genommen wurde. Fast zum selben Zeitpunkt erfuhren wir, daß es zwischen dem Bundeswohnungsbauministerium und der bayerischen Staatsregierung wegen Ingolstadt und seiner Bestimmung als weißer Kreis zu lebhaften Auseinandersetzungen gekommen ist. Die bayerische Staatsregierung soll sich mit Rücksicht auf den in diesem Gebiet verstärkt notwendigen Wohnungsbau nicht dazu verstehen können, sich auf das statistische Wohnungsdefizit zu verlassen und die Liberalisierung der Wohnungswirtschaft schon jetzt durchzuführen.
Es ist ein hochinteressantes tagespolitisches Beispiel, das die Verzahnung der Dinge zeigt; denn bei dem Ingolstädter Raffineriekomplex handelt es sich für jedermann deutlich erkennbar um eine Anzahl von Entscheidungen, die raumwirksame Bedeutung haben, also mehr als raumbedeutsam sind. In diesem Hause werden zumeist Entscheidungen getroffen, die nicht so deutlich raumwirksam, sondern zunächst nur raumbedeutsam sind.
Ich habe mir noch einmal schnell eine Arbeit, eine Untersuchung angesehen, die die bayerische Staatsregierung vor einiger Zeit mit der immerhin interessanten und Aufmerksamkeit erfordernden Überschrift „Grundlagen und Ziele der Raumordnung in Bayern" herausgegeben hat. Ich habe hineingeschaut und festgestellt, was darin über die Industrieregion Ingolstadt ausgesagt wird. Das ist so lapidar, daß ich es Ihnen gar nicht vortragen kann.
Ich habe mich nach Einzelheiten erkundigt. Dabei ist mir gesagt worden: Es wird zwar viel über den Ingolstädter Raum gesprochen; aber so ist es nicht, daß dort eine zielbewußte Regionalplanung stattgefunden habe. Vielmehr hat sich dort folgendes ergeben: Eines Tages ist der Leiter des ENI-Konzerns aus Rom, der im vergangenen Jahr tödlich verunglückte Herr Mattel, zum Wirtschaftsminister in Bayern gekommen und hat ihm erklärt, er habe mit seinen Mitarbeitern festgestellt, daß für bestimmte Rohrleitungen und Erdölraffineriepläne Ingolstadt der richtige Raum sei. Er hat also sozusagen wie ein Feldherr vor der Karte gestanden und — mit dem Finger auf der Karte — erklärt: Das nehmen wir!
Nun mußte er aber deutsche Stellen fragen. Der bayerische Wirtschaftsminister soll ihm nicht etwa einen Expertenstab angedient haben, der unter dem Aspekt der auf lange Sicht angestellten Überlegungen der bayerischen Staatsregierung sagte: jawohl, diese Region ist geeignet, dort gibt es Arbeitskräfte, dort gibt es Wohnungen, dort sind objektive Bedingungen, denen entsprechend man Ihrem Plan zustimmen kann!, sondern er soll ihm gesagt haben — relata refero, ich berichte, was mir gesagt worden ist —: bitte, fahren Sie mal hin, da haben wir einen besonders tüchtigen Landrat!, was auch geschah. So soll die Industrieregion Ingolstadt entstanden sein.
Wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was ich hier, gestützt auf Informationen, berichtet habe, dann ist das ein Beweis dafür, wie arg die Dinge aussehen und wie rasch der Zufall in einem solchen Falle, der vielfältige Ausstrahlungen auslöst und von einer unerhörten volkswirtschaftlichen und raumpolitischen Bedeutung ist, entscheiden kann.
Ich sagte, auch hier in diesem Hause werden Entscheidungen getroffen, die nicht immer erkennbar raumwirksam, aber doch raumbedeutsam sind. Und da wir gerade das Beispiel einer Erdölraffinerie vor Augen führten, will ich bei dem Kapitel bleiben.
Vor einiger Zeit standen wir vor der Notwendigkeit, zu Absichten Stellung zu nehmen, die auf eine Besteuerung des Raffineriegases abzielten. Der Bundestag hat das abgelehnt, weil er davon überzeugt war, daß die geplante Maßnahme dem Kohlenbergbau, an den gedacht worden war, nicht helfen könnte, und weil auch Gesichtspunkte der Bekämpfung der Luftverpestung Beachtung fanden; denn bekanntlich verbrennt Gas ohne schädliche Auswirkungen gegenüber der Umwelt. Aber kaum ist bei. dieser Entscheidung daran gedacht worden, daß sie raumbedeutsam war und auch raumwirksame Folgen hat, ob sie so oder so getroffen wurde. Wäre sie nämlich anders ausgefallen, so wären zwei Raffineriebauten, der eine in Speyer und der andere in Mannheim, in Schwierigkeiten geraten. Vol.. allem aber wäre die in Aufbau befindliche Ferngasversorgung des südwestdeutschen Raums hinsichtlich ihrer Absatzchancen infolge der Erhöhung des Gaslieferpreises hart betroffen worden.
Beide Beispiele, das Ingolstädter und das mit der Raffineriegasbesteuerung, lassen zumindest ahnen, wie oft raumordnungspolitische Entscheidungen getroffen werden, die als solche nicht umfassend ge-
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nug vorbereitet oder hinsichtlich ihrer Auswirkungen nicht ausreichend gewertet werden. Sie zeigen deutlich, wie sehr wir überall insoweit noch am Anfang stehen und wie wenig Veranlassung besteht, sowohl beim Bund wie bei den Ländern und den Kommunen die Meinung zu vertreten, das Gerede von der Raumordnung sei eine maßlose Übertreibung, es sei ja gar nicht so schlimm, und die Dinge könnten doch im Grunde genommen behutsam weiterverfolgt werden. Das ist ein Irrtum, der uns viel gekostet hat, der mit seinen Versäumnissen bis jetzt schon manche volkswirtschaftliche Fehlinvestition verursacht hat.
Soviel als Vorabbemerkungen.
