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ID0312818000

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 128. Sitzung Bonn, den 21. Oktober 1960 Inhalt: Begrüßung von Abgeordneten aus den Parlamenten von Nigeria und Kenia . . . 7397 A Fragestunde (Drucksachen 2131 [neu], zu 2131 [neu]) Frage des Abg. Junghans: Rechtsverordnung betr. Sonntagsarbeit in der Eisen- und Stahlindustrie Blank, Bundesminister 7379 C Frage des Abg. Dürr: Wörterbücher für Sprachen der Entwicklungsländer Dr. van Scherpenberg, Staatssekretär 7379 D Frage des Abg. Dr. Kohut: Beteiligung des Bundesjustizministers an der „Deutschland-Fernseh-GmbH" Dr. Schröder, Bundesminister . . 7380 B, C, 7381 A, B, C Dr. Kohut (FDP) . . . . . . . . 7380 C Wittrock (SPD) 7380 C, D Jahn (Marburg) (SPD) 7381 A Erler (SPD) 7381 B Frage des Abg. Kurlbaum: Besprechung des Bundeskanzlers mit der Industrie, Frage der Umsatzausgleichsteuer Dr. Schröder, Bundesminister . . 7381 C, D, 7382 A Kurlbaum (SPD) . . . . . . . . 7381 C Dr. Mommer (SPD) . . . 7381 D, 7382 A Frage des Abg. Dr. Deist: Besprechung des Bundeskanzlers mit der Industrie in Abwesenheit des Bundeswirtschaftsministers Dr. Schröder, Bundesminister 3382 A, B, C, D, 7383 B Dr. Deist (SPD) . . . . . . . 7382 B, C Dr. Arndt (SPD) . . . . 7382 D, 7383 A Frage des Abg. Rehs: Auszählungen aus der statistischen Erfassung der Vertriebenenausweisanträge Dr. Schröder, Bundesminister . 7383 B, C Rehs (SPD) . . . . . . . . . 7383 C, D Frage des Abg. Hamacher: Auswertung der Ergebnisse in dem Ermittlungsverfahren gegen Eichmann Schäffer, Bundesminister . . . . 7384 A, C Hamacher (SPD) . . . . . . . . 7384 C II Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Oktober 1960 Frage des Abg. Windelen: Patentschutz für Erfindungen aus der Bundesrepublik in den Ostblockländern Schäffer, Bundesminister . . . . . 7384 C Frage des Abg. Windelen: Patentschutz für Anmeldungen aus den Ostblockländern Schäffer, Bundesminister . . . . . 7384 D Frage des Abg. Eschmann: Auflösung des Verwaltungsstabes für die deutschen Dienstgruppen bei der US-Luftwaffe Dr. Hettlage, Staatssekretär . . 7385 A, B Eschmann (SPD) 7385 A Frage des Abg. Dröscher: Flugplatz bei Bad Kreuznach Dr. Hettlage, Staatssekretär 7385 B, C, D Dröscher (SPD) 7385 C, D Frage des Abg. Dr. Schmidt (Gellersen) : Wertfortschreibungsgrenze im Bewertungsrecht Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . 7386 A Frage des Abg. Ritzel: Ausprägung von Goldmünzen Dr. Hettlage, Staatssekretär 7386 B, C, D Ritzel (SPD) . . . . . . . 7386 C, D Dr. Fritz (Ludwigshafen) (CDU/CSU) 7386 D Frage des Abg. Keller: Finanzierungshilfe für den Bau des Düsenverkehrsflugzeuges HBF 314 Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 7387 A Keller (FDP) 7387 A Frage des Abg. Murr: Preisunterschiede bei Dieselkraftstoffen Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 7387 B, C Murr (FDP) . . . . . . . . . 7387 C Frage des Abg. Murr: Preisunterschiede bei Düngemitteln Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 7387 C, 7388 A Murr (FDP) 7388 A Frage des Abg. Dr. Mommer: Ausführungen des Bundesernährungsministers über die Agrarpolitik Dr. Sonnemann, Staatssekretär 7388 A, B, C, 7389 A, C Dr. Mommer (SPD) 7388 B Frau Strobel (SPD) 7388 C Kriedemann (SPD) . . . 7388 D, 7389 B Frage des Abg. Murr: Standort der Bundesanstalt für Fleischforschung Dr. Sonnemann, Staatssekretär . . 7389 D, 7390 B, C, D, 7391 A, B Murr (FDP) 7390 B, D Herold (SPD) 7390 C Mattick (SPD) . . . . . . . . 7391 A, C Antrag betr. Schäden im deutschen Tabakbau infolge Auftretens der Blauschimmelkrankheit (Drucksache 2072 [neu]) Leonhard (CDU/CSU) 7391 C Dr. Rutschke (FDP) . . . 7392 A, 7396 C Dr. Sonnemann, Staatssekretär . . 7396 A Dr. Bucher (FDP) . . . 7396 B, 7399 B Rimmelspacher (SPD) 7398 B Leicht (CDU/CSU) . . . 7398 C, 7399 D Mündlicher Bericht des Ausschusses für Petitionen über seine Tätigkeit gemäß § 113 Abs. 1 GO in Verbindung mit Beratung der Sammelübersicht 23 (Drucksache 2062) und in Verbindung mit Beratung der Sammelübersicht 24 des Ausschusses für Petitionen (Drucksache 2125) Spies (Emmenhausen) (CDU/CSU) 7400 A, 7403 D Memmel (CDU/CSU) 7403 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes (Drucksache 2037) - Erste Beratung — Schäffer, Bundesminister 7404 A Dr. Kanka (CDU/CSU) 7409 A Jahn (Marburg) (SPD) 7412 A Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) . 7414 C Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Oktober 1960 III Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 14. Dezember 1957 über Rüstungskontrollmaßnahmen der Westeuropäischen Union (Drucksache 2071) — Erste Beratung — . . . . . . . . . 7418 C Entwurf eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 29. April 1957 zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten (Drucksache 2081) — Erste Beratung • — 7418 C Entwurf eines Gesetzes zum Schutze der Berufsbezeichnung „Ingenieur" (Drucksache 2067) — Erste Beratung — . . . 7418 D Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes (Drucksache 2097 [neu]) — Erste Beratung — . . . . . 7418 D Antrag betr. Veräußerung des bundeseigenen Grundstücks in Köln, Sachsenring 69, an die Firma Farbwerke Hoechst AG in Frankfurt (Main)-Hoechst (Drucksache 2064) 7418D Mündlicher Bericht des Haushaltsausschusses über den Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes betr. Rechnung und Vermögensrechnung des Bundesrechnungshofes für das Rechnungsjahr 1957 — Einzelplan 20 — (Drucksache 1381, 2073) 7419 A Mündlicher Bericht des Haushaltsausschusses über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1960 (Drucksache 2076, Umdruck 551 [neu]) 7419 A Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. Juli 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Afghanistan über den Luftverkehr (Drucksache 1830) ; Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen (Drucksache 2083) — Zweite und dritte Beratung — 7419 B Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 4. September 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada über den Luftverkehr (Drucksache 1832); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen (Drucksache 2084) — Zweite und dritte Beratung — 7419 C Antrag betr. Ernteschäden 1960 (CDU/CSU) (Drucksache 2095) 7419 D Nächste Sitzung 7419 D Anlagen 7421 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Oktober 1960 7379 128. Sitzung Bonn, den 21. Oktober 1960 Stenographischer Bericht Beginn: 9.03 Uhr.
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Dr. Achenbach 21. 10. Altmaier 23. 10. Dr. Atzenroth 21. 10. Bach 21. 10. Bauer (Wasserburg) 29. 10. Frau Berger-Heise 21. 10. Fürst von Bismarck 21. 10. Dr. Böhm 22. 10. Börner 21. 10. Frau Brauksiepe 21. 10. Dr. Brecht 21. 10. Dr. Burgbacher 21. 10. Demmelmeier 21. 10. Dr. Dollinger 21. 10. Dowidat 21. 10. Eberhard 21. 10. Eilers (Oldenburg) 21. 10. Engelbrecht-Greve 21. 10. Dr. Friedensburg 21. 10. Funk 21. 10. Dr. Furler 21. 10. Dr. Gleissner 21. 10. Dr. Götz 21. 10. Dr. Greve 21. 10. Freiherr zu Guttenberg 21. 10. Dr. Fleck (Rottweil) 21. 10. Frau Herklotz 21. 10. Höhmann 21. 10. Illerhaus 21. 10. Jacobi 22. 10. Dr. Jordan 21. 10. Jürgensen 31. 10. Frau Keilhack 21. 10. Kemmer 21. 10. Dr. Kempfler 21. 10. Kinat (Spork) 21. 10. Koenen (Lippstadt) 23. 10. Frau Korspeter 21. 10. Kramel 21. 10. Krammig 31. 10. Freiherr von Kühlmann-Stumm 21. 10. Lantermann 21. 10. Dr. Löhr 21. 10. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 21. 10. Maier (Freiburg) 31. 10. Margulies 21. 10. Dr. Martin 21. 10. Mengelkamp 21. 10. Mensing 21. 10. Dr. Menzel 22. 10. Mischnick 21. 10. Müller (Worms) 21. 10. Neuburger 21. 10. Dr. Pflaumbaum 21. 10. Pohle 31. 10. Frau Dr. Rehling 22. 10. Dr. Reinhard 21. 10. Dr. Reith 21. 10. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Reitz 21. 10. Sander 21. 10. Scheel 21. 10. Schlick 21. 10. Schneider (Hamburg) 21. 10. Dr. Schneider (Saarbrücken) 21. 10. Schultz 21. 10. Dr. Schwörer 21. 10. Seuffert 21. 10. Stahl 21. 10. Stenger 15. 11. Storch 21. 10. Sträter 22. 10. Struve 21. 10. Wacher 21. 10. Wagner 21. 10. Walter 21. 10. Weimer 21. 10. Weinkamm 21. 10. Dr. Winter 21. 10. Wittmer-Eigenbrodt 22. 10. b) Urlaubsanträge Frau Kettig 11. 11. Kraus 31. 10. Dr. Kreyssig 28. 10. Lermer 7. 11. Frau Schmitt (Fulda) 28. 10. Schütz (Berlin) 8. 11. Dr. Vogel 30. 10. Werner 28. 10. Anlage 2 Umdruck 697*) Änderungsantrag der Fraktion der FDP zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Leicht, Leonhard, Baier (Mosbach), Neuburger, Knobloch, Höfler und Genossen betr. Schäden im deutschen Tabakbau infolge Auftretens der Blauschimmelkrankheit (Drucksache 2072 [neu]). Der Bundestag wolle beschließen: Nach Nummer 3 wird folgende Nummer 4 angefügt: „4. zu untersuchen a) die Umstände, die zum Auftreten der peronospora-tabacina bei der Tabakernte 1960 geführt haben, b) die Berechtigung der in der Öffentlichkeit in diesem Zusammenhang gegen Bedienstete zweier Bundesbehörden erhobenen Vorwürfe." Bonn, den 20. Oktober 1960 Dr. Mende und Fraktion 1 Dieser Umdruck erhält als selbständiger Antrag die Drucksachennummer 2152.
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    Rede von Fritz Schäffer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, Ihnen heute, wenn auch in etwas später Stunde, den Entwurfeines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes vorlegen zu können. Bereits in der großen Justizdebatte im Januar 1959 hatte ich Gelegenheit, Ihnen Gedanken zur Reform des Strafverfahrens vorzutragen. Einige Reformprobleme, so sagte ich damals, müßten schon vor einer umfassenden Reform unserer Strafprozeßordnung einer vordringlichen Lösung zugeführt werden. Der jetzt fertiggestellte Entwurf soll dieses Anliegen erfüllen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn unsere Vorschläge möglichst bald Gesetz würden.

