Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Beuster hat soeben schon angedeutet und ich bin auch der Meinung,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Dezember 1962 2337
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daß der Antrag der SPD-Fraktion auf Erhöhung des Arbeitnehmerfreibetrages oder des Weihnachtsfreibetrages — wie man ihn nennen will — eigentlich die Überschrift tragen müßte: Alle Jahre wieder. Wir haben gleiche und ähnliche Anträge der SPD in den letzten Jahren immer wieder behandelt und auch immer wieder ablehnen müssen. Ein Arbeitnehmerfreibetrag — das möchte ich mit Nachdruck betonen — würde auch meinem Wunschdenken entsprechen. Ich bedauere, daß wir nicht einen solchen Arbeitnehmerfreibetrag einführen können. Es sprechen aber leider sehr beachtliche Gründe gegen ihn.
Der Finanzausschuß hat, wie der Herr Berichterstatter Dr. Schwörer soeben vorgetragen hat, alle Gründe, die für und gegen den Antrag sprechen, in der letzten Sitzung und auch bei früheren Gelegenheiten genau überlegt. Er ist zu dem bekannten Ergebnis gekommen. Einmal können die Auswirkungen auf den Haushalt in Höhe von 330 Millionen DM für den Bund und natürlich auch für die Länder nicht als unbedeutende Kleinigkeit abgetan werden. Andererseits können wir — diese Furcht besteht — dabei nicht den nächsten Schritt zur Einführung eines echten Arbeitnehmerfreibetrages tun. Wir wänden nämlich damit bei anderen Gruppen von Steuerpflichtigen ähnliche Wünsche wecken.
Unter den zahlreichen Vorschlägen, die wir zu Beginn der Legislaturperiode für die Steuerpolitik des 4. Bundestages bekommen haben, befindet sich auch die Forderung einer Organisation — es handelt sich nicht um Arbeitnehmer, sondern um Selbständige —, ihren Mitgliedern einen Einkommensteuerfreibetrag zu gewähren, der schlicht und bescheiden nicht mit 100, 300 oder 600 DM, sondern mit 3600 DM beziffert wird. Daraus ergibt sich eindeutig, daß wir wohl oder übel nach der alten Spruchweisheit handeln müssen: „Principiis obsta" — wehret den Anfängen! Das ist auch der Grund gewesen, der uns im Finanzausschuß zu dem ablehnenden Beschluß veranlaßt hat. Wenn alle Bevölkerungsgruppen Wünsche zur Einführung von Freibeträgen vorbrächten und man solche Wünsche tatsächlich erfüllen könnte — was ja vorläufig noch mehr als zweifelhaft ist —, dann böte sich aber wohl eine bessere Lösung an, nämlich die Änderung des Tarifes.
Nachdem wir uns so oft mit den Dingen befaßt haben, sollten wir meines Erachtens ein wenig die Gründe unter die Lupe nehmen, die von der Opposition für die Einführung eines Arbeitnehmerfreibetrages bisher, sowohl heute wie auch in der Vergangenheit, vorgebracht worden sind, weil wir von der CDU immer in das schiefe Licht gebracht werden sollen, wir sorgten nur — wenn ich es so ausdrücken darf — für die sogenannten Großen, und für die Arbeitnehmer täten wir in steuerlicher Hinsicht nichts oder doch nur wenig.
Von der Opposition wurden in der Vergangenheit und auch jetzt im wesentlichen folgende Gründe für die Einführung eines Arbeitnehmerfreibetrages angeführt. Es wurde gesagt, das Aufkommen an Lohnsteuer sei in den letzten Jahren erheblich stärker gestiegen als das Aufkommen an veranlagter Einkommensteuer. Weiter wurde angegeben, daß der Arbeitnehmer der ehrlichste und pünktlichste Steuerzahler sei. Sodann wurde immer wieder behauptet, bei dem angestrebten Arbeitnehmerfreibetrag handle es sich um ein notwendiges Äquivalent für die Manipulierungsmöglichkeiten, die den Selbständigen gegeben seien. Daß in diesem Zusammenhang mit „Manipulierung" echte Steuerhinterziehung oder, noch deutlicher ausgedrückt, Betrug gemeint ist — ich würde mich freuen, wenn ich mich täuschte —, habe ich den Beispielen entnommen, die unsere verehrte Kollegin Frau Beyer in der Vergangenheit sehr oft zur Kommentierung der Manipulierungsmöglichkeiten angeführt hat. Manipulieren ist also nur eine euphemistische Bezeichnung für betrügen. Ich wäre froh, wenn ich mich täuschte.