Nun zunächst einige Feststellungen zum Regierungsentwurf eines Raumordnungsgesetzes. Gegen diesen Entwurf, den der Herr Minister heute, ich möchte fast sagen, behutsam verteidigt hat, und gegen seine Begründung gibt es eine ganze Reihe von Einwendungen, die in einer ersten Lesung nicht völlig unangesprochen bleiben können. Ich will nur einige hervorheben. Es muß zunächst bezweifelt werden, ob die Präambel, die sich in dem Gesetzentwurf der Regierung findet, sehr sachdienlich ist, wenn sie den sozialen Ausgleich sowie die äußere und innere Sicherheit, also Gesichtspunkte hervorhebt, die nicht Sache der Raumordnung oder unscharf sind. Hier erscheint der Initiativgesetzentwurf aus den Reihen der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft, der sogenannte IPA-Entwurf, klarer. Er mißt dem Bund die Aufgabe zu — ich zitiere wörtlich —:
die räumliche und strukturelle Entwicklung des Bundesgebietes im ganzen zu fördern und d i e Planungen und Maßnahmen aufeinander abzustimmen und zusammenzufassen, die über die Belange einzelner Länder hinausgehen.
Damit, meine Damen und Herren, kann man, wenn man will, etwas anfangen, was sinnvoll, ja zweckmäßig ist. Wir werden bei der näheren Untersuchung des Entwurfs anläßlich der Ausschußberatungen festzustellen versuchen, was hier möglich ist.
Ein Weiteres: § 2 des Regierungsentwurfs enthält einige Grundsätze, die hinsichtlich dessen, was mit ihnen beabsichtigt ist oder bewirkt werden kann, einer äußerst sorgfältigen Prüfung bedürfen. Grundsatz 1 enthält nach dem, was in der Begründung dazu gesagt wird, den tragenden Gedanken. Es wird der Klärung bedürfen, worin das Gefälle der allgemeinen sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Verhältnisse denn eigentlich besteht und inwieweit es eines Ausgleichs bedarf. Hier gibt es sehr unterschiedliche Meinungen, und es wird sie hier auf Grund der Differenziertheit der jeweiligen Standortprobleme immer geben.
Hinzu kommt, daß das Problem der Ballungen oder wie es jetzt schauderhafterweise heißen soll der Verdichtungsräume es ja nicht nur mit Menschen zu tun hat. Dazu übrigens eine Bemerkung: Ich weiß, daß die Bundesregierung dem Drängen z. B. des Deutschen Städtetages nachgegeben hat, der etwas gegen den Terminus Ballungsräume
hatte. Ich muß Ihnen offen gestehen, ich habe hier den Städtetag nie begriffen. Eine Sache soll man ruhig so nennen, wie man sie immer genannt hat, und bei Verdichtungsräumen kommt mir bei meinem mangelnden technischen Verstand ein Bild, als handelte es sich um einen Motor, um Einzelteile dieses Motors und bestimmte physikalische Wirkungen dieses Motors. Ich finde den Ausdruck so schauderhaft, daß ich mich mit ihm nie befreunden werde; ich werde nach wie vor Ballung sagen, wenn etwas eine Ballung darstellt, und nicht Verdichtung.
Was diese Ballungsräume anlangt, so ist hier auch Privat- und Sozialkapital geballt anzutreffen, und es fragt sich neben vielem anderen, wie in einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung auf Entscheidungen von privaten Investoren im Sinne einer möglicherweise gewünschten Verlagerung der Betriebsstätten eingewirkt werden soll. Mir ist das im Augenblick ziemlich rätselhaft.
Auf andere mit gewissen Vorstellungen über Entballungsmaßnahmen zusammenhängende Fragen werde ich später noch kurz zurückkommen. Es geht dabei u. a. um die Unerläßlichkeit einer ideologiefreien Bewertung der Sachverhalte. Ein solches Erfordernis ergibt sich auch bei anderen Komplexen, die mit den Grundsätzen des § 2 des Regierungsentwurfs zusammenhängen, so etwa bei dem Grundsatz Ziffer 5. Von der Schwierigkeit seiner Verwirklichung und der Frage abgesehen, ob einer solche Proklamation überhaupt als Grundsatz in ein Bundesrahmengesetz zur Raumordnung gehört, muß man sich einmal klare Vorstellungen machen, wobei ich das schreckliche Deutsch, das sich in dieser Ziffer findet, nur nebenbei erwähne. Ich haben den Wortlaut nicht da; er ist so schauderhaft, daß ich Ihnen das Vergnügen nicht nehmen möchte, sich selbst in dieses Deutsch zu vertiefen und sich zu fragen, ob man das so stehenlassen kann. Vom Inhalt abgesehen, halte ich dafür, daß man auch als Nichtmitglied des Deutschen Sprachvereins hier von vornherein sein Veto zu erklären hat.
— Der Grundsatz Ziffer 5, Herr Dr. Schmidt. Aber Sie dürfen beruhigt sein, Herr Kollege, wir haben in unserem Entwurf keine Entsprechung. Wir haben es nicht für richtig gehalten, hier in eine Konkurrenz einzutreten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wissen, daß der Regierungsentwurf seine Vorgeschichte hat. Wir kennen die Tatsache, daß sich im Bundesratsplenum eine knappe Mehrheit für die kategorische Ablehnung der Vorlage fand. Wir wissen, daß das auch deshalb ein bedauerlicher Umstand gewesen ist, weil sie es der Bundesregierung schwer machte, ihre eigene Vorlage auf Grund der inzwischen angestellten Überlegungen und der gewon-
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nenen Erkenntnisse noch einmal zu überprüfen. Um so beachtlicher ist unter diesen Umständen die Tatsache, daß sich der erste Raumordnungsbericht, der auf die Initiative der Kollegen aus den Reihen der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft auf Grund eines einstimmigen Beschlusses des Hohen Hauses zustande kam, offenkundig einiger kritischer Hinweise angenommen hat. Er vermittelt den Eindruck einer mit Sachkunde, Exaktheit und Fleiß angestellten Untersuchung, und er wird für die Beratung der beiden heute in erster Lesung anstehenden Gesetzentwürfe besonders hilfreich sein.