    (Abg. Jahn [Marburg] : Sehr gut!)

    Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist mit Ihnen sicher darin einig, daß das geltende Strafverfahrensrecht im Rahmen der gesamten strafrechtlichen Reformarbeit einer sorgfältigen, umfassenden Überprüfung bedarf. Wir stimmen durchaus darin überein, daß dies eine der wichtigsten rechtspolitischen Aufgaben unserer Zeit ist. Damit meine ich jedoch nicht, daß die geltende Strafprozeßordnung insgesamt unmodern und unbrauchbar sei. Sie stammt zwar aus dem Jahre 1877, wir dürfen aber nicht vergessen, daß diese Strafprozeßordnung die Frucht eines ernsten Bemühens um eine rechtsstaatliche Gestaltung des Verfahrens war.
    Die Problematik des Strafverfahrensrechts ist es von jeher gewesen, einen gerechten Ausgleich zwischen zwei sich widerstreitenden Interessen zu finden: dem Interesse des Staates an einer Verfolgung und Bestrafung des schuldigen Verbrechers stehen die schutzwürdigen Belange des einzelnen gegenüber, der in ein Strafverfahren verwickelt wird und möglicherweise unschuldig ist. Ein gerechter Ausgleich dieses Interessentenstreites kann verfahrensmäßig in ganz verschiedener Weise gesucht werden, wie ein Vergleich mit dem anglo-amerikanischen Strafverfahrenssystem zeigt. Die Verfahrensregeln der geltenden Strafprozeßordnung sind aber meiner Überzeugung nach durchaus von rechtsstaatlichem Geist getragen. Es ist allerdings erforderlich, mit Sorgfalt im Großen und in allen Einzelheiten zu prüfen, in welcher Weise das Verfahren aus der Sicht unserer neugeschaffenen, verfeinerten und freiheitlichen Ordnung und nicht zuletzt unter Berücksichtigung der Menschenrechtskonvention des Europarats geändert und verbessert werden kann. Diese eingehende Überprüfung des gesamten Strafverfahrensrechts kann nur im Rahmen einer großen Strafverfahrensreform vorgenommen werden. Unabhängig vonl dieser Gesamtreform kann die vorliegende No-volle nur in einigen besonders vordringlichen Punkten eine rechtsstaatliche Verbesserung des Verfahrens erstreben.
    Die Frage einer Neugestaltung des Strafverfahrens hat Wissenschaft und Praxis seit langer Zeit beschäftigt. Auch die Ihnen jetzt vorliegende Novelle knüpft in vielen Einzelheiten an frühere Vorschläge an.
    Ich möchte jetzt auf die Geschichte dieser Reformarbeiten nicht im einzelnen eingehen. Eine der ersten und wichtigsten Aufgaben der Bundesgesetzgebung auf dem Gebiet des Strafrechts war es, noch vorhandene Verfahrensvorschriften nationalsozialistischer Prägung zu beseitigen und die Einheit des Strafverfahrensrechts in der Bundesrepublik wiederherzustellen. Da diese Aufgabe drängte, mußten Reformanliegen in diesem Zeitpunkt grundsätzlich unberücksichtigt bleiben. Das sogenannte Vereinheitlichungsgesetz vom 12. September 1950 stellt daher im wesentlichen nur den Rechtszustand wieder her, der vor den Notverordnungen von 1930 und 1932 bestanden hat.
    Sieht man von einigen Ergänzungen und Änderungen der Strafprozeßordnung in den letzten zehn Jahren ab, so beruht unser heutiges Strafverfahrensrecht also auf diesem Vereinheitlichungsgesetz und damit im wesentlichen auf der Strafprozeßordnung, wie sie seit der Emminger-Verordnung im Deutschland der 20er Jahre galt.
    Bei den im Jahre 1954 aufgenommenen Arbeiten an einer umfassenden Reform des Strafrechts konnte die Reform des Strafverfahrensrechts nicht den Vorrang einnehmen. Diese Gesamtreform muß sich auf das materielle Strafrecht, das Strafverfahrensrecht, die Strafgerichtsverfassung sowie auf den Strafvollzug erstrecken. Bereits in der großen Justizdebatte habe ich darauf hingewiesen, daß dem materiellen Strafrecht hierbei der Vorrang gebührt, weil die Reform des Strafgesetzbuchs weitgreifende Auswirkungen auf die Neugestaltung des Strafverfahrens hat. Die Gesamtreform des Strafverfahrensrechts kann also in umfassender Weise erst dann gefördert werden, wenn die Beratungen des inzwischen von der Bundesregierung verabschiedeten Entwurfs eines neuen Strafgesetzbuchs weiter vorangeschritten sind. Dieses Strafgesetzbuch wird in der laufenden Wahlperiode leider nicht mehr verabschiedet werden können.
    In diesem Stadium der Gesamtreform kommt auf dem Gebiet des Strafverfahrensrechts nur eine Sofortnovelle in Betracht, mit der gewisse wenige Reformanliegen vorweg verwirklicht werden sollen. Die Auswahl dieser Reformpunkte ist äußerst schwierig gewesen. Manche Reformwünsche, die über den Rahmen des Ihnen nun vorliegenden Entwurfs hinausgehen, mußten schon deshalb zurückgestellt werden, weil nur eine sinnvolle Beschränkung es ermöglichen dürfte, den Entwurf noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Andere Forderungen glaubten wir im gegenwärtigen Zeit-



