Rede von
Thomas
Ruf
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Nein, ich gestatte im Augenblick keine Zwischenfrage. Nachher bin ich gerne bereit zu diskutieren. — Die Gruppe, die Sie erwähnt haben, die angeblich Renten nur bis zu 50 DM bezieht, umfaßt bei den Männern 13 400 Fälle, bei den Frauen rund 38 000 Fälle. Schon aus diesem Unterschied ersehen Sie, daß bei den Frauen alle diejenigen dabei sind, die gar nicht in die Versicherung hineingehören, ,die nur kurze Zeit Arbeitnehmer waren, die nur kurzfristig rentenversicherungspflichtig waen und dann von der Versicherung nichts mehr wissen wollten. Diese vielen Renten — und das ist die Masse der Hausfrauenrenten — drücken den Durchschnitt so erheblich. Das muß man doch wissen, das muß man sehen. Ich könnte ein langes Kolleg über Rentenstatistik und -bilanzen halten, aber ich will es nicht tun. Daß es so ist, wissen Sie im Grunde genauso gut wie wir.
Sie heben auf die niedrigen Frauenrenten ab. Dabei ist es sehr interessant, in dieser Statistik
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Ruf
festzustellen, daß die durchschnittlichen Nettobeträge bei Berufsunfähigkeitsrenten — auf Seite 91 der Statistik — bei den Männern im Zugangsalter von 60 bis 64 Jahren eine durchschnittliche Versicherungszeit von 32,6 Jahren haben, daß bei den Frauen aber — in der gleichen Altersstufe 60 bis 64 Jahre — nur eine Versicherungsdauer von 19,3 Jahren ermittelt worden ist. Ähnliche Zahlen können Sie z. B. beim Altersruhegeld lesen: Bei den Männern im Zugang mit 65 Jahren beträgt die durchschnittliche Versicherungsdauer 35,6 Jahre, bei den Frauen aber nur 27,4 Jahre. Das sind nun einmal die unterschiedlichen Verhältnisse. Diese unterschiedlichen Verhältnisse müssen sich zwangsläufig in den Renten und im Rentendurchschnitt niederschlagen.
Wir sollten endlich einmal aufhören, mit diesen Durchschnittsrenten zu arbeiten. Die Durchschnittsrenten sagen überhaupt nichts aus. Das weiß jeder Fachmann, der von den Dingen etwas versteht.
Die Bundesregierung hat im September 195ß — bitte, lesen Sie die Untersuchungen einmal nach! — eine große Enquete über die soziale Lage der Rentner durchgeführt, die sogenannte L-Enquete. Leider ist sie von uns nichtausgewertet worden, sie. ist nicht genügend beachtet worden. Wer hat sie denn schon gelesen? Aber es wäre dringend notwendig, die Enquete von damals heute noch einmal nachzulesen. Obwohl sich die Verhältnisse durch die Rentenreform und andere Gesetze gebessert haben, ist trotzdem manches beim alten geblieben hinsichtlich der Kumulierung und Verflechtung der Sozialleistungen usw. usw.; das sollte man immerhin bedenken.
Herr Beermann vom DGB-Hauptvorstand — er oder der DGB, ich weiß es nicht, wer — hat seinerzeit, als wir die Rentenreform gemacht haben, in der „Welt der Arbeit" unsere Rentenreform des Jahres 1957 als die soziale Großtat des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Jetzt auf einmal, obwohl man in der Zeit seit 1957 mit vier Rentenanpassungen die Renten insgesamt um 22,5 % zusätzlich erhöht hat, soll trotz dieser Erhöhung unsere Rentenversicherung nichts mehr wert sein, soll sie nicht genügend sein.
— Nein, das ist schon sehr wichtig, meine Damen und Herren. Wenn ich diese Kritik an den derzeitigen Leistungen der Rentenversicherung — es ist eine unberechtigte Kritik — zurückweise, muß ich immer daran denken, was einer meiner Lehrer, Professor Zwiedineck-Sudenhorst, bei dem ich das beste Kolleg über Sozialpolitik gehört habe, einmal gesagt hat, daß nämlich alles sozialpolitische Wollen und Wirken einer sinkenden Erfolgsrate unterworfen sei:
Je bedeutsamer die ersten Fortschritte einer Politik sind, um so kleiner erscheinen und um so weniger werden die folgenden Fortschritte in der Fortsetzung einer solchen Politik empfunden.
— Meine Damen und Herren, einer solchen Gesetzmäßigkeit scheinen auch wir hier zu unterliegen. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zu Ende zitieren. Professor Zwiedineck hat im selben Aufsatz gesagt:
Es gehört zur Moira,
— zum Schicksal —
daß die Menschen verschiedenster Völker von massenpsychologisch sehr verschiedener Eigenart, ganz gewiß aber die Menschheit des Abendlandes heute von Unzufriedenheit und Ungenügen durchsetzt ist.
Das gehört offenbar zur Sozialpolitik.