Auch ,die in den Bundesratsausschüssen und vom Deutschen Städtetag erarbeiteten Gegenentwürfe dürften sich anregend für die Ausschußberatungen auswirken.
Erlauben Sie mir zur Verdeutlichung des Gemeinten zwei Zitate aus dem Raumordnungsbericht. Zitat 1:
Die in dem SARO-Gutachten aufgeführten Ballungszonen sind nicht ohne weiteres mit den überlasteten Verdichtungsräumen gleichzusetzen. Nicht alle Ballungszonen sind überlastete Verdichtungsräume. Es gibt andererseits auch überlastete Verdichtungsräume außerhalb der Ballungszonen. Zu ihrer Ermittlung bedarf es der Verwendung weiterer Merkmale als derjenigen, die im SARO-Gutachten verwendet würden. Auf diese Feststellungen wird zurückgegriffen, um das Ausmaß der Problematik sichtbar zu machen.
I Was dann auch dankenswerterweise in dem Bericht geschieht.
An einer anderen Stelle findet sich der Hinweis darauf, daß „eine positive Raumordnungspolitik eher als Verbote und Beschränkungen" dazu beiträgt, „unerwünschte Entwicklungen zu hemmen", und daß „die von der Bundesregierung anerkannte gleichartige Verpflichtung gegenüber a 11 e n Räumen des Bundesgebietes" auch die Förderung aller Maßnahmen einschließt, die geeignet sind, strukturelle Schäden abzubauen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das sind Grundsätze, die man durchaus akzeptieren kann, weil sie sich wertfrei mit den Sachverhalten zu beschäftigen scheinen und die Möglichkeit einer objektiven Prüfung eröffnen. Auch die sonstige Sprache des Raumordnungsberichtes scheint frei von ideologischen Vorstellungen zu sein. Sie hebt sich wohltuend von manchem ab, was gelegentlich aus dem Munde oder der Feder von Bundesoberen an raumordnungspolitischen Erwägungen in der Vergangenheit festzustellen war.
Allerdings kann auch der Raumordnungsbericht keineswegs kritiklos hingenommen werden. So finden wir auf Seite 37 die fürwahr kühne Behauptung, daß die Bundesressorts ihre Maßnahmen auf die Raumordnung ausrichten. Das ist doch wohl ein Wechsel auf die Zukunft; das ist doch nicht die Wahrheit von heute. Die dazu im Raumordnungsbericht für die einzelnen Ressorts angeführten Beispiele befinden sich auf den Seiten 38 bis 53 und
enthalten, wenn man die Fakten einmal kritisch betrachtet, im wesentlichen nichts anderes als den Nachweis, daß die dort aufgeführten Maßnahmen raum wirksam sind, also auf den Raum gewirkt haben. Daß dabei eine Raumordnungspolitik zum Tragen gekommen wäre, kann bestenfalls für einige bescheidene Sachbereiche behauptet werden, so z. B. für die regionale Wirtschaftspolitik im Rahmen des regionalen Förderungsprogramms der Bundesregierung.
— Verzeihen Sie, hier spreche ich gar nicht von den Richtlinien. Es ist Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß ich auf eine Darstellung im Raumordnungsbericht Bezug genommen habe, in der ziemlich kühn behauptet wurde, es sei schon Gegenwart, was vielleicht Zukunft ist. Es ist nämlich mit der Koordinierung der Bundesressorts nach wie vor eine Crux; darüber könnte Ihnen Herr Minister Lücke ein Privatkolleg lesen. Er nickt zustimmend.
Es kann also- wirklich nicht davon die Rede sein, daß 'hier schon alles in Ordnung wäre. Folgt man den Angaben über das Gesamtvolumen der raumwirksamen Maßnahmen, so sollen das in diesem Jahre zirka 9 Milliarden DM sein. Diese Zahlen hat Georg Müller in Heft 2 der Zeitschrift „Raumordnung und Raumforschung" vor einiger Zeit genannt. Von dieser erheblichen Summe aus gewinnt man die richtige Bewertung der Höhe der raumordnungspolitisch eingesetzten Bundesmittel. Aber in dem einzigen raumordnungspolitisch gezielten Bereich des regionalen Förderungsprogramms werden jährlich, im Verhältnis zu den anderen Beträgen, kann man sagen, „nur" zirka 140 Millionen DM eingesetzt. Das weitaus erdrückende Übergewicht der raumwirksamen Maßnahmen wird im Gegensatz hierzu nach wie vor allein nach Ressortgesichtspunkten, nicht aber nach übergeordneten raumordnungspolitischen Motiven eingesetzt.
Auch nach der Lektüre des Raumordnungsberichts behält man das Gefühl, daß die vor eineinhalb Jahren erfolgte Aufstellung der Raumordnungsgrundsätze, Herr Kollege Baier, der Bundesregierung zwar sehr verdienstvoll war, daß sich diese Grundsätze aber in der Praxis der Ressortentscheidungen, wenn überhaupt, so nur unzulänglich ausgewirkt haben. Es ist daher festzustellen, daß die innerhalb der Bundesregierung ergriffenen Mittel bislang zur echten Aktivierung der Raumordnung nicht ausreichen. Es dürfte daher notwendig sein, innerhalb der Bundesregierung wirksame Sicherungen für den raumordnungspolitisch richtigen Einsatz der Bundesmittel zu schaffen.