    Bundesminister Schäffer
    punkt nicht berücksichtigen zu können, weil sie das Grundsystem des geltenden Strafverfahrensrechts berühren oder weil sie in ihren vielfältigen Auswirkungen im Augenblick noch nicht zu überschauen sind. Wir müssen unter allen Umständen vermeiden, daß übereilte Änderungen sich in verhängnisvoller Weise auf die Strafrechtspflege auswirken.
    Ich bitte Sie daher eindringlich, sich diese Umstände vor Augen zu halten, wenn Sie den Ihnen vorliegenden Entwurf kritisch auf den Umfang seiner Änderungen hin durchsehen. Ich werde die Arbeiten an der Reform des Strafverfahrensrechts in meinem Hause weiter fördern. Noch vor der großen Strafprozeßreform werden durch den Entwurf eines Einführungsgesetzes zu dem neuen Strafgesetzbuch bedeutsame Änderungen des Verfahrensrechts vorgeschlagen werden können.
    Bevor ich nunmehr Ausführungen zu den einzelnen Bestimmungen des neuen Entwurfs machen darf, möchte ich einige Worte zu den Vorarbeiten sagen, die dazu in meinem Hause geleistet worden sind. Es scheint mir von Bedeutung zu sein, daß der Entwurf seit über einem Jahr unter ständiger Fühlungnahme mit den Standesorganisationen der Richter und der Rechtsanwälte, mit der Rechtslehre, mit den Landesjustizverwaltungen, mit dem Bundesgerichtshof und mit dem Generalbundesanwalt erarbeitet und verbessert worden ist. Anregungen und Unterstützung durch Praxis und Lehre haben die Novelle entscheidend mitbestimmt. Besonderen Dank schulde ich den Strafrechtsausschüssen der Bundesrechtsanwaltskammer und des Deutschen Richterbundes, die den Entwurf in mehreren Sitzungen eingehend beraten haben. Daß auch die Landesjustizverwaltungen bei diesen Beratungen nicht nur maßgeblich beteiligt waren, sondern auch mit ihren Auffassungen wesentlich Ausmaß und Umfang der Reform mitbestimmt haben, wird sicher Ihre Zustimmung finden. Denn die Länder werden die Hauptlast der praktischen Auswirkungen der Novelle zu tragen haben.
    Darf ich nun eine kurze Übersicht über die einzelnen Artikel geben. Der Entwurf ändert zunächst in Art. 1 das Recht der Untersuchungshaft in mehrfacher Hinsicht. Er will damit die Anordnung und die Dauer der Untersuchungshaft so weit einschränken, wie es kriminalpolitisch vertretbar ist. Ich habe bereits bei der großen Justizdebatte im Januar 1959 auf diesen Punkt besonders hingewiesen. Der Entwurf schränkt zunächst die Voraussetzungen, unter denen die Untersuchungshaft verhängt werden kann, in mehrfacher Hinsicht ein. Das gilt in erster Linie für die Verdunklungsgefahr. Hier darf in Zukunft nur noch dann ein Haftbefehl ergehen, wenn sich diese Gefahr aus dem Verhalten des Beschuldigten oder seinen besonderen Verhältnissen ergibt.
    Daneben wird der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in § 112 Abs. 2 der Strafprozeßordnung ausdrücklich verankert. Er bedeutet, daß die Untersuchungshaft ganz allgemein nicht angeordnet werden darf, wenn ohne weiteres feststeht, daß sie außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache oder der zu erwartenden Strafe steht. Gerade hiervon verspreche ich mir einen nachhaltigen Einfluß auf die Praxis der Staatsanwaltschaften und Gerichte.
    Dagegen hat sich die Bundesregierung nicht entschließen können, den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr, wie von verschiedener Seite gewünscht wurde, ganz fallen zu lassen. Es wird Sie vielleicht interessieren, daß nur etwa 5 % aller Haftbefehle auf diesen Haftgrund gestützt sind.
    Um die Untersuchungshaft einzuschränken, erweitert der Entwurf die Möglichkeit, den Vollzug der Haft durch schonende Maßnahmen abzuwenden. Sie finden die Einzelheiten in dem neuen § 116. Während bisher der Vollzug der Untersuchungshaft nur ausgesetzt werden konnte, wenn der Haftbefehl lediglich wegen Fluchtverdachts gerechtfertigt war, soll die Aussetzung in Zukunft auch bei Verdunkelungsgefahr möglich sein.
    Besondere Bedeutung haben auch die neuen Bestimmungen der §§ 121 und 122 der Strafprozeßordnung. Hiernach ist der Haftbefehl aufzuheben, wenn die Untersuchungshaft sechs Monate gedauert hat, falls nicht bis dahin durch Urteil auf Freiheitsstrafe gegen den Angeklagten erkannt worden ist. Allerdings kann dieser Grundsatz nicht uneingeschränkt gelten. Es liegt auf der Hand, daß eine starre zeitliche Begrenzung der Haftdauer kriminalpolitisch nicht durchführbar wäre. Es gibt nämlich Fälle, in denen so schwierige Untersuchungen im In- und Ausland notwendig sind, daß es ein schlechter Dienst für die Sache wäre, wenn man eine Hauptverhandlung erzwingen würde, ohne daß der Fall genügend aufgeklärt ist.
    Deshalb sieht der Entwurf die Möglichkeit vor, die Untersuchungshaft in besonderen Fällen auch über sechs Monate hinaus anzuordnen. Voraussetzung hierfür ist aber, daß die Schwierigkeit der Untersuchung oder wichtige Belange der Strafrechtspflege die Fortdauer der Haft unumgänglich notwendig machen. Damit wird verhindert, daß nicht der Verhaftete darunter zu leiden hat, wenn ein Strafverfahren unangemessen lange dauert.
    Der Entwurf trägt damit zugleich dem Art. 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention Rechnung, wonach der Beschuldigte Anspruch auf Aburteilung innerhalb einer angemessenen Frist oder auf Haftentlassung während des Verfahrens hat.
    Eine weitere Sicherung in dieser Richtung sieht die Bundesregierung in der Einschaltung des Oberlandesgerichts. Ist der Haftbefehl vom Amts- oder Landgericht erlassen, so soll nur dieses Hohe Gericht — das Oberlandesgericht — über die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft entscheiden können. Denn die zusätzlichen Haftvoraussetzungen setzen ihrer Art nach in so hohem Maße eine justizpolitische Beurteilung des Falles voraus, daß es schon allein deshalb geboten ist, ihre Prüfung dem Oberlandesgericht vorzubehalten. Dadurch wird auch die erforderliche Einheitlichkeit in der Rechtsprechung erreicht. Und schließlich wird das Oberlandesgericht mit seiner Entscheidung in der Regel eine kritische Würdigung des bisherigen Verfahrens verbinden. Gerade davon verspreche ich mir Auswirkungen auf die schnellere Behandlung der Haftsachen durch die unteren Gerichte und die Strafverfolgungsbehörden.



