Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nicht ganz leicht, nach den Worten der beiden Vertreter der Regierungsparteien bei der Behandlung dieses Problems ruhig und sachlich zu bleiben.
Es ist sehr bedauerlich daß beide Sprecher der Regierungsparteien hier kein einziges verbindliches Wort über die Regelung dieser Fragen gesagt, sondern sich in der Einigkeit, den Rentnern nicht das zu gewähren, was ihnen eigentlich zukommen müßte, fast übersteigert haben.
Es ist nicht Schuld der Sozialdemokratischen Partei, daß wir jedes Jahr dieses Thema wieder behandeln müssen; es liegt in der Rentengesetzgebung begründet. In diesem Jahr ist zum erstenmal nach der Neuordnung der Rentenversicherung die Rentenanpassung rechtzeitig, fast schon etwas zu früh, bekanntgegeben worden, damit sie noch vor den Wahlen zum 4. Deutschen Bundestag wirken konnte. Trotz dieser frühen Bekanntgabe des Beschlusses der Bundesregierung können die Dinge erst heute, kurz vor Weihnachten, behandelt werden. Auch das ist nicht etwa Schuld der Sozialdemokratischen Partei, sondern Ihrem eigenen Verhalten nach dem Wahlkampf und während der Regierungsbildung zuzuschreiben.
Es ist deshalb nicht angängig, daß Sie immer wieder betonen, gerade der Zeitpunkt kurz vor Toresschluß im alten Jahr sei für eine solche Debatte nicht geeignet; Sie haben für diesen Zeitpunkt die Verantwortung zu tragen.
Aber ebenso wie das Thema jedes Jahr wiederkehrt, kehren auch Ihre Argumente wieder. Es sind immer die gleichen Argumente. Ich will ehrlich sagen: Auch bei der Opposition kehren die gleichen Argumente wieder; aber mit dem fundamentalen Unterschied — auch das sollten wir einmal sagen —, daß sich Ihre Voraussagen bisher noch nie bewahrheitet haben und daß unsere Voraussagen in der Vergangenheit erfreulicherweise immer wieder bestätigt und oft von der Entwicklung übertroffen worden sind.
— Lieber Herr Kollege Schütz, nicht „weil wir Ihren Vorschlägen nicht gefolgt sind", sondern weil Sie die Entwicklung falsch dargestellt haben und weil Sie aus der tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklung und der Rentenentwicklung nicht die notwendigen Schlußfolgerungen gezogen haben. Deshalb war die Entwicklung anders!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist einfach unverständlich, wenn Sie mit dem Argument kommen, daß diese Rentenanpassung und das Nachholen, das Schließen der Schere zwischen den Bestandsrentnern und den Neurentnern notwendig sei, gerechtfertigt sei, daß aber jetzt nicht der Zeitpunkt gekommen sei, diese Maßnahmen durchzuführen. Wann sollte denn dieser Zeitpunkt gekommen-sein, wenn nicht in einer derartigen wirtschaftlichen Hochkonjunktur und bei einem derartig guten Stand der Vermögenslage der Rentenversicherung? Wir dürfen gerade jetzt erwarten, daß Sie Ihre Erkenntnis wahr machen. Den Herrn Bundesarbeitsminister möchte ich bitten, nicht nur für die Zukunft im Rundfunk eine solche Berechtigung herauszustellen, sondern mit Ihnen zusammen jetzt für die Durchführung der Anpassung und die Schließung dieser Schere einzutreten. Ich will mich jetzt nicht damit beschäftigen, daß wir dazu auf Grund des Produktionszuwachses durchaus die Möglichkeit haben. Ich will auch nicht aufzeigen — das ist ja bereits geschehen —, daß das Einkommen der Rentner prozentual weit hinter dem der Erwerbstätigen zurückgeblieben ist.