Erst, Herr Minister Lücke, wenn dies geschehen ist, werden wir feststellen können, ob es der Bundesregierung mit ihren Erklärungen auf diesem Gebiete wirklich ernst ist. Hier stehen schließlich keine verfassungsrechtlichen Hindernisse im Wege. Durch einfache organisatorische Maßnahmen,
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zu denen es keines Gesetzes bedarf, können die notwendigen interministeriellen Beteiligungs- und Meldepflichten eingeführt werden. Ergeben sich Kollisionsfälle oder unterschiedliche Auffassungen, so ist hier entweder über die Richtlinienkompetenz des Herrn Bundeskanzlers oder über einen Kabinettsbeschluß die Entscheidung möglich. Das setzt allerdings voraus, daß die für die Raumordnung interessanten Maßnahmen der einzelnen 'Ressorts dem Minister, der für die Raumordnung verantwortlich ist, zur Prüfung bekanntgegeben werden. Vorsichtige Äußerungen in den Presseorganen des für gewöhnlich auf diesem Gebiet gut informierten Landkreistages nähren meine Zweifel, ob der Raumordnungsminister bisher von den übrigen Ressorts exakt oder in einem solchen Maße unterrichtet worden ist, daß er die ihm zugewiesene Koordinationsaufgabe überhaupt erfüllen kann.
Wenn sich diese Vermutung bestätigt, täten Herr Minister Lücke und die ganze Bundesregierung gut daran, das Nötige schnell zu tun, um mit ihren Forderungen an die Länder glaubwürdig zu werden. Dann erst, wenn die Bundesregierung in Sachen Raumordnung ihr eigenes Haus bestellt hat oder glaubhaft macht, daß sie alles in ihrer Macht Stehende unternimmt, erscheinen die gegenüber den Ländern erhobenen Informations- und Beteiligungsansprüche gerechtfertigt.
Dabei wird sich schließlich auch noch zeigen müssen, ob die dem Raumordnungsminister zur Verfügung stehende technisch-verwaltungsmäßige Ausstattung überhaupt ausreicht, die zu erwartende Fülle von Maßnahmen und Planungen in dieser Richtung zu bearbeiten. Ist das nicht sichergestellt, so lohnt sich der ganze Aufwand nicht. Meine Damen und Herren, ich möchte allerdings klarstellen, daß das keine Aufforderung an den Raumordnungsminister ist, mit neuen Stellenanforderungen in einem außerordentlich weitgehenden Maße zu kommen.
Ich möchte vielmehr anregen, zu prüfen, ob wirklich alle vorhandenen Leistungsreserven richtig ausgenutzt und eingesetzt worden sind. Das gilt einmal für das Ministerium selbst, in das ich keinen so tiefen Einblick habe, um feststellen zu können, ob da solche Möglichkeiten bestehen. Mit Rücksicht darauf, daß einige Aufgabengebiete in letzter Zeit nicht mehr so sorgfältig 'gepflegt werden, wie das bisher der Fall war, möchte ich aber untersucht haben, ob unter Umständen nicht gewisse hausinterne Möglichkeiten geschaffen werden können.
Unter Umständen gibt es auch Möglichkeiten anderer Art. So würde ich Überlegungen etwa dahin anstellen, ob die bislang noch immer dem Innenministerium nachgeordnete Bundesanstalt für Landeskunde und Raumforschung nicht einen gewissen Wechsel in der ministeriellen Zuständigkeit erfahren sollte.
Denn diese Bundesanstalt verfügt über zwei Institute, die jahrelang im theoretisch-wissenschaftlichen Raum bemerkenswerte Vorarbeiten für die Raumordnung geleistet haben. Beide Einrichtungen könnten mit ihrem hervorragenden Personal direkt und wirksam für die Raumordnung eingesetzt werden. Wenn solche Überlegungen etwa bereits schweben — bei der Institutsbesichtigung durch den Wohnungsbauausschuß im Januar dieses Jahres war die Rede davon —, dann sollte der Vollzug nicht länger verzögert werden. Ob solche Maßnahmen ausreichen, mag dann beurteilt werden, wenn ernsthafte Versuche, Leistungen zu erbringen, gemacht worden sind. Der außenstehende interessierte Beobachter hat jedenfalls den Eindruck, daß es an der notwendigen Entschiedenheit im verwaltungsmäßigen Vollzug der raumordnungspolitischen Vorstellungen der Bundesregierung noch erheblich mangelt.
Unter den angedeuteten Vorbehalten kann kein Zweifel daran bestehen, daß die noch in den allerersten Anfängen stehende Koordination zwischen Bund und Ländern der Regelung bedarf. Auch hier besteht die erste Voraussetzung darin, daß beide Partner überhaupt voneinander erfahren, was sie beabsichtigen. Hier haben die Länder von vornherein eine bessere Ausgangsposition; das muß man klar sehen. Die einschlägigen Bundesgesetze haben ihnen hinsichtlich der Bundesfachplanungen — man denke an das Bundesfernstraßen-, Bundesbahn-, Landbeschaffungs- und Schutzbereichsgesetz — weitreichende Beteiligungsrechte verschafft. Die Landesfachminister wissen um diese Planungen meist eher etwas als der Bundesraumordnungsminister. Umgekehrt lassen die Länder nach der gegenwärtigen Übung den Bund ihre Programme, Pläne und Einzelmaßnahmen grundsätzlich nur dann wissen, wenn Bundesmittel oder andere Bundeshilfen gefordert werden. Bezüglich der Informationsverpflichtung ist daher eine gesetzliche Grundlage zweifellos zweckmäßig, ja, ich meine sogar, notwendig. Daß sie nur sinnvoll ist, wenn der Raumordnungsminister diese Meldungen auch verarbeiten kann, möchte ich nochmals betonen.
Über die Information hinaus erscheint eine ständige Kooperation zwischen dem Bund und den Ländern notwendig. Die in beiden Entwürfen vorgesehene Konferenz für Raumordnung läßt allerdings kaum Hoffnung, daß sie durch die vorgesehene Legalisierung wirksamer wird. Hier ist die Institutionalisierung zur Sicherung der Kontinuität einfach unverzichtbar. Die Konferenz muß in einem regelmäßigen Turnus tagen. Sie muß mit Ministern oder deren Bevollmächtigten besetzt sein. Sie muß eine ständige Geschäftsstelle haben. Derartiges oder Ähnliches gibt es in anderen Ländern seit langem. So findet in der holländischen Praxis in jedem Monat eine gemeinsame Sitzung der leitenden Raumordnungsbeamten des Reiches und der Provinzen statt. Dort werden echte Entscheidungen getroffen oder vorbereitet und keine theoretischen Erwägungen ausgetauscht. Dort und in anderen Ländern fragt man nicht in erster Linie wie bei uns nach den verfassungsrechtlichen oder verfassungspolitischen Bedenken und sucht sie nicht wie bei uns sozusagen mit der Lupe bei jeder sich bietenden Gelegenheit, sondern dort sieht man das allgemein Erforderliche und setzt sich ohne Prestigeerwägungen um der gemeinsamen Sache willen zusammen. Wir sollten uns
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das zur Lehre nehmen und sollten versuchen, zwischen Bund, Ländern und allen Beteiligten ein neues Klima zu schaffen; da kann jeder etwas tun.