    Bundesminister Schäffer
    Ich habe diesem Punkt besondere Aufmerksamkeit ,gewidmet, weil der Bundesrat beschlossen hat, statt des Oberlandesgerichts das allgemein für Haftentscheidungen zuständige Gericht auch für die Entscheidung nach § 121 der Strafprozeßordnung vorzusehen. Gerade im Interesse einer wirksamen Beschleunigung des Verfahrens glaubt aber die Bundesregierung, aus den angeführten Gründen diesem Vorschlag nicht beitreten zu können.
    Auf die weiteren Änderungen der Bestimmungen über Untersuchungshaft, die auch zu einer neuen Fassung der §§ 112 bis 126 a der Strafprozeßordnung geführt haben und die insbesondere das Haftprüfungsverfahren einfacher und dadurch wirkungsvoller gestalten sollen, möchte ich im einzelnen nicht eingehen; ich bitte, auf die Begründung der Regierungsvorlage verweisen zu können.
    Das zweite Kernstück der Novelle, das Schlußgehör, finden Sie in Artikel 2 des Entwurfs. Dabei handelt es sich um eine persönliche Anhörung des Beschuldigten durch den Staatsanwalt, die in bedeutsamen Fällen zwingend vorgeschrieben ist und die in anderen Fällen vom Staatsanwalt nach pflichtgemäßem Ermessen gewährt wird. Dadurch soll die Verteidigung des Beschuldigten erleichtert werden. Der Beschuldigte und auch sein Verteidiger werden umfassend über die bisherigen Ermittlungen und die Auffassung des Staatsanwalts unterrichtet. Auf diese Weise erhalten Beschuldigter und Verteidiger die Möglichkeit, durch entlastende Ausführungen und Anträge auf die Entschließung des Staatsanwalts Einfluß zu nehmen, ob, mit welchem strafrechtlichen Vorwurf und bei welchem Gericht er die öffentliche Klage erheben soll. Mit diesem Schlußgehör, das auf frühere Reformvorschläge zurückgeht, wird die Rechtsstellung des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren in entscheidender Weise verbessert. Deshalb glaubt die Bundesregierung, die damit verbundene Verzögerung des Verfahrens wenigstens bei der schweren Kriminalität in Kauf nehmen zu können. Der Beschuldigte hat nach dem Entwurf einen Anspruch auf das Schlußgehör in allen Sachen, die im ersten Rechtszug zur Zuständigkeit des Landgerichts oder eines höheren Gerichts gehören. Damit wird auch berücksichtigt, daß gegen die Urteile dieser Gerichte keine Berufung zulässig ist, also nur eine Tatsacheninstanz zur Verfügung steht. Wir haben uns trotz sorgfältiger Prüfung nicht entschließen können, das Schlußgehör allgemein auf Strafverfahren vor den Amts- oder Schöffengerichten auszudehnen. Hier soll der Staatsanwalt nur dann das Schlußgehör gewähren, wenn es mit Rücksicht auf Art und Umfang der Beschuldigung oder aus anderen Gründen zweckmäßig erscheint.
    Der Art. 3 des Entwurfs soll die Stellung des Verteidigers im Strafverfahren wesentlich verbessern und verstärken. Zunächst wird die notwendige Verteidigung ausgedehnt. In Zukunft soll jeder Angeklagte, gegen den die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Landgericht oder einem höheren Gericht stattfindet, durch einen Verteidiger vertreten sein, und zwar schon bei dem Schlußgehör, also schon vor der Erhebung der Anklage.
    Weiter soll der Verteidiger grundsätzlich befugt sein, alle Akten einzusehen, die dem Gericht vorliegen oder diesem später vorgelegt werden sollen. Der neue § 147 der Strafprozeßordnung spricht also erstmalig aus, daß der Verteidiger auch im Vorverfahren grundsätzlich das Recht hat, die Ermittlungsakten jederzeit einzusehen. Die Akteneinsicht darf dem Verteidiger nach Abschluß der Ermittlungen überhaupt nicht mehr versagt werden und vor diesem Zeitpunkt auch nur dann, wenn durch Gewährung der Akteneinsicht der Zweck des Verfahrens gefährdet werden könnte. Der Entwurf befriedigt ein weiteres Anliegen der Anwaltschaft, wenn er vorschreibt, daß einem Antrag des Verteidigers, ihm die Akten in seine Geschäftsräume oder in seine Wohnung zur Einsicht mitzugeben, grundsätzlich entsprochen werden soll.
    Auch der freie Verkehr des Verteidigers mit dem verhafteten Beschuldigten wird durch die neue Fassung des § 148 erweitert. Die Bundesregierung konnte sich aber nicht dazu entschießen, diesen Verkehr völlig freizugeben. Für besondere Ausnahmefälle muß bei Verdunklungsgefahr die Möglichkeit der Überwachung erhalten bleiben. Der Entwurf betont aber diesen Ausnahmecharakter deutlicher als bisher. Er verlangt, daß bestimmte Tatsachen vorliegen müssen, die befürchten lassen, daß der Verkehr des Beschuldigten mit seinem Verteidiger dazu mißbraucht werden könnte, die Sache zu verdunkeln und dadurch den Untersuchungszweck zu gefährden.
    In Art. 4 schreibt der Entwurf vor, daß jeder Beschuldigte schon im Ermittlungsverfahren vernommen werden muß, wenn das Verfahren nicht zur Einstellung führt. Für die Vernehmung selbst sehen die neuen Bestimmungen wesentliche Verbesserungen der Stellung des Beschuldigten vor. In Anlehnung an das französische Recht muß der Beschuldigte bei Beginn seiner ersten Vernehmung deutlicher als bisher darauf hingewiesen werden, daß es ihm nach dem Gesetz freisteht, ob er aussagen oder schweigen will. Neu ist weiter, daß eine derartige Belehrung nicht nur dem Richter, sondern auch dem Staatsanwalt und jedem Polizeibeamten zur Pflicht gemacht wird. Diese Beamten müssen in Erweiterung des geltenden Rechts in Zukunft auf ein Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht ausdrücklich hinweisen. Diese neuen Vorschriften erfüllen eine rechtsstaatliche Forderung, die in der Gesetzgebung der letzten Zeit immer deutlicher hervortritt. Der Beschuldigte, aber auch alle Personen, die gesetzlich verpflichtet sind, zur Aufklärung des Sachverhalts beizutragen, sollen über ihre Rechte und Pfilchten deutlich und loyal aufgeklärt werden.
    Art. 5 sieht zunächst vor, daß die Richter bei der Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren ausgeschlossen sind, die bei der Sachentscheidung in dem früheren Verfahren mitgewirkt haben. Wenn der Verurteilte andere Richter als in dem früheren Verfahren vor sich sieht, wird er leichter von ihrer Unbefangenheit überzeugt sein können, als wenn die früheren Richter erneut über die Sache zu entscheiden haben. Für den Fall einer Zurückverweisung durch das Revisionsgericht sieht der Entwurf