Herr Kollege Ruf, Sie bestreiten die Rentenschichtung, und Sie argumentieren damit, daß Herr Beermann aus der Statistik des Verbandes der Rentenversicherungsträger nur die für seine Darstellung zweckmäßigen Zahlen abgeleitet habe. Sie haben dann versucht, ein anderes Bild zu vermitteln, und das war mit den Argumenten, die Sie vorgebracht haben, wenig überzeugend. Dieses Bild entspricht auch nicht den tatsächlichen Verhältnissen und der tatsächlichen Entwicklung.
Ich darf Sie bitten, noch einmal an die Tage des Wahlkampfes zurückzudenken. Dort haben Sie ein Inserat verbreitet, in dem zu lesen war: Durch die Rentenreform wurde die durchschnittliche Invaliditätsrente von 141,10 DM auf 352,80 DM angehoben. Wenn das keine Manipulierung einer Statistik ist, dann gibt es überhaupt keine mehr.
Zum Beweis meiner Behauptung will ich Ihnen den Rentenzugang bei der Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg vortragen. Bei den Menschen in Baden-Württemberg handelt es sich im allgemeinen nicht um diejenigen, die geringe Verdienste haben und die man deshalb für diese Betrachtung nicht heranziehen könnte. Gerade die Rente, von der Sie behaupten, sie sei auf 352 DM
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1961 161
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angestiegen, nämlich die Erwerbsunfähigkeitsrente
mit Kinderzuschuß — und zwar die Zugangsrente
—, lieber Herr Kollege Ruf, beträgt dort 141,80 DM,
und die Erwerbsunfähigkeitsrente ohne Kinderzuschuß 131,20 DM. Hier 'handelt es sich um Menschen, die voll im Arbeitsprozeß gestanden haben, und nicht um solche, die nur die sogenannte Bagatelirente erhalten. Aber auch beim Altersruhegeld — damit die Dinge nicht falsch gesehen werden und damit niemand sagen kann, bei den anderen seien allzu viele, die mit 30 Jahren erwerbsunfähig geworden sind, enthalten — ergibt sich das gleiche Bild. Das Altersruhegeld mit Kinderzuschuß beträgt bei allen durch die Landesversicherungsanstalt Württemberg im Juli 1961 bewilligten Renten 176,50 DM im Durchschnitt.
Das Altersruhegeld ohne Kinderzuschuß beträgt 175 DM. Wenn Sie ganz neue Renten nehmen wollen, dann dürfen Sie nur die vorgezogene Rente nehmen; sie wird dann etwas höher. Das sind also die wirklichen Erkenntnisse, lieber Herr Kollege Ruf,
und hier handelt es sich nicht um eine Manipulierung der Statistiken.
Ich habe den Verdacht, daß Sie die Dinge zweckmäßig manipuliert haben und den Eindruck erwecken wollen, als sei alles in bester Ordnung und als sei gar keine Veranlassung vorhanden, sich irgendwelche Sorgen zu machen.
Von den Rentenschichtungen wurde dann im einzelnen gesprochen. Nun kann man durchaus der Auffassung sein — ich bin Ihnen deswegen gar nicht böse —, daß die Dinge geprüft werden müssen. Eine solche Prüfung könnte vielleicht ergeben, daß eine solche Möglichkeit nicht besteht. Wir sind zu anderen Schlußfolgerungen gekommen. Aber was soll denn dann das Verhalten Ihres Arbeitnehmerflügels und das Verhalten der Kolleginnen und Kollegen dieses 'Hauses, die draußen in der Öffentlichkeit immer und immer wieder betonen: Es muß ein Weihnachtsgeld geben, man muß für die Rentner etwas tun? Hier sagen sie dagegen: Nein, wir haben uns die Dinge überlegt, wir werden das in der Zukunft, später, machen.
