Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, die Anträge der SPD, die soeben Herr Kollege Killat begründet hat, abzulehnen. Ich gebe zu, daß ich in der ersten Lesung dieses Gesetzes angedeutet habe, auch in unseren Reihen, in den Reihen und CDU und der FDP, würden Erwägungen darüber angestellt, ob und in welchem Umfang die im Jahre 1958 nicht vollzogene Anpassung jetzt nachgeholt werden solle. Wir haben unter uns eingehend darüber gesprochen, haben alles gründlich erörtert, sind aber dann, meine Damen und Herren von der Opposition, einmütig zu der Auffassung gelangt, daß diese Frage jetzt nicht entschieden werden kann
— bitte lassen Sie mich ausreden —, daß sie nicht entschieden werden kann, bevor nicht die versicherungstechnische Bilanz, die wir im Januar oder Februar erwarten, vorliegt.
— Da gibt es gar nichts zu lachen; eis liegt in unserer Verantwortung, daß wir so entscheiden.
— Dann werden wir uns entsprechend verantwortungsbewußt verhalten. Warten Sie mal ab, was die versicherungstechnische Bilanz aussagen ward.
Meine Damen und Herren, wir haben uns bei diesen Erwägungen einzig und allein von finanzpolitischen Gesichtspunkten leiten lassen. Wir wissen und wir geben zu, daß die augenblickliche finanzielle Lage der Rentenversicherungen nicht gerade ungünstig ist; aber in der Rentenversicherung darf man nicht kurzfristig, sondern muß man in langen Zeiträumen denken. Da darf man nicht nur an die Gegenwart, an die augenblickliche Kassenfülle denken, sondern da muß man vorausberechnen, vorausbedenken, was in Zukunft an Ausgaben auf uns zukommt. Wir sind nach dem RentenversicherungsNeuregelungsgesetz verpflichtet, langfristig zu bilanzieren. Sie wissen, daß wir verpflichtet sind, mit zehnjährigen Deckungsabschnitten zu arbeiten und danach die Beiträge usw. festzusetzen. Herr Kollege Killat nimmt die Veränderung der Bevölkerungspyramide nicht gerade ernst; er möchte das auf die leichte Schulter nehmen. Meine Damen und Herren, das kann und darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen, das ist ein ernstes Problem. Um diese Frage beurteilen zu können, braucht man nicht Bevölkerungsstatistiker und nicht Versicherungsmathematiker zu sein. Jeder kann sich leicht von den fünf Fingern ablesen, daß gerade von daher in der Zukunft erhebliche Mehrausgaben erwartet werden.
Ich behaupte nicht, meine Damen und Herren von der Opposition, daß Sie sich jetzt auf den Standpunkt stellen, wir hätten im Augenblick genügend Geld, nach uns die Sintflut. Das möchte ich Ihnen keineswegs unterstellen. Ich muß Ihnen aber doch sagen: Wir müssen uns überlegen, ob wir nicht auf Kosten der Zukunft, auf Kosten nachfolgender Generationen leben, wenn wir uns so verhalten, wie Sie eis jetzt vorschlagen. So, wie der Präsident des Bundesverfassungsgerichts es vor kurzem in einem Vortrag in Heidelberg getan hat, müssen wir uns mit allem Ernst die Frage stellen, ob die künftige Generation der heutigen Generation die gleiche Altersversorgung gewähren kann, wie sie die jetzige Generation unseren Alten gewährt.
Das ist ein ernstes Problem, das Sie mit solchen Anträgen nicht aus der Welt schaffen können.
— Sie kommen am Schluß dran, Herr Kollege Schellenberg. Lassen Sie mich jetzt zunächst einmal meine Ausführungen machen. Ich will gerne mit Ihnen diskutieren, das wissen Sie; aber jetzt im Moment möchte ich erst einmal das im Zusammenhang vortragen, was im Zusamenhang zu sagen ist.
Sie wissen ganz genau, genauso wie wir, daß unser heutiges System der öffentlichen Sozialleistungen bei dem enormen Volumen, das wir heute erreicht haben, auf dem Zustand der Vollbeschäftigung basiert; daß es nur durchzuhalten ist, wenn wir auch weiterhin die Vollbeschäftigung haben und wenn wir auch in Zukunft eine wirtschaftliche Wachstumsrate zu verzeichnen haben wie heute. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Was würde passieren, wenn eines schönen Tages — diese Entwicklung hat niemand in der Hand — eine Rezession, eine Stagnation der Konjunkturentwicklung einträte? Das ist durchaus möglich. Als verantwortungsbewußte Politiker haben wir das vorauszubedenken und bei unseren Maßnahmen einzukalkulieren. Daran kommen wir nicht vorbei, und da liegt unsere Sorge im Hinblick auf die Rentner.
Ich habe von vielen, vielen Rentnern, die meine Sprechstunde regelmäßig besuchen, immer wieder hören müssen: Hoffentlich bleibt das, was wir heute bekommen; sorgt dafür, daß wir das, was wir heute haben, auch in Zukunft erhalten werden, sorgt dafür, daß nicht die Renten wieder gekürzt werden müssen!
Und dann, meine Damen und Herren von der Opposition — das muß ich Ihnen nun mit allem Ernst sagen —: Was ist das überhaupt für eine elende Gesetzesmacherei, daß Sie jetzt ausgerechnet wieder vor Weihnachten — wie in früheren Jahren, Sie haben nichts hinzugelernt — ein ganzes Bündel von Volksbeglückungsanträgen dem Hause vorlegen!!