    Bundesminister Schäffer
    keine entsprechende Regelung vor. Ich glaube, das nicht ausdrücklich begründen zu müssen.
    Die Neufassung des § 25 der Strafprozeßordnung erweitert das Recht des Angeklagten, den Richter in der Hauptverhandlung wegen Befangenheit abzulehnen: In Zukunft kann ein Ablehnungsgrund unter bestimmten Voraussetzungen noch in der Beweisaufnahme, ja selbst noch beim letzten Wort des Angeklagten geltend gemacht werden. Dadurch soll eine Ablehnung ermöglicht werden, wenn sich erst aus der Verhandlungsführung des Richters oder aus seinem Verhalten außerhalb der Hauptverhandlung ein Grund für die Ablehnung ergibt.
    Art. 6 bringt eine Vorschrift, die für die Praxis von erheblicher Bedeutung sein wird und zur Vereinfachung einer großen Zahl von Strafverfahren beitragen kann: Es handelt sich um den neuen § 154 a, der es ermöglichen soll, daß sich Staatsanwaltschaft und Gericht bei der Ermittlung und bei der Entscheidung auf die wesentlichen Teile der Straftat und auf die tragenden rechtlichen Gesichtspunkte beschränken können. Unwesentliche Teile einer Tat sollen im Interesse einer Beschleunigung des Verfahrens ausgeschieden, unwesentliche Gesetzesverletzungen unberücksichtigt bleiben.
    Art. 7 sieht gewisse Änderungen des Eröffnungsverfahrens und der Hauptverhandlung vor. Die Bundesregierung ist sich darüber klar, daß es sich hier nur um vorläufige Maßnahmen handeln kann. Eine umfassende Neugestaltung des Zwischenverfahrens würde den Rahmen einer kleinen Verfahrensreform sprengen. Der Entwurf hält deshalb an der Einrichtung des Eröffnungsbeschlusses fest. Das Gericht hat danach wie bisher zu prüfen, ob die Staatsanwaltschaft den Tatverdacht zu Recht bejaht hat.
    Eine wesentliche Neuerung ist es jedoch, daß das Gericht unter diesen Voraussetzungen nicht selbst den hinreichenden Verdacht ausspricht, sondern nur die erhobene Klage zur Hauptverhandlung zuläßt. Dadurch kann der rechtsunkundige Angeklagte nicht mehr zu der irrigen Annahme gelangen, das Gericht habe sich in der tatsächlichen und rechtlichen Würdigung seines Falles schon mehr oder weniger festgelegt. Im übrigen bestimmt nunmehr der Inhalt der gerichtlich zugelassenen Anklage den Prozeßstoff: die vom Gericht zugelassene Anklage soll zu Beginn der Hauptverhandlung vom Staatsanwalt verlesen werden. Damit werden zugleich die Rollen der Prozeßbeteiligten in der Hauptverhandlung besser als bisher verteilt.
    Der Entwurf sieht weiter vor, daß Vorstrafen in der Hauptverhandlung nur noch insoweit festgestellt werden sollen, als sie für die Entscheidung von Bedeutung sind. Damit soll einer vermeidbaren Bloßstellung des Angeklagten in der Hauptverhandlung begegnet werden.
    Art. 8 des Entwurfs sichert das rechtliche Gehör vor Gericht in jedem Abschnitt des Strafverfahrens. Die neue Vorschrift des § 33 verwirklicht den Verfassungsgrundsatz des Art. 103 des Grundgesetzes im Bereich der Strafprozeßordnung, und zwar in enger Anlehnung an die Grundsätze, die das Bundesverfassungsgericht zu dieser Vorschrift schon entwickelt hat.
    Art. 9 betrifft das Revisionsverfahren. Allerdings muß sich der Entwurf auch hier auf zwei Änderungen beschränken. Dabei verkennt die Bundesregierung nicht, daß sich gerade gegen die Revision in ihrer derzeitigen Gestalt vielfache Angriffe aus Wissenschaft und Praxis richten. Aber hier gilt das, was ich bereits früher ausgeführt habe: Es ist nicht möglich, die schwierige Frage des Instanzenzuges, insbesondere der zweiten Tatsacheninstanz und der Neugestaltung der Revision, losgelöst von einer Gesamtreform des Strafverfahrens und der Strafgerichtsverfassung zu entscheiden. Der Entwurf beschränkt sich daher auf zwei Punkte: Zunächst sieht er vor, daß die Revisionsbegründungsfrist in allen Verfahren, die im ersten Rechtszug vom erweiterten Schöffengericht oder vom Landgericht verhandelt werden, von zwei Wochen auf einen Monat verlängert wird. Damit erfüllt der Entwurf auch einen Wunsch der Anwaltschaft.
    Nach § 349 Abs. 2 der Strafprozeßordnung kann das Revisionsgericht die Revision durch Beschluß verwerfen, wenn es das Rechtsmittel für offensichtlich unbegründet erachtet. Dieses vereinfachte Verfahren muß im Interesse der Arbeitsfähigkeit unserer Revisionsgerichte erhalten bleiben. Im Interesse des Beschuldigten soll aber verhindert werden, daß der Beschwerdeführer durch eine derartige Entscheidung überrascht wird. Der neue § 349 bindet das Revisionsgericht daher zunächst an einen Antrag der Staatsanwaltschaft: nur dann, wenn auch diese die Revision als offensichtlich unbegründet ansieht, soll das Gericht ohne Hauptverhandlung durch Beschluß entscheiden können. Die Staatsanwaltschaft hat aber einen entsprechenden Antrag dem Beschwerdeführer mitzuteilen und soll dazu, falls sachdienlich, eine kurze Begründung geben. So erhält der Angeklagte nochmals Gelegenheit, sich zu äußern.
    Art. 10 bringt im wesentlichen Änderungen technischer Art.
    Der Art. 11 wird das besondere Interesse bei der Aussprache finden. Sie haben sicher die Erörterungen in der Presse verfolgt, die mit dem von der Bundesregierung vorgesehenen Verbot von Rundfunk-, Fernseh- und Filmaufnahmen in der Hauptverhandlung zusammenhängen. Die Bundesregierung hat versucht, die kriminalpolitischen Notwendigkeiten, die sie zu diesem Schritt zwingen und die von den Standesorganisationen der Richter, der Staatsanwälte und der Rechtsanwälte einheitlich und voll anerkannt werden, gegen das berechtigte Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit abzuwägen. Sie schlägt daher vor, daß während des Ganges der Hauptverhandlung Rundfunk-, Film- und Fernsehaufnahmen ohne Ausnahme unzulässig sein sollen, daß aber für die Verkündung des Urteils aus wichtigen Gründen eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden kann.
    Kurz die Gründe: Die Sendung von Ton- und Bildaufnahmen über Ausschnitte aus der Hauptverhandlung hat schon seit längerer Zeit die schweren Bedenken offenbar werden lassen, die gegen diese Art der Berichterstattung bestehen. Ähnliches gilt