Herr Kollege Professor Schellenberg hat darauf hingewiesen, daß eine große Zeitung geschrieben habe: Hut ab vor dem christlichen Arbeitnehmerflügel, er fordert Weihnachtsgeld! Wissen Sie, was mein Kollege Rohde dazu sagt? Er fragt ganz schlicht und einfach: Was machen jetzt die Journalisten und Redakteure, setzen sie einfach den Hut wieder auf, oder was machen sie jetzt mit diesen Beschlüssen?
Meine Damen und Herren, es ist doch geradezu verantwortungslos, nicht von der Opposition, daß sie ihren Vorstellungen auch jetzt, vor Weihnachten, zum Erfolg verhelfen will, sondern es ist verantwortungslos von jenen Gruppen und Kräften, die in der Öffentlichkeit so tun, als ob sie irgend etwas neu und besser gestalten wollten, daß sie im Plenum ganz schlicht und einfach sagen: Wir wären wohl dafür gewesen, aber die finanziellen Grundlagen reichten nicht aus. Solche Dinge hat man vorher zu überlegen. Sie dürfen nicht, wie Sie es bei Wahlkämpfen oft getan haben, draußen etwas ganz anderes vertreten als das, was Sie in Wirklichkeit beschließen. Nicht das, was Sie in der Presse veröffentlichen, ist für die Menschen das Kriterium; das Kriterium ist vielmehr, wie Sie sich politisch entscheiden und abstimmen. Darauf sollten Sie achten.
Wir haben heute die Möglichkeit, die vorgeschlagenen Leistungen zu erbringen. Wir haben sie von der wirtschaftlichen Seite her, wir haben sie auch von der finanziellen Lage der Rentenversicherungsanstalten her. Hier hätten die Kollegen der CDU/ CSU-Opposition, des Arbeitnehmerflügels, ruhig etwas standhafter sein können und hätten nicht allzusehr das „Koalitionspapier" und vielleicht sogar die dazu gefaßten Beschlüsse des Koalitionsausschusses berücksichtigen dürfen. Es mutet außerordentlich seltsam an, wenn Herr von Brentano, Ihr Fraktionsvorsitzender, sagt: „Gerade die Fraktion der CDU/CSU hat in den vergangenen zwölf Jahren immer wieder gezeigt, daß sie die Unabhängigkeit der Entscheidung ihrer Mitglieder respektiert". Dafür haben Sie noch Beifall gespendet. Er fuhr dann fort: „Wir, meine Damen und Herren, kennen keinen Fraktionszwang." Damit meinte er die CDU.
Aber Sie kennen eine so starke Beeinflussung des einzelnen — ich muß das feststellen, weil er später etwas anderes sagte —, daß er überhaupt keinen Mut mehr hat, das, was er in der Presse vertreten hat, auch hier zu vertreten und dafür zu stimmen. Heißen Sie das, wie Sie wollen! Jedenfalls ist das eine Tatsache.
Ich bin der Auffassung, daß wir nicht nur wirtschaftlich in der Lage sind — das ist mit Zahlen, auch im Sozialbericht, genügend untermauert worden —, sondern daß uns auch die finanzielle Kraft der Rentenversicherung durchaus die Möglichkeit bietet, diese Nachholung vorzunehmen, damit man in der künftigen Zeit von einer gemeinsamen Basis ausgehen kann.
Es besteht aber nicht nur die wirtschaftliche und finanzielle Möglichkeit, wir haben vielmehr auch eine moralische Verpflichtung, dem Personenkreis, der im allgemeinen, wie die beiden erwähnten Statistiken ausweisen, nicht zu den Beziehern hoher Einkommen gehört, sondern zu denen, die ein geringes Einkommen haben, zu Weihnachten, wo alle Festbesoldeten mehr erhalten, auch etwas zu geben.
