Rede von
Dr.
Marie-Elisabeth
Lüders
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nie in meinem parlamentarischen Leben habe ich mich so belobt und geehrt gefühlt wie heute durch die Ausführungen des Herrn Ministers. Er hat uns, die wir damals dieses Gesetz geschaffen haben — meine Mitarbeiterin Frau Helene Weber sitzt vor mir —, so belobt, ,daß man sich beinahe fragen könnte: Warum brauchen wir eigentlich, Herr Minister, wenn das Gesetz so wunderbar ist, wie Sie ,das doch immer wieder betont haben und wie Sie es auch in Ihren schriftlichen Ausführungen immer wieder betont haben, diese Novelle? Aber es sind in dem alten Gesetz, das gebe ich Ihnen zu, einige Punkte, die bei der Entwicklung heute geändert bzw. ergänzt werden müssen.
Man hat beanstandet, daß Ihre Vorlage erst jetzt kommt. Ich finde es ja auch ein bißchen sonderbar, Herr Minister: drei Jahre, sagten Sie, haben Sie an der Novelle gearbeitet, und dann kommt nur das heraus. Der Reichstag hat keine drei Jahre gebraucht, um das ganze riesige Gesetz so gut zu 1 schaffen, wie es heute in seinen allermeisten Teilen noch vor uns liegt. Dieses Zeitverhältnis kommt mir für den Gegenstand ein bißchen unpassend vor. Aber das ist ja nun vorbei.
Vielleicht aber darf ich nun als eine der wenigen alten petrefakten Salzsäulen, die aus jener Zeit noch am Leben sind, einiges zu der ganzen Sache bemerken. Herr Minister, Sie können aus jedem Wort des damaligen Gesetzes, aus der Begründung, aus den Reden ,der Abgeordneten aller Parteien und nicht zuletzt gerade aus den ausgezeichneten Ausführungen von Vertretern des Zentrums, wie Frau Neuhaus, immer wieder herauslesen, daß alles einzig ,und allein von ,dem „Geist tätiger Menschen, liebe" regiert werden sollte, daß allen der weiteste
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 135. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1960 7741
Frau Dr. Dr. h. c. Lüders
Spielraum zur Mitarbeit unid, Herr Minister, zur Zusammenarbeit gegeben werden sollte. Die Voraussetzung allerdings für alle Beteiligten war die Forderung, daß sie die ihnen in dem Gesetz zugewiesenen Pflichten auch wirklich durchführen können.
Nun lassen Sie mich ein Wort zu dem viel umstrittenen Begriff der „Subsidiarität" sagen. — Es wäre ganz gut, wenn sich einmal einer fände, der das richtig ins Deutsche übersetzte; denn Fremdworte scheinen auch heute noch bei manchen Leuten Glücksache zu sein. — Ich darf jedenfalls zu dieser Frage der Subsidiarität das zitieren — wenn Sie gestatten, Herr Präsident —, was ich seinerzeit in meiner Rede im Reichstag, und zwar mit Zustimmung aller Fraktionen, aller Abgeordneten gesagt habe. Herr Minister, ich habe damals folgendes erklärt:
Als Sünde gegen den Geist dieses Gesetzes ist auch der leiseste Versuch anzusehen, Mitarbeit und Mitverantwortung nach sozialer oder konfessioneller Richtung zu mißbrauchen.
Ich wiederhole und betone heute, daß es für uns damals nicht um die Frage der Subsidiarität ging in der Weise, wie sie heute ausgelegt wird, sondern daß es uns in dem Gesetz um die „Gleichrangigkeit" aller an der Jugendfürsorge und an dem Jugendwohl interessierten Kreise gegangen ist. Ich darf deshalb weiter zitieren:
Niemand darf unter dem Vorwand, der Jugend
dienen und helfen zu wollen, irgendwelche andersgearteten Geschäfte zu betreiben versuchen.
Der Vorwand hierfür
— habe ich damals gesagt, und das stimmt leider auch heute noch —
ist nur zu leicht gefunden. Leben, Gesundheit und Sittlichkeit der Jugend sind kein Tummelplatz für die Kämpfe zwischen den Zeloten in den Parteien und anderen Organen. Dasselbe gilt für manche Kreise, die
— übrigens damals und auch heute vielleicht —
bisher der gesamten freien Wohlfahrtspflege sehr skeptisch gegenüberstanden. Unter diesen finden sich viele, für die die Zugehörigkeit zu einer Partei auch heute noch wichtiger ist als wirkliche Kenntnisse.