    Bundesminister Schäffer
    auch bei Filmaufnahmen über Vorgänge in der Hauptverhandlung und ihre Vorführung, z. B. in der Wochenschau. Rundfunk-, Fernseh- und Filmaufnahmen im Gerichtssaal gehen über die in § 169 des Gerichtsverfassungsgesetzes gewährleistete Öffentlichkeit der Hauptverhandlung weit hinaus. Sie gefährden nicht nur die Wahrheitsfindung, sondern beeinträchtigen auch die Verteidigung des Angeklagten. Derartige Aufnahmen bergen die große Gefahr in sich, daß der Angeklagte und der Verteidiger wegen der Scheu vor einem unbeschränkten, unübersehbaren und unsichtbaren Zuhörerkreis ihre Aussagen und Erklärungen nicht so unbefangen gestalten, wie es das Interesse der Verteidigung erfordert. Ähnliches gilt für die Zeugen und Sachverständigen. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hinweisen, daß dieselbe Überzeugung auch der Deutsche Richterbund ausgesprochen und gerade aus diesen Gründen ein generelles Verbot derartiger Aufnahmen gefordert hat.
    Obwohl bereits die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Möglichkeiten bietet, Mißbräuche zu verhüten, hält die Bundesregierung es für geboten, für Rundfunk-, Fernseh- und Filmaufnahmen ein gesetzliches Verbot vorzusehen. Es bedeutet nämlich in der Regel eine Überforderung des Vorsitzenden und der Verfahrensbeteiligten, wenn sie selbst durch ihre Zustimmung oder Ablehnung über die Zulassung einer solchen Aufnahme entscheiden sollen. Das gesetzliche Verbot des Art. 11 ist zugleich eine Auswirkung der durch Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes aller staatlichen Gewalt auferlegten Pflicht, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen.
    Wie ich bereits erwähnt habe, sieht der Regierungsentwurf die Möglichkeit vor, daß der Vorsitzende für die Verkündung des Urteils aus wichtigen Gründen Ausnahmen zuläßt. Grundgedanke ist, daß in Einzelfällen ein Interesse bestehen kann, die Urteilsverkündung selbst, wenn sie von besonderer, außerordentlicher Bedeutung ist, der Öffentlichkeit auch auf diese Weise vorzuführen. Ich bemerke, daß der Bundesrat eine strengere Handhabung und den ausnahmslosen Ausschluß solcher Aufnahmen verlangt.
    Art. 12 betrifft die Stellung des Bundeskriminalamtes. Nach dem Entwurf soll in das Gerichtsverfassungsgesetz eine Vorschrift eingefügt werden, die dem Bundeskriminalamt die Möglichkeit gibt, in den zur erstinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs gehörenden Staatsschutzverfahren Ermittlungsersuchen des Generalbundesanwalts und des Untersuchungsrichters des Bundesgerichtshofs auszuführen. Schon seit längerer Zeit besteht das dringende Bedürfnis, dem Generalbundesanwalt zur schlagkräftigen Aufklärung der Staatsschutzdelikte ein für das gesamte Bundesgebiet zuständiges, zentrales Ermittlungsorgan zur Verfügung zu stellen. Ich brauche nicht zu betonen, daß es sich bei hochverräterischen Unternehmen, staatsgefährdenden Umtrieben und landesverräterischen Agentennetzen regelmäßig um von zentraler Stelle gesteuerte, weitverzweigte und alle Landesgebiete des Bundes umfassende Gesamtunternehmen handelt. Eine erfolgreiche Aufklärung verlangt daher ein Ermittlungsorgan, das einen umfassenden Überblick über
    diese Bestrebungen hat, über große Erfahrungen auf diesem Gebiet verfügt und Einblick in andere Verfahrenszusammenhänge besitzt.
    Eine gesetzliche Zuständigkeit des Bundeskriminalamts für Ermittlungen auf Ersuchen des Generalbundesanwalts und des Untersuchungsrichters des Bundesgerichtshofs besteht zur Zeit nicht. Das Bundeskriminalamt wird zwar schon bisher auf Grund einer Vereinbarung zwischen dem Bundesjustizminister und den Innenverwaltungen der Länder in den Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts tätig, jedoch nur im Einvernehmen und im Zusammenwirken mit den Innenverwaltungen und Polizeibehörden der Länder. Dabei sind den Landespolizeibeamten alle Ausführungsmaßnahmen vorbehalten, die eine Exekutivbefugnis voraussetzen. Die Beamten des Bundeskriminalamts können insoweit nur unterrichtend und koordinierend wirken. Diese Vereinbarung war nur als Notlösung für eine Übergangszeit bis zu einer gesetzlichen Regelung gedacht, die den Erfordernissen einer schlagkräftigen Bekämpfung Rechnung trägt. Diese gesetzliche Regelung soll durch den vorgeschlagenen § 134 b nunmehr erreicht werden.
    Der Bundesrat schlägt die Streichung dieser Bestimmung vor. Er äußert verfassungsrechtliche Bedenken. Die Bundesregierung vermag die vom Bundesrat gegen Art. 12 des Entwurfs erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht als berechtigt anzuerkennen. Sie hält nachdrücklich an der Auffassung fest, daß die vorgeschlagene Vorschrift mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Ich verweise auf die Ihnen in der Bundestagsdrucksache 2037 vorliegende schriftliche Stellungnahme der Bundesregierung und glaube deshalb, nähere Ausführungen nicht machen zu sollen.
    Was die Zweckmäßigkeit und die Notwendigkeit der vorgeschlagenen Vorschrift anlangt, so glaube ich, daß sie nicht bestritten werden kann. Wenn sich nämlich das Bundeskriminalamt erst mit einer Reihe von Landeskriminalämtern oder sonstigen Polizeibehörden in Verbindung setzen und deren Exekutivhandlungen koordinieren muß, so ergibt sich daraus oftmals eine Verzögerung des Zugriffs, die gerade bei den Straftatbeständen, die hier in Frage kommen — des Hochverrats, der Staatsgefährdung und des Landesverrats —, besonders gefährliche Folgen haben kann. Solche Folgen müssen aber durch einen schnellen, umfassenden Zugriff verhütet werden.
    Die übrigen Vorschriften des Entwurfs bedürfen sonst keiner näheren Ausführungen. Sie sehen nur ergänzende Bestimmungen und Übergangsregelungen vor, die ohne grundsätzliche Bedeutung sind.
    Meine Damen und Herren, im Strafverfahren sind die Stellung des Beschuldigten und die des Verteidigers Brennpunkte der Rechtsstaatlichkeit. An ihnen setzt die vorliegende Prozeßnovelle an. Die vorgeschlagenen Änderungen der Strafprozeßordnung zielen nahezu ausnahmslos darauf ah, die Stellung des Beschuldigten und die des Verteidigers zu stärken. Wenn Sie, meine Damen und Herren, bedenken, daß dieser „kleinen Reform" aus verschiedenen Gründen notwendig enge Grenzen gesetzt



    Bundesminister Schäffer
    sind, so werden Sie mir zugeben, daß die Bundesregierung ihr Möglichstes getan hat, um die berechtigten Anliegen für eine Verbesserung und für eine Beschleunigung des Strafverfahrens zu erfüllen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)



Rede von Dr. Thomas Dehler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Der Entwurf der Regierung ist begründet.
Wir treten in die Beratung ein. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kanka.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Karl Kanka


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hochgeschätzte Hinterbliebene aus diesem Hohen Hause, die sich noch nicht auf- und davongemacht haben! Meine Damen und Herren, es ist unerhört, daß bei der Beratung einer Materie von solchem Gewicht für die Öffentlichkeit, für unser ganzes deutsches Volk, das in dieser bundesrepublikanischen Ordnung eine saubere Ordnung auch des Rechtswesens finden soll, das Parlament so schlecht besetzt ist.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Sehr richtig!)