— Bitte, wo sind Anträge von uns? Wir haben uns hier bei der Regierungsvorlage entsprechend dem Gesetz verhalten. Von uns liegt kein einziger Antrag auf dem Tisch des Hauses. — Sie beantragen
Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1961 157
Ruf
gleichzeitig Steuersenkungen, eine Neuregelung der steuerlichen Behandlung der Weihnachtsgratifikationen, und für die Kriegsopfer, den Lastenausgleich usw. wollen Sie Zusätzliches tun. Sie beantragen das, ohne das alles in dem Zusammenhang zu sehen, in den es hineingehört. So kann und darf man einfach nicht handeln!
Sie stellen diese Anträge heute, kurz vor Weihnachten, ohne zu wissen, was alles auf den Bundeshaushalt zukommen wird. Sie müssen doch, wenn Sie mit uns die Verantwortung tragen wollen — und dazu haben Sie sich bereit erklärt — zunächst einmal den Bundeshaushalt abwarten! Sie wissen genauso gut wie wir, daß auf dem Gebiet der Verteidigung zusätzliche Lasten kommen, Sie wissen, daß auf dem Gebiet des Grünen Plans zusätzliche Anforderungen gestellt werden.
— Natürlich, das sind wir der Landwirtschaft schuldig, und Sie werden mit uns stimmen, wenn die Vorlage kommt.
— Wo bleiben die Rentner? Dazu spreche ich nachher! — Sie wissen, daß wir auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe noch mehr tun müssen, und Sie sagen selber, daß das Problem Sozialpolitik sich immer mehr zu einem Menschheitsproblem ausweitet, daß wir nicht nur an die Menschen hier bei uns denken dürfen, sondern daß wir als Sozialpolitiker uns für alle die mitverantwortlich fühlen müssen, die in den Entwicklungsländern, irgendwo in der Welt an Hunger sterben.
Sie sprechen von den vernachlässigten Gemeinschaftsaufgaben. Sie sind der Ansicht, daß man auf diesem und jenem Gebiet sich noch mehr anstrengen müsse, zusätzliche Aufwendungen machen müsse. Nun gut! Aber wenn man das will, dann muß man doch die Dinge einigermaßen koordinieren, muß man die Interdependenz sehen und darf nicht, wie man es in der Vergangenheit getan hat, einfach so darauflos-wurschteln. Sie haben es offenbar immer wieder im Sinne, nur punktuell zu verfahren. Sie müssen endlich einmal diesem Hause eine einheitliche Konzeption dessen vorlegen, was Sie in dieser Legislaturperiode vorhaben.
Es ist uns aufgefallen, daß der Herr Kollege Brandt bei der Debatte zur Regierungserklärung ganz bewußt jene Seiten überschlagen hat, die die Volksbeglückungsvorschläge betrafen, weil er gemerkt hatte, daß das im jetzigen Augenblick, angesichts der Berlindrohung, angesichts der außenpolitischen Situation einfach nicht mehr ankommt und von der Bevölkerung nicht abgenommen wird.
— Ich habe Herrn Erler gehört. Darauf kann ich auch eingehen, nur keine Angst, Herr Kollege Schellenberg!
— Wir haben keine Angst. Wir arbeiten mit Argumenten; das werden Sie gleich merken.
Nun hat der Herr Kollege Killat zur Begründung des Antrages, insbesondere zur Begründung der Sonderzahlung für die Kleinstrentner eine Rentenschichtungstabelle aus der Rentenzugangsstatistik des Verbandes der Rentenversicherungsträger vorgetragen. Die Mitglieder des Sozialpolitischen Ausschusses und wohl auch die anderen Mitglieder des Hohen Hauses haben vom Deutschen Gewerkschaftsbund einen Sonderdruck der Zeitschrift „Soziale Sicherheit" erhalten, in dem diese Zahlen enthalten sind. Es handelt sich um einen Aufsatz von Herrn Hermann Beermann, Düsseldorf. Nun, Herr Beermann ist sicher ein kluger Mann, sonst wäre er nicht im DGB-Hauptvorstand.
— Klatschen Sie nicht zu früh! Er schlägt in Ihre Verwandtschaft insofern, als er es ausgezeichnet versteht, die Statistiken des Verbandes der Rentenversicherungsträger demagogisch auszuwerten.
Das ist nicht klug, es ist kurzsichtig von ihm, denn man kommt ja darauf; er darf die Leute doch nicht für dumm halten.
In den Rentenschichtungstabellen — Sie können es nachlesen, ich habe sie mir in der Bibliothek geholt — heißt es da, wo von den Renten die Rede ist: Versichertenrenten für Männer und Versichertenrenten für Frauen. In diesen Versichertenrenten sind aber nicht nur die normalen Renten enthalten, also die Altersruhegelder von 65jährigen, sondern darin stecken auch die Berufsunfähigkeitsrenten, die Erwerbsunfähigkeitsrenten — die Renten derer, die frühzeitig erwerbsunfähig geworden sind —, die vorgezogenen Altersrenten für 60jährige usw. Alle diese Renten sind also darin, es sind also nicht die typischen Renten.
Sehr interessant ist auch folgendes. Sie haben gerade die Schichtung der Renten mit einem Rentennettobetrag bis zu 60 DM hervorgehoben.