Übrigens sind beide Entwürfe hier in einem Punkte unvollständig. Es wird nicht geregelt, was geschehen soll, wenn Bund und Länder in einer Sachfrage nicht zu einer Übereinstimmung gelangen. Der Vorschlag des Entwurfs der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft, daß dann eine Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats den Streit schlichten solle, wird nur selten wirken; da kann man wirklich keine große Hoffnung haben. Wir wissen, wie mühselig es ist, Rechtsverordnungen dieser oder ähnlicher Art zustande zu bringen. Es wird in den Ausschußberatungen sorgfältig geprüft werden müssen, ob die Verfassung wirklich keine bessere Lösung dieses Problems zuläßt.
Es sollte sichergestellt werden, daß zu den Beratungen nicht nur Sachverständige aus Theorie und Praxis, sondern als ständige Gäste auch Vertreter des Bundesrates hinzugezogen werden. Auch das dient neben der Mehrung des Sachverstandes der Kooperation.
Lassen Sie mich noch einige allgemeine Bemerkungen anschließen. Während es das Ziel einer gesunden Wirtschaftspolitik ist, allen Gliedern des Volkes die Möglichkeit der wirtschaftlichen Entfaltung und der Teilhabe an der wirtschaftlichen Expansion nachhaltig zu sichern, sollte das Ziel der Raumordnungspolitik darin bestehen, annähernd gleichwertige Lebenschancen in allen Regionen des Landes zu ermöglichen. Dabei kann es nur auf die sozusagen saldierte Gleichwertigkeit, keinesfalls aber auf eine Gleichartigkeit der Lebensbedingungen ankommen. Daß dazu mehr erforderlich ist als die Aufstellung einer These, daß hier schwierige Probleme zu lösen sind, ist selbstverständlich. Wir wissen, daß sich die Wohlstandskonzentrations- einerseits und die Erosionsgebiete andererseits zunehmend auseinanderzuentwickeln drohen. Wir wissen aus Untersuchungen — etwa von Professor Jürgensen —, daß die Tendenz der Auseinanderentwicklung mit der Aktivierung der europäischen Zusammenarbeit wahrscheinlich noch weiter verschärft wird. Es scheint ziemlich deutlich zu sein, daß die Gebiete mit zunehmender Wohlstandskonzentration auch im EWG-Raum ihre wirtschaftlichen Erfolgschancen noch vergrößern werden, während die Erosionsgebiete, auch weite Teile der rein landwirtschaftlich orientierten Räume, schärfstem Druck ausgesetzt werden.
Es dürfte außer Zweifel stehen, daß eine zielbewußte Sozial- und Gesellschaftspolitik sich auch in dem raumpolitischen Grundsatz bewähren muß, der Bevölkerung ,der Notstandsgebiete solidarische Hilfe zu gewähren und in den Gebieten, denen Notstände drohen, mit ,geeigneten Maßnahmen zu wirken.
Was die Wahl der Mittel anlangt, dürften alle die Maßnahmen den Vorzug verdienen, die die Struktur und die Entwicklungsmöglichkeiten fördern. Subventionen auf Dauer können nur in solchen Räumen verantwortet werden, die, wie unsere Zonenrandgebiete oder Berlin, das Opfer politischer Willkürmaßnahmen geworden sind.
Meine Damen und Herren, es ist eine umstrittene Frage, ob man zur Ballung und Entballung überhaupt mit allgemeinen Grundsätzen Stellung nehmen kann. Ich meine — gemeinsam mit meinen Freunden —, daß es vielmehr auf die Entscheidung über den konkreten Einzelfall ankommt. Hier ist die klare Frage zu stellen, ob im bestimmten Raume für bestimmte Maßnahmen eine weitere Ballung hinzunehmen, vielleicht sogar im Einzelfall zu empfehlen oder ob sie zu verhindern ist. Das ist ein vielschichtiges, differenziertes Problem. Der richtige Ansatzpunkt dürfte die objektive wirtschaftliche Wägung und womöglich die Berechnung der Ballungsvor- und -nachteile am konkreten Objekt sein. Bevölkerungsdichte und Sozialprodukt als statistische Merkmale sind keine ausreichenden Maßstäbe für eine Entscheidung darüber, ob ein Ballungsraum überlastet ist.
Wir haben mit Interesse vermerkt, daß der Herr Minister bei jüngsten Gelegenheiten zu diesem Problem Ausführungen gemacht hat, die sich deutlich von mancher Formulierung abheben, die wir gelegentlich in der Vergangenheit hörten. Hier scheint also auch die Vernunft auf dem Marsche zu sein. Wir werden aber sorgfältig zu beobachten wissen, ob es sich hier nur um Worte handelt und wie sich die tatsächliche Entwicklung und das Verhalten der Bundesregierung, vor allem des für die Raumordnung zuständigen Ministers, auswirken.