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Herr Kollege Dr. Vogel hat zwar davon gesprochen, daß der Haushaltsausschuß nur Kenntnis und nicht zustimmend Kenntnis von den Beschlüssen der Bundesregierung genommen hat. Den Rentnern würde es genügt haben, wenn die Regierung einen solchen Beschluß gefaßt hätte und wenn Sie ihn zur Kenntnis genommen hätten, ohne zuzustimmen. Dann wäre in der Tat wenigstens etwas geholfen worden, und es wäre nicht nur in Zeitungsartikeln eine „moralische Aufrüstung" betrieben worden.
Herr Kollege Ruf hat noch einige andere Punkte aufgegriffen. Es ist außerordentlich bedauerlich, daß der Notstand — Herr Kollege Dr. Vogel hat das vorhin ebenso getan wie Sie, Herr Ruf —, der außenpolitische Notstand, die Krise um Berlin und alle möglichen anderen Entwicklungen immer als Begründung dafür herhalten müssen, daß ausgerechnet die Rentner Opfer zu bringen haben.
— Das war die Begründung. Sie haben doch, Herr Kollege Dr. Vogel, von der Rüstungslast gesprochen, und Sie haben von der Verantwortung gesprochen und gesagt, aus dieser Verantwortung heraus könnten Sie den Rentnern diese Nachholung und Erhöhung nicht gewähren.
Sie haben auch deutlich gemacht, Herr Kollege Dr. Vogel, daß Sie in der Sache etwas anderes wollen; es war nicht nur eine Frage der Geschäftsordnung. Sie haben zwar formell nur zur Geschäftsordnung gesprochen, zu der Frage, ob man diesen Antrag auf die Tagesordnung setzen könne. Sie haben aber auch zur Sache etwas gesagt, nämlich daß Ihre Verantwortung und die Rüstungsbelastung es nicht zuließen, den von uns beantragten Rentenerhöhungen für Kriegsopfer und Kriegsschadenrentenempfänger zuzustimmen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin überzeugt, daß wir Opfer zu bringen haben. Ich glaube aber, daß die Rentner die am wenigsten geeignete Gruppe sind, bei denen man mit diesem Opfer beginnen sollte.
— Ich könnte Sie ganz schlicht und einfach an Ihre Steuergesetzgebung erinnern. Es wäre gut, wenn wir das Wort „Opfer" etwas weniger gebrauchten und statt dessen das Wort „Gerechtigkeit" etwas unterstrichen und größer schrieben. Auch das sollten wir in diesem Zusammenhang sehen.
Wir vermissen eine sinnvolle Gesetzgebungsarbeit und sehen es auch nicht als Beweis von Verantwortungsbewußtsein an, wenn Sie im Zusammenhang mit Rentenerhöhungen und der Nachholung der Anpassung immer wieder von Inflationsgefahr, von der Gefahr der Geldentwertung reden. Selbstverständlich ist die Gefahr einer Inflation ein wichtiges Problem, das uns allen Sorgen machen muß. Aber warum machen Sie denn gerade die Rentner für eine solche mögliche Entwicklung verantwortlich?!
— Aber, Herr Kollege Dr. Vogel, die meisten von uns haben wachen Verstandes zwei Inflationen, zwei Geldentwertungen erlebt. Wer will denn behaupten, daß Lohn- oder gar Rentenerhöhungen Ursache für eine Inflation sein könnten?! Wer will das angesichts der Gesamtproduktion behaupten?!
— Natürlich, das kommt doch immer wieder zum Ausdruck. Der Herr Kollege Ruf hat das extra unterstrichen.
— Herr Kollege Schütz, ich bin Ihnen für diesen Einwurf sehr dankbar. Das ist nämlich gerade Ihre bisherige Praxis: Sie dachten immer: Laßt die anderen nur reden, zum Schluß stimmen wir ab. Wenn Ihr Arbeitnehmerflügel mehr zu seinen bisherigen Forderungen steht, hoffe ich, daß künftig andere Entscheidungen fallen werden. Heute hat er seine Lehrprobe nicht bestanden, sondern sich dem Fraktionszwang unterworfen.