Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Bei der Beratung und Verabschiedung der Rentenanpassungsgesetze hat es in jedem Jahr, Herr Kollege Kühn — und so geschieht es auch heute wieder —, eine Debatte über die Anrechnungsbestimmungen der Rentenerhöhung auf die übrigen Sozialleistungen, insbesondere auf die Leistungen laus der Kriegsopferversorgung, aus dem Lastenausgleichsgesetz und dem Bundesentschädigungsgesetz, gegeben.
Wir haben in den vergangenen Jahren sowohl im Ausschuß wie auch im Plenum immer wieder den Versuch unternommen, die Bestimmungen über die Anrechnung auf diese Sozialleistungen nicht zur Geltung kommen zu lassen, weil wir sie in der Sache als 'widersprüchlich und als sozial ungerecht empfunden haben und heute noch empfinden; denn mit dieser Methode — lassen Sie mich das einmal ganz deutlich sagen — wird im selben Augenblick gegeben und wieder genommen. Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, daß auf Grund dieser Anrechnungsbestimmungen die Rentner, die noch eine andere Sozialleistung erhalten — und das sind ungefähr eine Million Rentner —, von der im Rentenanpassungsgesetz beschlossenen Rentenerhöhung praktisch ausgeschlossen bleiben, weil sie nach einer Schonfrist bis Ende Mai — Herr Kollege Stingl hat schon darauf hingewiesen — die Anrechnungsbestimmungen dann in voller Schärfe treffen.
Meine Damen und Herren, niemand konnte sich eigentlich darüber wundern, wenn deshalb draußen in der Öffentlichkeit immer wieder davon gesprochen wurde, daß der Staat gleichzeitig beide Hände in die Taschen des Rentners stecke, nämlich die eine Hand, die gibt, und die andere, die wieder wegnimmt.
Wir haben diese Regelung immer für untragbar gehalten, und, meine Damen und Herren von der CDU, ich kann es Ihnen leider auch in diesem Jahr nicht ersparen, Sie auf die Äußerung des Herrn Bundeskanzlers und auf die Stellungnahme, die er vor der Bundestagswahl 1957 abgegeben hat, hinzuweisen. Er hat nämlich damals diese Regelung
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Frau Korspeter
verurteilt und versprochen, sich für eine Verbesserung einzusetzen.
Leider, meine Damen und Herren, geschah nichts in dieser Hinsicht von Ihrer Seite, und wir blieben mit unserer Forderung immer wieder allein. Wir haben dann im vergangenen Jahr nach der Verabschiedung des damaligen Rentenanpassungsgesetzes einen Entschließungsantrag vorgelegt, durch den die Bundesregierung aufgefordert werden sollte, im Bundestag Gesetzentwürfe zur Beseitigung der Härten, die sich aus den Anrechnungsbestimmungen ergeben, vorzulegen. Er wurde von Ihnen, meine Damen und Herren, von der CDU, der CSU und der FDP abgelehnt. Ein Antrag von Ihnen wurde angenommen, der die Bundesregierung lediglich ersuchte, zu prüfen, ob und inwieweit die in den verschiedenen Zweigen ides sozialen Leistungsrechts geltenden Anrechnungsbestimmungen reformbedürftig seien, und durch den die Bundesregierung aufgefordert wurde, dem Bundestag über das Ergebnis bis Ende Mai dieses Jahres zu berichten. Nun, wir haben diesen Bericht bekommen, aber leider mit einer für uns völlig unzulänglichen Schlußfolgerung, nämlich der, daß die Anrechnungsbestimmungen in den verschiedenen Zweigen des sozialen Leistungsrechts grundsätzlich nicht reformbedürftig seien. Dem Hause wurde dann auch dieser Entwurf eines Fünften Rentenanpassungsgesetzes wieder mit denselben Anrechnungsbestimmungen vorgelegt.
Ich freue mich, Herr Kollege Stingl, daß Sie es heute offenbar entgegen Ihrer Ansicht im vergangenen Jahr doch für notwendig halten, daß eine Änderung in den einschlägigen Gesetzen herbeigeführt wird. Sie waren im vergangenen Jahr nicht dieser Meinung; denn sonst hätten Sie unseren damaligen Entschließungsantrag annehmen müssen, und wir wären wahrscheinlich in diesem Jahr einen Schritt weiter und brauchten uns nicht heute wieder auseinanderzusetzen.
