Rede von
Willi
Beuster
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obschon der auf Drucksache IV/67 eingebrachte Antrag meiner Partei von einer Mehrheit im Finanzausschuß abgelehnt wurde, möchte ich noch einmal zu der Grundsatzfrage Stellung nehmen.
Es handelt sich bei diesem Entwurf zur Änderung des Einkommensteuergesetzes darum, daß 200 DM von dem Einkommen der Lohnsteuerpflichtigen im Monat Dezember steuerfrei bleiben. Dabei soll es keine Rolle spielen, ob eine Weihnachsgratifikation gewährt wird oder nicht. Dieser Weihnachtsfreibetrag soll auch bei einer Veranlagung zur Einkommensteuer und beim Lohnsteuerjahresausgleich berücksichtigt werden. Für den Fall, daß mehrere Arbeitsverhältnisse bestehen, soll der Betrag nur für das erste Beschäftigungsverhältnis absetzbar sein. Nach der bisherigen Regelung sind 100 DM steuerfrei. Unser Antrag beinhaltet praktisch eine Verdoppelung des Freibetrages. Dabei soll die Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherung unberührt bleiben.
Meine Damen und Herren, dieses Hohe Haus beschäftigt sich praktisch seit 13 Jahren jährlich neu mit den steuerlichen Auswirkungen eines Freibetrages zu Weihnachten bzw. der Weihnachtsgratifikation. Das ist nicht zufällig. Es dürfte bei allen Parteien des Bundestages Übereinstimmung darin bestehen, daß eine Steuer- und Finanzreform dringend notwendig ist. Wenn zwischenzeitlich eine Neuregelung oder, besser gesagt, eine Anpassung entsprechend den gegebenen Verhältnissen bei der Lohnsteuergesetzgebung erfolgt wäre, hätten wir heute keine Veranlassung, uns mit diesem Sonderantrag zu beschäftigen.
Es gibt aber größere Bevölkerungsschichten, die infolge der jetzt bestehenden Steuergesetzgebung finanziell schlechter wegkommen als andere. Neben der Gruppe, die von dem sogenannten Mittelstandsbauch in der Steuerprogression härter getroffen wird, sind es insbesondere die Lohn- und Gehaltsempfänger. Bei einem Vergleich der Steigerung der Brutto- und der Nettolohnsumme ergibt sich, daß ein wesentlicher Teil des Zuwachses an Lohn durch mehr Steuern wieder in Fortfall kommt.
Ich verweise insbesondere auf die Ausführungen meines Kollegen Seuffert bei der ersten Beratung dieses Gesetzentwurfs am 14. März. Ich kann mich deshalb darauf beschränken, einige allgemeine Feststellungen zu treffen.
Wenn wir die Steuereinnahmen in ein Verhältnis zum Sozialprodukt setzen, so ergibt sich, daß 22 % des gesamten Sozialprodukts im Jahre 1958 für Steuern aufgewandt werden mußten. Nach dem Finanzbericht für das Jahr 1963 steigt dieser Betrag
2336 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Dezember 1962
Beuster
auf 25,1 %. Anders ausgedrückt: in diesem Zeitraum von fünf Jahren ist eine Steigerung des Anteilsatzes um 14 % erfolgt.
Nicht unberührt bleiben darf dabei auch, daß das Sozialprodukt von 1960 bis 1963, wieder nach dem Finanzbericht, um 72,3 Milliarden DM wächst. Die Steuermehreinnahmen betragen im gleichen Zeitraum 23,6 Milliarden DM. Anders ausgedrückt: innerhalb von drei Jahren wird ein Drittel der Wachstumsrate des Sozialprodukts für Steuern verwendet. Während das Sozialprodukt also praktisch um 26,6 % stieg, beträgt die Steigerung bei den Steuern 34,5 %.
Im Jahre 1961 ist die Brutto-Lohn- und Gehaltssumme gegenüber dem Jahre 1960 um 12,7 % gestiegen; die Belastungen der Arbeitnehmer durch direkte Steuern und durch Beiträge zu öffentlichen Einrichtungen der Sozialversicherung sind im gleichen Zeitraum aber um 17,8 % gestiegen.
Diese Zahlenbeispiele besagen klar und eindeutig, daß die lohnsteuerliche Belastung wegen der Progression im Steuertarif wesentlich stärker wächst als das Sozialprodukt.
Hiervon werden die Lohn- und Gehaltsempfänger ganz naturgemäß wesentlich stärker betroffen.
Bei objektiver Auswertung dieser Zahlen kann man nur zu dem Schluß kommen, daß eine generelle Erhöhung des Freibetrages für alle Lohnsteuerpflichtigen längst überfällig ist. Formal sind zwar Steuererhöhungen nicht erfolgt; in Wirklichkeit haben wir es aber, soweit die Arbeitnehmer in Frage kommen, mit einer schleichenden Steuererhöhung zu tun. In diesem Sinne kann deshalb der Antrag meiner Fraktion als erster Schritt zu einer Neuregelung angesehen werden.