    Das möchte ich vorausgeschickt haben. Es erweckt erhebliche Zweifel am rechten Beruf unserer Zeit für die Gesetzgebung. Wir reden fast nur noch für das Protokoll. So sollte es aber nicht sein.
    Von welcher Bedeutung der Stoff ist, um den es hier geht, zeigt uns ein nüchterner Blick auf die Statistik. Im Jahre 1957 hat die Bundesrepublik 42 Millionen Einwohner gezählt, die über 14 Jahre alt, also fähig waren, in ein Strafverfahren verwikkelt zu werden. Die Statistik zeigt nun, daß in diesem Jahre 1957 von den Amts- und Staatsanwaltschaften, die die Rechtssachen auf strafrechtlichem Gebiet zuerst in Empfang nehmen, 3 Millionen Fälle bearbeitet worden sind. Das ist schon eine entsetzliche Zahl. Sie verliert aber etwas von ihrem Erschreckenden, wenn man sich darauf besinnt, daß vermutlich mehr als 1 Million — vielleicht 1 1/2 Millionen — Fälle mit den Verkehrsdelikten zusammenhängen. Von den 3 Millionen sind 1 150 000 durch richterliche Strafverfügung erledigt worden. Das werden im wesentlichen Verkehrsübertretungen gewesen sein. 650 000 sind durch Strafbefehle, also mit einer Strafmaßnahme etwas schwereren Gewichts, erledigt worden. Auch hierunter dürften noch sehr viele Verkehrsdelikte gewesen sein. 350 000 sind aber zu förmlichen Anklagen gediehen. 350 000 förmliche Anklagen gegenüber 42 Millionen Bundesbürgern, die in ein Strafverfahren verwikkelt werden können!
    Die Statistik gibt uns noch einige andere Zahlen. Zu Hauptverhandlungen auf Anklage oder auf Einspruch gegen eine Strafverfügung oder einen Strafbefehl hin ist man im Jahre 1957 520 000mal gekommen, und zwar zu Hauptverhandlungen vor den Amtsgerichten und vor den Schöffengerichten, in den unteren Instanzen. Vor der Großen Strafkammer und vor den Jugendkammern der Landgerichte kamen 13 000 Fälle zur Verhandlung. Auch das ist eine ganz beachtliche Zahl, aber sie ist schon beruhigender. Vor den Schwurgerichten, vor denen die ganz schweren Verbrechen behandelt werden, waren es 400 Fälle. In Hoch- und Landesverratssachen minderen Gewichts bei den Oberlandesgerichten waren es 200 Fälle, und bei den Hoch- und Landesverratssachen ganz schweren Gewichts beim Bundesgerichtshof waren es 38 Fälle.
    Von den rund 520 000 erstinstanzlichen Hauptverhandlungen des Jahres 1957 haben etwa 500 000 mit einem Urteil geendet. Davon waren 50 000 freisprechende Urteile und 450 000 Verurteilungen zur Strafe — darunter dann wiederum wegen Vergehen, also schwerer wiegenden Verletzungen, auf dem Gebiete des Straßenverkehrs ungefähr die Hälfte, nämlich 240 000.
    Zum Schluß noch einige weitere Zahlen: 50 000 Berufungen gegen erstinstanzliche Urteile sind in diesem einen Beispieljahr eingelegt worden und 12 000 Revisionen, davon die Hälfte gegen Berufungsurteile, die andere Hälfte unmittelbar gegen erstinstanzliche Urteile.
    Das alles sind beachtliche Zahlen, die zeigen, welche Bedeutung einer guten Regelung unseres Strafverfahrens zukommt. Dabei darf bei allem, was wir in bezug auf die Reform unseres Strafverfahrensrechtes tun, nicht außer acht gelassen werden, daß unsere Strafrechtspflege zwar nicht zuletzt den Beschuldigten und späteren Angeklagten vor einem ihn unnötig diffamierenden Verfahren und vor einem Fehlurteil bewahren soll, daß eine nicht minder wichtige Aufgabe der Strafrechtspflege aber darin besteht, die Verletzten, die öffentliche Ordnung und den Staat zu schützen. Wir werden deshalb bei unserer Reformaufgabe nicht so tun können — und auch diejenigen, die von Berufs wegen Rechtsanwälte sind, werden nicht so tun —, als ob alle Angeklagten Unschuldslämmer, alle Verteidiger nur reine Schutzengel seien und als ob die bösen Leute nur auf den Sitzen der Staatsanwälte und der Gerichte säßen. So ist es nicht. Die meisten von denen, die mit einer Hauptverhandlung zu tun haben, sind sogar schuldig. Trotzdem muß die immerhin vorhandene Gefahr eines Fehlurteils in Rechnung gestellt werden. Schon der Umstand, daß auf Berufungen und Revisionen hin immer wieder Änderungen vorkommen, zeugt davon, daß über die Schuldfrage und über die angemessene Bestrafung Streit bestehen kann.
    Die Gefahr eines oder einer sonstigen
    Fehlentscheidung, eines unnützen Inhaftnehmens und Inhafthaltens muß nach Möglichkeit zurückgedämmt werden; es muß unsere Hauptsorge sein, dafür die rechtlichen Vorkehrungen zu treffen.
    Der Herr Justizminister hat bereits vorgetragen, daß unser Strafverfahrensrecht, das in seinen Grundlinien seit dem 1. Oktober 1879, also seit nunmehr etwas mehr als 80 Jahren, in Kraft ist, noch nicht sehr tiefgreifenden Verbesserungen unterworfen worden ist. Ich glaube, man kann sogar sagen, das formelle Strafrecht ist im Gegensatz zum materiellen Strafrecht, das angepaßt worden ist, in diesen inzwischen verflossenen 80 Jahren stiefmütterlich behandelt worden.



    Dr. Kanka
    Es waren Zeiten der Not und Zeiten des Krieges, in denen starke Eingriffe in das Strafverfahrensrecht vorgenommen wurden, durch die Emmingersche Justiz-„Reform", die auf Grund eines Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich, auf Grund eines Ermächtigungsgesetzes, erlassen worden ist, und dann während des „Dritten Reiches" durch nationalsozialistische Änderungen, die allerdings durch die „Denazifizierung" dieses Teils unserer Gesetzgebung nach 1949 wieder herausgenommen worden sind. Aber zu einer echten Reform, über die Wiederherstellung der Rechtseinheit hinaus — die zunächst einmal notwendig war —, ist man noch nicht gekommen.
    Auch zwischen den beiden Weltkriegen gab es nur ein einziges Mal ein echtes Reformgesetz. Das war das Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom Dezember 1926, durch das das Haftprüfungsverfahren bei der Untersuchungshaft eingeführt worden ist. Da mußte erst ein ehemaliger Minister in der Untersuchungshaft sterben, und es mußten einige andere Skandalfälle aufkommen, ehe sich der Gesetzgeber dazu entschloß, auf diesem Gebiet eine Besserung herbeizuführen.
    Meine Fraktion begrüßt, daß sich die Bundesregierung entschlossen hat, schon jetzt mit einer kleinen Strafverfahrensreform herauszukommen. Im Jahre 1959 hat die Bundesregierung noch den Gedanken gehabt, man könne den Beginn der Strafverfahrensreform bis zum Erlaß des Einführungsgesetzes für das neue Strafgesetzbuch verschieben. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß dafür dieses Parlament die Zeit nicht mehr haben wird; und wir haben uns jetzt doch mit einer sehr kleinen, sehr bescheidenen Strafverfahrensreform zu befassen.
    Wir begrüßen auch die Auswahl der Gegenstände der Reformbemühungen: Reform der Vorschriften über die Untersuchungshaft, Reform der Vorschriften über das Verhältnis des Staatsanwalts zum Beschuldigten, Reform der Vorschriften über die Verteidigung, Entlastung des Verfahrens durch die stärkere Ausscheidung von Unwesentlichem, Verbesserung der Vorschriften über die Verwerfung der Revision als offensichtlich unbegründet, Verbesserung der Vorschriften über die Wiederaufnahme des Verfahrens, Ausschluß der Richter, die bei den früheren Verfahren beteiligt waren, sowie schließlich die gesetzliche Neuregelung des Verhältnisses von Film und Funk zur Hauptverhandlung.
    Zu den Einzelheiten will ich hier in dieser späten Stunde

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Spät?)

    und in der ersten Lesung, die nur dem Grundsätzlichen gewidmet sein soll, nicht Stellung nehmen. Ich will nur eines sagen. Wenn sich irgendwo im Rechtswesen ein Mißstand zeigt, muß er nicht immer gleich im Gesetz begründet sein. Er kann vielmehr seinen Grund auch darin haben, daß das vorhandene Gesetz nicht richtig angewandt wird oder daß für die Anwendung des Gesetzes nicht das nötige Personal vorhanden ist oder die mit der Anwendung des Gesetzes befaßten Kräfte nicht das nötige Material, die nötigen Hilfsmittel haben. Das
    muß man schon bei den Überlegungen über die Reform des Haftverfahrens bedenken.
    Die Fraktion der Freien Demokraten hat im vorigen Jahr einen Antrag eingebracht, der darauf hinwirken sollte, daß die Untersuchungshaft möglichst abgekürzt wird. Das war so ein bißchen Eisenbartkur, was nach diesem Antrag dem Strafprozeß verordnet worden wäre. Die Untersuchungshaft sollte nach dem besagten Antrag prinzipiell auf zwei Monate beschränkt werden; nur bei Verbrechen sollte die Möglichkeit einer einmaligen Verlängerung und dann vielleicht einer nochmaligen zweimonatigen Verlängerung zugelassen werden.
    Für diesen Entwurf bin ich als Berichterstatter des Rechtsausschusses bestellt worden. Daraufhin habe ich mir wieder einmal die Statistik angesehen und habe festgestellt, daß unsere Justizstatistik noch nicht ganz vollständig ist. Sie müßte noch stärker ausgearbeitet werden. Über die Leistungen der Wirtschaft können wir der Statistik viel mehr entnehmen als über die Leistungen der „wohledlen Dame Justitia". Ich mußte mich auf zwei Jahrbücher von Bayern und Nordrhein-Westfalen beschränken, aus denen ich etwas über die Zahl der Haftbefehle und über die Dauer der Untersuchungshaft erfahren konnte. Ich glaube aber, das, was in Bayern und Nordrhein-Westfalen ziemlich übereinstimmend gilt, wird für die ganze Bundesrepublik zutreffen.
    In beiden Ländern beträgt die Dauer der Untersuchungshaft in etwa 75 % der Haftfälle weniger als drei Monate, in etwa 20 % der Haftfälle liegt die Dauer der Untersuchungshaft zwischen drei und sechs Monaten, und nur in etwa 4 % der Fälle liegt die Dauer der Untersuchungshaft zwischen sechs Monaten und einem Jahr; nur in knapp 1 % dauert die Untersuchungshaft länger als ein Jahr.
    Das darf uns aber nicht beruhigen, und es darf uns auch nicht beruhigen, daß etwa in Bayern, wo in diesen drei Jahren — 1956, 1957 und 1958 —25 000 Haftbefehle ergangen sind, in diesen selben drei Jahren Entschädigungen wegen unschuldig erlittener Untersuchungshaft nur in 23 Fällen gezahlt wurden, also in einem Satz von einem Promille. Das darf uns nicht beruhigen.