Wir haben deshalb bei den Beratungen im Ausschuß erneut die Aufhebung der Anrechnungsbestimmungen gefordert, und wir haben in diesem Jahr erfreulicherweise Schützenhilfe bekommen, und zwar von beiden Seiten, sowohl von den Mitgliedern der FDP als auch von den Mitgliedern der CDU. Die FDP legte einen modifizierten, einen ähnlichen Antrag vor. Die Kollegen der CDU erklärten, unser Antrag sei besser, sie wollten sich deshalb vorsichtigerweise erst einmal der Stimme enthalten. Aber einige Kollegen der CDU stimmten zu, so daß unser Antrag im Ausschuß angenommen und Grundlage des Schriftlichen Berichts wurde.
Wir alle wissen, daß diese Entscheidung des Ausschusses von den Betroffenen draußen mit großer Befriedigung aufgenommen wurde. Man sprach davon, daß endlich die große Härte, das jahrelange Unrecht beseitigt wurde.
Nun, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU und von der FDP, legen Sie dem Hause heute einen Antrag vor, der die Entscheidung des Sozialpolitischen Ausschusses wieder rückgängig machen soll. Lassen Sie mich dazu einmal ganz deutlich etwas sagen. Die Entscheidung im Sozialpolitischen Ausschuß, die sich positiv für die Sozialleistungsempfänger auswirken würde, fiel in den Zeiten Ihrer Koalitionskrise. Jetzt, wo Sie sich offenbar wieder zu einem vorläufigen Koalitionsfrieden zusammengefunden haben, rücken Sie von Ihrer damaligen Haltung ab, und ausgerechnet die Rentner werden die ersten Leidtragenden Ihrer Koalitionsabsprachen.
Wir bedauern, meine Damen und Herren von der CDU und von der FDP, daß Sie sich wieder zu diesem Antrag entschlossen und ihn eingebracht haben und damit den Versuch unternehmen, die im Sozialpolitischen Ausschuß erreichten Verbesserungen wieder rückgängig zu machen. Herr Kollege Stingl hat zwar eine Reihe von versicherungstechnischen Argumenten angeführt. Man hat aber dabei den Eindruck, daß es doch wohl finanzielle Gründe sind, die Sie veranlassen, wieder eine Verschlechterung herbeiführen und die Anrechnungsbestimmungen zum Zuge bringen zu wollen. Dazu muß ich doch noch etwas sagen. Es sind keine Mehrausgaben für den Haushalt, sondern es wären nur Einsparungen, die durch erhöhte Rentenleistungen der Versicherungsträger im Bundeshaushalt gemacht werden können; und Sie wollen gerade hier, bei dem Personenkreis, der von den gestiegenen Lebenshaltungskosten ganz besonders betroffen ist, Einsparungen im Bundeshaushalt machen. Ich meine, das ist im Interesse der Kriegsopfer, ganz besonders der Kriegerwitwen, aber auch der Unterhaltsempfänger aus dem Lastenausgleich und dem Bundesentschädigungsgesetz sehr zu bedauern. Wir hoffen sehr, daß Ihr Antrag, den Beschluß des Sozialpolitischen Ausschusses wieder zu verschlechtern, keine Mehrheit finden wird; ich hoffe, daß sich die Kollegen von der CDU, die im Ausschuß für unseren Antrag gestimmt haben, auch hier im Plenum dafür einsetzen werden.
Wenn wir den Antrag des Ausschusses annehmen, hat das Bundesarbeitsministerium genügend Zeit, sich im Laufe des nächsten Jahres wirklich ernsthaft Gedanken darüber zu machen, wie in den einschlägigen Gesetzen die Anrechnungsbestimmungen beseitigt werden können. Wir alle wissen aus den Diskussionen in den Verbänden, daß die leidige Frage der Anrechnungsbestimmungen mit Recht immer wieder, insbesondere bei den Kriegsopfern, eine große Rolle spielt und erhebliche Verbitterung auslöst. Ich habe des öfteren erlebt, daß Kollegen von der CDU sich von der eindringlichen Argumentation, die dort gegeben wurde, überzeugen ließen, daß sie dort draußen in der Öffentlichkeit dann erklärten, sich für eine gerechte Regelung einsetzen zu wollen.
Ich hoffe im Interesse des betroffenen Personenkreises sehr, daß sich hier im Plenum eine Mehrheit gegen den Antrag der CDU/CSU und FDP findet
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und wir den Beschluß des Sozialpolitischen Ausschusses annehmen werden.