Wie der Herr Berichterstatter Dr. Schwörer schon ausgeführt hat, schätzt das Finanzministerium den Steuerausfall auf 330 Millionen DM. Man muß dabei natürlich berücksichtigen, daß ein 35%iger Bundesanteil nur einen Betrag von 115,5 Millionen, ein Bundesanteil von 40,5 % 133 Millionen DM als Belastung für den Bund ergibt. Leider gibt es aber keine beweiskräftigen Unterlagen, die eine genaue Berechnung des voraussichtlichen Steuerausfalls möglich machen. Wir selbst sind der Meinung, daß die vom Finanzministerium vorgenommene Schätzung zu hoch ist und sich für den Bund kaum mehr als eine Belastung von ca. 80 bis 90 Millionen DM ergeben dürfte. Hierbei sollte man aber auch nicht übersehen, daß dieser Ausfallbetrag fast restlos in den Konsum wandert und von der anderen Seite her deshalb wieder mit erhöhten Steuereinnahmen gerechnet werden kann.
In diesem Zusammenhang darf ich darauf hinweisen, daß der Gesetzentwurf meiner Partei auf Erhöhung der Sonderausgabenpauschale von 636 DM auf 900 DM im Fachausschuß anscheinend wohlwollend behandelt wurde. Erfreulicherweise scheint sich die Einsicht durchzusetzen, daß die jetzige Sonderausgabenpauschale den realen Gegebenheiten nicht mehr gerecht wird. Denn praktisch ist es so, daß diese Pauschale bei einem Bruttoeinkommen von 425 DM schon aufgezehrt wird und jeder Arbeitnehmer, der mehr verdient, die Möglichkeit hätte, über den Lohnsteuerjahresausgleich einen zusätzlichen Betrag zu erhalten. Leider beantragen aber viele Lohnsteuerpflichtige wegen der großen Umstände und wegen ihrer mangelnden Kenntnis einen solchen Lohnsteuerjahresausgleich nicht und schenken dadurch dem Fiskus wesentliche Beträge. Sachverständige schätzen, daß die Arbeitnehmer jährlich
1 bis 2 Milliarden DM, die an Lohnsteuerjahresausgleich zurückfließen würden, nicht in Anspruch nehmen. Hierzu habe ich eine interessante Zahl. Es ist ja bekannt, daß in Dortmund eine Interessengemeinschaft der Lohnsteuerzahler besteht. Sie hat für das Jahr 1961 insgesamt 2498 Anträge bearbeitet. Die Gesamtlohnsumme für diese 2498 Anträge betrug 19 600 000 DM, der einbehaltene Steuerbetrag rund
2 Millionen DM. Der Erstattungsbetrag belief sich auf 675 500 DM. Anders ausgedrückt: 33,8 % der gezahlten Lohnsteuern wurden auf Grund des Lohnsteuerjahresausgleichs zurückvergütet.
Uns geht es darum, den Beschäftigten eine gewisse steuerliche Erleichterung zu verschaffen. Bei der letzten großen Änderung des Lohnsteuergesetzes ging man davon aus, daß 45% aller Lohnsteuerpflichtigen steuerfrei sein sollten. Herr Kollege Dr. Schmidt von der CDU schätzte bei der ersten Beratung die Zahl der Arbeitnehmer, die von der Lohnsteuer befreit seien, auf 5 Millionen. Wenn diese Zahl richtig ist, würde sich ergeben, daß in den letzten Jahren der Anteil der Arbeitnehmer, die von der Steuer befreit sind, von 45 auf 20 % zurückgegangen ist.
Bei der Beurteilung der Situation sollte auch nicht außer Betracht bleiben, daß die Weihnachtsgratifikationen in den letzten Jahren wesentlich gestiegen sind, und das ist gut. In der letzten Regierungserklärung betonte der Herr Bundeskanzler besonders, daß die menschliche Arbeitskraft unser wichtigstes Gut sei. Geben wir seinen Feststellungen einen sachlichen Inhalt. Betrachten wir diese 100 DM, die in dem Antrag genannt werden, als Anerkennung für gut geleistete Arbeit, als Beihilfe für vermehrte Ausgaben im Zusammenhang mit dem Weihnachtsfest.
Denken Sie aber bitte bei Ihrer Entscheidung auch daran, daß diese Vergünstigung einem Personenkreis zugute kommt, der absolut steuerehrlich ist, der sich aus pünktlichen Steuerzahlern zusammensetzt, die ihre Pflicht gegenüber dem Staat restlos erfüllen.
Ich bitte Sie deshalb namens meiner Fraktion, unserem Antrag Ihre wohlwollende Unterstützung nicht zu versagen.