    (Abg. Memmel: Aber es ist schön!)

    Denn unter den 25 000 Haftbefehlen war auch der Haftbefehl gegen den sozialdemokratischen ehemaligen Nürnberger Stadtrat Karl Kapp. Ich zitiere nach der Zeitung: Es ist der Fall des Nürnberger Stadtrats Karl Kapp, der zwölf Jahre seines Lebens im Konzentrationslager, drei Jahre in den Kerkern des NKWD, fünf Jahre in sibirischen Lagern und nach seiner Rückkehr — nachdem er 20 Jahre seines Lebens in nationalsozialistischen und kommunistischen Lagern verbracht hat — noch anderthalb Jahre bei uns in der Bundesrepublik in Untersuchungshaft verbrachte und dem dann nach der Hauptverhandlung in der vergangenen oder vorvergangenen Woche vom Gerichtsvorsitzenden bescheinigt wurde — er ist wegen erwiesener Unschuld freigesprochen —, daß er als Lagerältester ein guter Kamerad und ein Mann ohne Furcht und Tadel gewesen sei.



    Dr. Kanka
    Dieser Fall hätte bereits nach unserer bisherigen Strafprozeßordnung nicht vorzukommen brauchen.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Sehr richtig!)

    Wir wollen hoffen, daß solchen Fällen durch die Reform restlos der Garaus gemacht wird.

    (Abg. Memmel: Das sind Ausnahmefälle!)

    — Es sind Ausnahmefälle, aber Ausnahmefälle, die zeigen, daß bei dieser verantwortlichen Tätigkeit des Verhaftens vielleicht doch nicht immer so ganz vorsichtig vorgegangen wird — schon nach dem jetzigen Gesetz nicht. Ich habe vor kurzem ein Gespräch mit einem alten Praktiker gehabt; es war kein Rechtsanwalt, sondern ein Mann von der „anderen" Seite, von der Anklagebehörde. Er sagte mir, nach seiner Überzeugung sei schon jetzt nach dem Gesetz ein großer Teil der Fälle, in denen Untersuchungshaft verhängt wird, nicht mehr zu vertreten; denn unsere jetzige Strafprozeßordnung bestimme, daß die Untersuchungshaft wegen Verdunkelungsgefahr nur dann zulässig ist, wenn „bestimmte Tatsachen" vorliegen, die eine ganz konkrete Gefahr der Verdunkelung begründen, die vom Angeklagten oder Beschuldigten ausgehen kann. Statt dessen werde in der Praxis schon oft genug die Dunkelheit, die noch über der Sache liegt, weil sie noch nicht genügend aufgeklärt oder der Mann nicht geständig ist, für einen Haftbefehl als hinreichend angesehen.
    Auch die anderen Themen, die in dem Reformgesetz angeschnitten werden, sind es wert, daß man sich mit ihnen beschäftigt. Das gilt beispielsweise von den Vorschriften über Verteidigung. Darüber will ich jedoch nichts sagen. Das ist ein sehr weites und auch ein sehr schwieriges Feld. Ich möchte mich hier darauf beschränken, die gute Meinung anzuerkennen, von der sich das Justizministerium bei der Formulierung dieser Vorschriften hat leiten lassen.
    Zu begrüßen ist auch, daß nun Vorschriften über die Ausschließung von Richtern von Entscheidungen über die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens gesetzt werden sollen, nämlich die Ausschließung von Richtern, die in Vorverfahren an den Entscheidungen des nun winde raufzunehmen den Verfahrens teilgenommen haben. Damit wird im übrigen ein viel weitschichtigeres und viel tiefschichtigeres Problem — sehr sorgsam und behutsam — angeschnitten, über das in den weiteren Bemühungen um die Reform noch einiges zu sagen sein wird.
    Auch die Vorschriften, durch die die Verwerfung der Revision als unbegründet von der vorherigen Mitteilung des dahin gehenden und begründeten Antrags der Staatsanwaltschaft abhängig gemacht werden soll, sind zu begrüßen. Es wäre noch zu überlegen, ob man nicht auch gewisse Revisionen der Staatsanwaltschaft der Verwerfung als „offensichtlich unbegründet" aussetzen sollte, so wie es nach dem geltenden Recht ist, wie es aber nach der neuen Bestimmung nicht mehr sein soll. Wenn das Haus nicht schon im Aufbruch wäre, würde ich einige Fälle anführen, die den Bundesgerichtshof beschäftigt haben und von denen man sagen kann: die waren es wirklich nicht wert, daß man fünf hochgelahrte Bundesrichter damit beschäftigte.
    Zum Schluß noch ein Wort über das Verhältnis des Films und des Funks zur Hauptverhandlung. Der Bundesrat meint, man solle Film und Funk, vor allem Fernsehen, schlankweg von der Hauptverhandlung ausschließen, und zwar von allen Teilen der Hauptverhandlung, auch von der Urteilsbegründung. Die Regierungsvorlage meint, bei der Urteilsverkündung solle es dem Vorsitzenden erlaubt sein, „aus wichtigen Gründen" Ausnahmen zuzulassen. Es ist eine sehr schwierige Frage, die damit aufgeworfen wird. In meiner Fraktion hat man sich darüber, welcher der beiden Meinungen der Vorzug zu geben sei, noch nicht abschließend unterhalten. Ich will aber mit meiner Meinung hier nicht hinter dem Berge halten. Ich ziehe bier ausnahmsweise einmal die Stellungnahme des Bundesrates der Meinung der Bundesregierung vor. Die wohledle Dame Justitia braucht das Licht der Öffentlichkeit. Sie soll nicht in irgendwelchen Dunkelkammern Kabinettsjustiz treiben. Sie braucht das Licht der Öffentlichkeit für ihr Leben. Aber das Licht der Jupiterlampen ist zu kraß. Durch Film und Rundfunk kann der Strafprozeß sehr leicht zum Schauprozeß gemacht werden.

    (Abg. Memmel: Sehr richtig!)

    Schauprozesse sollten aber nicht in einer freiheitlichen, rechtsstaatlichen Ordnung ihre Heimat haben; die haben ihre Heimat in totalitären Staaten und in revolutionären Zeiten.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Zu den angeschnittenen Themen ist noch vieles zu sagen. Wir werden im Rechtsausschuß eine verantwortungsvolle Arbeit zu leisten haben. Ich hoffe, daß wir es fertigbringen, die Reform auf möglichst breiter Grundlage noch zu verabschieden, bevor wir im nächsten Jahr auseinandergehen. Zuvor werden wir die Staatsanwälte, die Richter und die Rechtsanwälte zu hören haben. Aber die letzte Verantwortung tragen wir, und ich hoffe, daß es nicht nur den Juristen überlassen wird, diese Verantwortung zu tragen, sondern daß sich dieses Hohe Haus in corpore der Verpflichtung, an einer solchen gesetzlichen Regelung mitzuarbeiten, besser bewußt wird, als es nach dem heutigen Eindruck hier der Fall zu sein scheint. Ich hoffe sogar, daß dieser Eindruck von unserem Plenum nur ein falscher Eindruck ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)