Wir sind der Meinung, daß mit den ideologischen Hintergründen aufgeräumt werden muß, die bei der Erörterung der Entballungs- und Ballungsproblematik immer wieder wieder aufzuspüren sind. Hier hat sich, glaube ich, doch auch allgemein eine vernünftigere, den sachlichen Erfordernissen entsprechendere Einstellung bei vielen, die das bisher ein wenig schematisch sahen, durchgesetzt. Ich habe schon angedeutet, daß der Raumordnungsbericht der Bundesregierung vor allem auch hierzu vorsichtige Thesen anbietet. Sie stellen, wie ich finde, eine brauchbare Diskussionsgrundlage dar. Dasselbe gilt von den Darlegungen, die wir von der Seite des Städtetages und von den Kommunen hierzu in letzter Zeit zur Kenntnis nehmen konnten. Es gibt also eine Fülle von Materialien, die uns über die beiden heute hier vorliegenden Gesetzentwürfe hinaus zur Verfügung stehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es muß aber auch ein Wort des Vorbehaltes gesagt werden, das notwendig ist, weil nicht der Eindruck entstehen darf, daß wir nicht auch verfassungsrechtlich gezogene Grenzen zu beachten wüßten und im Übereifer vielleicht in Kompetenzen eingriffen, die die Länder mit Recht als die ihren beanspruchen. Wir wissen, daß Entballung in einem begrenzten Umfang durchgeführt werden kann durch die Stadtsanierung, die mit einer Entkernung und Auflockerung der städtebaulichen Zustände, die es zu überwinden gilt, verbunden ist. Wenn überhaupt, so kann die raumordnerische Dezentralisation aber nur so verstanden werden, daß die industrielle und wohnungsbaumäßige Zuwachsrate nach vernünftigen Gesichtspunkten hier und zu diesem Zwecke gelenkt und gestaltet
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wird. Die Erkenntnis, daß längst nicht mehr Großstädte Zentren der Ballungsräume, sondern deren Randkreise das Ziel der industriellen und bevölkerungsmäßigen Wanderung sind, bezeichnet eine der konkreten und dringlichen Gegenwartsaufgaben der Raumordnung, nämlich die Gestaltung der Stadtregion durch die Schaffung attraktiver Unter- und Nebenzentren, wobei nicht nur die Großstädte, sondern auch Mittel- und Kleinstädte mit ihrem Umland gemeint sind. Das hat mit einem Für und Wider bezüglich der Großstadt, der Mittelstadt, der Kleinstadt und dem Lande nicht das Geringste zu tun. Allerdings liegt hier — das sei deutlich gesagt — keine Lenkungsfunktion des Bundes vor. Die Ordnung der Stadtregion ist und bleibt eine Gemeinschaftsaufgabe der beteiligten Kommunen und, wenn diese sie nicht zu lösen vermögen, der Landesplanung. Etwas anderes mag allenfalls für die zwei oder drei Agglomerationsräume gelten, die über Landesgrenzen hinausreichen, sofern sich hier die beteiligten Kommunen und Länder nicht zu einigen vermögen. Diese raumordnerische Aufgabe geht den Bund aber wohl auch nur insoweit an, als er seine Wohnungsbau-, Städtebau- und Sanierungsförderungsmittel einsetzt. Die Frage, ob dem Bund hier eine Beteiligung bei der Mittelvergabe zugestanden werden sollte, darf zumindest insoweit bejaht werden, als es sich um die Aufstellung von Förderungsrichtlinien handelt, die eine gewisse prinzipielle Gleichartigkeit der Objektwertung sicherzustellen hätten.
Während die konkrete Gestaltung der einzelnen Stadtregionen gewiß keine Aufgabe der Bundesraumordnung ist, muß eine Mitverantwortung des Bundes jedoch in Anspruch genommen werden für die Harmonisierung der Notstands- und Sanierungsprogramme der einzelnen Länder und des Bundes. Dasselbe gilt für die Bestimmung der besonders zu fördernden Klein- und Mittelstädte in solchen Regionen, bei denen eine drohende Erosion abzuwenden ist. Zu all dem sollte sich die Bundesregierung eine laufende Unterrichtung des Bundestages vornehmen und dem ersten Raumordnungsbericht weitere umfassende Darstellungen in angemessenen Abständen nachfolgen lassen.
Wir möchten schon jetzt darauf hinweisen, daß wir darüber hinaus möglichst konkrete Darstellungen der Bundesregierung über einige bedeutsame Punkte erwarten, über die wir bisher keinerlei Aufschluß erhalten haben. So ergibt sich die Frage, ob und in welchem Umfang und für welche regionalen Räume Raumstrukturanalysen angestellt worden sind oder angestellt werden sollen. Wir wissen, daß sich die Organe der EWG um solche Untersuchungen bemühen. Was ist von deutscher Seite an Aktivitäten erfolgt oder zu erhoffen?
Die Bundesregierung spricht betont von zurückgebliebenen Gebieten vor allem im Sinne agrarischer Problemräume. Ist sie sich, wenn ja, mit welchen Vorstellungen, klar darüber, daß raumordnungspolitisch auch an bisher gut entwickelte Gebiete zu denken ist, die durch Konjunkturschwankungen oder Strukturänderungen in Schwierigkeiten geraten sind oder gar geraten können? Denken wir nur an Wirtschaftszweige, die, wie der Steinkohlen- oder Erzbergbau oder die Textilindustrie Verschlechterungen erfahren haben oder erfahren können, Verschlechterungen, mit denen wesentliche raumwirksame Veränderungen verbunden sind.
Bestehen Vorstellungen über die Maßnahmen, die getroffen werden müssen, falls etwa konjunkturelle Rückschläge Zweigbetriebe großer Firmen in geförderten zentralen Orten empfindlich treffen?
Das sind einige Einzelfragen, über die wir im Ausschuß gern Aufschluß erhalten möchten — nur einzelne Fragen neben vielen anderen, über die ich nicht sprechen kann —, die andeuten, wie schwierig die Aufgaben sind und wieviel Möglichkeiten auch ohne Gesetz schon jetzt bestehen, Vorstellungen der Bundesregierung hinsichtlich ihrer raumordnungspolitischen Absichten zu entwickeln. Der Herr Bundeskanzler hat ja betont davon gesprochen, und Herr Minister Lücke hat das heute wiederholt, daß es die Absicht der Bundesregierung sei, die Raumordnung zu aktivieren. Bitte, hier sind einige Punkte, bei denen die Bundesregierung mit den Parteien, auch mit der Oppostion, gemeinsame Überlegungen anstellen kann, wie wir weiterkommen.