Aber damals wie heute richtet sich diese Neigung nicht einzig und allein gegen oder auf bestimmte Parteien, sondern genausogut auch auf Organisationen konfessioneller Richtung. Der oberste und gesundeste Grundsatz des alten Gesetzes ist die gleichberechtigte Mitarbeit und Zusammenarbeit aller, die um das Wohl der Jugend besorgt sind. Ich glaube, das kann man heute genauso unterschreiben, wie diesem Satz damals der gesamte Reichstag zugestimmt hat. Das alles haben wir damals mit großen Schwierigkeiten, mit sehr fleißiger, emsiger Arbeit in einem Gesetz zusammengefaßt, und zwar unter Abschaffung aller armen- und polizeirechtlichen Maßnahmen sowie unter Eliminierung alles dessen, was in den Grundsätzen und gesellschaftlich unzweckmäßigen Bestimmungen
mancher Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches enthalten war.
Die Gemeinsamkeit und die Zusammenarbeit aller, also der öffentlichen Organe und der freien Wohlfahrtspflege, kam in dem damaligen Gesetz auch deutlich in der Bildung der sogenannten Sachverständigenkommission zum Ausdruck, an der alle beteiligt waren, ohne Rücksicht auf rechts und links, auf Partei oder Konfession.
Ein weiterer Beweis für diesen Willen und für die Möglichkeiten der Zusammenarbeit und der gegenseitigen Arbeitshilfe ist z. B. die damalige Einführung der Schutzaufsicht und die Aufrechterhaltung der Einzelvormundschaft, gerade weil wir wußten und hofften, daß die freien Organe in dieser Hinsicht Wesentliches würden leisten können.
Es hat sich um die Einzelvormundschaft neben der Amtsvormundschaft gehandelt, weil wir gerade die Vormundschaft in diesem Fall nicht vollkommen bürokratisieren wollten. Aber niemand, Herr Minister, hatte den Gedanken oder die Absicht, jemandem die Möglichkeit dazu zu geben, daß die amtlichen Instanzen die freie Wohlfahrtspflege oder umgekehrt diese die amtlichen Instanzen an die Wand drückten. Das eine ist so falsch wie das andere, es schädigt den ganzen Sinn des Gesetzes.
und schädigt die Absicht — wie ich glaube — von uns allen.
Wir sollten keine Möglichkeiten haben — oder uns selber geben —, die Sorge um die Wohlfahrt der Jugend unter dem Gesichtspunkt einer Art Boxkampf zu betreiben: wer boxt und knockt out diesen oder jenen? Wir gehören in dieser Frage meines Erachtens alle zusammen. Beide Organe, beide Teile, die diese Aufgaben für Jugendpflege und Jugendhilfe übernehmen, sind absolut unentbehrlich, sowohl die öffentliche Instanz wie die freie Wohlfahrtspflege.
Ich habe selber als freie Wohlfahrtspflegerin angefangen. Man wird nicht vermuten, daß ich meine Arbeit nachher diskreditieren wolle. Aber es gehört die offene und ehrliche Konkurrenz beider Organe dazu, und zwar, Herr Minister, unter gleicher finanzieller Förderung aus den Taschen aller Steuerzahler. Wir haben schon damals bei Schaffung des Gesetzes nicht zu Unrecht manchmal das Gefühl gehabt — aus den Jahren vorher —, daß hier eine Ungleichmäßigkeit vorliegt.
Ich will damit meine Ausführungen zur Sache schließen und heute nicht mehr besondere Dinge herausgreifen. Aber an eines darf ich Sie noch erinnern — wenn Sie nicht allzu lange Zeit dafür brauchen, denn es würde ein ganzes Gesetz sein —: bitte, erklären Sie sich doch einmal eines Tages dazu, weshalb Sie an der immer wiederholten Forderung vorbeigehen, die damals im Reichstag, und zwar in erster Linie auch von der Zentrumspartei, die ja Ihnen heute indirekt nahesteht, erhoben wurde, der Forderung nach einem Bewahrungsgesetz. Sehr vieles, was nachher durch Jugend-
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hilfe, Jugendfürsorge, Wohlfahrtspflege — wie heißt das neue Gesetz; ich kapiere die neuen Namen gar nicht mehr — —
— Ach ja, weshalb man nicht einfach Fürsorgegesetz sagt, weiß ich nicht.
— Das ist ja furchtbar!
— Ich finde, man soll nicht Gesetze danach machen, was dieser oder jener Sprachgewandte und Sprachlustige an neuen Ausdrücken findet, sondern man soll Gesetze dazu machen, daß sie wirklich gebraucht werden und nachher durchführbar sind, zu weiter gar nichts.
Herr Minister — entschuldigen Sie das harte Wort —, drücken Sie sich doch nicht länger an der Frage des Bewahrungsgesetzes vorbei!