Wenn man sich diese Gründe einmal näher ansieht, muß man folgendes feststellen. Das stärkere Ansteigen des Lohnsteueraufkommens rechtfertigt allein auf keinen Fall eine Senkung der Lohnsteuer. Es muß vielmehr begrüßt werden, daß die Löhne und Gehälter und damit auch das Aufkommen an Lohnsteuer so stark gestiegen sind.
Der nächste Punkt lautet: Der Lohnsteuerzahler ist der pünktlichste Steuerzahler. Das ist ohne Zweifel richtig, und ich würde es sehr begrüßen, wenn man die Ungerechtigkeiten, die sich daraus ergeben, mildern könnte. Das würde eine Änderung des Steuerverfahrensrechts bedeuten. Von der Opposition ist dazu bereits ein Antrag eingebracht worden, und bei der Beratung dieses Antrags wäre zu überlegen, ob die angestrebte Regelung praktikabel ist und in welcher Form man Ungerechtigkeiten beseitigen bzw. wenigstens mildern kann.
Was die Manipulierungsmöglichkeiten der Selbständigen angeht, von denen Frau Beyer so oft gesprochen hat, so bleibt dazu festzustellen, daß es sich dabei in erster Linie um eine Kritik an den Landesfinanzverwaltungen handelt, die ihre Aufgaben angeblich nicht ordnungsgemäß erfüllen. Man könnte auch vermuten — ich will gar nicht so gehässig sein —, daß darin eine Kritik an der Arbeit der Steuerbeamten liegt. Aber ich möchte meinen, so sollte man nicht urteilen; denn die Möglichkeiten einer genauen Nachprüfung sind im Laufe der Jahre durch große Richtsatzsammlungen, durch Kontrollmitteilungen, durch den laufenden Erfahrungsaustausch, durch die Ausbildung von Spezialprüfern und vieles andere immer weiter ausgebaut worden. Auch bestehen große Fahndungsdienststellen. Man darf aber nicht von vornherein Gewerbetreibende und andere Selbständige insgesamt als Steuerhinterzieher hinstellen, selbst wenn man eine größere Zahl von Ausnahmen gelten läßt, und damit eine Sondervergünstigung für andere Gruppen wie hier die Lohnsteuerpflichtigen begründen, weil sie sozusagen nicht betrügen können. Wenn die Steuermoral bestimmter Gruppen trotzdem nicht ausreichend gut sein sollte — der Meinung bin ich auch—, so muß man das Steuerverfahrensrecht entsprechend ändern. Zur Erreichung dieses Zieles bieten sich verschiedene Möglichkeiten an. Ich will Ihnen in diesem Zusammenhang nur zwei nennen, mit denen man nach meiner Meinung auf diesem Wege weiterkommen könnte.
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Da ist einmal die Selbstveranlagung oder Selbstberechnung zu nennen. Die Vorarbeiten hierzu sind nach den Erklärungen, die uns gestern im Finanzausschuß gegeben worden sind, so weit vorangeschritten, daß sie in einigen Ländern wahrscheinlich bereits im nächsten Jahr eingeführt werden kann. Das würde zur Folge haben, daß eine größere Zahl von Beamten für den Betriebsprüfungsdienst usw. frei würde und mit Aufgaben der Steueraufsicht betraut werden könnte.
Weiter bin ich der Meinung, daß man endlich eine ganz klare Scheidung bei den Steuerstrafsachen vornehmen sollte. Ich halte es nicht für richtig, daß die Finanzämter die Funktion eines Strafrichters übernehmen.