Ich darf nun ein paar Bemerkungen zu den heutigen Ausführungen von Herrn Minister Lücke machen, soweit mir die Zeit gestattete, Notizen zu machen.
Herr Minister Lücke hat von den großen Gemeinschaftsaufgaben der Erneuerung unserer Dörfer und Städte im Rahmen einer wirksamen Raumordnung gesprochen. Er erklärte in diesem Zusammenhang, das Bundesbaugesetz habe als Grundgesetz der Ortsplanung seine Bewährungsprobe bestanden. Insoweit möchte ich ihm nicht widersprechen. Obwohl die Zeit für ein abschließendes Urteil nicht ausreicht, kann nicht geleugnet werden, daß das Bundesbaugesetz in vielerlei Hinsicht, besonders was die Planungsvoraussetzungen anbelangt, eine Verbesserung der Situation gebracht hat. Aber mit diesem Bundesbaugesetz sind bekanntlich auch Verzichte der Bundesregierung und der Mehrheit dieses Hauses verbunden gewesen, gewisse bodenpolititische Bestimmungen, die Erfolg versprachen, einzuführen. Wir haben nach wie vor festzustellen, daß hier ein Versäumnis geschehen ist, dessen Folgen wir allesamt zu spüren bekommen haben.
Ich sehe Herrn Staatssekretär Ernst neben dem Herrn Minister als sein „getreuer Ekkehard" sitzen. Wenn mich die Presse heute richtig unterrichtet hat, dann hat Herr Staatssekretär Ernst vor wenigen Tagen vor einem Kreis von Kommunalfachleuten Ausführungen über die traurige Entwicklung de Bodenpreise gemacht. Als wir in einer Aussprache zu Beginn des vorigen Jahres — es war die zweite große Aussprache über die Baulandpreise — über diese Fragen sprachen, war er immer noch der Meinung, die Bestimmungen, die Hilfsmittel des Bundesbaugesetzes reichten hier aus. Wir haben von vornherein bezweifelt, daß das der Fall ist. Ich könnte Ihnen — ich will mit Rücksicht auf die Zeit darauf verzichten; ich werde das im Ausschuß tun
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— einige neue Hinweise darauf geben, wie schlimm die Entwicklung geworden ist und daß leider auch Institutionen, die dem Bunde nahestehen oder vom Bund beeinflußt werden könnten, an diesem Auftrieb der Bodenpreise ohne Rücksicht auf Regierungserklärungen teilhaben. Hier kann einiges verbessert werden.
Der Minister hat eindeutig unterstrichen, daß es zur Ordnung der Verhältnisse eines Gesetzes bedarf. Damit hat er gleichsam einen Akt der tätigen Reue vollzogen. Herr Kollege Dr. Schmidt hat schon darauf hingewiesen, daß es die Bundesregierung war, die im zweiten Bundestag eine Gesetzesinitiative aus den Reihen der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft förmlich torpediert hat. Sie war es, die damals — allerdings unter der Federführung des schlecht beratenen Innenministeriums — alles Heil in einem Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern suchte. Sie hat es infolgedessen mit zu vertreten, da hierdurch Zeit verlorengegangen ist, die vielleicht nicht wieder eingeholt werden kann. Die diesbezügliche Passivität der Bundesregierung hat die Länder geradezu ermuntert, sich gegen ein Rahmengesetz zu wehren. Allerdings dürften zum Teil auch gewisse von mir angedeutete unklare Darlegungen der von der Bundesregierung mit einem Gesetz verbundenen Absichten bei den Ländern Widerstände hervorgerufen haben.
Was die gelegentlich geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Raumordnungsgesetzgebung des Bundes anlangt, so dürften auch hier weitaus überwiegend materielle und nicht rechtliche Zweifel den Hintergrund ablehnender Stellungnahmen bilden. Wir sind in bezug auf die Beurteilung der Rechte des Bundes mit Ihnen, Herr Minister, völlig einig. Wir sind der Auffassung, daß ein solches Rahmengesetz möglich ist. Wir halten es — das habe ich, wie ich glaube, schon klar genug zum Ausdruck gebracht — auch für zweckmäßig, ja für notwendig.
In einigen Punkten aber haben auch Ihre heutigen Ausführungen keine restlos befriedigende Klarheit geschaffen. Es wird einer sorgfältigen Prüfung Ihrer Darlegungen, Herr Minister, bedürfen, beispielsweise über die wirtschaftsschwachen Gebiete, über die Bruttoinlandsproduktszahlen, vor allem aber über die nur angedeutete Problematik der städtischen Bereiche, um festzustellen, ob sich nicht auch jetzt noch bestimmte sachfremde Erwägungen und Motivationen bei Ihnen finden. Ich hoffe, Sie sind in der Beziehung doch ein ganz klein wenig beeindruckt von kritischen Hinweisen, die es in der Zwischenzeit gegeben hat. Vieles von dem, was Sie ausgeführt haben, deckt sich so sehr mit den jahrelangen Mahnungen der Opposition, daß man sich fragen muß, warum es bei einer solchen Übereinstimmung der Auffassungen nicht schon längst zu einer Verbesserung einiger raumordnungspolitischer Ausgangspositionen gekommen ist. Ich meine die von der Bundesregierung seit vielen Jahren immer wieder angekündigte und immer wieder auf Eis gelegte Ordnung des Finanzausgleichs zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Hier liegen Versäumnisse vor, die von der Bundesregierung und der Mehrheit
dieses Hauses in entscheidender Weise mitverantwortet werden müssen. Sie bieten den Schlüssel für die Erkenntnis zahlreicher für raumordnungspolitische Mängel wesentlich mitverantwortlicher Faktoren.