Der erwähnte Verband der Rentenversicherungsträger spricht im Rundschreiben Nr. 50 vom 30. Januar dieses Jahres davon, daß in der Rentenversicherung der Arbeiter — in der Arbeiterrentenversicherung wohlgemerkt, meine Damen und Herren — die typische Versichertenrente in unseren Tagen bei 290 DM liegt, in der Angestelltenversicherung noch wesentlich höher.
Ein weiterer Gedanke! Wir haben bei der Rentenreform — ich habe die Unterlagen noch einmal herausgesucht — gehört, daß zirka 300 000 Rentner vor der Rentenreform die öffentliche Fürsorge in Anspruch genommen haben. Das waren damals 3 %. Heute sind es 2 %. Die Zahl der Renten ist in der Zwischenzeit gestiegen; es sind ungefähr gleichviel, also 300 000 Rentner von 8 Millionen der sozialen Rentenversicherung, die öffentliche Fürsorge in Anspruch nehmen.
Unter diesem Gesichtspunkt muß man das, was die Herren Kollegen Meyer und Killat über die Klein- und Kleinstrenten gesagt haben, doch ganz, ganz anders sehen, meine Damen und Herren. Wenn diese Leute, diese 2 %, von der Rente leben müßten und nicht anderweitige Einkünfte hätten, würden sie die öffentliche Fürsorge in Anspruch nehmen.
Aber sie haben es nicht nötig, die öffentliche Fürsorge in Anspruch zu nehmen, weil sie eben über andere Quellen für die Bestreitung des Lebensunterhalts verfügen.
Das muß man doch wissen.
Es wäre einmal ganz interessant, auch heute wieder festzustellen, wovon die Rentner eigentlich leben. Sie dürfen eben nicht nur die einzelne Rente sehen, sondern Sie müssen einmal bedenken, daß viele dieser Rentner in Haushalten leben, und Sie dürfen nicht das einzelne Einkommen für sich betrachten, sondern Sie müssen die Haushaltseinkommen betrachten.
— Nein, nein, natürlich sollen die Kinder für die Eltern und die Eltern für die Kinder sorgen. Das ist eine natürliche Einrichtung, und so soll es auch in Zukunft bleiben. Sie müssen daran denken, daß viele Leistungen — freiwillige Leistungen der Be-
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triebe, öffentliche Leistungen usw. — nach wie vor
kumuliert werden. Darum kommen Sie nicht herum.
Nun, meine Damen und Herren von der Opposition, Sie wollen, das ergibt sich aus Ziffer 3 Ihres Antrags, die einen Mindestbetrag vorsieht, einen ersten Schritt hin zu einer Mindestrente machen.
— Sie sagen „sehr gut", es wird also hiermit bestätigt, daß ein erster Schritt zu einer Mindestrente getan werden soll. Bei der Rentenreform waren Sie mit uns der Meinung, meine Damen und Herren von der Opposition, daß sich die Rentenhöhe nach den Leistungen richten soll, daß die Rentenhöhe abhängig sein soll von der Zahl und der Höhe der geleisteten Beiträge, also letzten Endes von dem Lohn, den der einzelne während seines Arbeitslebens gehabt hat. Das war also ein rein kausales Denken. Damit waren Sie damals einverstanden, und nun schalten Sie um. Nun denken Sie final und sagen: die Renten sollen eine Mindestgarantie für den Lebensunterhalt geben, und diese Mindestgarantie soll hier allmählich eingebaut werden.
— Nein, es steht im Godesberger Programm: Mindestrente für alle Staatsbürger.
Darüber ist gar kein Zweifel, und ich freue mich, daß Sie das bestätigen. Im Regierungsprogramm der SPD hat Herr Kollege Schellenberg, technisch gar nicht ungeschickt, muß ich sagen,
— ja, sehr geschickt, das muß ich wirklich sagen — gesagt, diese Mindestrente von 225 DM sollen nur diejenigen bekommen, die mindestens 50 Jahre gearbeitet haben, die also diese lange Versicherungsdauer aufzuweisen haben; wer weniger gearbeitet hat, wer weniger lange versichert war, soll entsprechend weniger bekommen. Meine Herren, wenn Sie so in Ihrem Denken umschalten, wenn Sie den Rentnern das geben wollen, was ihnen nach ihrer Bedürftigkeit zusteht, dann läßt sich dieses Denken eben nicht mehr mit dem Prinzip der Beitragsrente vereinbaren, dann müssen Sie die Beträge, die Sie diesen Kleinstrentnern in der Sozialversicherung jetzt gewähren wollen, allen Personen geben, die in derselben Lage sind wie diese Rentner der Sozialversicherung. Darum kommen Sie nicht herum, das ist ein Gebot der Gerechtigkeit. Damit kommen Sie dann zu dem, was Sie wollen, wir aber nicht wollen: zur allgemeinen Staatsbürgergrundrente und zum Versorgungsstaat, den wir nach wie vor ablehnen.