Müßte jeder Steuersünder, vom Staatsanwalt angeklagt, in öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit aller Interessierten, d. h. der Kunden, der Lieferanten, der Konkurrenten und insbesondere der Presse, vor dem Strafrichter erscheinen, dann wäre die Steuermoral sehr bald ganz erheblich besser, und die Auffassung, daß Steuerdelikte Kavaliersdelikte seien, wäre sehr bald überholt.
Den wichtigsten Punkt hat der Berichterstatter, Herr Dr. Schwörer, schon angeführt: die Auswirkungen auf den Haushalt. Ich will Sie nicht mit Zahlen belästigen. Auf jeden Fall würde die Verwirklichung eines Arbeitnehmerfreibetrages von 1200 DM, der von vielen Seiten angestrebt wird und auch nach meiner Auffassung eigentlich die ideale Lösung wäre, einen Steuerausfall von weit über 3 Milliarden DM verursachen. Den können wir uns leider nicht leisten.
In einem weiteren Punkt Ihrer Begründung, Herr Kollege Beuster, gebe ich Ihnen vollauf recht. Sowohl Sie als auch wir von der CDU haben immer wieder darauf hingewiesen, daß die Arbeitnehmer bei der Vielfalt der Steuerbestimmungen zum großen Teil gar nicht in der Lage sind, zu erkennen, welche Möglichkeiten es für Steuerermäßigungen überhaupt gibt. Um hier zu einer größeren Gerechtigkeit zu kommen — eine vollkommene Gerechtigkeit wird es bekanntlich nie geben —, bietet sich, wie Sie, Herr Kollege Beuster, schon ausgeführt haben, die Erhöhung des Sonderausgabenpauschales an, worüber wir im Finanzausschuß — ich möchte sagen: Gott sei Dank — bereits eine übereinstimmende Auffassung erzielt haben. Ein Lohnsteuerfreibetrag läßt sich damit aber nicht rechtfertigen. Allerdings sollte man ernsthaft überlegen, in welcher Form man eine gute und erfolgreiche Aufklärung möglichst aller Lohnsteuerpflichtigen erreichen kann.
Meine Damen und Herren, zum Schluß darf ich zur Beseitigung des Verdachts, die „böse" CDU habe für die Arbeitnehmer in steuerlicher Hinsicht nicht viel übrig, auch einmal darauf hinweisen, daß es im Einkommensteuerrecht eine ganz beachtliche Zahl von Steuervergünstigungen für Arbeitnehmer gibt, d. h. Vergünstigungen, die nur für Arbeitnehmer und nicht auch für andere Steuerpflichtige gelten. Ich habe eine Zusammenstellung von 28 Positionen solcher Steuervergünstigungen. Ich will Sie nicht damit belästigen, daß ich sie Ihnen vorlese. Aber ich darf sagen: es sind zum Teil natürlich kleine, im großen und ganzen aber ganz erhebliche Steuervergünstigungen mit bedeutenden Steuerausfällen, die nur den Arbeitnehmern zugute kommen. Daneben haben wir noch eine Menge Sonderregelungen, die ebenfalls Steuervergünstigungen bringen. Ich will auch diese nicht aufzählen. Ich möchte aber noch einmal betonen, daß die „böse" CDU auch in der Vergangenheit in steuerlicher Hinsicht vieles für die Arbeitnehmer getan hat. Ich halte es geradezu für meine Pflicht, in diesem Zusammenhang zur Ehrenrettung meines Freundes Karl Krammig darauf hinzuweisen, daß er es war, der im 2. und 3. Bundestag jede Gelegenheit wahrgenommen hat, auf steuerlichem Gebiet für die Arbeitnehmer, für die Empfänger kleiner Einkommen und für die Familie die bestmöglichen Regelungen durchzusetzen.
Aus den vorgetragenen Gründen darf ich Sie bitten, den Antrag der SPD abzulehnen.