Raumordnung, Stadt- und Dorferneuerung sind zur Stunde wohlklingende Vokabeln, die auch heute wieder aus dem Munde des Ministers zu hören waren. Außer dem Regierungsentwurf zur Raumordnung hat der Minister auch den Entwurfeines Städtebauförderungsgesetzes erwähnt, das der Starkund Dorfgebietserneuerung dienen soll. Wir meinen — ich sage das ganz knapp, ohne ,auf die Einzelheiten einzugehen —: mit programmatischen Thesen ist es hier nicht getan; für sie ist der Bund und ein Gesetz kaum vonnöten. Die Hilfen des Bundes müssen echte Hilfen sein. Sie müssen auch in der Bereitschaft bestehen, die finanziellen Lasten mitzutragen. Was wir in dieser Beziehung seit Beginn der Degression der Bundesmittel für den Wohnungsbau erleben, gibt nicht sehr zu Hoffnungen Anlaß. Den wohlklingenden, so leicht aus Mund und Feder gleitenden Vokabeln muß auch die klingende Münze beigesellt werden. Mit anderen Worten, nicht die Deklaration von Thesen, sondern das praktische Handeln ist entscheidend.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß.
— Ich glaube, da hat eben jemand „Bravo!" gerufen.
Ich verstehe das durchaus, aber andererseits kann nicht jahrelang von der Wichtigkeit dieses Themas gesprochen werden und dann bei einer Generaldebatte gewünscht werden, daß darauf verzichtet wird, auf problematische Dinge, wenn auch nur kurz, zu sprechen zu kommen. Es ist ein Thema, das nicht nur abendfüllend ist. Es wird uns Wochen und Monate beschäftigen, hoffentlich nicht solange, daß die Verabschiedung eines uns allen probat erscheinenden Entwurfs in dieser Legislaturperiode dadurch unmöglich wird.
Sie dürfen darauf bauen, daß die Opposition nach dieser Richtung hin nicht tätig wird. Sie wird alles tun, um ihre Bereitschaft zu bekunden, an einer alsbaldigen Verabschiedung allerdings eines ihr genehmen Gesetzes mitzuwirken. Wir haben hier einige Anregungen. Wir bitten, bei den Ausschußberatungen etwa zu überlegen, ob es nicht der gemeinsamen Sache, vor allen Dingen auch der Zusammenarbeit von Bund und Ländern, dienen könnte, wenn wir uns auf lange Sicht gesehen, dazu verstehen würden, uns zur Begutachtung der raumordnungspolitischen Situation eines ständigen, aber, Herr Minister, völlig unabhängigen Sachverständigengremiums zu bedienen. Ich sage: auf lange Sicht. Hier könnten wir, ähnlich wie dies durch einen Beschluß dieses Hauses hinsichtlich der Begutachtung der Entwicklung der Gesamtwirtschaft geschehen ist, vielleicht doch zur Erleichterung der Urteilsbildung bei allen verantwortlichen Instanzen und in der Öffentlichkeit wesentlich beitragen und uns zusätzliche Hilfen schaffen. Mit der Einrichtung eines
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1963 4563
Jacobi
solchen Gremiums kann vielleicht auch die heute so schwierige Entscheidung der Zweifelsfrage erleichtert werden, ob sich die im Grundsätzlichen weitgesteckten Ziele der Bundesraumordnung allein mit dem Mittel weniger Grundsätze erreichen lassen.
Ich will hierzu nicht mehr sagen. Ich finde mit meinen Freunden, daß der Vorteil, daß jetzt vier Entwürfe vorliegen, ja, wenn man die Sachverständigenentwürfe dazunimmt, sogar fünf oder sechs, in den parlamentarischen Beratungen genutzt werden sollte. Besonders dem von Minister Lücke bereits erwähnten Umstand, daß sich jetzt im kommunalen Bereich ebenfalls eine Linie gemeinsamer Vorstellungen abzeichnet, kann positive Bedeutung zukommen. Die Vorschläge des Deutschen Städtetages enthalten vor allem zwei wichtige Gesichtspunkte, nämlich die Sicherung der Beteiligung der kommunalen und wirtschaftlichen Selbstverwaltung einerseits und die klarere Regelung des Planungsverfahrens andererseits. Wir erwarten in der Generaldebatte im Ausschuß von der Bundesregierung zunächst vor allem klare Auskünfte über den Stand der Raumordnungspraxis innerhalb der Bundesregierung. Es muß erreicht werden, daß mit der Verabschiedung des Gesetzes, wenn möglich noch innerhalb dieser Legislaturperiode, auch die Bundesregierung selbst das Nötige im eigenen Bereich veranlaßt. Das scheint uns die beste Voraussetzung dafür zu sein, die Länder, ohne deren Mitwirkung nichts gelingen wird, zu gewinnen.
Der Minister hat an die Opposition appelliert, an dem Zustandekommen eines Rahmengesetzes für die Raumordnung mitzuwirken. Ich habe bereits erklärt, daß dieser Appell offene Ohren findet. Wir haben uns bereits vor Jahren bereit gefunden, als die Bundesregierung noch zögerte. Wir werden auch hinsichtlich richtlinienmäßiger Grundsätze mit uns reden lassen. Auch da haben wir vor Jahren einige Beispiele gegeben. Wir haben für wirtschaftswirksame, sozial wirksame und kulturelle Zielsetzungen präzise Vorschläge gemacht; sie stehen nach wie vor zur Verfügung. Um so mehr dürfen wir als Opposition das Recht für uns beanspruchen, die raumordnungspolitische Zielsetzung der Bundesregierung auf die Vereinbarkeit mit unseren eigenen Vorstellungen sachlich und kritisch zu prüfen. Hierzu wird sich in den Ausschußberatungen die Gelegenheit bieten.
Es geht, meine Damen und Herren, nicht um die Frage, ob ein Rahmengesetz geschaffen werden soll und kann, sondern um das Wie seiner Ausgestaltung. Wir meinen hierbei, daß es keiner neuen und großen Theorien bedarf, sondern daß es darauf ankommt, sichere und feste Grundlagen für das praktische Handeln im Geiste des allgemeinen Wohls zu schaffen. Hierzu sind wir bereit.